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Lokführer: LAG-Chemnitz

02.11.2007 - von Hanne Schweitzer

Was wird aus dem Streikrecht, so lautet die Frage, über die heute gegen 16 Uhr vom Landesarbeitsgericht Chemnitz in der Zwickauer Straße entschieden worden sein sollte. Richter Werner Leschnig hatte laut Spiegel online zu Beginn der Verhandlung angedeutet, dass es nicht um die Tarifautonomie gehe, sondern einzig darum zu entscheiden, ob die GDL ein Recht darauf hat, ihre Forderungen gegen die Bahn mit Hilfe von Arbeitsniederlegungen durchzusetzen.

Tja, was wird mit diesem Freiheitsrecht von hohem Rang, das die Deutsche Bahn AG der GDL entziehen lassen will?
Wird das Streikrecht im Namen des Volkes für Recht erklärt??? In erster Instanz hatte das Chemnitzer Arbeitsgericht am 5. Oktober 07 mit einer Verfügung alle Streiks in den Bereichen Güter- und Fernverkehr wegen wirtschaftlicher Schäden untersagt.

Lokomotivführern, Zugbegleitern und ServicemitarbeiterInnen wurden nur Arbeitsniederlegungen im S-Bahn- und Regionalverkehr erlaubt!!!
Laut Rheinischer Post online vom 2.11.07 sollen der Bahn AG durch die Streiks im Nahverkehr Schäden in Höhe von zehn Millionen Euro entstanden sein. Wahrlich Peanuts angesichts eines Gewinns von 668 Millionen Euro, den die Bahn in der Zeit von Januar bis Mai 2007 "gemacht" hat.

Im Auftrag der ARD-Tagesthemen wurden von Infratest-dimap am Montag 29.10. und Dienstag 30.10. 2007 immerhin 1.000 Bundesbürger telefonisch befragt. Mit 63% stimmten die meisten Befragten der Feststellung zu, dass es falsch sei, die Gerichte anzurufen, um sie darüber entscheiden zu lassen, ob Gewerkschaften streiken dürfen.

Eine Niederlage vor dem sächsischen Landesarbeitsgericht "wäre ein Tiefschlag", sagte der stellvertretende GDL-Vorsitzende Claus Weselsky im Morgenmagazin der ARD. In diesem Fall würden der Gewerkschaft GDL grundgesetzliche Rechte vorenthalten. Darüber könne dann nur das Bundesverfassungsgericht urteilen. Da eine solche Entscheidung aber Monate dauern könne, habe die GDL weitere Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ziele in der Hinterhand.

Das ist nun alles nicht nötig, denn das Gericht hat anders entscheiden. Um 17 Uhr meldete Deutschlandradio Kultur: Das Gericht hat das Streikverbot im Güter- und Fernverkehr aufgehoben!!! Zur Begründung führte das Gericht aus: "Selbst der Grundsatz der Tarifeinheit steht dem Nebeneinander mehrerer
konkurrierender Gewerkschaften nicht entgegen. Vielmehr setzt er
Tarifpluralität, also den Abschluss mehrerer Tarifverträge über denselben Regelungsgegenstand gerade voraus. Dementsprechend ist es einer Koalition unbenommen, sich um den Abschluss eines spezielleren, einen konkurrierenden Tarifvertrag verdrängenden Tarifvertrag zu bemühen. Würde jedes Mal, wenn der Arbeitgeber nicht freiwillig zu Tarifverhandlungen mit einer Gewerkschaft bereit ist, bereits bei der Frage der Zulässigkeit/Verhältnismäßigkeit eines Streiks auf einen Tarifvertrag abgestellt, über den noch inhaltlich verhandelt werden muss und dessen abschließender Inhalt noch gar nicht feststeht, würde eine nicht zu rechtfertigende Vorverlagerung der Prüfung des Tarifvorrangs stattfinden."

Die Sprecher der Deutsche Bahn AG versuchten, der Öffentlichkeit in den letzten Wochen zu suggerieren, dass es illegal sei, wenn die GDL ihre Mitglieder zum Streik in allen Bereichen des Zugverkehrs aufrufe.

Streik ist nun aber bekanntlich das härteste Kampfmittel über das eine Gewerkschaft verfügt. Beim wirtschaftlichen Streik, den die GDL führt, geht es um bessere Bezahlung, menschenfreundlichere Schichtdienste und verkürzte Arbeitszeiten. Wenn dieses Mittel nicht zu wirtschaftlichen Verlusten der Arbeitgeber führen würde, wäre es ein Puddingschwert.

Die Bahn AG, die im vergangenen Jahr zwei Milliarden Euro Gewinn "gemacht" hat, argumentiert aber mit dem wirtschaftlichen Schaden. Sie interessiert sich nicht für die gesundheitlichen und finanziellen Auswirkungen, die ihre Lohn- und Arbeitszeitpolitik auf die Beschäftigten hat - und erst recht im Alter haben wird.

Das Arbeitsgericht hatte sich am 5. Oktober noch nicht auf die Ableitung des Streikrechts aus dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Art.9 GG) besonnen. Es hatte auch nicht darüber reflektiert, dass Chemnitz vor nicht allzu langer Zeit noch Karl Marx-Stadt hieß. Dort galt, wie in an anderen Orten des real existierenden Sozialismus ein rigides Streikverbot, das sämtliche Streikarten erfasste.

Verboten waren:
Der politische Streik, auch Generalstreik genannt, der nahezu alle ArbeitnehmerInnen eines Landes erfasst.

Der Warnstreik, der stets von kurzer Dauer ist. Er soll den Forderungen der ArbeitnehmerInnen mehr Nachdruck verleihen.
Der Sympathie-Streik dient dem Zweck, durch Arbeitsniederlegungen die Forderungen in anderen Branchen oder Betrieben zu unterstützen.

Der Sitzstreik ist dadurch gekennzeichnet, dass die Arbeit niedergelegt, der Arbeitsplatz aber nicht verlassen wird.
Der Bummelstreik besteht in einer Verlangsamung des Arbeitstempos, besonders durch übertriebene Einhaltung sämtlicher Vorschriften.

Der wilde Streik ist einer, bei dem die ArbeitnehmerInnen die Arbeit ohne Billigung (und Unterstützungszahlung) der Gewerkschaft niederlegen.

Die Entscheidung vom 2.11.2007 in Chemnitz zeigt, wie sinnvoll es war, dass die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) freundlich und nervenstark geblieben ist. Bis einschließlich Sonntag will sie ihre Mitglieder nicht zu Streiks aufrufen, sagte der GDL-ler Claus Weselsky in der ARD. "Wir lassen dem Bahnvorstand Zeit zur Besinnung", begründete Weselsky den freiwilligen Streikverzicht. Schließlich sei es der Bahnvorstand, der mit seinem Verhalten darüber entscheide, ob der vorab von vielen beschworene wirtschaftliche Schaden überhaupt entstehe.

Quelle: DeutschlandRadio + ARD-Morgenmagazin 2.11.07

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