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Digital Native in Stellenangebot: 7.500 € Entschädigung wg. Altersdiskriminierung

Foto: H.S.

13.03.2024 - von Arbeitsgericht Heilbronn

Leitsatz

Die Formulierung in einer Stellenanzeige "als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Datengetriebenen PR, des Bewegtbilds …. zu Hause" stellt ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters dar.

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von EUR 7.500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.6.2023 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 80%, die Beklagte zu 20%.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf EUR 37.500,00.

5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Randnummer1

Die Parteien streiten über eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens.

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Der im Jahre 1972 geborene Kläger ist ausgebildeter Diplomwirtschaftsjurist. Hinsichtlich seines Lebenslaufs wird auf Anl. B4 Bezug genommen. Die Beklagte ist ein international agierendes Handelsunternehmen im Bereich Sportartikel. Im April 2023 schrieb die Beklagte auf zahlreichen Internetplattformen eine Position als Manager Corporate Communication (m/w/d) Unternehmensstrategie in Vollzeit unbefristet aus. Hinsichtlich der Stellenanzeige wird auf Anl. K1 verwiesen. Die Anzeige weist auszugsweise folgenden Text aus:

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„Wir lieben:

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(…)

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Darüber hinaus verstehst Du Dich als Organisationstalent, das Projekte souverän führt – auch im Change. Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause.“

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Mit Schreiben vom 18. April 2023 bewarb sich der Kläger auf diese Stelle über das online Karriereportal der Beklagten. Mit E-Mail vom 26. April 2023 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Absage. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 9. Mai 2023 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Entschädigungsanspruch i.H.v. 37.500,00 EUR geltend, welchen die Beklagte mit Schreiben vom 1. Juni 2023 ablehnte. Die Klageschrift vom 22. Juni 2023 wurde der Beklagten am 27. Juni 2023 zugestellt.

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Der Kläger trägt vor, er sei für die Stelle geeignet und erfülle sämtliche geforderten Voraussetzungen für die ausgeschriebene Position. Insbesondere sei er nicht überqualifiziert, da es sich nach seiner Auffassung bei der Stelle nicht um eine reine Sachbearbeiterposition, sondern vielmehr um eine Führungsposition handele. Dies folge aus der Verwendung der Begriffe „Manager“ sowie „Unternehmensstrategie“. Durch die Absage habe der Kläger eine Benachteiligung im Hinblick auf sein Alter erfahren. Die Verwendung des Begriffs „Digital Native“ deute darauf hin, dass die Beklagte einen Bewerber suche, der einer Generation entstamme, die von Kindesbeinen an die digitale Sprache von Computer, Videospielen und Internet verwendet.
In Jahreszahlen gemessen würden Angehörige der Geburtsjahrgänge ab 1980 den digitalen Ureinwohnern zugerechnet. Damit habe die Beklagte direkt auf das Merkmal Alter abgestellt und damit zum Ausdruck gebracht, dass es ihr nicht allein darum ging, einen technisch versierten Bewerber anzusprechen, der mit digitalen Medien gegebenenfalls nach intensivem langjährigen Studium souverän umgehen kann (sogenannter „Digital Immigrant“). Hierdurch werde die Vermutung begründet, die Benachteiligung des Klägers sei wegen seines Alters erfolgt. Die Beklagte schulde dem Kläger daher eine Entschädigung von fünf Monatsvergütungen à 7.500,00 EUR. Ein Monatsgehalt von 7.500,00 EUR läge im üblichen Bereich vergleichbarer Positionen. Die Beklagte habe grob und nachhaltig gegen ihre Verpflichtung aus § 11, einen Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG auszuschreiben, verstoßen. Die Entschädigung sei auch nicht auf drei Monatsgehälter zu begrenzen; vielmehr müsse die Beklagte, sofern sie sich auf die Kappungsgrenze berufen wolle, beweisen, dass der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

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Der Kläger beantragt:

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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 37.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt:

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Klagabweisung.

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Die Beklagte trägt vor, dass der Kläger als Wirtschaftsjurist überqualifiziert sei. Dies und der fehlende Sportbezug im Bewerbungsschreiben des Klägers, vorgelegt als Anl. B5, seien die Gründe gewesen, sich nicht für den Kläger zu entscheiden. Aus dem Lebenslauf sei ersichtlich, dass der Kläger als Wirtschaftsjurist mit Erfahrung in Anwaltskanzleien in den letzten Jahren Führungspositionen bekleidet habe, während es sich bei der ausgeschriebenen Position um eine einfache Sachbearbeiterstelle handele. Dies spiegele sich auch in der Gehaltsvorstellung des Klägers iHv 90.000,00 EUR Bruttojahresgehalt wieder. Die ausgeschriebene Stelle sei mit 60.000,00 EUR im Jahr dotiert gewesen. Der eingestellte Bewerber Herr H. verfüge über ein jährliches Bruttogehalt in Höhe von 58.020,00 EUR. Die deutliche Überqualifikation des Klägers, seine Gehaltsvorstellung sowie sein Familienwohnsitz in Berlin sprächen dafür, dass seine Bewerbung auch nicht ernstlich gemeint gewesen sei. Mit der Verwendung des Begriffs „Digital Native“ sei kein Indiz verbunden, dass ein Bewerber eines bestimmten Alters gesucht gewesen sei. Der Begriff sei nicht streng wissenschaftlich definiert. Gemeinsam sei den verschiedenen Definitionen, dass die Bezeichnung für Personen stehe, die sehr firm in der digitalen Welt und in der digitalen Sprache seien, ohne dass eine konkrete Altersgrenze gezogen werde. Dies sei im Gesamtkontext, in dem der Begriff benutzt worden sei, auch deutlich geworden. Es gebe unzählige Angehörige der vermeintlichen „Digital-Immigrant“-Generation, die mit den neuen Medien genauso gut umgehen könnten, als wären sie damit aufgewachsen. Letztlich habe die Beklagte nicht einen „Digital Native“ an sich gesucht, sondern vielmehr die Eigenschaften verlangt, die eine geeignete Person mitbringen muss, sich nämlich in den genannten Bereichen zu Hause zu fühlen und über einschlägige Erfahrung zu verfügen. Hinzu komme, dass lediglich an einer einzigen Stelle mitten im Text dieser Begriff verwendet werde und die Stellenanzeige insgesamt geprägt sei von modernen Begrifflichkeiten sowie einer eher lockeren Sprache.

Randnummer13

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, jedoch nur zum Teil begründet.

I.

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Die auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger begehrt einen genau bezifferten Entschädigungsbetrag.

II.

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Die Klage ist in der Sache auch begründet; dem Kläger steht ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG gegen die Beklagte zu. Allerdings hält die Kammer abweichend von der Vorstellung des Klägers einen Betrag in Höhe von 1,5 Bruttomonatsgehältern für angemessen.

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1. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Für den Kläger ergibt sich dies aus § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG. Der Kläger ist als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis Beschäftigter iSd. AGG (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG). Dies folgt aus dem Umstand, dass er eine Bewerbung eingereicht hat; maßgeblich iSv § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG ist ein formaler Bewerberbegriff (vgl. BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - Rn. 62; BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14). Eine subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung ist keine Voraussetzung dieses Bewerberbegriffs: Zwar wurde in der früheren Rechtsprechung des BAG teilweise eine solche Ernsthaftigkeit gefordert (zB BAG 18. Juni 2015 - 8 AZR 848/13 (A) - Rn. 24; 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - Rn. 28); diese Rechtsprechung hat der Achte Senat jedoch später zu Recht aufgegeben (zB BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 44 ff.). Die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit einer Bewerbung kann allerdings iR des Rechtsmissbrauchseinwandes nach § 242 BGB Bedeutung erlangen, s.u. 5.

Randnummer18

Die Beklagte ist Arbeitgeber iSv. § 6 Abs. 2 AGG.

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2. Der Kläger wurde dadurch, dass seine Bewerbung abgelehnt wurde, auch unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Er hat eine ungünstigere Behandlung erfahren, als der letztlich von der Beklagten eingestellte Bewerber.

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3. Der Kläger hat den Entschädigungsanspruch frist- und formgerecht am 9. Mai 2023 gegenüber der Beklagten geltend und am 27. Juni 2023 rechtshängig gemacht (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG).

Randnummer21

4. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Randnummer22

a) Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG, das einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte - hier die der Richtlinie 2000/78/EG - zu gewährleisten hat, untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Alters. Dabei verbietet § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, z.B. wegen des Alters, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Randnummer23

b) Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; es muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (vgl. BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 27; BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 34 mwN).

Randnummer24

c) Dabei sieht § 22 AGG für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist (vgl. BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 28; BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 33). Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (vgl. EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 - C-54/07 - [Feryn] Rn. 32; BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 27). Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises (vgl. etwa BAG 18. September 2014 - 8 AZR 753/13 - Rn. 33). Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Randnummer25

d) Nach § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG ausgeschrieben werden.

Randnummer26

aa) Das AGG knüpft an einen Verstoß gegen § 11 AGG allerdings keine unmittelbaren Rechtsfolgen. Der Arbeitgeber schuldet einem/einer abgelehnten Bewerber/in eine Entschädigung oder Schadensersatz auch nicht allein deshalb, weil die Stellenausschreibung Formulierungen, insb. Anforderungen enthält, die „auf den ersten Blick“ den Anschein erwecken, der Arbeitgeber habe den Arbeitsplatz unter Verstoß gegen § 11 AGG ausgeschrieben. Schreibt der Arbeitgeber eine Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG aus, so kann dies allerdings die Vermutung iSv. § 22 AGG begründen, dass der/die erfolglose Bewerber/in im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen eines Grundes iSv. § 1 AGG benachteiligt wurde.

Randnummer27

bb) Die Formulierung in der Stellenanzeige der Beklagten unter „Wir lieben“: (…) „Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Daten-getriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen für DTP, CMS, Gestaltung und redaktionelles Arbeiten zu Hause“ stellt vorliegend ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSv § 3 Abs. 1 AGG dar.

Randnummer28

Grundsätzlich ist die Stellenausschreibung nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen potentiellen Bewerbern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Bewerbers zugrunde zu legen sind (vgl. etwa BAG 16. Dezember 2015 - 5 AZR 567/14 - Rn. 12). Für das Sprachverständnis hinsichtlich der in einer allgemein zugänglichen Stellenanzeige verwendeten Begriffe ist damit das Verständnis des angesprochenen Bewerberkreises maßgeblich.

Randnummer29

Unter einem „Digital Native“ (zu deutsch: digitaler Eingeborener) wird im allgemeinen Sprachgebrauch eine „Person, die mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und in ihrer Benutzung geübt ist“ (Duden, Link, Abruf 19.1.2024) oder auch eine „Person der gesellschaftlichen Generation bezeichnet, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist“ (Wikipedia, Link, dort mwN, Abruf 19.1.2024) verstanden. Auch die beklagtenseits herangezogene Definition von Prensky (Seiten 8/9 des Schriftsatzes vom 2. November 2023) zeigt, dass zumeist ein Generationenbezug gesehen wird und zum Teil eine Vermischung der Begriffe „Digital Natives, Millenials, Early Majority, Early Adopter oder Generation Y“ stattfindet – dies in Abgrenzung zu ähnlich kenntnisreichen, aber anderen Generationen entstammenden „Digital Immigrants“ sowie des „Digital Outsider“ für denjenigen, der außerhalb der digitalen Welt lebt. Festzuhalten ist, dass der Begriff „Digital Native“ im gängigen Sprachgebrauch eine generationenbezogene Konnotation aufweist. Mit ihrer Formulierung „Als Digital Native fühlst du Dich in der Welt der Social Media…. zu Hause.“ zeigt die Beklagte, dass sie eben nicht nur eine Person mit sicheren Kenntnissen in diesen Kommunikationsfeldern sucht, sondern jemanden, der diese Eigenschaft regelmäßig von Natur aus als „Eingeborener“ mitbringt. Wollte die Beklagte Bewerber aller Altersgruppen mit diesen Fähigkeiten ansprechen, hätte sie die Umschreibung „Als Digital Native“ weglassen können, denn der Begriff führt nicht zu einer Verdeutlichung der erforderlichen Kenntnisse, sondern zu einer Einengung des Bewerberkreises auf solche Personen, die die Eigenschaft bereits in die Wiege gelegt erhielten, weil sie mit diesen Medien aufgewachsen sind.

Randnummer30

e) Der Beklagten ist es nicht gelungen, die Vermutung der Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters auszuräumen.

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aa) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung nach § 22 AGG, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt allerdings das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG 23. Januar 2020 - 8 AZR 484/18 - Rn. 36 mwN). Es genügt also nicht der Nachweis, dass es nicht diskriminierende Gründe gibt, die die Differenzierung hätten rechtfertigen können, sondern nur der Nachweis, dass ausschließlich diese Kriterien im konkreten Fall verwendet wurden. Das kann etwa durch Offenlegung der Dokumentation des Ablaufs der benachteiligenden Entscheidung erfolgen, durch Berücksichtigung älterer Bewerber trotz an „junge“ gerichteter Ausschreibung im selben Besetzungsverfahren oder durch die Berücksichtigung anderer Merkmalsträger für die Teilnahme an der zweiten Stufe eines Auswahlverfahrens (ErfK/Schlachter § 22 AGG Rn. 12 mwN).

Randnummer32

Soweit der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass die klagende Partei eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit/des Berufs an sich ist, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die Bewerbung ausschließlich aus diesem Grund ohne Erfolg blieb; in einem solchen Fall besteht demzufolge in der Regel kein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund (BAG 11. August 2016 – 8 AZR 4/15 Rn. 91).

Randnummer33

Der Arbeitgeber kann die Vermutung, er habe die klagende Partei wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt, aber auch dadurch widerlegen, dass er substanziiert dazu vorträgt und im Bestreitensfall beweist, dass er bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen ist, welches eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes ausschließt.

Randnummer34

Dies kann zum Beispiel anzunehmen sein, wenn der Arbeitgeber ausnahmslos alle Bewerbungen in einem ersten Schritt darauf hin sichtet, ob die Bewerber/innen eine zulässigerweise gestellte Anforderung erfüllen und er all die Bewerbungen von vornherein aus dem weiteren Auswahlverfahren ausscheidet, bei denen dies nicht der Fall ist. Der Arbeitgeber, der sich hierauf beruft, muss dann allerdings nicht nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ein solches Verfahren praktiziert wurde, sondern auch, dass er das Verfahren konsequent zu Ende geführt hat. Deshalb muss er auch substanziiert dartun und im Bestreitensfall beweisen, wie viele Bewerbungen eingegangen sind, welche Bewerber/innen aus demselben Grund ebenso aus dem Auswahlverfahren ausgenommen wurden, welche Bewerber/innen, weil sie die Anforderung erfüllten, im weiteren Auswahlverfahren verblieben sind und dass der/die letztlich ausgewählte Bewerber/in die Anforderung, wegen deren Fehlens die klagende Partei aus dem weiteren Auswahlverfahren vorab ausgenommen wurde, erfüllt (BAG 11. August 2016 – 8 AZR 4/15 Rn. 93).

Randnummer35

bb) Dieser Nachweis ist der Beklagten vorliegend nicht gelungen. Sie hat weder aufgezeigt, dass sie bei der Sichtung der Bewerbungen einem formellen Verfahren gefolgt ist, noch substantiierten Vortrag dazu gehalten, nach welchen Kriterien vorliegend ausschließlich ausgewählt wurde. Soweit sie vorträgt, der Kläger sei überqualifiziert und habe zu hohe Gehaltsvorstellungen geäußert, genügt dies nicht für den Nachweis, dass ausschließlich diese Kriterien ursächlich waren; dies schon deshalb, weil zu den maßgeblichen Kriterien kein Vortrag in Bezug auf andere Bewerber erfolgt ist. Zudem erscheinen sowohl die Qualifikation des Klägers wie auch seine Gehaltsvorstellung nicht übermäßig entfernt von den Vorstellungen der Beklagten, zumal sie den Gehaltsrahmen in ihrer Stellenanzeige nicht nennt. Für die fehlende Hervorhebung der Sportaffinität in der Bewerbung des Klägers als Auswahlkriterium gilt dies ebenso. Es bleibt unklar, inwieweit dies als Ausschlusskriterium im Auswertungsvorgang der Bewerbungen allgemein Berücksichtigung gefunden hat.

Randnummer36

5. Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist nicht dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt. Die von der Beklagten insoweit vorgetragenen Umstände lassen weder für sich betrachtet noch in einer Gesamtschau den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers zu.

Randnummer37

a) Sowohl ein Entschädigungsverlangen eines/einer erfolglosen Bewerbers/Bewerberin nach § 15 Abs. 2 AGG als auch sein/ihr Verlangen nach Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG können dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Rechtsmissbrauch wäre anzunehmen, sofern ein/e Kläger/in sich nicht beworben haben sollte, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm/ihr darum gegangen sein sollte, nur den formalen Status als Bewerber/in iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen. Eine Person, die ihre Position als Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG treuwidrig herbeiführt, missbraucht vielmehr den vom AGG gewährten Schutz vor Diskriminierung. Unter diesen engen Voraussetzungen begegnet der Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB auch keinen unionsrechtlichen Bedenken (vgl. EuGH 28. Juli 2016 - C-423/15 - [Kratzer] Rn. 35 ff.).

Randnummer38

b) Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den - rechtshindernden - Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht (vgl. BAG 11. August 2016 – 8 AZR 406/14 – Rn. 50; BAG 18. Juni 2015 - 8 AZR 848/13 (A) - Rn. 26; 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 37; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 54).

Randnummer39

c) Vorliegend trägt die Beklagte vor, der Bewerbung des Klägers sei die Ernsthaftigkeit abzusprechen, da er seinen Wohnsitz in Berlin habe und für die Stelle als Wirtschaftsjurist mit jahrelanger Führungsverantwortung überqualifiziert sei, was sich auch in seiner Gehaltsvorstellung niederschlage. Diese Einwände reichen nicht aus, um auf Rechtsmissbrauch zu schließen. Der Kläger hat zum einen angeführt, dass er sich aus familiären Gründen nach Süddeutschland (konkret: Baden-Baden) orientieren wolle und zum anderen, dass er bereits jetzt in Frankfurt am Main arbeite, während seine Familie noch in Berlin wohnhaft sei. Die Kammer vermag nicht einzuschätzen, in welcher Anzahl für den Kläger passende Stellen in Süddeutschland vorhanden sind. Dies ist auch unerheblich, da Heilbronn zweifellos näher an Baden-Baden liegt als Berlin oder Frankfurt. Zudem geht es bei dem Rechtsmissbrauchsinstitut um einen Ausnahmetatbestand, für den besondere Anhaltspunkte vorliegen müssen. Der Familienwohnsitz reicht nicht aus, insbesondere im Hinblick auf qualifizierte Tätigkeiten wie die des Klägers.

Randnummer40

Die Kammer stimmt der Beklagten grundsätzlich darin zu, dass der Kläger für die ausgeschriebene Stelle, die ersichtlich keine Führungsverantwortung beinhaltet, überqualifiziert erscheint; dies allerdings noch nicht einem Maße, welches Rechtsmissbrauch nahelegen würde.

Randnummer41

6. Die Kammer hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung iHv 1,5 auf der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten, also 7.500,00 EUR, für angemessen.

Randnummer42

a) Bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der festzusetzenden Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG sind alle Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (vgl. BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - Rn. 44). Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Im Fall einer Nichteinstellung ist für die Bemessung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG an das Bruttomonatsentgelt anzuknüpfen, das der erfolglose Bewerber erzielt bzw. ungefähr erzielt hätte, wenn er die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte. Dies folgt aus der in § 15 Abs. 2 AGG getroffenen Bestimmung, wonach die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre (BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 24). Demgegenüber kommt es nicht auf die Vergütung an, die sich ein Bewerber vorgestellt hätte. Im Übrigen ist das Gericht im Rahmen des ihm bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung eröffneten Ermessensspielraums nicht gehalten, stets die „exakte“ Höhe des auf der ausgeschriebenen Stelle zu erwartenden Bruttomonatsentgelts zu ermitteln, vielmehr reicht - insbesondere wenn die Parteien über die zutreffende Vergütung streiten - eine Anknüpfung an das auf der ausgeschriebenen Stelle ungefähr erzielbare Bruttomonatsentgelt aus.

Randnummer43

b) Diesbezüglich hat die Beklagte ein vorgesehenes Budget i.H. eines Bruttojahresgehaltes von 60.000,00 EUR vorgetragen und auf das Bestreiten der Gegenseite mit Nichtwissen den Vortrag dahin substantiiert, das sie sowohl zwei Abrechnungen als auch den Arbeitsvertrag des eingestellten Bewerbers zur Ansicht vorgelegt hat. Die Kammer hat daher ein auf der Stelle erzielbares Einkommen iHv 5.000,00 EUR im Monat zugrunde gelegt.

Randnummer44

c) Durch eine Entschädigung iHv. 1,5 auf der Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten wird der Kläger angemessen für den durch die unzulässige Diskriminierung - ausschließlich - wegen seines Alters erlittenen immateriellen Schaden entschädigt. Dieser Betrag ist erforderlich, aber auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen. Da es auf ein Verschulden nicht ankommt, können Gesichtspunkte, die mit einer etwaigen Abwesenheit oder einem geringen Grad von Verschulden zusammenhängen, nicht mindernd bei der Bemessung der Entschädigung berücksichtigt werden (vgl. etwa BAG 28. Mai 2020 - 8 AZR 170/19 - Rn. 20). Auf der anderen Seite sind im vorliegenden Verfahren aber auch keine Umstände erkennbar, die einen höheren Grad von Verschulden des Beklagten belegen, weshalb auch keine Veranlassung besteht, die Entschädigung höher festzusetzen. Die Kammer hat insbesondere berücksichtigt, dass in der Stellenanzeige mit der Formulierung, man suche einen „Digital Native“ nur ein einzelner Hinweis auf eine Altersdiskriminierung enthalten ist, welcher zudem nicht prominent, zB in der Überschrift, sondern mitten im Text platziert ist. Je prominenter ein solches Indiz in einer Stellenausschreibung enthalten ist, umso wahrscheinlicher lassen sich hierdurch Bewerber, die ein Kriterium nicht erfüllen, von einer Bewerbung abhalten. Weitere Umstände, die eine Heraufsetzung der Entschädigung aufgrund der erlittenen Folgen oder deren Art und Schwere rechtfertigen würden, vermag die Kammer nicht zu sehen.

Randnummer45

Auf die Frage, ob die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG die Kappungsgrenze von drei Monatsgehältern nicht übersteigen durfte, weil der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre (BAG 23. Januar 2020 - 8 AZR 484/18 - Rn. 82), kommt es vorliegend nicht an (vgl. BAG 25.11.2021 – 8 AZR 313/20 – Rn. 45). Selbst wenn der Beschäftigte bei benachteiligungsfreier Auswahl die Stelle, um die er sich beworben hat, erhalten hätte, folgt aus § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG nicht, dass die angemessene Entschädigung drei Monatsverdienste oder darüber hinaus betragen muss, da § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG lediglich eine Begrenzung der Entschädigungshöhe normiert (BAG 17. August 2010 – 9 AZR 839/08). Vielmehr ist die Entschädigung durch das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen. Anschließend ist die so ermittelte Entschädigungshöhe einer Prüfung daraufhin zu unterziehen, ob die Kappungsgrenze nach § 15 Abs. 2 S. 2 AGG eingreift.

III.

Randnummer46

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO. Sie folgt den Unterliegensverhältnissen.

Randnummer47

Die Streitwertfestsetzung gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG ergibt sich aus §§ 3 ff. ZPO und entspricht dem Nennbetrag der geforderten Entschädigung.

Randnummer48

Ein Grund zur Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG ist nicht gegeben. Die Berufung ist gleichwohl für beide Parteien statthaft gemäß § 64 Abs. 2 lit. b ArbGG.


Link 18.1.2024, Az. 8 Ca 191/23.

Quelle: landesrecht-bw