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Rente mit 67: Jonglieren mit Zahlen + Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt

24.11.2010 - von Hanne Schweitzer

Das wespenfarbige Bundeskabinett hat am 17. November den Bericht zur Beschäftigungslage älterer Menschen verabschiedet. Gemäß § 154 Absatz 4 SGB VI hat die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften vom Jahre 2010 an alle vier (!) Jahre über die Entwicklung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu berichten und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer weiterhin vertretbar erscheint und die getroffenen gesetzlichen Regelungen bestehen bleiben können.

Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit war in der vergangenen Legislaturperiode von CDU/CSU und SPD geplant worden. Verabschiedet wurde das entsprechende "Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)" am 20. April 2007. Von 2012 bis 2023 wird der Rentenbeginn altersabhängig um einen Monat verschoben, von 2024 an um zwei Monate. Im Jahr 2029 sollen alle ArbeitnehmerInnen mit 67 Jahren in Rente gehen. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, soll weiter mit 65 in Rente gehen können.

Joachim Wagner, stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, ist ein Verfechter der Rente mit 67. In einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel meinte er sagen zu müssen, dass die Rente mit 67 vor allem „ein Kopfproblem“ sei.

Seinen Kopf würden viele Ältere gerne haben. Denn die meisten wissen: Rente mit 67 oder gar 70 zielt auf Rentenkürzung und Altersarmut. Altersdiskriminierung und Jobmangel sorgen schon heute dafür, dass das das Renteneintrittsalter zur Zeit bei 60,5 Jahren liegt. Nur jede/r zehnte Arbeitnehmerin ist bis zum 65. Lebensjahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Die Arbeitsministerin, Ursula von der Leyen, manche nennen sie auch "von der Rolle", meint der Meinung zu sein, dass es nicht stimme, „dass wir eine anhaltend schlechte Situation für Ältere auf dem Arbeitsmarkt haben“.

Wen wundert es also, dass das wespenfarbige Bundeskabinett den 152seitigen Bericht der Arbeitsministerin, dessen Zahlenangaben übrigens NICHT nach Geschlecht differenziert sind, gebilligt, akzeptiert und für gut und richtig befunden hat. Frau Leyen: "Man kann heute mit Fug und Recht sagen, dass die Rente demografiefest ist." Mit Fug und Recht????

Da lohnt ein Blick auf Zahlen und Begriffe aus dem abgrundtief scheinheiligen Bericht der Bundesarbeitsministerin. Schon der Titel: "Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt" ist zynisch und ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die älter sind und wegen ihres Alters keine Arbeitsstelle finden und bei ihrer Arbeitssuche mit Altersdiskriminierung konfrontiert werden, OBWOHL diese gesetzlich seit 2006 VERBOTEN ist.

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
Dazu heißt es im Bericht: "Der Begriff der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten umfasst die Personen, die sozialversicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege-, Renten- und/oder Unfallversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung sind. Hierzu gehören auch Altersteilzeitbeschäftigte."

Am 30. Juni 2009 gab es 2.60 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Altersgruppe der 55 bis unter 60Jährigen. Ihr Anteil an der Bevölkerung der Altersgruppe der 55 bis unter 60Jährigen (Beschäftigungsquote) lag bei 48,3 Prozent.

Am 30. Juni 2009 waren in der Gruppe der 60 bis unter 65 Jährigen 995.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Ihr Anteil an der Bevölkerung der Altersgruppe der 60 bis unter 65Jährigen (Beschäftigungsquote) lag bei 23,4 Prozent.

Erwerbstätige
Laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) ist jede Person im erwerbsfähigen Alter, die in einem einwöchigen Berichtszeitraum mindestens eine Stunde lang gegen Entgelt oder im Rahmen einer selbstständigen oder mithelfenden Tätigkeit gearbeitet hat. Atypische Beschäftigte gelten ebenso als erwerbstätig wie Selbstständige, mithelfende Familienangehörige, Beamte und Soldaten.

2009 gab es 3.80 Millionen Erwerbstätige im Alter zwischen 55 und unter 60 Jahren.
2009 waren in der Altersgruppe der 60 bis unter 65Jährigen 1.68 Millionen Menschen erwerbstätig.

Atypische Beschäftigte
Teilzeitbeschäftigung, befristete Beschäftigung, geringfügig (entlohnte) Beschäftigung und Zeitarbeit gelten als atypische Beschäftigung.

Teilzeitbeschäftigte
Von den Erwerbstätigen zwischen 55 und 64 Jahren waren im Jahr 2009 insgesamt 16,8 Prozent in einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung tätig.
Genauere Zahlen sagt der Bericht nicht.

Befristet Beschäftigung (Arbeitsvertrag mit Ablaufdatum)
2009 gab es 156.000 befristet Beschäftigte in der Altersgruppe der 55 bis unter 60Jährigen.
2009 waren in der Gruppe der 60 bis unter 65Jährigen 51.000 befristet beschäftigt.

Geringfügig (entlohnte) Beschäftigung (Minijob)
2009 gab es 296.000 geringfügig entlohnte Beschäftigte in der Altersgruppe der 55 bis unter 60Jährigen.
2009 waren in der Gruppe der 60 bis unter 65Jährigen 195.000 geringfügig entlohnt beschäftigt.

Zeitarbeit:
Im Juni 2009 waren 45.000 Personen, die älter als 55 Jahre waren, in Zeitarbeit tätig. (Genauere Zahlen nennt der Bericht nicht.)

Aufstocker
Der Anteil der über 55 Jährigen an den 1,3 Millionen erwerbstätigen BezieherInnen von Arbeitslosengeld II lag Anfang des Jahres 2010 bei 12,5 Prozent. (Detaillierteres sagt der Bericht dazu nicht.)

Überhaupt nicht erwähnt im Bericht werden die Arbeitslosen, die nicht in der Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit auftauchen. Das waren im Oktober 2010 immerhin 85.960 Personen. Auch die sogenannte stille Reserve wird nicht erwähnt. Hierzu zählen Arbeitslose, die aus Arbeitsmarktgründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, die die Arbeitssuche entmutigt aufgegeben haben, oder in den Warteschleifen des Bildungs- und Ausbildungsystems ihre Warterunden drehen. Ist ein Arbeitsloser älter als 58 Jahre und hat innerhalb eines Jahres keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden, wird er offiziell nicht länger zu den Arbeitslosen gezählt.

Am 13.11.2010 berichtete die Süddeutsche Zeitung, das gut ein Jahr vor dem geplanten Einstieg in die Rente mit 67 Jahren immer mehr Menschen zwischen 60 und 64 Jahren erwerbslos sind. Im Oktober 2010 sei deren Zahl auf rund 145.500 gestiegen.

Matthias Birkwald, Rentenexperte der Linken sagte: Derzeit verfügen nur vier von 100 Frauen im Alter von 64 Jahren über eine Vollzeitstelle." Folge: Die Rente mit 67 bedeutet für viele Altersarmut per Gesetzesreform.

Die Botschaft Ursula von der Leyens im Bericht "Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt":
Verstärkte Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, Verbesserung, verbessert, verbessern, besser, Besserung.

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Nur jeder Zehnte schafft es bis 65: Untersuchung der Hans Böckler-Stiftung: Link

Vereinbarung der Koalitionsarbeitsgruppe SPD und CDU/CSU zur Umsetzung der Maßnahmen in der Alterssicherung 2006: Link

Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt. alt=http://www.bmas.de/portal/49086/property=pdf/anlage__bericht__der__bundesregierung__anhebung__regelsaetze.pdf
>Link
(14.12.2022 nicht mehr abrufbar)

Link: Nullrunden und versteckte Rentenkürzungen seit 2003
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung