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13.11.2020 - von Prof. Dr. Friedhelm Hufen
Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung von Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen aus Anlass der COVID-19-Pandemie.
Die Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen in Pflegeheimen im Rahmen der Corona-Pandemie verstoßen in weiten Teilen gegen das Grundgesetz. Das ist das Ergebnis eines Rechtsgutachtens, das der Mainzer Verfassungsrechtler Prof. Dr. Friedhelm Hufen im Auftrag der BAGSO erstellt hat. Dem Gutachten zufolge müssen die negativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung viel stärker in den Blick genommen werden. Das Leiden von Demenzkranken unter einer für sie nicht begreifbaren Isolation sei dabei besonders zu berücksichtigen. Eine niemals zu rechtfertigende Verletzung der Menschenwürde liege in jedem Fall vor, wo Menschen aufgrund von Besuchsverboten einsam sterben müssen.
Wichtige Ergebnisse des Gutachtens sind:
Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sind uneingeschränkt Träger von Grundrechten. Dasselbe gilt für ihre Angehörigen und andere Bezugspersonen. Auch private Träger von stationären Einrichtungen sind an die Grundrechte gebunden.
Die Schutzpflicht, die staatliche Behörden aktiv ausüben müssen, bezieht sich nicht nur auf das Vermeiden einer Ansteckung mit COVID-19, sondern auch auf die Grund- und Freiheitsrechte der Bewohnerinnen und Bewohner und ihrer Angehörigen.
Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt vor, wo Menschen aufgrund von Besuchsverboten einsam sterben müssen.
Die Nebenfolgen der Einschränkungen auf die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner müssen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung viel stärker in den Blick genommen werden. Das Leiden von Demenzkranken unter einer für sie nicht begreifbaren Isolation ist dabei besonders zu berücksichtigen; auch hier kann die Menschenwürde verletzt sein.
Das Infektionsschutzgesetz ist aufgrund seiner Unbestimmtheit derzeit keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage, um die aktuellen, gravierenden Eingriffe in die Grundrechte von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie deren Angehörigen zu rechtfertigen.
Rechtsverordnungen der Länder müssen, um verfassungsgemäß zu sein, die Ermessens- und Beurteilungsspielräume für Behörden, Heimträger und Heimleitungen auf ein Minimum beschränken.
Sieht die Verordnung Ausnahmen von Besuchs- und Ausgangsverboten vor, konkretisieren diese den Geltungsgehalt der Grundrechte und sind deshalb für Behörden, Heimträger und Heimleitungen verbindlich.
Zum Rechtsgutachten: Link
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