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The Politics of Dancing

Foto: H.S.

12.09.2018 - von Hanne Schweitzer

Endlich! Endlich sind es keine salbungsvoll salbadernden Kulturfunktionäre, die sich bedauernd äußern, sondern Künstler, die ihre eigenen schwierigen Lebenslagen und Arbeitsbedingungen zum Thema einer Inszenierung machen: Angstfrei, ohne Selbstmitleid und frei von gängigen Klageschablonen spotlighten sie ihre berufliche Existenz in dem Stück "Politics of Dancing". Ihrem Zorn auf die Verhältnisse geben sie körpersprachlichen, mimischen und verbalen Ausdruck. ´Laßt sie eine Weile fasten, so vergeht ihnen das Tanzen`, heißt eine Redewendung, die auf Yosiko Waki und Rolf Baumgart von Bodytalk genausowenig zutrifft, wie auf das Ensemble, mit dem die beiden das genreübergreifende Tanzstück "Politics of Dancing" entwickelt haben. Zur Gruppe gehören nach erfolgreicher Audition: der stellvertretende Vorsitzende der SPD in Neustadt/Bad Dürkheim, Dr. Wolfgang Ressmann, der Poetry-Slamer mit Körperbehinderung Kai Bosch, die Tänzerinnen Charlotte Goesaert und Elina Pohjonen, der Schauspieler Jost op den Winkel, und die Tänzer Tim Gerhards und Martin Joling.

Mit dieser Melange muss man als Zuschauer erst mal klarkommen. Ist der in der ersten Szene umjubelte, später sadisitisch gequälte SPD-Mann echt? Kann seine Ansprache ernst gemeint sein, trifft tatsächlich ein realer Politiker auf einer realen, mit einem Podium ausgestatteten Bühne auf reale Tänzer und Tänzerinnen? Wie passt dazu ein körperbehinderter Poet? Sind die rasenden Schreie und stampfenden Schritte, das Stürzen, Springen und Fallen der TänzerInnen Ausdruck ihrer Empörung über das Desinteresse einer Gesellschaft an den Kunstschaffenden, oder belegt es den Wagemut der KünstlerInnen, von denen die allermeisten gänzlich kranken- und rentenversicherungfrei honoriert werden?!

Was brauchen TänzerInnen, was wollen Politiker ihnen geben und was zu welchem Preis von ihnen haben? Das urban dictionary definiert Politiker als: ´A person who tries to please everybody when speaking, and tries to steal everything when acting`. Was bedeutet das für die Subventionierung von Kunst? Bringt die Verhältnisse nur zum Tanzen, wer die Musik zahlt? Weist das Ausziehen auf der Bühne hin auf das Ausgeliefertsein der Kompanien an die Marotten der Choreografen? Steht der häufige Körperkontakt der Ensemble-Mitglieder mit dem Publikum für die Nähe, die für Künstler so schwer herzustellen ist, wenn zehn Engagements an zehn verschiedenen Orten im Jahr zu absolvieren sind?

Eine Wohlfühlgarantie ist im Eintrittspreis nicht enthalten. Dafür konfrontiert das Stück effektvoll mit der Realität, die Darsteller spielen nicht, sie stellen sich dar. Das aber bringen sie mit Spielfreude und pointierten Soloperformances gekonnt auf die Bühne. Auch wenn zu oft mit den Hintern gewackelt wird: "Politics of Dancing" gelingt der Nachweis: Wenn das Sein das Bewußtsein verstimmt, kann Tanzen politisch sein.

"Politics of Dancing", wurde bislang in Berlin und Köln gezeigt. Nächste Vorstellungen: 11. + 12. Oktober 2018 Theater im Pumpenhaus, Münster 20.00 Uhr

"The Politics of Dancing“ heißt ein Song der britischen Band Re-Flex , recorded in late 1982 and released in 1983 through EMI.
"The politics of dancing
The politics of ooh feeling good
The politics of moving, aha
If this messages understood."

"Politics of dancing": Von und mit: Yosiko Waki und Rolf Baumgart , Charlotte Goesaert, Elina Pohjonen, Jost op den Winkel, Kai Bosch, Martijn Joling, Tim Gerhards, Wolfgang Ressmann / Live – Video: Hannah Sieben, René Heinrich / Ausstattung: Bernd Heitkötter / Licht: Lennart Aufenvenne / Produktion: Nora Auerbach / Koproduktionspartner: Theater im Pumpenhaus (Münster), westfernsehen (Leipzig) /
Ein TANZFONDS ERBE - Projekt von bodytalk / Gefördert von: TANZFONDS ERBE – eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes / Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen / Kulturamt der Stadt Münster.

Link: Nie sah ich meine Eltern tanzen
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung