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Erstmal nicht: Pflege für 2 Teuro pro Stunde

11.08.2007 - von Hanne Schweitzer

"Im Einklang mit den Gesetzen vermittelt Ihnen McPflege auf Ganztagspflege spezialisierte Partner aus Osteuropa." So beginnt die Information von MC-Pflege, die für Aufregung gesorgt hat und noch sorgt. "Diese Fachkräfte können die körperlichen und seelischen Belastungen der pflegenden Angehörigen auffangen und bieten dem Pflegebedürftigen in einer vertrauten Umgebung zu bleiben." Die Aufregung steigert sich fast zur Hysterie angesichts dieser Versprechungen. "Trotz unserer äußerst günstigen Preise nehmen wir uns sehr viel Zeit für die vor der Vermittlung notwendigen Beratungsgespräche mit den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen, um so gemeinsam Ihren individuellen Betreuungs- und Pflegebedarf zu ermitteln." Jemand, der sich Ziet nimmt, was ist denn das? Das kann doch nicht wahr sein! Da muss doch was faul sein! "Wir wissen, dass vor allem die zwischenmenschlichen Aspekte von besonderer Wichtigkeit sind. Pflege und Betreuung wird von uns nicht nur als bloße Dienstleistung angesehen, sondern vielmehr als Verpflichtung gegenüber den hilfsbedürftigen Mitmenschen." Verpflichtung gegenüber hilfsbedürftigen Mitmenschen, ja wo sind wir denn, so etwas gibt es doch nicht. "Dabei steht die Hilfe zur Selbsthilfe bei uns im Vordergrund. Der Pflegebedürftige soll in seiner gewohnten Umgebung so selbständig wie möglich bleiben bzw. seine Selbständigkeit weitestgehend wiedererlangen."

Der neue Anbieter im Wachstumsmarkt Pflege, der diese Zeilen verfasst hat, nennt sich McPflege und vermittelt den Kontakt zu polnischen, bulgarischen oder ungarischen Pflegediensten. Diese schicken ihre MitarbeiterInnen zu den Arbeits- und Sozialbedingungen, nach D., die in ihren Staaten herrschen. Die McPflege-Gründer haben ihre Geschäftsidee auf der seit Mai 2004 gültigen europäischen Dienstleistungs-Richtlinie basiert, die dieses Vorgehen legal macht.

Geschäftsführer des Pflegediscounters sind der Oldenburger Norbert Meiners und der Osnabrücker Diplom-Kaufmann Alwin Teiken. Meiners arbeitet als Dozent an der privaten Fachhochschule für Wirtschaft und Technik in Oldenburg, zudem als Fachbuchautor, Trainer und Unternehmensberater. Teiken ist kaufmännischer Leiter der Friseurbetriebe Kornet OHG in Herzlake die seniorengerechte Friseursalons planen.

Meiners und Teiken wollen bis zum nächsten Jahr mehrere Dependancen in D. eröffnen, die ersten drei in Bremen, Cloppenburg und Hamburg. Ziel sind 50 Agenturen in den nächsten 3 Jahren. Danach ist eine Expansion in westliche Nachbarländer geplant.

Zum Konzept gehört, dass McPflege nur als Vermittler für die zur Zeit noch überwiegend aus Osteuropa kommenden Menschen auftritt. Laut McPflege sprechen diese gut deutsch, sind sozialversichert und examiniert. Sie erhalten einen Lohn ab zwei Euro die Stunde. Die Pauschalhonorare belaufen sich monatlich – je nach Aufwand – auf 1.500 bis 1.700 Euro. Dafür sollen die importierten Kräfte hauswirtschaftliche Hilfe leisten und/oder rund um die Uhr Betreuung. Je nachdem, ob die zu betreuende Person eine Pflegestufe hat, soll die Dienstleistung auch über die Pflegekasse abgerechnet werden können.
Hinzu kommt noch eine jährliche Provision an McPflege von 570 Euro.

Natürlich ist das Geschrei jetzt groß. (Obwohl es doch, weil von den Leitmedien nur halbherzig aufgegriffen, erstaunlich leise daherkommt.)

  • Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di spricht von „Abzocke zu Lasten der Patienten und der Beschäftigten“.

  • Der Paritätische Wohlfahrtsverband in Bremen kritisiert McPflege wegen seiner „Dumpinglöhne“.

  • „Gute und verlässliche Pflege für zwei Euro die Stunde gibt es nicht“, erklärte der Arbeitgeberverband im Gesundheitswesen (AGV).


  • Gabriele Feld-Fritz, bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für Pflegeeinrichtungen zuständig, kommentiert das Angebot von Mc. Pflege so: „Die Menschen, die kommen, werden ausgebeutet: Sie sind 24 Stunden am Arbeitsplatz und haben kaum Schutzrechte“.

    Nur:
    Jeder denkende Mensch wußte, welche Folgen die Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie im Jahr 2004 haben würde und noch haben wird. Doch ausser einigen Gewerkschaftsfunktionären haben Abgeordente und Bürger ganz nach Kohlscher Manier reagiert. Ausgesessen haben sie Jobunsicherheiten, Jobverluste und Lohndumping, alles das, was sich durch Unternehmen wie McPflege für die Beschäftigten in den ambulanten und stationären Einrichtungen sehr deutlich abzeichnet. Ausgesessen haben sie die Folgen der Dienstleistungsrichtlinie für die Pflegekassen. Ausgesessen haben sie die Folgen der MCDonaldisierung in der Pflege für alle, die kein Haus oder keine Wohnung haben, groß genug, um eine Hilfskraft aufzunehmen. Wird schon alles nicht so schlimm, haben sie gesagt. Und wenn, dann bin ich ja nicht mehr in Amt und Würden und der Herrgott wird´s dann schon richten.

    Außerdem:
    Jeder, der seinen Hintern mal aus dem Fernsehsessel hebt und in die Wirklichkeit hinausgeht, der weiß doch, wie im Mittelstand das Pflegeproblem längst gelöst wird: Mit Hilfe einer Polin. Diese lebt (il)legal im Haushalt eines Ehepaars, weil z.B. der Mann demenzkrank ist. Sie erhält in der Regel 800 Euro pro Monat und wie weiland ein Dienstmädchen Kost und Logis gratis. Sie hat einen Tag in der Woche frei, keine geregelte Arbeitszeit, keine Versicherung, sie unterliegt keiner Kontrolle, sie hat keinen Schutz. Und nach drei bzw. sechs Monaten muss sie das Land verlassen, weil ihr Besuchsvisum abgelaufen ist. Dann kommt eine neue Polin angereist.

    Laut Frankfurter Rundschau vom 31.07.07 arbeiten in D zur Zeit rund 70.000 Frauen aus Osteuropa illegal in der Pflege.

    Außerdem:
    Pflegehelferinnen verdienen in Ostdeutschland oft auch nur 3€ pro Stunde.

    Dann noch:
    "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen." Kommunistisches Manifest, 1848, Karl Marx und Friedrich Engels.
    Aber ob die beiden Autoren auch mit den folgenden Sätzen Recht haben? "Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen."
    Da habe ich so meine Zweifel.

    Und zu guter Letzt:
    McPflege hat am 10.8.2007 den Betrieb eingestellt. In der entsprechenden Mitteilun heißt es: "McPflege stoppt seine Aktivitäten. Die Pflegesituation in Deutschland ist ein gesellschaftliches Problem, dessen wir uns mit McPflege ernsthaft angenommen hatten. Unsere Intention war es, qualifiziertes und sozial versichertes osteuropäisches Betreuungspersonal zu erschwinglichen Preisen bundesweit anzubieten. Es gab sehr viele positive Reaktionen von Betroffenen und sehr viele negative Reaktionen von Verbänden. Aufgrund der vielen negativen Reaktionen und der massiven persönlichen Anfeindungen auf unseren Hilfe orientierten Ansatz ziehen wir nun jedoch die Konsequenz und ziehen uns aus dem Markt zurück. Wir sind nicht länger bereit im Brennpunkt der Diskussion zu stehen.

    Dennoch hoffen wir, dass McPflege einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung der Pflege geleistet hat. Viele Pflegemarktexperten haben ja auch auf die Sinnhaftigkeit derartiger Lösungen verwiesen. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif mit einem solchen Konzept in die Umsetzung zu gehen.

    Eine ausführliche politische Diskussion scheint erforderlich. Es wurden noch keine Verträge mit Kunden abgeschlossen. Für die Geschäftsaufgabe gab es keine rechtlichen Gründe, da es sich nach EU-Recht um einen völlig legalen Service handelt."

    Auch wenn das Ende vor dem eigentlichen Beginn mysteriös ist: Das Ei liegt im neoliberalen Nest. Wenn es nicht von McPflege ausgebrütet werden wird, dann eben von McSeniorenhilfe oder McAltenbetreuung.
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    Aktuell läuft eine europaweite Petition, mit der der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) Druck auf die Europäische Kommission machen will, hochwertige öffentliche Dienste in Europa zu schützen und zu stärken. Mindestens eine Million Unterschriften sollen dafür gesammelt werden. Auf dem folgenden Link sind genauere Informationen zu finden und es kann auch online unterschrieben werden http://international.verdi.de/europapolitik/petition_fuer_oeffentliche_dienste

    Link: http://www.mcpflege.de/
    Quelle: diverse

    Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Pflege:
    25.07.2007: "Leitstelle" Altenpflege
    23.07.2007: Bagso zur Pflegereform
    22.07.2007: Altenhilfe: demenziell erkrankte MigrantInnen

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