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Bundesrat gegen neue Antidiskriminierungsrichtlinie

08.10.2008 - von Hanne Schweitzer

Der Bundesrat verabschiedete auf seiner 847. Sitzung am 19. September 2008 eine 15-seitige Stellungnahme zum Vorschlag von EU-Kommissars Spidla, den Schutz vor (Alters)-Diskriminierung in Europa beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen durch eine neue Richtlinie zu verbessern. Dadurch soll eine Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes auf das allgemeine Zivilrecht erreicht werden.

Einige nachdenkenswerte Aussagen aus diesem Papier:

  • Ungleichbehandlungen - beispielsweise wegen einer Behinderung oder des Alters - sind nicht per se diskriminierend. Nicht selten folgen sie objektiven Notwendigkeiten (...).
  • Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der von der Kommission gewählte horizontale Ansatz überzogen ist.
  • Es ist unerheblich, auf welche Weise die einzelnen Mitgliedstaaten Diskriminierungen verhindern, ob durch Verbote, Sensibilisierungsmaßnahmen, Werbekampagnen, Aufklärungsmaßnahmen etc., solange sie damit im Ergebnis erfolgreich sind.
  • Vor dem Hintergrund des bestehenden AGG ist der Richtlinienvorschlag (...) für die Wirtschaft bedenklich.
  • Der Bundesrat befürchtet, dass (...) der Vorschlag zu weiteren, unverhältnismäßigen Belastungen für die - insbesondere deutsche - Wirtschaft führen würde. Bereits das geltende AGG hat nach wissenschaftlichen Untersuchungen im ersten Jahr der Geltung zu großen Belastungen der deutschen Unternehmen* geführt.


  • * Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ließ im Jahr 2007 eine Studie erstellen, in welcher die Bürokratiekosten der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf sage und schreibe 1,73 Mrd. Euro geschätzt wurden.
    Diese Summe ist - wen wundert`s - nach einer kritischen Analyse der Studie unhaltbar. Professor Priddat, Sprecher des Forschungsprojekts und Mitglied der wissenschaftlichen Kommission der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, und Prof. Wilms, Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wiesen in einem Gutachten nach, dass nur ca. 26 Mio. Euro an direkten Kosten hochgerechnet werden können, und das auch nur dann, wenn die äußerst fragwürdigen Methoden der Studie akzeptiert. Diese Kosten von 26 Millionen machen aber nur 1,5 % der in der Studie behaupteten Summe von 1,73 Mrd. Euro aus. Dazu kommt: In der Studie der Initiatibe Neue Soziale Marktwirtschaft wurde der Nutzen des AGG nicht ermittelt. Er konnte daher auch nicht in Relation gestellt, also von den Kosten abgezogen werden. Ohne den Vergleich mit dem Nutzen ist aber die errechnete Höhe der Kosten eine politische Größe und keine ökonomische Größe. Das wirft ein erhellendes Licht auf die Arbeitsweise der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

    Das 15seitige Papier des Bundesrats wurde verfasst auf Empfehlung der folgenden Ausschüsse:
    Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ),´der Finanzausschuss (Fz),
    der Ausschuss für Kulturfragen (K), der Rechtsausschuss (R) und
    der Wirtschaftsausschuss (Wi), ausserdem auf Antrag des Landes Hessen.

    Das Land Hessen hatte einen eigenen Antrag eingebracht:

    Antrag des Landes Hessen:
    Der Bundesrat möge anstelle von Ziffer 28 in BR-Drucksache 499/1/08 die folgende Ziffer beschließen:
    "28. Insbesondere für den Bildungsbereich lehnt der Bundesrat jede Ausweitung des EU-Antidiskriminierungsrechts ab: Nach Artikeln 149, 150 EGV bleibt die Verantwortung für die allgemeine und berufliche Bildung den Mitglied-staaten vorbehalten; die EU ist auf koordinierende, unterstützende oder ergänzende Maßnahmen beschränkt. Mit dieser klaren Regelung ist vor allem die von der Kommission vorgeschlagene pauschale Ausweitung des Geltungsbereichs der Richtlinie auf die Bildung nicht vereinbar.
    Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
    Der bisherige Text von Ziffer 28 in BR-Drucksache 499/1/08 ist missver-ständlich formuliert und stellt die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die allgemeine und berufliche Bildung nicht ausreichend heraus."

    In der Presseinformation schreibt der Bundesrat am 19.9.08 über die Stellungnahme:

    "Die Länder halten weitere Initiativen im Bereich der europäischen Antidiskriminierungspolitik nicht für erforderlich. Bevor überhaupt neue Rechtsakte ins Auge gefasst werden könnten, seien zunächst die Erfahrungen mit den noch jungen nationalen Umsetzungen der bisherigen Antidiskriminierungsrichtlinien abzuwarten. In D gehe das Schutzniveau - auch durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz - bereits deutlich über die europäischen Vorgaben hinaus. Insbesondere für den Bildungsbereich lehnt der Bundesrat jede Ausweitung des europäischen Antidiskriminierungsrechts strikt ab. Die EU sei hier auf koordinierende, unterstützende oder ergänzende Maßnahmen beschränkt.
    Darüber hinaus warnt der Bundesrat davor, dass die vorgeschlagene Richtlinie wegen unscharfer Vorgaben zu Rechtsunsicherheit führe und überflüssige Belastungen für das Wirtschafts- und Rechtsleben schaffe. Sie erfordere erhebliche Änderungen am deutschen Recht und verursache unverhältnismäßigen Bürokratieaufwand. Die Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes hätte einen massiven Eingriff in den auch gemeinschaftsrechtlich anerkannten Grundsatz der Vertragsfreiheit zur Folge, befürchten die Länder.

    Der Bundesrat fordert schließlich, an der von der Kommission eingesetzten Regierungsexpertengruppe für Nichtdiskriminierung auch einen Bundesratsbeauftragten zu beteiligen.

    Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes reicht dem Bundesrat wohl nicht aus, um genug Einfluss auf die Verhinderung von mehr Schutz vor (Alters)Diskriminierung seitens der EU-Kommission in Brüssel zu nehmen. Und man soll ja auch sehr gut zum Essen ausgehen können dort.

    Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2675
    Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung