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Verstaatlichung von Pensionsfonds in Ungarn + Bulgarien

Bulgarien - 11.12.2010 - von Hanne Schweitzer

Der ungarische Premier Viktor Orbán will zur Sanierung der Staatskasse die fast elf Milliarden Euro aus den privaten Pensionsfonds verwenden, die seine Regierung verstaatlichen. Seit 1997 waren Beschäftigte in Ungarn verpflichtet worden, ergänzend zum Pflichtbeitrag für die staatliche Rente Beiträge in private Pensionsfonds einzuzahlen. Mit diesen zusätzlichen elf Milliarden Euro würde der ungarische Staatshaushalt 2011 statt eines Defizits von voraussichtich drei Prozent einen Überschuss erzielen.

Die Regierung Orbán hat die BürgerInnen vor die Wahl gestellt. Sie "dürfen" entscheiden, auf welchen Teil der Rente sie lieber VERZICHTEN wollen. Wer seine Rentenfonds-Ersparnisse behalten möchte, ist dann nicht mehr berechtigt, eine staatliche Rente zu beziehen. Wem die staatliche Rente lieber ist, der muss „freiwillig“ alle Ersparnisse aus den privaten Rentenfonds an die Staatskasse übertragen.

Wie der Wiener Standard meldete, hatte die Orbán-Regierung zunächst entschieden, dass die Versicherungsprämien an die Rentenfonds-Unternehmen, zu denen u.a. Axa, Ing. und OTP gehören, "nur" 14 Monate lang in das staatliche Rentensystem fließen sollten.

David Nemeth, Analyst bei der Ing.-Bank, nennt das ungarische Vorgehen "Zwangsverstaatlichung" und ruft nach dem Verfassungsgericht. Eine legale juristische Möglichkeit, gegen die Beschlagnahmungspolitik der ungarischen Regierung vorzugehen, gibt es jedoch nicht. Dazu muss man wissen:

Im November 2010 hatte die extrem rechtskonservative Regierung, deren Partei Fidesz im April 2010 mit einer fetten Zweidrittel-Mehrheit ins Parlament gewählt wurde, ein Gesetz verabschiedet, das Abfindungszahlungen über 7.250 Euro rückwirkend zum 1. Januar 2010 mit einer Steuer von 98 Prozent belegt. Das Verfassungsgericht kippte dieses Gesetz.

Daraufhin verabschiedete das Parlament umgehend ein weiteres Gesetz, das die Befugnisse des Verfassungsgerichts dramatisch beschränkt. Es hat nun in allen Angelegenheiten keine Entscheidungsbefugnisse mehr, die den Staatshaushalt und damit auch die Renten betreffen.

Der europäische Wirtschafts- und Währungskommissar, Olli Rehn, hatte, wie EurActiv meldete, eine sehr „unangenehme“ Unterhaltung mit seinem ungarischen Amtskollegen: Man scheine in Ungarn die Absicht zu haben, die Säule der privaten Rente komplett abzuschaffen.

In Bulgarien wurde am 19. November 2010 mit den Stimmen der regierenden „GERB“-Partei (Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens) und der nationalistischen Ataka-Partei schon ein ähnliches Gesetz zur Verstaatlichung der privaten Rentenfonds verabschiedet. Allerdings ging man dort anders vor als in Ungarn. Indem man die Rahmenbedingungen für die Rentenfonds so drastisch veränderte, dass fällige Zahlungen nicht mehr geleistet werden konnten, wurde die Rentenfonds-Industrie gezwungen, um ihre eigene Verstaatlichung zu bitten.

Der polnische Premierminister, Donald Tusk, hat ähnliche Absichten, wählt aber einen anderen Weg. Er fragte erstmal bei der EU an, ob Polen die Gelder privater Rentenfonds auf die nationale Sozialversicherung übertragen "dürfe". Eine Antwort steht derzeit noch aus.

Die Europäische Kommission, ohne jede Befugnis in Rentenangelegenheiten ihrer Mtglieder, äußerte sich besorgt darüber, dass die Gelder aus den Rentenfonds genutzt werden, um laufende Staatsausgaben zu finanzieren und/oder das Staatsdefizit künstlich und kurzfristig zu reduzieren um die Maastrichtkrierien einhalten zu können. So brächten die Staaten die Staatsfinanzen in Gefahr.

Zur Gefahrenabwehr, und weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf, hat sich die EU erstmal wieder einen Trick einfallen lassen. Wenn sich der Europäische Rat am 16. und 17. Dezember im 50. Stock des „Justus Lipsius“-Gebäudes in Brüssel trifft, wollen sich die Staats- und Regierungschefs mit folgender Frage beschäftigen: Warum rechnen wir nicht die Defizite der staatlichen Rentenversicherungen aus den Haushaltsdefizitregeln heraus? Das wurde für die osteuropäischen Staaten, seit 2004 schon so gehandhabt und dummerweise hat die EU vergessen, die auf fünf Jahre begrenzte Regel vor Ausbruch der "Krise" stillschweigend zu verlängern. Am 1. Januar 2011 übernimmt Ungarn für ein halbes Jahr die EU-Präsidentschaft.

Link: Ungarn kürzt bei Rentnern und Beamten…
Quelle: Standard 26.11.Junge Welt 4.11. EurActiv, 6.12.2010