Diskriminierung melden
Suchen:

Direktversicherung: Gesetzgeber hat Verantwortung

Foto: H.S.

02.07.2018 - von H.G.

Mit der Doppelverbeitragung als rückwirkendem Eingriff des Staates in bestehende Verträge als Auswirkung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes beschäftigt sich Horst Gehring in einer Mail an den Bundesminister Heil und ausgewählte Bundespolitiker:

Sehr geehrter Herr Minister,
lieber Hubertus,
sehr geehrte Damen,
sehr geehrte Herren,

Anlass für den Streit sind die Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes von 2003, das 2004 in Kraft getreten ist.

Rein juristisch gesehen könnte ich es mir jetzt sehr einfach machen, indem ich sage: „ Dieses leidige Problem ist somit als erledigt zu betrachten. Dennoch muss ich anerkennen, dass die teilnehmenden Parteien im Gesundheitsausschuss ernsthaft an einer Lösung interessiert sind.“

Ziel sollte es daher sein, dass die Bezieher von Betriebsrenten künftig eine faire Verbeitragung in vorgezeichneter Angelegenheit erwarten dürfen. Natürlich haben Millionen von Betroffenen am 27. Juni 2018 die Nachricht mit Erschütterung aufgenommen, dass sich der Gesundheitsausschuss wieder einmal ohne zielführendes Ergebnis vertagt hat. Die Kritik an der bestehenden Regelung ist verständlich. Nach vierzehnjähriger Tätigkeit mit „Höhen und Tiefen“ habe ich dennoch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass wir gemeinsam eine Lösung nach der Sommerpause herbeiführen können.

Bei aller Kritik , die ich auch an Herrn Dr. Roy Kühne gerichtet habe, hoffe ich doch sehr, dass sich alle ihrer politischen Verantwortung bewusst sind, und dass Problem der „sogenannten Doppelverbeitragung“ vorantreiben werden.

Auch wenn die Doppelverbeitragung von Direktversicherungen nicht verfassungswidrig ist, so sorgt sie doch für Ungerechtigkeiten. Während das Bundesverfassungsgericht nur Grundrechtverstöße prüft, obliegt es dem Deutschen Bundestag die soziale Gerechtigkeit zu wahren.

Seit 2004 vertrete ich die Rechtsauffassung, dass für die relativ kleine Personengruppe, die bereits versteuertes Einkommen in eine Direktversicherung und Betriebsrente eingezahlt haben eine Ausnahme von der von der Verbeitragung der Versorgungsbezüge in der Auszahlungsphase zu gewähren. Es ist zwar richtig, dass solange der institutionelle Rahmen des Betriebs-rentenrechts weiterhin Gültigkeit hat, also im Falle der Direktversicherung, der auf dem Arbeitgeber laufende Versicherungsvertrag zur Durchführung der betrieblichen Altersvorsorge genutzt wurde rechtens ist, ist die Kritik an der bestehenden Regelung verständlich. Abgesehen davon, das die betroffenen Bezieher von Betriebsrenten erhebliche finanzielle Einbußen haben, mit denen sie regelmäßig nicht gerechnet hatten, kann niemand bestreiten, dass mit diesen Vorschriften in der Kranken- und Pflegeversicherung das Ziel der Bundesregierung konterkariert wird, die betriebliche Altersversorgung auszubauen.

Ich finde es schlimm, wenn man künftig beim Abschluss eines betrieblichen Versicherungsvertrages einen Notar konsultieren müsste, der den Betroffenen dann über die Rechtsfolgen aufklären müsste.

Unstrittig ist auch, das es durch die Gesetzesänderung zu einer doppelten Verbeitragung bei verschiedenen Fallkonstellationen kam. Insbesondere Betroffene, die vor dem 01.01.2004 die Versicherungsprämien aus ihrem sozialversicherungspflichtigen Lohn-/Gehalt bezahlt haben, werden seither in der Auszahlungsphase noch einmal belastet.

Hier kann und darf der Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Mir geht es dabei um sogenannte „Altverträge“ vor 2004. Diese Rückzahlungen dürften sich in einem dreistelligen Millionenbetrag einfinden.

Deshalb muss im Zuge der Abschaffung der Doppelverbeitragung auch geregelt werden, dass der Gesetzgeber im Sozialversicherungsrecht nicht nachträglich in bereits bestehende Verträge und aufgebaute Anwartschaften eingreifen kann.

Abschließend müssen wir uns noch einmal deutlich vor Augen führen:
Dem Gesetzgeber ist es aber grundsätzlich erlaubt, zur Ausgestaltung komplexer Massenerscheinungen Typisierungen vorzunehmen, wie er es bei der Regelung der hier relevanten beitragsrechtlichen Vorschriften getan hat. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.

Wie drängend eine Lösung ist und was einem Land drohen kann, dass sich von Politikern in Stich gelassen fühlt, haben auch die Politiker/Innen kürzlich auf der Regierungsbank erfahren. Natürlich besteht bei der Verbeitragung von Leistungen aus der betrieblichen Altersvorsorge ein großer Handlungsbedarf. Mit Interesse sehe ich auch eine Halbierung des Krankenkassenbeitrages. Der Vorschlag der NRW – Landesgruppe der SPD Bundestagsfraktion ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenn die sogenannte Doppelverbeitragung dabei eine Halbierung des Krankenkassenbeitrags ins Auge fast. Ebenso sollte man aber auch den Vorschlag der Linken ernsthaft prüfen. Leider nutzt die Politik immer wieder die Unwissenheit der Bürger aus. Hier erhoffe ich mir auch mehr Transparenz. Es sollte jeden klar sein, dass die Zeit der Lippenbekenntnisse vorbei ist. Maßgebend ist für mich ganz allein, dass wir einvernehmlich die Generationengerechtigkeit lösen müssen. Auch die Möglichkeit, die Verbeitragung von einem System der Freigrenze auf einen Freibetrag umzustellen, um hier etwaige Gerechtigkeitslücken zu schließen, ist interessant. Viele fühlen sich bei ihrer Altersvorsorge von der Politik extrem betrogen.

Bekanntlich liegt die bAV Leistung bei 152,25 Euro, was bedeutet, dass darüber hinaus der volle Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung an die GKV abzuführen ist. Wie kann es dann sein, dass bei einer Barauszahlung aus der Entgeltumwandlung die Summe auf den dreifachen Betrag künstlich in die Höhe getrieben wird? So geschehen bei einem Schwerbehinderten Menschen, dessen Rentenanspruch von 118,-- € so hochgerechnet worden ist, obwohl er eigentlich beitragsfrei sei. Dieses Beispiel erinnert mich dabei an den FDP-Parlamentarier Carl-Ludwig-Thiele aus Osnabrück, der im Sommer 2003 zu Protokoll gab, dass neunzig Prozent der MdBs die Auswirkungen des GMG nicht verstanden haben. Diese Lösungsansätze müssen aber den Betroffenen verständlich dargestellt werden. Sie sehen also, dass die Erwartungshaltung sehr groß ist.

Kann ein Politiker sich überhaupt in die Situation eines kranken Menschen versetzen, wo viele Erwerbsminderungsgeschädigte auf jeden Cent ihrer Rente sind? Die wenigsten gehen gegen so eine Ungerechtigkeit an. Wie gerne würden sie ihren Enkelkindern ein kleins Taschengeld für die Ferien finanzieren, was aber nicht möglich ist, weil die GkV ihr Recht in Form von Beiträgen fordert. So ein Verhalten führt unweigerlich zur Politikverdrossenheit. Es ist daher unsere gemeinsame Pflicht, hier ein faires und ausgewogenes Rentensystem zu installieren.

Beim Vertrauensschutz handelt es sich um einen Rechtsgrundsatz, welcher besagt, dass ein vom Bürger entgegengebrachtes Vertrauen von der Rechtsprechung zu schätzen ist. In Deutschland wird er bekanntlich aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip abgeleitet.

Abschließend sei mir noch folgender Hinweis erlaubt. Es ist wenig hilfreich, wenn Betroffene über das Rückwirkungsverbot informiert werden. Ob es sich nun um eine echte oder unechte Rückwirkung handelt. Auch so kann man das Vertrauen des Bürgers irritieren. In aller Regel versteht „Otto-Normal-verbraucher“ das sogenannte Juristendeutsch nicht, schon gar nicht unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen.

Ich denke, dass ich Ihnen genug Denkanstöße mit auf dem Weg gegeben habe und verbleibe mit
Besten Grüßen aus Osnabrück
Horst



Per E-Mail an: 02.07.2018
Hubertus.Heil(at)Bundestag.de
Sabine.Dittmar(at)Bundestag.de
Ralf Kapschack(at)Bundestag.de
Matthias-w.birkwald(at)Bundestag.de
Markus.Kurthma01(at)Bundestag.de
Roy.Kuehne(at)Bundestag.de
Christian.Lindner(at)Bundestag.de
Ulrike.Schielke-Ziesing(at)Bundestag.de

Link: Direktversicherung: Heil + Spahn äussern sich
Quelle: Mail an die Redaktion