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Direktversicherung: Bundesregierung beantwortet AFD Anfrage

Foto: H.S.

28.09.2018

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jörg Schneider, Dr. Axel Gehrke, Paul Viktor Podolay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD – Drucksache 19/4144 – Offenlegung der Kosten für die Rückabwicklung der Doppelverbeitragung von Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträgen auf Betriebsrenten

Vorbemerkung der Fragesteller
Im Jahr 2003 wurde von der rot-grünen Koalition im Rahmen einer Gesundheitsreform beschlossen, ab 2004 auf betriebliche Formen der Altersvorsorge volle Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu erheben. Dies galt auch rückwirkend für Altverträge und sogar dann, wenn auf die Beiträge bereits Sozialabgaben erhoben wurden.

Betroffene fordern die Aussetzung dieser Doppelverbeitragung. In verschiedenen Medien kursierten seit Juni 2018 Meldungen, dass eine Rückabwicklung der Belastungen 40 Mrd. Euro kosten würde. Laut Medienberichten wurde diese Summe vom Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn in einer Sondersitzung der Unionsfraktion den Abgeordneten präsentiert (www.handelsblatt.com/politik/ deutschland/rentenpolitik-volle-betriebsrentner-entschaedigung-wuerde-40-milliarden-kosten/22698714.html?ticket=ST-2471505-cB9Og2EddgjzAarVcsZu- ap6).

Vorbemerkung der Bundesregierung
Mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) wurden zum 1. Januar 2004 maßgeblich zwei Änderungen der beitragsrechtlichen Berücksichtigung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung umgesetzt. Erstens wurde die Ungleichbehandlung von freiwillig Versicherten und Pflichtversicherten beendet. Während bis dahin bei pflichtversicherten Mitgliedern lediglich die Hälfte des
allgemeinen Beitragssatzes der jeweiligen Krankenkasse bei der Beitragsbemessung aus Versorgungsbezügen Anwendung fand, wurden die Beiträge freiwillig versicherter Mitglieder aus Versorgungsbezügen unter Anwendung des vollen ermäßigten Beitragssatzes der jeweiligen Krankenkasse bemessen. Seit dem 1. Januar 2004 wird einheitlich der volle Beitragssatz angewendet. In der sozialen
Pflegeversicherung (SPV) wurde von Anfang an, also seit 1. Januar 1995, der
volle Beitragssatz zugrunde gelegt.

Zweitens wurde die beitragsrechtliche Ungleichbehandlung von Kapitalauszahlungen der betrieblichen Altersversorgung beendet. Kapitalauszahlungen, die bereits vor ihrem Auszahlungstermin als Kapitalauszahlungen vereinbart waren, wurden den bereits seit 1983 beitragspflichtigen Kapitalauszahlungen, die eine Rentenzahlung abgelöst haben, gleichgestellt. Damit wurde die Beitragspflicht
aus Kapitalauszahlungen einheitlich – ungeachtet der privatvertraglichen Vereinbarung der Auszahlungsmodalitäten – vorgesehen. Seit dem 1. Januar 2004 gelten alle Kapitalleistungen als beitragspflichtige Versorgungsbezüge. Insofern gilt die Beitragspflicht auf Versorgungsbezüge seit Januar 2004 auch unabhängig davon, ob sie laufend oder einmalig gezahlt werden. Diese Änderung wurde auch
für die soziale Pflegeversicherung wirksam.

Die Anwendung des vollen Beitragssatzes auf Versorgungsbezüge sowie die Streichung des bis dahin bestehenden Privilegs der Beitragsfreiheit bei einem Teil der Kapitalauszahlungen war Teil eines umfassenden Reformpakets, das zur Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) notwendig war.

Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit der Heranziehung von Versorgungsbezügen sowohl in der Form von regelmäßig wiederkehrenden als auch in der Form von nicht wiederkehrenden Leistungen zur Beitragspflicht in der GKV festgestellt (BVerfG, Beschluss vom 28. September 2010 – 1 BvR 1660/08; BVerfG, Beschluss vom 6. September 2010 – 1 BvR 739/08; BVerfG, Beschluss vom 7. April 2008 – 1 BvR 1924/07). Die Regelung greife nicht ungerechtfertigt in die grundrechtlich gewährten Freiheits- und Gleichheitsrechte der Betroffenen ein, so das BVerfG.

Zudem wurde ein Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und insbesondere auch des Vertrauensschutzes verneint (ausführlich hierzu siehe BVerfG, Beschluss vom 7. April 2008 – 1 BvR 1924/07). Das BVerfG hat auch die Anordnung des vollen allgemeinen Beitragssatzes auf Versorgungsbezüge als verfassungsgemäß bestätigt (grundlegend hierzu siehe BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2008 – 1 BvR 2137/06).

Grundsätzlich ist zu beachten, dass Rentnerinnen und Rentner in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung Beiträge zu zahlen haben, die ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechen. Die Beiträge aus Versorgungsbezügen, die bei versicherungspflichtigen Mitgliedern jährlich rund 5,7 Mrd. Euro (2017) betragen, stellen einen wichtigen Bestandteil für eine solidarische und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und für einen ausgewogenen Ausgleich zwischen der Förderung der betrieblichen Altersvorsorge und der Generationengerechtigkeit der GKV dar. Entsprechendes gilt in noch größerem Ausmaß für die soziale Pflegeversicherung. Im Übrigen prüft das Bundesministerium für Gesundheit derzeit lösungsorientiert die künftige Verbeitragung von Versorgungsbezügen in der gesetzlichen Krankenversicherung einschließlich der Aspekte einer Gegenfinanzierung.

1.
Wie hoch ist das jährliche Beitragsaufkommen aus den Einnahmen der Doppelverbeitragung aller betrieblichen Formen der Altersversorgung für die Kranken- und Pflegeversicherungen seit 2004 (bitte nach Kassen aufschlüsseln)?
2.
Welche Kosten würde eine Rückabwicklung der Doppelverbeitragung der Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge auf alle Formen der betrieblichen Altersvorsorge genau verursachen (bitte eine aufgeschlüsselte Kostenrechnung vorlegen)?

Die Fragen 1 und 2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die jährlichen Beitragseinnahmen der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung aus Versorgungsbezügen seit dem Jahr 2004 sind der Tabelle zu entnehmen. Seit dem Jahr 2009 werden in der gesetzlichen Krankenversicherung die Beitragszahlungen auf Versorgungsbezüge von den Einzugsstellen an den Gesundheitsfonds weitergeleitet, so dass diese Einnahmen in den Rechnungsergebnissen des Gesundheitsfonds ausschließlich für die gesamte GKV ausgewiesen werden.
Eine vollständige Rückabwicklung des GMG zum 1. Januar 2019 in Bezug auf die beiden beitragsrechtlichen Änderung
en zur Verbeitragung von Versorgungsbezügen (siehe Vorbemerkung der Bundesregierung) würde die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung erheblich belasten und deutliche Beitragssatzanhebungen für Versicherte und Arbeitgeberinnen und -geber zur Folge ha-
ben.

Valide quantifizierbar sind hierbei allerdings nur jene Belastungen, die aus der rückwirkenden Erstattung der Anwendung des vollen statt halben Beitragssatzes auf Versorgungsbezüge zum 1. Januar 2004 resultieren würden. Sofern den betroffenen Versicherten seit 2004 alle Beitragszahlungen, die über den hälftigen Beitragssatzanteil hinausgehen, erstattet würden, wäre auf Basis der jährlichen Rechnungsergebnisse zu den Einnahmen aus Versorgungsbezügen für den Zeitraum 2004 bis 2018 mit Erstattungen in Höhe von rund 37 Mrd. Euro im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zu rechnen (siehe Tabelle). Das entspricht
rund der Hälfte der gesamten Einnahmen aus Versorgungsbezügen von rund 75 Mrd. Euro in diesem Zeitraum. In der sozialen Pflegeversicherung fand seit ihrer Einführung der volle Beitragssatz auf Versorgungsbezüge Anwendung. Sofern auch hier eine rückwirkende Halbierung des Beitragssatzes seit dem Jahr 2004 umgesetzt würde, wäre auf Basis der jährlichen Rechnungsergebnisse der sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum 2004 bis 2018 mit Erstattungen in Höhe von rund 5 Mrd. Euro zu rechnen (siehe Tabelle).

Tabelle: Beitragseinnahmen der GKV und SPV aus Versorgungsbezügen seit 2004 und Erstattungsvolumen einer rückwirkenden Halbierung des Beitragssatzes ([i]Tabelle siehe[ Drucksache 19 / 4144/i]
Anmerkungen: * Jährliche Rechnungsergebnisse der gesetzlichen Krankenkassen und des Gesund-heitsfonds sowie der sozialen Pflegeversicherung; Schätzung für 2018 auf Basis Rechnungsergebnis 1. Halbjahr 2018 (KV-45)/(PV-45) Bestandteil dieser insgesamt rund 42 Mrd. Euro ist auch die Erstattung der hälftigen Beiträge, die aufgrund der Einführung der Beitragspflicht auf einmalige Kapitalauszahlungen, die vor dem 1. Januar 2004 noch vollständig beitragsfrei waren, erhoben wurden. Da bis Ende 2003 vollständige Beitragsfreiheit bestand, wären für diese einmaligen Kapitalauszahlungen bei einer Rückabwicklung jedoch die gesamten erhobenen Beiträge seit 2004 zu erstatten. Aufgrund fehlender Datengrundlagen zum Umfang der betroffenen Kapitalauszahlungen ist keine belastbare Quantifizierung dieser zusätzlichen Erstattungen möglich.

3.
Wer müsste die Kosten für eine Rückabwicklung tragen?
Ohne anderweitige Kompensation der Mehrbelastungen wären diese Ausgaben von den Beitragszahlern der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung zu tragen. Ein Erstattungsvolumen von mindestens 37 Mrd. Euro entspricht in der gesetzlichen Krankenversicherung einem einmaligen Anstieg des GKV-Beitragssatzes für ein Jahr von mindestens 2,6 Prozentpunkten (1 Beitragssatz-punkt entspricht im Jahr 2018 rund 14 Mrd. Euro). In der sozialen Pflegeversicherung entspräche das Erstattungsvolumen von rund 5 Mrd. Euro einem einmaligen Beitragssatzanstieg für ein Jahr von knapp 0,4 Prozentpunkten. Eine dauerhafte Halbierung des Beitragssatzes auf Versorgungsbezüge würde zu einem dauerhaften Anstieg des Beitragssatzes um rund 0,2 Prozentpunkte in der gesetzlichen Krankenversicherung und um rund 0,03 Prozentpunkte in der sozialen Pflegeversicherung führen.

Link: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/044/1904431.pdf
Quelle: Bundestagsdrucksache 19/4144