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Gesetzwidrige Tätigkeiten von zusätzlichen Betreuungskräfte in Seniorenheimen

Lissabon, 2013 Foto: H.S.

16.06.2015 - von Reinhard Leopold, Heim-Mitwirkung Bremen

Bundesgesundheitsminister Gröhe verkündet jede Menge Verbesserungen, die die Bundesregierung im Pflegebereich auf den Weg gebracht hat oder noch auf den Weg bringen will. So ist es seit Anfang dieses Jahres möglich, dass Pflegeheimbetreiber mehr zusätzliche Betreuungskräfte einsetzen können, ohne dass es sie etwas kostet. Nun ist erneut deutlich geworden, dass dieses Angebot zu einem nicht geringen Teil missbräuchlich genutzt wird.

Eigentlich sollen sie für pflegebedürftige Menschen in stationären Einrichtungen lediglich für ein wenig Abwechslung und Beschäftigung sorgen. Das hat der Gesetzgeber in der so genannten
Betreuungskräfte-Richtlinie aus 2008 eindeutig geregelt und als Beispiel dafür u.a. genannt: Malen, Basteln, Singen und Musizieren, Spazierengehen, Spielen, Vorlesen und so weiter. Ziel ist es, den Betroffenen durch die zusätzlichen Angebote mehr Zuwendung und eine höhere Wertschätzung entgegenzubringen, ihnen
mehr Austausch mit anderen Menschen und mehr Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.

In nicht seltenen Fällen übernehmen sie allerdings andere Tätigkeiten, reichen z.B. Essen und Trinken an, begleiten alte Menschen bei Toilettengängen oder helfen bei der Pflege. Zulässig ist das nicht, aber kontrolliert und verhindert wird es auch nicht.

Das ist das Ergebnis der aktuellen, nicht repräsentativen Online-Umfrage zu Erfahrungen mit Betreuungskräften nach § 87b SGB XI, die sich insbesondere an pflegebetroffene Menschen in Pflegeheimen, an Betreuungskräfte sowie an Pflegekräfte richtete.
Über E-Mail und diverse Pflegeforen im Internet (FaceBook) wurde um Teilnahme gebeten. „Es zeigt sich erneut, dass zusätzliche Betreuungskräfte im Pflegebereich nicht nur für die gesetzlich vorgesehenen Tätigkeiten eingesetzt werden“, so Reinhard Leopold von der Selbsthilfe-Initiative Heim-Mitwirkung, der die Umfrage mit Unterstützung der Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter und bei Behinderung e.V. (BIVA) durchgeführt hat.

Von allen Teilnehmern der Umfrage antworteten immerhin 30% namentlich und gaben mit ihren möglichen Anmerkungen und Zusatzinfos deutliche Hinweise auf die Probleme und Schwachstellen, die sie wahrnehmen.

Einige Zitate aus der Umfrage:

- „Die § 87b-Kräfte müssen in der Pflege und in der Hauswirtschaft helfen. Für originäre Aufgaben bleibt extrem wenig Zeit, die darüber hinaus noch personenabhängig verwendet wird, d.h. es gibt Lieblinge und Anti-Lieblinge für die Betreuung.“
- „Dort ist es im Moment nicht mehr schön als 87b Assistent/in zu arbeiten, 87b-Kräfte werden zu pflegerischen Tätigkeiten (z.B. waschen, Toilettengänge, Essen reichen) genötigt, wer nicht mitspielt, wird gemoppt und kann gehen, wenn es ihm nicht passt. Zeit für die Betreuung bleibt kaum.“
- „Es herrscht erheblicher Fachkräftemangel in Pflegeeinrichtungen; Tendenz steigend.“
- „Die Betreuungskräfte werden hausintern vermehrt eingesetzt für Wäsche- Küchenverteilung, Botengänge etc. Für Begleitungen, z.B. zum Arzt, bleibt keine Zeit.“
- „Ich würde mir als pädagogische Fachkraft wünschen, dass stärker auf jährliche Weiterqualifizierung/Fortbildung der 87b-Kräfte geachtet wird, die Austausch und Anregungen außerhalb der Institution brauchen! Aber noch mehr wünsche ich ganz klare
Vorgaben, welche Aufgaben nicht zu den Aufgaben von 87b-Kräften gehören.“

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hatte 2012 in einer repräsentativen Studie zu Betreuungskräften in Pflegeeinrichtungen festgestellt, dass zwischen 70% und 80% der
Betreuungskräfte täglich Nahrung und Getränke anreichen, knapp 50% Toilettengänge unterstützen und über 20% beim Waschen und Ankleiden der Bewohner helfen. Zu ähnlich hohen Ergebnissen kommt die aktuelle nicht repräsentative Online-Umfrage.

Bei der Frage nach dem Einsatz von Betreuungskräften stellte sich heraus, dass 60% Essen und Trinken anreichen, rund 34% auch Toilettengänge unterstützen und fast 20% sogar pflegerische Hilfstätigkeiten ausüben.

Abgesehen von der Unzulässigkeit - streng genommen ist es Leistungsbetrug - kann auch die haftungsrechtliche Situation bedenklich sein. Wer ist verantwortlich, wenn sich ein Bewohner beim Anreichen von Nahrung verschluckt, beim Toilettengang stürzt oder eine Betreuungskraft bei der Körperhygiene angegriffen und verletzt wird, weil die zu pflegende, demente Person eine Handlung nicht versteht oder missdeutet? Ein Problembewusstsein besteht dazu weder bei der Mehrheit der Betreuungskräfte noch bei
den Pflege-, Wohnbereichs- oder Einrichtungsleitungen.

Seit Januar 2015 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, zusätzliche Betreuungskräfte einzusetzen, deutlich erhöht. Werden künftig noch mehr pflegerische Unterstützungstätigkeiten den professionellen Pflegekräften abgenommen?
Werden einige Anbieter so die Gewinn- und Renditemarge noch weiter erhöhen können? Anreiz genug dürfte dabei die Tatsache sein, dass die Kosten für die 87b-Kräfte allein von den Pflegekassen getragen werden und somit die Kosten-Kalkulation der
Anbieter nicht belasten.

Hier sind Gesetzgeber und Pflegekassen gefordert geeignete Kontroll- und Nachweismöglichkeiten zu schaffen, um den Leistungsmissbrauch konsequent zu unterbinden und Vergehen zu sanktionieren.
Reinhard Leopold, Heim-Mitwirkung Bremen

Anmerkung der Durchblick-Redaktion:
Die Bremer Seniorenvertretung schließt sich der Forderung an,dass geeignete und regelmäßige Kontrollen gegen den Missbrauch von Betreuungskräften (nach §87b, SGB XI) stattfinden und Leistungsmissbrauch nachhaltig geahndet wird!

Quelle: DURCHBLICK Nr. 185 – Juni 2015