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Nach 30 Jahren wird im Osten Feldforschung betrieben

18.11.2019 - von Hartmut Jeromin

Politik und Bedürfnisse, schließen sich nicht aus. Die Bedürfnisse des „kleinen Mannes“, also die der Vielen und die der „Großen“ stehen auf jeder politischen Agenda, mal so, mal anders. Die Politik braucht dafür Sensoren. Sehr feine. Und dann wird gehandelt, mal so, mal anders.
Und nun bekamen die „Großen“ die einmalige Chance, sich den Osten Deutschlands unter den Nagel zu reißen. Sie meldeten ihre Bedürfnisse sicher bei der Politik an. Und die kamen bei Helmut Kohl und seinen Leuten an. Also machte er…

Die Bedürfnisse wurden zufriedengestellt. Es gab zu verteilen: Industrien, Forsten, Nutzflächen, Ackerland, Arbeitskräfte, auch Rohstoffe, Handelsbeziehungen, Kundenkarteien, Neukunden, gar eine ganze Armee. Auch Dienstposten in diversen Verwaltungen und Hochschulen waren feil. Stand alles einfach so rum, man brauchte nur eine Legitimation und konnte zugreifen. Was nicht zu gebrauchen war, kam unter die Räder. Kohl hat alle Wünsche erfüllt. An die Bedürfnisse des kleinen Mannes dachte er nicht. Welche waren das eigentlich? Hat der überhaupt Bedürfnisse? Schlicht vergessen, absichtlich oder verschusselt?

Und nun erst, 30 Jahre danach, wird „Feldforschung“ betrieben (s. Wissenschaftsmagazin der Max-Plank-Gesellschaft/ 3.2019) unter der Überschrift „Fremdbestimmte Freiheit“. Und es ist ein weites Feld. In Gera für Elisabeth Köditz, in Zwickau für Katerina Ivanova. Sie untersuchen nun also die Auswirkungen der Nachwendezeit auf die betroffene Bevölkerung.

Sie stellen fest: Die verbindende Funktion der Arbeitswelt hatte sich für die Betroffenen gewandelt. Die aus der Arbeit bisher bezogene soziale Anerkennung, das daraus resultierende Gemeinschaftsgefühl fielen einfach weg. Es folgte dauernde Ungleichbehandlung und Benachteiligung. Und das betraf Millionen Menschen! Ihre Bedürfnisse wurden unter den Tisch gekehrt.

Z.B. überreichten Vertrauensleute der IG Metall im Mai 2019 dem VW-Vorstand einen Schuldschein über 16 Millionen Arbeitsstunden, die VW-Beschäftigte in Zwickau durch die tarifvertraglich festgeschriebene höhere Wochenarbeitszeit seit 1990 mehr arbeiten mussten als ihre Kollegen in den westlichen Bundesländern. Aus einer industriellen Hochburg wie Gera mit 1989 immerhin 125 000 Einwohnern, (Carl Zeiss, Wismut, Textilmaschinenbau) wurde eine verödete Stadt, ein großes Nichts!
Solche Nicht-Städte kenne ich noch mehrere. Ihre Bewohner sind gestorben, weggezogen, oft ihren Kindern hinterher, weil ihre jeweiligen Bedürfnisse nicht mehr erfüllt wurden. So entging man Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder vorzeitigem Ruhestand. Der Fremdbestimmung entgingen sie aber nicht.

Weil Menschen das Sagen bekamen, die noch kurz vorher in der alten Bundesrepublik gelebt hatten, hüben wie drüben. Die erklärten nun, welche Ausbildung noch Wert hat, die versuchten schnelle Profite zu machen mit Versicherungen, die niemand brauchte oder mit alten Autos. Und die 20.000 ostdeutsche Unternehmen „privatisierten“. Das wird im Osten noch immer als kolonialisierend empfunden. Das förderte die „teilnehmende Beobachtung“ der beiden Forscherinnen zutage.

Aber was lernen Politiker daraus, sofern sie noch lernfähig sind fragt Hartmut Jeromin im November 2019

Quelle: Hartmut Jeromin