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Das System Uni hat mich kaltlächelnd ausgespuckt

15.04.2013 - von S.W.

Eigentlich bin ich privilegiert. Ich konnte, nachdem meine Kinder aus dem Gröbsten raus waren, mit 44 nochmal studieren, und zwar so erfolgreich, dass mir nach dem Magisterabschluss eine Doktorandenstelle angeboten wurde. Ich hatte Bedenken, ob das mit knapp 50 noch sinnvoll wäre, zumal die Stelle im Ausland und ihre Annahme mit erheblichem Aufwand verbunden war. Mein Professor und Doktorvater überzeugte mich aber mit dem Argument: "Dann sind Sie erstmal im System."

Heute, 4 Jahre später, hat mich das System kaltlächelnd wieder ausgespuckt - versehen mit einem Doktortitel, aber inzwischen 54, arbeitslos und ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Krankenversicherung in Deutschland.

Als Geisteswissenschaftlerin und Frau über 50 bin ich in der freien Wirtschaft gleich doppelt unvermittelbar. Und meine Aussichten, eine der wenigen Postdoc-Stellen im deutschen Uni-Betrieb zu ergattern sind offenbar ebenfalls verschwindend gering: Trotz Höchstnote und exzellenter Gutachten für die Dissertation, und trotz als 'hochinteressant' beurteilter Projektvorschläge und -skizzen, hat keine einzige meiner zahlreichen Bewerbungen auch nur zu einer Einladung zum Vorstellungsgespräch geführt. Angabe von Gründen? Keine. Nur aus einem Bewerbungskontext weiß ich, dass ich auf Grund meines 'ungewöhnlichen' Lebenslaufes nicht eingeladen wurde - sprich: wegen meines Alters.

Wer hätte eine derart plumpe Alterdiskriminierung ausgerechnet in der Universität, und hier besonders in den Geistes- und Kulturwissenschaften vermutet? Politisches Bewusstsein und die intellektuelle Fähigkeit zur Ideologiekritik schützen offenbar nicht vor Doppelmoral.

Darauf hätte mich allerdings schon der Kommentar meines Doktorvaters vorbereiten müssen (übrigens ein Gender-Experte, der gerne auch mal einen Vortrag über Gender und Altern hält): Der bezeichnete meinen Doktortitel lapidar als "Jodeldiplom", nachdem er mir eröffnet hatte, dass er die Postdoc-Stelle an unserem Fachbereich lieber in zwei Doktorandenstellen umwandeln wolle und mich folglich nicht einstellen könne.

Deutlich wird dadurch vor allem eins: Der Zwang zur ökonomischem Effizienz gefährdet nicht nur zunehmend die Freiheit von Forschung und Lehre an den Universitäten. Er führt auch dazu, dass Theorie und Praxis besonders in den Disziplinen auseinanderklaffen, die sich zu einem beträchtlichen Teil über ihre gesellschafts- und kulturkritische Funktion definieren.

Link: Studienkredit mit 46? Lebenslanges Lernen UNERWÜNSCHT…
Quelle: Mail an die Redaktion