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Ataman legt Papier mit den Grundlagen für eine AGG-Reform vor

Foto: H.S.

21.07.2023 - von Ferda Ataman

Das Grundlagenpapier der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes liegt vor. Was nun?
Wie geht es weiter? Das Papier wurde am 18.7.2023 an den Bundesminister der Justiz, Marco Buschmann (FDP) geschickt. Der ist federführend bei der im Koalitionsvertrag vereinbarten AGG-Reform. Ein Sprecher des Justizministeriums sagte der FAZ auf Nachfrage, man sei bei dieser Reform noch in der «Prüfphase». Wie lange die dauern wird, sagte er nicht. Die nächste Bundestagswahl soll – vorbehaltlich der Auflösung des Bundestages nach Artikel 68 und vorbehaltlich der Verlängerung der Wahlperiode im Verteidigungsfall nach Artikel 115 h des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland – voraussichtlich im Spätsommer oder Herbst 2025 stattfinden. Also noch knapp zwei Jahre.
Trotz parlamentarischer Sommerpause erheben die Kritiker des Papiers bereits ihre Stimme. Zuerst meldet sich der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion aus CDU und CSU, Günter Krings. Anders als die SPD hat die Union bisher kein Positionspapier zur AGG-Reform vorgelegt. Krings kritisiert die Vorschläge Atamans via dpa und Bildzeitung, aber es wird nicht klar, worauf er sich bezieht. Er behauptet: «Es soll nicht mehr darum gehen, Diskriminierung zu verhindern. Menschen sollen sich künftig auf vermeintliche Diskriminierungen berufen können, um Vorteile für sich erwirken zu können.» Das entspreche nicht der Rechtsordnung. Ein Kläger müsse etwas nachweisen, nicht glaubhaft machen.
Ataman reagiert über das RND. Die Weltwoche zitiert sie so: „Es gibt in Deutschland leider eine lange Tradition, Menschen mit Diskriminierungserfahrungen als Spinner darzustellen, die sich das nur einbilden”, sagte Ataman dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wer so redet, verharmlost Diskriminierung, die für viele Menschen existenzielle Folgen haben kann”, fügte sie hinzu.
Krings sagt, die Union werden die Änderungen ablehnen, Atamans Vorschlag sei absurd. Sie habe «Maß und Mitte gänzlich aus den Augen verloren». Er greift sie persönlich an, vielleicht um fehlende Fachkenntnis zu verstecken. Denn die Glaubhaftmachung einer Tatsache, etwas durch Statistikenoder eidestattliche Versicherungen steht bereits seit dem Jahr 2006 in der umfangreichen Begründung des AGG. Anders als von Union und auch der FDP behauptet, enthält ihr Vorschlag keine Umkehr der Beweislast.

Es werden vor allem die Punkte 4,6,8,9,11,12,13,14,15,16,17,18 und 19 im Papier sein, die Herrn Krings missfallen. Dieser Art des eingeschränkten Denkens und Wahrnehmens begegnet man leider noch immer in bestimmten Milieus. In Parteien, Behörden, Redaktionen, bei Gewerkschaften. Dabei haben selbst Seniorenbeiräte "gute" Gründe manches Verhalten staatlicher Stellen oder von deren Mitarbeitern als "Diskriminierung" zu benennen.

Im Handelsblatt und in der FAZ schafften es "Leistungsempfänger", deren Diskriminierung angeblich verboten werden soll, bereits in die Artikelüberschriften. Der BDA hat bisher noch nicht auf das Grundlagenpapier reagiert. Nach wie vor steht auf seiner Webseite: "Zwangsmaßnahmen und immer schärfere gesetzliche Kontrollmechanismen helfen nicht, innere Haltungen zu verändern. Gesetzliche Vorgaben sind kein Garant eines diskriminierungsfreien Umfeldes." Also legt man die Hände in den Schoß oder stellt eine Kerze auf?

Am 20.7.23 auch die erste FDP-Kritik. In der Bild-Zeitung mosert die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion, Katrin Helling-Plahr über das Grundsatzpapier und gibt die Richtung ihrer Partei und/oder der Springer-Presse vor: "Das Papier von Frau Ataman ist gesellschaftlicher Sprengstoff und sät Verunsicherung allerorten. "Missbrauch, Falschbeschuldigungen und Erpressungen" würden die Folge sein, sollte die vorgeschlagene Reduzierung der Beweislast für eine Diskriminierung realisiert werden. Wolfgang Kubicki, FDP-Senior und Bundestagsvizepräsident, hält das Papier der Antidiskriminierungsbeauftragten für eine Belastung der Diskussion bei den AmpelanerInnen, und für einen unausgegorenen Vorschlag. Über den Inhalt spricht er nicht.

Am 21. Juli meldet sich Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard), Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, gut beschäftigter Sachverständiger im Bundestag, Kommentator für den BDA in der WELT zu Wort. Mit leicht herablassendem Unterton, aber nicht diffamierend. Thüsing "fehlt" eine Begründung für die vorgeschlagene Ausweitung des Diskriminierungsschutzes wegen der Staatsangehörigkeit, wegen des sozialen Status und wegen familiärer Fürsorgeverantwortung.
2. "Ärgerlich" weil unnötig findet Thüsing die geplante Ausweitung des Diskriminierungsschutzes auf staatliche Stellen. Schließlich sei sämtliches staatliche Handeln an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. Im Hörsaal, Dr. Thüsing, am Konferenztisch, im Hörsaal ja. In der Praxis sieht es aber anders aus. Warum sonst gibt es im Land Berlin seit 2020 das LADG, das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das Diskriminierungen im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns untersagt und die tatsächliche Herstellung und Durchsetzung von Chancengleichheit, die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung sowie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt zum Ziel hat. Zur Verwirklichung dieses Zieles erhalten Personen Rechtsansprüche gegen das Land Berlin, wenn öffentliche Stellen im Rahmen deren öffentlich-rechtlichen Handelns ihnen gegenüber gegen die gesetzlichen Diskriminierungsverbote des § 2 LADG verstoßen.
3. Für "unnötig" hält er die Forderung, das Antidikriminierungsgesetz auf sexuelle Belästigungen außerhalb des Arbeitslebens auszudehnen, weil es in anderen Normen bereits verboten ist. Gemeint ist im Papier die Ausweitung auf zivilrechtliche Vertragsverhältnisse.
4. Er hält es für "falsch", dass Selbstständige ebenso vor Diskriminierung geschützt werden sollen, so wie es festangestellte Beschäftigte schon sind. Im Rahmen von
Werk- und Dienstverträgen erbringen Selbstständige, LeiharbeiterInnen, PraktikantInnen und Freiwilligendienstleistende Arbeitsleistungen im Betrieb. Für sie gilt aber das AGG bisher nicht.
5. "Sicherlich falsch" ist für Thüsing, wenn es in Zukunft keine Mindest- und Höchstanforderungen an das Alter mehr geben soll. Weil, so seine Begründung, es fast keine Ungleichbehandlung gibt, die nicht in irgendeinem Fall gerechtfertigt werden könnte. Fakt ist aber, dass es bessere Kriterien für eine Einstellung gibt, als das Lebensalter.
Siehe auch regionalheute.de unter: Link
Es könnte ein munterer Herbst werden!

- Schutz vor Altersdiskriminierung: Was sich ändern muss ! Was steht im Koalitionsvertrag und in den Parteiprogrammen der Koalitionäre ? Link


Vielfalt, Respekt, Antidiskriminierung
Grundlagenpapier zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)
Vorgelegt von der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung, Juli 2023


Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist seit 2006 in Kraft. Es regelt den Schutz
vor „Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, wegen
des Geschlechts, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der
sexuellen Identität“. Es gilt im Erwerbskontext und in Teilen des Zivilrechtsverkehrs und
bietet somit Diskriminierungsschutz im Alltag und Arbeitsleben.

Seit Inkrafttreten wurde das AGG nicht inhaltlich reformiert. 2016 wurde es evaluiert.
Die Untersuchung ergab Nachbesserungsbedarf sowohl aus rechtlicher Sicht als auch
hinsichtlich der praktischen Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit der Regelungen. 1 Viele
Fälle sind vom Diskriminierungsschutz im Gesetz nicht abgedeckt.

Der aktuelle Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sieht vor:
Wir stellen die Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sicher, statten sie angemessen mit Personal und Budget aus und stärken ihre Kompetenzen. [...] Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten. 2

Mit diesen geplanten Änderungen des AGG reformiert die Bundesregierung das Antidiskriminierungsrecht, wie es Deutschland in europäischen und internationalen Berichtsverfahren wiederholt empfohlen wurde. Sie setzt zudem ein gesellschaftspolitisches
Signal gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung und für Vielfalt und Chancengerechtigkeit in einer inklusiven Gesellschaft. Konkret sollen aktuell bestehende Schutzlücken des
AGG geschlossen und der Diskriminierungsschutz ausgeweitet werden. Außerdem wird
die praktische Wirksamkeit des AGG gestärkt und die Durchsetzung ihrer Rechte für
Betroffene von Diskriminierung vereinfacht.

1 Berghahn/Klapp/Tischbirek, Evaluation des AGG, erstellt im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2016
2 Mehr Fortschritt wagen; Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), S. 121
Link



Im Einzelnen:
1. Mehr Menschen vor Diskriminierung schützen – Diskriminierungsmerkmale erweitern


Das AGG schützt nicht unmittelbar vor Benachteiligungen, die an das Merkmal
„Staatsangehörigkeit” anknüpfen. Dadurch entstehen Schutzlücken in Bezug auf rassistisch oder antisemitisch motivierte Benachteiligungen. So können beispielsweise Fluggesellschaften in Deutschland israelischen Staatsbürger*innen die Beförderung verweigern. 3

Ebenfalls nicht vom AGG erfasst ist das Merkmal „sozialer Status“. Dadurch besteht kein
Schutz vor Benachteiligungen, die an die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen
Schicht, den Bildungsstand und die finanzielle Leistungsfähigkeit anknüpfen. Beispiels-
weise können Bezieher*innen von Sozialleistungen ausdrücklich von Wohnungsangeboten ausgeschlossen werden.

Auch Eltern und Menschen mit familiärer Fürsorgeverantwortung erleben in hohem Maß Benachteiligungen am Arbeitsmarkt. 4 Doch für Eltern und Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, greift das AGG nicht, sondern lediglich das allgemeine arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot. Dessen Schutzniveau ist deutlich niedriger als im AGG.

Beachtet werden sollte, dass gesellschaftliche Entwicklungen dazu führen können, dass
weitere Merkmale in die Schutzgründe aus § 1 AGG aufgenommen werden müssen.
Der Merkmalskatalog in § 1 AGG sollte um die Merkmale „Staatsangehörigkeit“, „sozialer
Status“ und „familiäre Fürsorgeverantwortung“ erweitert werden. Die Formulierung „aus
Gründen der Rasse“ sollte durch „aufgrund rassistischer Zuschreibungen“ ersetzt werden. Zu
Klarstellungszwecken sollten die Merkmale zudem durch die Begriffe „Sprache“, „chronische
Krankheit“ und „Geschlechtsidentität“ ergänzt und „Alter“ durch „Lebensalter“ ersetzt
werden.

3 Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 25.09.2018 – 16 U 209/17
4 Prognos, Diskriminierungserfahrungen von fürsorgenden Erwerbstätigen, 2022



2. Schutz vor Diskriminierung auf staatliche Stellen ausweiten

Das AGG schützt bisher nicht vor diskriminierendem Handeln durch staatliche Stellen.
Der rechtliche Schutz von Bürger*innen vor Diskriminierung durch die Verwaltung und
Sicherheitsbehörden bleibt zurück hinter dem Rechtsschutz vor Diskriminierung durch
Private. Das wird der Vorbildfunktion des Staates nicht gerecht.

Der staatliche Bereich wie Bundespolizei, Jobcenter, gesetzliche Renten- und Krankenversicherung ist nicht weniger diskriminierungsrelevant als der Rechtsverkehr zwischen Privaten. Empirische Untersuchungen wie auch Beratungsanfragen bei Beratungsstellen, Beauftragten und der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen das übereinstimmend. 5 In vielen europäischen Staaten erfasst das Mandat der Gleichbehandlungsstellen das staatliche Handeln bereits. Der Anwendungsbereich sollte auf staatliches Handeln des Bundes ausgeweitet werden.

5 Diskriminierung in Deutschland – Erfahrungen, Risiken und Fallkonstellationen. Vierter Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages, S. 159


3. Schutz vor sexueller Belästigung stärken

Nach aktueller Rechtslage schützt das AGG nur vor sexueller Belästigung im Arbeitsleben.
Sexuelle Belästigung tritt aber auch in anderen zivilrechtlichen Vertragsverhältnissen auf.

Gerade bei Verträgen, die auf Dauer geschlossen werden, wie zum Beispiel bei Mietverhältnissen oder Mitgliedschaften im Fitnessstudio, kann sexuelle Belästigung einen erheblichen Eingriff in die Rechte Betroffener darstellen. Ein Diskriminierungsschutz besteht hier bislang nicht.
§ 3 Absatz 4 AGG sollte auf den gesamten Anwendungsbereich erstreckt werden, damit das
Verbot sexueller Belästigung nach dem AGG auch im Zivilrechtsverkehr gilt.


4. Schutz vor Diskriminierung durch künstliche Intelligenz ins AGG aufnehmen

Der digitale Wandel führt dazu, dass im Arbeitsleben und im Geschäftsverkehr zunehmend Entscheidungen durch automatisierte Entscheidungssysteme (ADM) getroffen werden. Algorithmen spielen bereits eine entscheidende Rolle zum Beispiel bei Bewerbungsverfahren, Versicherungen und Kreditvergaben. Die Systeme entscheiden häufig nur vermeintlich objektiv, denn sie handeln auf Grundlage von statistischen Annahmen, historischen Daten und gegebenenfalls Vorurteilen, die bei der Programmierung eingeflossen sind. Dabei kann ein hohes Diskriminierungsrisiko bestehen. Handeln durch automatisierte Entscheidungssysteme (ADM) sollte als Benachteiligungstatbestand in § 3 AGG aufgenommen werden.


5. Menschen mit Behinderungen besser vor Diskriminierung schützen

Menschen mit Behinderungen sind mitunter auf Maßnahmen angewiesen, um bestehende Barrieren zu überwinden und gleichberechtigt am Leben teilzuhaben. Dafür sollen „angemessene Vorkehrungen“ getroffen werden, die im Einzelfall erforderlich sind, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt alle Rechte wahrnehmen können, ohne dass sie die Arbeitgeber*innen oder Vertragspartner*innen unverhältnismäßig belasten. Das AGG sieht bisher keinen Anspruch auf angemessene Vorkehrungen im Arbeitsleben oder im Zivilrechtsverkehr vor. Durch die Versagung wird insbesondere für Menschen mit Behinderungen die Teilhabe im öffentlichen Leben, bei der Arbeit und im Geschäftsverkehr erheblich eingeschränkt. Dies entspricht nicht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention.

Es sollte in § 3 AGG aufgenommen werden, dass die Verweigerung angemessener Vorkehrungen eine Benachteiligung im Sinne des AGG ist und dass bei einem Verstoß gegen eine Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit das Vorliegen einer Benachteiligung
widerleglich als Indiz gewertet wird.


6. Schutz vor Diskriminierung bei allen Arten von Arbeit

Das AGG schützt „Beschäftigte“ vor Diskriminierung. Freiberufler*innen im Rahmen von
Werk- und Dienstverträgen erbringen oftmals wie Beschäftigte ihre Arbeitsleistung im
Betrieb. Gleiches gilt für Beschäftigte, die für ihren Arbeitgeber in einem Fremdbetrieb
eingesetzt werden, auch wenn sie nicht fest in den Betrieb eingegliedert sind und keinem
Weisungsrecht unterliegen. Auch Freiwilligendienstleistende (z.B. FSJ und BFD) sind Teil
der betrieblichen Gemeinschaft. Doch all diese Personen sind nicht in gleicher Weise vom
Diskriminierungsschutz des AGG erfasst, obwohl ein vergleichbares Schutzbedürfnis besteht.
Der arbeitsrechtliche Anwendungsbereich in § 6 Absatz 1 AGG sollte um Freiberufler*innen
und Freiwilligendienstleistende erweitert werden. Zur Klarstellung sollten zudem
Praktikant*innen aufgenommen werden. Der Diskriminierungsschutz beim Einsatz von
Beschäftigten in Fremdbetrieben nach § 6 Absatz 2 AGG sollte für alle Formen von
Fremdpersonaleinsatz gelten.


7. „Kirchenklausel“ europarechtskonform gestalten

§ 9 AGG räumt konfessionellen Arbeitgebern eine beträchtliche Ausnahmeregelung ein.
Danach dürfen sie Bewerber*innen und Beschäftigte anhand der Konfession beziehungsweise Religion unterschiedlich behandeln, wenn das ihrem Selbstbestimmungsrecht entspricht. Die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft muss laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) 6 „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ für die Ausübung der Tätigkeit darstellen. Diese berufliche Anforderung fällt bereits unter § 8 AGG, weshalb § 9 AGG überflüssig ist. Zudem erlaubt § 9 AGG kirchlichen Arbeitgebern, Vorgaben zur privaten Lebensführung zu machen. Hierzu zählt auch die sexuelle Orientierung. Solche weitgehenden Rechte gehören abgeschafft. Die kirchenrechtlichen Privilegien im AGG sollten gestrichen werden.

6 EuGH, Urteil vom 17. April 2018, Az. C-414/16


8. Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters stärken

§ 10 AGG erlaubt Altersbeschränkungen bei der Einstellung, indem beispielsweise ein bestimmtes Mindest- oder Höchstalter für den Zugang zu Beschäftigung gefordert werden
darf. Durch die in § 10 Satz 3 Nummer 2 und Nummer 3 AGG genannten Anforderungen an das Alter werden zudem Stereotype verfestigt. Sachgerecht und ausreichend ist das Abstellen auf andere, nicht diskriminierende Kriterien, wie Berufserfahrung, Dienstjahre oder gesundheitliche Eignung für die Tätigkeit. Die Beschränkungen sind auch angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels in Teilen nicht mehr haltbar.
Die Möglichkeit, Mindest- und Höchstanforderungen an das Alter von Beschäftigten zu
stellen, sollte gestrichen werden.


9. Rechtsklarheit für Unternehmen schaffen – Mindeststandards für Beschwerdestellen etablieren

Das betriebliche Beschwerderecht von Beschäftigten geht in der Praxis oft ins Leere, zum
Beispiel weil die nach § 13 AGG einzurichtende Beschwerdestelle nicht benannt wird, ohne dass dies Konsequenzen hätte. Oder Beschäftigte haben keine Kenntnis von der Existenz der AGG-Beschwerdestelle. Hinzu kommt, dass kein festes, transparentes Verfahren zur Behandlung der Diskriminierungsbeschwerden implementiert ist. Dadurch erhalten Betroffene die benötigte Unterstützung nicht.

In § 13 AGG sollten Mindeststandards für das betriebliche Beschwerdeverfahren sowie
konkrete Befugnisse der Beschwerdestellen normiert werden. Das Fehlen von Beschwerdestellen sollte als Indiz für eine Benachteiligung normiert werden, sodass dies
Ansprüche auf Schadensersatz/Entschädigung nach sich ziehen kann. Für kleine und mittlere
Unternehmen (KMU) sollten überbetriebliche Beschwerdestellen geschaffen werden können.


10. Vielfalt in öffentlichen Stellen des Bundes fördern

Öffentlichen Stellen kommt eine Vorbildfunktion für die Förderung von Vielfalt und
diskriminierungssensiblem Handeln zu. Für öffentliche Stellen des Bundes sind die Verhinderung und Beseitigung jeder Form von Diskriminierung und die Förderung der
Wertschätzung von Vielfalt als durchgängiges Leitprinzip bei allen Maßnahmen zu berücksichtigen. Dafür soll sichergestellt werden, dass alle Beschäftigten im Rahmen der
Aus- und Weiterbildung zu Diversity-Kompetenzen und antidiskriminierungsrechtlichen Grundlagen qualifiziert werden. Für die Dienstkräfte mit Vorgesetzten- und Leitungsfunktion sollte die Teilnahme an den Fortbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen verpflichtend sein. Öffentliche Stellen des Bundes sollten die Möglichkeit erhalten,
Diversity-Kompetenz als Qualifikationsanforderung bei der Beurteilung von Eignung,
Befähigung und fachlicher Leistung zu berücksichtigen. Entsprechend wäre dies auch
auf öffentliche Unternehmen des Bundes anzuwenden.

Ein Gebot zur Förderung der Wertschätzung von Vielfalt und Verhinderung und Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung für öffentliche Stellen des Bundes sollte im AGG verankert
werden, das insbesondere diskriminierungssensible und diversitätsorientierte Rekrutierung,
Aus- und Weiterbildung sowie Personal- und Organisationsentwicklung umfasst.


11. Schutz vor Diskriminierung im Geschäftsverkehr stärken – Beschränkung auf Massengeschäfte streichen

Nach bestehendem Recht schützt das AGG bei zivilrechtlichen Verträgen vor Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Alle anderen Merkmale sind nach dem AGG schlechter geschützt. Der Diskriminierungsschutz wegen des Geschlechts, der Religion, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Identität besteht nur bei sogenannten
Massengeschäften oder massengeschäftsähnlichen Geschäften. Die Frage, was ein Massengeschäft ist, ist Gegenstand vieler Rechtsstreitigkeiten, da die gesetzliche Definition sehr unbestimmt ist. Es ist angesichts der Schwere vieler Diskriminierungserfahrungen kaum vermittelbar, warum es keinen gleichrangigen Diskriminierungsschutz hinsichtlich aller Merkmale gibt. Die Beschränkung auf Massengeschäfte oder massengeschäftsähnliche Geschäfte in § 19 Absatz 1 AGG sollte gestrichen werden.


12. Diskriminierungsschutz auf dem Wohnungsmarkt stärken

Auf dem Wohnungsmarkt werden Menschen häufig aus rassistischen Gründen oder wegen ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt. Diskriminierende Wohnungsanzeigen sind jedoch nach der aktuellen Gesetzeslage nicht verboten. Benachteiligende Stellenanzeigen sind nach § 11 AGG bereits verboten. Dies sollte künftig ausnahmslos auch für diskriminierende Wohnungsanzeigen gelten. Auch die Ausnahmen in § 19 Absatz 3 AGG (Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen) und § 19 Absatz 5 Satz 1 AGG (besonderes Nähe- oder Vertrauensverhältnis) schränken den Schutz vor Benachteiligungen am Wohnungsmarkt unzulässig ein.

Ein gesetzliches Verbot diskriminierender Wohnungsanzeigen sollte eingeführt werden, zum Beispiel in § 19 AGG. Die Ausnahmetatbestände in § 19 Absatz 3 AGG (Schaffung und
Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen) und § 19 Absatz 5 Satz 1 AGG (besonderes
Nähe- oder Vertrauensverhältnis) sollten gestrichen werden.


13. Diskriminierungsschutz bei Versicherungsverträgen verbessern

Versicherungen können Menschen wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters oder
der sexuellen Identität ungleich behandeln, wenn dies auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht. Es ist jedoch kein Grund ersichtlich, warum die Religionszugehörigkeit oder die sexuelle Identität zu einer Erhöhung des versicherten Risikos führen sollten. Der Rechtsschutz vor Benachteiligungen durch Versicherungen ist außerdem oftmals nicht umsetzbar, wenn Betroffene keine Kenntnis darüber erhalten, auf welchen Grundlagen die Kalkulation beruht. Dies wird insbesondere in Fällen alters- oder behinderungsbedingter Benachteiligung relevant.

Die Möglichkeit, Versicherungsnehmer*innen wegen der Religionszugehörigkeit oder der sexuellen Identität unterschiedlich zu behandeln (§ 20 Absatz 2 Satz 2 AGG), sollte
gestrichen werden. Versicherungen sollten in § 20 Absatz 2 AGG verpflichtet werden, Auskunft über die Risikokalkulation zu geben, wenn der Vertragsschluss deswegen verweigert wird oder dies zu höheren Prämien führt.


14. Frist zur Rechtsdurchsetzung verlängern

Die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen in Fällen von Diskriminierung und sexueller Belästigung beträgt nach aktueller Rechtslage zwei Monate. Das ist extrem kurz bemessen. Dies führt einerseits dazu, dass Betroffene, die oftmals keine Kenntnis von ihren Rechten und der Frist haben, zu spät handeln. Andererseits begrenzt die kurze Frist die Möglichkeiten der gütlichen Einigung. Insgesamt schränkt die kurze Frist die Rechtsschutzmöglichkeiten von Betroffenen unzulässig ein. Die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen sollte auf zwölf Monate verlängert werden.


15. Nachweis von Diskriminierung erleichtern

Zentrale Herausforderung bei der Durchsetzung von Rechten nach dem AGG ist die Beweislastverteilung. Das AGG sieht zwar eine Beweislasterleichterung vor, jedoch ist diese nicht ausreichend. Die Betroffenen müssen Indizien dafür darlegen, dass die nachteilige Behandlung auf einem geschützten Merkmal beruht. Solche Indizien sind ohne die Angabe von Gründen, die zur Bewerbungsabsage oder zur Ablehnung des Vertragsschlusses
führen, oft kaum zu erbringen. Aktuell muss das Vorliegen der Benachteiligung ebenso
wie das Vorliegen der Indizien vollumfänglich bewiesen werden.

Das Erfordernis, eine Benachteiligung und Indizien nachzuweisen, sollte auf die
Glaubhaftmachung herabgesenkt werden, das heißt, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt. Es sollte ein Auskunftsanspruch gegenüber der diskriminierenden Partei geschaffen werden. In § 22 AGG sollten als Regelbeispiele festgeschrieben werden, dass zum Beispiel die Aussagen der betroffenen Personen, Testings oder auch das Versäumnis eines Arbeitgebers, eine Beschwerdestelle einzurichten, hinreichende Indizien darstellen
können.


16. Entschädigungen wirksam und abschreckend gestalten
Die europarechtlichen Vorgaben sehen ausdrücklich vor, dass Sanktionen bei Diskriminierung wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Das betrifft insbesondere die Entschädigungshöhe. Diese fällt in der Rechtspraxis aber oft mit ein paar Hundert Euro niedrig aus. Auch ist in der Rechtsprechung teilweise eine Tendenz erkennbar, dass in Bezug auf die Diskriminierung eine Mindestschwere gefordert wird, um einen Entschädigungsanspruch auszulösen. Eine solche „Bagatellgrenze“ widerspricht dem
Wortlaut sowie Sinn und Zweck des AGG. Es sollte in § 15 beziehungsweise § 21 AGG klarstellend aufgenommen werden, dass Sanktionen bei Diskriminierung wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.


17. Betroffene entlasten – Verbandsklagerecht einführen

Betroffene von Diskriminierung schrecken oft vor der Geltendmachung ihrer Rechte zurück. Dies liegt daran, dass ein Gerichtsverfahren langwierig ist und mit unüberschaubaren Kosten und Risiken einhergeht. Erschwerend kommt hinzu, dass mangels gefestigter
Rechtsprechung in großen Teilen des Antidiskriminierungsrechts die Erfolgsaussichten
einer Klage kaum zu bewerten sind. Das führt dazu, dass der Diskriminierungsschutz ein
Wirksamkeitsdefizit aufweist.

Ein Verbandsklagerecht sowie die Möglichkeit der Prozessstandschaft wirken dem entgegen. Ersteres ermöglicht qualifizierten Antidiskriminierungsverbänden, in Fällen struktureller Diskriminierung ohne individuelle Betroffenheit zu klagen und dadurch
Grundsatzrechtsprechung zu schaffen, um Betroffenen Rechtssicherheit bei einer eigenen Klage zu geben. Letzteres ermöglicht den Verbänden, individuelle Rechte für Betroffene geltend zu machen, um diese zu entlasten. Es sollten ein Verbandsklagerecht sowie die Möglichkeit der Prozessstandschaft für Antidiskriminierungsverbände geschaffen werden.


18. Rechtssicherheit schaffen – altruistisches Klagerecht einrichten

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes beziehungsweise die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung ist im europäischen Vergleich mit wenig Kompetenzen ausgestattet. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, die Kompetenzen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes als nationale Gleichbehandlungsstelle in Deutschland zu stärken. Ziel sollte dabei sein, europäischen Standards zu entsprechen. Hilfreich wäre in diesem Sinn ein altruistisches Klagerecht für die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Es dient nicht der Durchsetzung individueller Interessen einzelner Personen, sondern wird in Fällen genutzt, in denen es keine Kläger*innen gibt. Ein altruistisches Klagerecht dient der Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Antidiskriminierungsrecht. Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung sollte ein altruistisches Klagerecht erhalten.


19. Gerichte entlasten – Schlichtungsverfahren einführen

Betroffene von Benachteiligungen nach dem AGG sollten die Möglichkeit erhalten,
außergerichtliche Einigungen zu erzielen. Derzeit kann die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nur den Versuch einer freiwilligen gütlichen Einigung anbieten. Das kommt jedoch selten zur Anwendung, da eine Teilnahme daran für die Gegenseite nicht verpflichtend ist. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollte deshalb die Möglichkeit zu einer verbindlichen Schlichtung erhalten. Die Teilnahme an der Schlichtung sollte für die Gegenseite verpflichtend sein, wenn die Betroffenen das wünschen und sofern konkrete Anhaltspunkte für eine Diskriminierung vorliegen. Die Einrichtung einer niedrigschwelligen Schlichtungsstelle bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zielt auf gütliche Streitbeilegungen zur Vermeidung eines Rechtsstreits ab. Dies ist oft im Interesse aller Beteiligten, die eine außergerichtliche Lösung wünschen. Das Schlichtungsverfahren endet mit einem konkreten Ergebnis, dem Schlichtungsspruch. Dies stärkt auch das Vertrauen in den Rechtsstaat. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollte die Möglichkeit zu einer verpflichtenden Schlichtung erhalten, sofern die betroffene Person dies wünscht.

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Antidiskriminierungsstelle des Bundes
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Stand: Juli 2023

Quelle: Antidiskriminerungstelle des Bundes