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Die europäische Säule sozialer Rechte und ihr Umsetzung

Foto: H.S.

Europäische Union - 20.06.2018 - von EU

Mit der Europäischen Säule sozialer Rechte werden 20 zentrale Grundsätze und Rechte zur Unterstützung gut funktionierender und fairer Arbeitsmärkte und Sozialsysteme festgelegt. Sie richtet sich in erster Linie an den Euro-Raum, eignet sich jedoch zur Anwendung in allen teilnahmewilligen EU-Mitgliedstaaten. Die Verwirklichung der in der europäischen Säule sozialer Rechte festgeschriebenen Grundsätze und Rechte liegt in der gemeinsamen Verantwortung von Mitgliedstaaten, EU-Institutionen, Sozialpartnern und sonstigen Akteuren.

Die Europäische Kommission hat am 26. April 2016 die europäische Säule sozialer Rechte gestartet. Im November 2017 haben die führenden Repräsentanten der EU die europäische Säule sozialer Rechte beim Sozialgipfel in Göteborg gemeinsam proklamiert.

Die europäische Säule sozialer Rechte soll neue und wirksamere Rechte für die Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. Sie hat im Wesentlichen drei Dimensionen:
1. Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, 2. Faire Arbeitsbedingungen, 3.
Sozialschutz und soziale Inklusion. Zweck der europäischen Säule sozialer Rechte ist die Bereitstellung neuer und wirksamerer Rechte für Bürgerinnen und Bürger, die auf 20 Grundsätzen aufbauen. Das Europäische Parlament, der Europäische Rat und die Europäische Kommission haben auf dem Göteborger Sozialgipfel für faire Arbeitsplätze und Wachstum im November 2017 die europäische Säule sozialer Rechte proklamiert. Die Proklamation spiegelt die einhellige Unterstützung der durch die Säule garantierten Grundsätze und Rechte seitens aller EU-Institutionen wider.

Die Umsetzung der im Rahmen der europäischen Säule sozialer Rechte festgelegten Grundsätze und Rechte ist eine gemeinsame Verpflichtung und Verantwortung der Organe der Europäischen Union, der Mitgliedstaaten, der Sozialpartner und anderer Interessenträger. Die Organe der EU werden dazu beitragen, den Rahmen hierfür zu schaffen, und wenn nötig Leitlinien für die Umsetzung der Säule in der Gesetzgebung vorgeben, wobei die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten voll gewahrt bleiben und die Verschiedenheit der Bedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigt wird.

Kapitel I: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang
1.
Allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen
Jede Person hat das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form, damit sie Kompetenzen bewahren und erwerben kann, die es ihr ermöglichen, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Übergänge auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu bewältigen.
2.
Gleichstellung der Geschlechter
Die Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Frauen und Männern muss in allen Bereichen gewährleistet und gefördert werden; dies schließt die Erwerbsbeteiligung, die Beschäftigungsbedingungen und den beruflichen Aufstieg ein.
Frauen und Männer haben das Recht auf gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit.
3.
Chancengleichheit
Unabhängig von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung hat jede Person das Recht auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit im Hinblick auf Beschäftigung, sozialen Schutz, Bildung und den Zugang zu öffentlich verfügbaren Gütern und Dienstleistungen. Die Chancengleichheit unterrepräsentierter Gruppen wird gefördert.
4.
Aktive Unterstützung für Beschäftigung
Jede Person hat das Recht auf frühzeitige und bedarfsgerechte Unterstützung zur Verbesserung der Beschäftigungs- oder Selbständigkeitsaussichten. Dazu gehört das Recht auf Unterstützung bei der Arbeitssuche, bei Fortbildung und Umschulung. Jede Person hat das Recht, Ansprüche auf sozialen Schutz und Fortbildung bei beruflichen Übergängen zu übertragen.
Junge Menschen haben das Recht auf eine Weiterbildungsmaßnahme, einen Ausbildungsplatz, einen Praktikumsplatz oder ein qualitativ hochwertiges Beschäftigungsangebot innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben.
Arbeitslose haben das Recht auf individuelle, fortlaufende und konsequente Unterstützung. Langzeitarbeitslose haben spätestens nach 18-monatiger Arbeitslosigkeit das Recht auf eine umfassende individuelle Bestandsaufnahme.

Kapitel II: Faire Arbeitsbedingungen
5.
Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung
Ungeachtet der Art und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht auf faire und gleiche Behandlung im Hinblick auf Arbeitsbedingungen sowie den Zugang zu sozialem Schutz und Fortbildung. Der Übergang in eine unbefristete Beschäftigungsform wird gefördert.
Im Einklang mit der Gesetzgebung und Kollektiv- bzw. Tarifverträgen wird die notwendige Flexibilität für Arbeitgeber gewährleistet, damit sie sich schnell an sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen anpassen können.
Innovative Arbeitsformen, die gute Arbeitsbedingungen sicherstellen, werden gefördert. Unternehmertum und Selbstständigkeit werden unterstützt. Die berufliche Mobilität wird erleichtert.
Beschäftigungsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, werden unterbunden, unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge. Probezeiten sollten eine angemessene Dauer nicht überschreiten.
6.
Löhne und Gehälter
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf eine gerechte Entlohnung, die ihnen einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht.
Es werden angemessene Mindestlöhne gewährleistet, die vor dem Hintergrund der nationalen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familien gerecht werden; dabei werden der Zugang zu Beschäftigung und die Motivation, sich Arbeit zu suchen, gewahrt. Armut trotz Erwerbstätigkeit ist zu verhindern.
Alle Löhne und Gehälter werden gemäß den nationalen Verfahren und unter Wahrung der Tarifautonomie auf transparente und verlässliche Weise festgelegt.
7.
Informationen über Beschäftigungsbedingungen und Kündigungsschutz
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht, am Beginn ihrer Beschäftigung schriftlich über ihre Rechte und Pflichten informiert zu werden, die sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergeben, auch in der Probezeit.
Bei jeder Kündigung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht, zuvor die Gründe zu erfahren, und das Recht auf eine angemessene Kündigungsfrist. Sie haben das Recht auf Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung und bei einer ungerechtfertigten Kündigung Anspruch auf Rechtsbehelfe einschließlich einer angemessenen Entschädigung.
8.
Sozialer Dialog und Einbeziehung der Beschäftigten
Die Sozialpartner werden bei der Konzeption und Umsetzung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik gemäß den nationalen Verfahren angehört. Sie werden darin bestärkt, Kollektivverträge über sie betreffende Fragen auszuhandeln und zu schließen, und zwar unter Wahrung ihrer Autonomie und des Rechts auf Kollektivmaßnahmen. Wenn angebracht, werden Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf Unionsebene und auf Ebene der Mitgliedstaaten umgesetzt.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihre Vertretungen haben das Recht auf rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung in für sie relevanten Fragen, insbesondere beim Übergang, der Umstrukturierung und der Fusion von Unternehmen und bei Massenentlassungen.
Die Unterstützung für eine bessere Fähigkeit der Sozialpartner, den sozialen Dialog voranzubringen, wird gefördert.
9.
Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben
Eltern und Menschen mit Betreuungs- oder Pflegepflichten haben das Recht auf angemessene Freistellungs- und flexible Arbeitszeitregelungen sowie Zugang zu Betreuungs- und Pflegediensten. Frauen und Männer haben gleichermaßen Zugang zu Sonderurlaub für Betreuungs- oder Pflegepflichten und werden darin bestärkt, dies auf ausgewogene Weise zu nutzen.
10.
Gesundes, sicheres und geeignetes Arbeitsumfeld und Datenschutz
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf ein hohes Gesundheitsschutz- und Sicherheitsniveau bei der Arbeit.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf ein Arbeitsumfeld, das ihren beruflichen Bedürfnissen entspricht und ihnen eine lange Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglicht.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf den Schutz ihrer persönlichen Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses.

Kapitel III: Sozialschutz und soziale Inklusion
11.
Betreuung und Unterstützung von Kindern
Kinder haben das Recht auf hochwertige, bezahlbare frühkindliche Bildung und Betreuung.
Kinder haben das Recht auf Schutz vor Armut. Kinder aus benachteiligten Verhältnissen haben das Recht auf besondere Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit.
12. Sozialschutz
Unabhängig von Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und unter vergleichbaren Bedingungen Selbstständige das Recht auf angemessenen Sozialschutz.
13.
Leistungen bei Arbeitslosigkeit
Arbeitslose haben das Recht auf angemessene Unterstützung öffentlicher Arbeitsverwaltungen bei der (Wieder-)eingliederung in den Arbeitsmarkt durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und auf angemessene Leistungen von angemessener Dauer entsprechend ihren Beiträgen und den nationalen Bestimmungen zur Anspruchsberechtigung. Diese Leistungen sollen die Empfänger nicht davon abhalten, schnell wieder in Beschäftigung zurückzukehren.
14.
Mindesteinkommen
Jede Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, hat in jedem Lebensabschnitt das Recht auf angemessene Mindesteinkommensleistungen, die ein würdevolles Leben ermöglichen, und einen wirksamen Zugang zu dafür erforderlichen Gütern und Dienstleistungen. Für diejenigen, die in der Lage sind zu arbeiten, sollten Mindesteinkommensleistungen mit Anreizen zur (Wieder-)eingliederung in den Arbeitsmarkt kombiniert werden.
15.
Alterseinkünfte und Ruhegehälter
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Selbstständige im Ruhestand haben das Recht auf ein Ruhegehalt, das ihren Beiträgen entspricht und ein angemessenes Einkommen sicherstellt. Frauen und Männer sind gleichberechtigt beim Erwerb von Ruhegehaltsansprüchen.
Jeder Mensch im Alter hat das Recht auf Mittel, die ein würdevolles Leben sicherstellen.
16.
Gesundheitsversorgung
Jede Person hat das Recht auf rechtzeitige, hochwertige und bezahlbare Gesundheitsvorsorge und Heilbehandlung.
17.
Inklusion von Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf Einkommensbeihilfen, die ein würdevolles Leben sicherstellen, Dienstleistungen, die ihnen Teilhabe am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, und ein an ihre Bedürfnisse angepasstes Arbeitsumfeld.
18.
Langzeitpflege
Jede Person hat das Recht auf bezahlbare und hochwertige Langzeitpflegedienste, insbesondere häusliche Pflege und wohnortnahe Dienstleistungen.
19.
Wohnraum und Hilfe für Wohnungslose
a. Hilfsbedürftigen wird Zugang zu Sozialwohnungen oder Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung von guter Qualität gewährt.
b. Sozial schwache Personen haben das Recht auf angemessene Hilfe und Schutz gegen Zwangsräumungen.
c. Wohnungslosen werden angemessene Unterkünfte und Dienste bereitgestellt, um ihre soziale Inklusion zu fördern.
20.
Zugang zu essenziellen Dienstleistungen
Jede Person hat das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation. Hilfsbedürftigen wird Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt.

Link: Download der Säule als Broschüre in einer von 22 Sprachen
Quelle: EU-Kommission