Diskriminierung melden
Suchen:

Ärzte und Behörden: regeltreu nur durch Strafe?

Foto: H.S.

25.10.2018 - von Dr. Stefan Streit

Die Politik machte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ein toxisches Geschenk. Sie traute der KBV zu, die Digitalisierung in der Medizin verantwortungsvoll zu entwickeln, obwohl diese selbst im Falle eines DSGVO-Verstosses straffrei bliebe. Bei staatlichen Behörden unterstellt man loyales Funktionieren, weil die Bediensteten dem Staat verpflichtet sind. In der ärztliche Selbstverwaltung gibt es keinen solchen Treueschwur, aber es existieren sehr viele Interessenskonflikte. Auf welcher Grundlage ist es zur DSGVO-Generalamnestie für die KBV gekommen?

Es stellt sich vor allem die Frage, ob die KBV zukünftig zu regelkonformen Entscheidungen kommt.

Bevor diese Frage für eine ganze Behörde beantwortet werden soll, möchte ich klären, ob sich einzelne Menschen, z.B. Ärzte ohne Strafandrohung regelkonform verhalten. Über zwei Wege kommt man hier zu Antworten. Wissenschaftlich bearbeitet dieses Thema die Verhaltensökonomie. Dan Ariely, als populärster Vertreter dieser Disziplin, kommt zu der Auffassung: normale, einzelne Menschen übertreten Regeln meistens nur ein bisschen. Lesen Ärzte Arielys Buch über Regelsysteme, die vorhersehbar in Regeluntreue einmünden, könnten sie glauben der Autor beschriebe Stück für Stück das deutsche Kassenarztsystem. (Die halbe Wahrheit ist die beste Lüge, Dan Ariely 2012, Droermer) Herr Ariely, ein amerikanischer Ökonom, kennt die Finessen des deutschen Vertragsarztwesens wahrscheinlich nicht. Was schade ist, beweist es doch eindrücklich seine Thesen. Aber das ist Wissenschaft und für die Politik und wirklich wichtige Entscheidungen meist nicht relevant, auch wenn man es nachlesen kann. Viel relevanter scheint, was die ärztliche Führungsriege selbst konkret zu dieser Frage denkt. Hier haben wir den Glücksfall, dass man auch nachlesen kann, wie die ärztliche Elite über Ärzte in der Patientenbehandlung denkt:

„Zudem befürchtet er Präventionsverluste, wenn dem Verursacher die Belastung infolge durch ihn verursachter Schäden abgenommen würde. Anreize zur Fehlervermeidung gingen verloren.“, wird 2010 im Deutschen Ärzteblatt Prof. Dr. jur. Christian Katzenmeier vom Institut für Medizinrecht der Universität zu Köln, zitiert. ( Arzthaftpflicht: System ohne Alternative Dtsch Arztebl 2010; 107(43): A-2088 / B-1819 / C-1791) Im selben Artikel kommt der damalige Präsident der Bundesärztekammer zu Wort: „Eine verschuldensunabhängige Haftung wie in Schweden lehnt Hoppe gleichwohl ab. Eine solche Regelung könnte einen zu großen Leichtsinn im Behandlungsgeschehen nach sich ziehen.“

Im Klartext, Rechtsmediziner und Ärztevertreter äußern öffentlich, Ärzte in der Patientenbehandlung gäben sich nur dann Mühe, wenn ihnen Strafe drohe. Offen bleibt freilich, ob die schwedische Herangehensweise tatsächlich in die befürchtet-desolaten Verhältnissen einmündet. Ein wissenschaftlicher Vergleich zwischen schwedischen und deutschem Arzthaftungskonzept ist meines Wissens nie erfolgt. Ist Schweden für seine besonders fahrlässigen Ärzte und massenhaft behandlungsfehlergeschädigten Patienten bekannt? Ich habe davon noch nie gehört. An dieser Stelle gründet die Meinung der beiden Herren wohl mehr auf diffusen Ängsten und wagen Ahnungen als auf Fakten.

Nun zurück zur eingangs gestellten Frage: Erledigen Behörden ihre Arbeit des Konfliktausgleichs zwischen Politik und Bürger, wenn ihnen keine Sanktionen drohen? Hier hat der Realitäts-Check für die Digitalisierung in der Medizin bereits stattgefunden.

Das Ergebnis ist eindeutig und ernüchternd: Nein! Die Landesdatenschutzbeauftragte, erster Ansprechpartner und auch letzte Verwaltungsinstanz, in Fragen zur DSGVO, beantwortet über viele Monate Anfragen bis heute nicht. Auch eine Konsultation nach Art. 36 DSGVO, - ein formalisiertes Verwaltungsverfahren wegen des digitalen Dilemmas - bearbeitete sie trotz mehrfacher Nachfrage nicht. Die oberste Aufsichtbehörde lässt die Ärzte hier mit den Konflikten zwischen E-Health-Gesetz und DSGVO alleine, wo sie beratend vermitteln sollte. Die Behörde verweigerte an Ende des Briefwechsels ausdrücklich den Dialog, wie ein Telematikinfrastrukturanschluß bei einer Arztpraxis rechtssicher realisiert werden könnte.

Nicht anders verfährt die Bezirksregierung Münster. Angesprochen auf einen wahrscheinlichen, systematischen Verstoß gegen die DSGVO im Begutachtungsverfahren zur Schwerbehinderung, verweigert auch sie jede Stellungnahme. Es gibt gut Gründe zu der Annahme, die Bezirksregierung motiviere Ärzte systematisch zu einem DSGVO-Verstoß, der von keiner Rechtsgüterabwägung legitimiert wäre. Der Umgang der Landesdatenschutzbeauftragte NRW und der Bezirksregierung Münster demonstrierten eindrücklich, dass Straffreiheit von Behörden gerade nicht dazu führt, dass Behörden ihrem Auftrag nachkommen. In den Köpfen ist die Angst „etwas falsch zu machen“ offensichtlich so tief verwurzelt, dass dieses unzeitgemäße Denken ganze Behörden zum Stillstand bringt. Und das, obwohl formal gar keine Strafe drohte. Trotz ihrer Immunität bewältigen diese Institutionen die Bearbeitung der vom Gesetzgeber geschaffenen Konflikte nicht mehr. Dies disqualifiziert entweder die Behörden oder die Ergebnisse des politischen Willensbildungsprozesses.

An dieser Stelle komme ich zu folgender Feststellung: Einzelne Menschen alleine verhalten sich meist regelkonform, tun meistens ihre Arbeit, meist ohne Strafandrohung. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung in der Medizin gibt es nun zwei Beispiele, wo Behörden sich vollständig aus dem demokratischen Prozess verabschiedet haben.

Solange der KBV bei der Mitwirkung an einem DSGVO-Verstoß selbst eine Sanktion drohte, bestand die berechtige Hoffnung, vor einer Sanktionierung der ärztlichen Telematikverweigerer stünde eine Prüfung von Sachfragen. Durch die Immunität der Körperschaft wird die umstandlose Vollstreckung des E-Health-Gesetzes gegenüber den Ärzten, also ohne eine Sachstandsklärung, sehr viel wahrscheinlicher. Es bleibt abzuwarten, ob die KBV sich für das toxische Geschenk aus der Politik erkenntlich zeigt, oder ob sie sich trotz ihrer Sanktionsfreiheit an die Bearbeitung der Sachfragen macht.

Link: Telematik-Infrastruktur+Datenweitergabe: Ärzten fehlt Rechtssicherheit
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung