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EU + Asylkompromiss - Historische Niederlage für Humanismus

Foto: Stromberg, 2015

Europäische Union - 12.06.2023 - von Kerem Schamberger + Valeria Hänsel, Daniel Steinvorth ,Robin Alexander

11.6.2023: Europa einigt sich auf eine neue Asylpolitik. Die deutsche
Außenministerin tut, als habe sie damit nichts zu tun


Als die grünen Bundestagsabgeordneten am Freitagmorgen in ihren elektronischen Posteingang schauten, wunderten sie sich sehr. Denn darin lag ein fünfseitiges Schreiben aus dem Auswärtigen Amt. Offizieller Briefkopf, unterschrieben nur mit „Annalena“. Ob hierdie Ministerin oder die Parteifreundin selbst zur Feder gegriffen hatte, blieb offen – und streng genommen war schon die Ortsangabe falsch: „Berlin, den 8. Juni“. Denn an diesem Tag war Baerbock am anderen Ende der Welt unterwegs: in Kolumbien, in Panama und im Flugzeug dazwischen. Auch der erste Satz begann mit einem Fehler: „Wir haben heute in Brüssel eine Entscheidung getroffen ...“ Die Innenminister der EU-Mitgliedsländer trafen sich am Donnerstag nämlich gar nicht in der belgischen Hauptstadt, sondern in Luxemburg. ... Doch während die Innenminister in Luxemburg schon verhandelten, landete in Rom ein Flugzeug aus Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte seinen ersten Besuch bei Meloni.* Ausgerechnet an diesem Tag. So ein Zufall. Und noch eine Deutsche handelte in Europa, als Baerbock in Südamerika war: Ursula von der Leyen. Die EU-Kommissionspräsidentin mit CDU-Parteibuch gab – auch an diesem Donnerstag, wieder so ein Zufall – bekannt, dass sie am Sonntag nach Tunesien reisen werde. Gemeinsam mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte – und mit Meloni. ...
Robin Alexander für WELT AM SONNTAG, Frühausgabe, Print, S.2 (* "Erstaunliche Harmonie
zwischen Berlin und Rom. Bundeskanzler Olaf Scholz besucht Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Der Sozialdemokrat und die Rechtsnationalistin arbeiten bei der Reform der EU-Migrationspolitik eng zusammen", titelte die Süddeutsche am 9.6.23 aus S.1)

10.6.2023:Evangelischer Kirchentag protestiert gegen verschärftes Asylrecht
... Mit einer Resolution haben Teilnehmende Evangelischen Kirchentags gegen die geplante Verschärfung des EU-Asylrechts protestiert. Das Ganze geschah bei der Veranstaltung im "Zentrum Menschenrechte". Darin wenden sie sich gegen einen "Ausverkauf der Menschenrechte" und einen "Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht". Mit einem "fairen rechtsstaatlichen Vorgang" habe das nichts zu tun. Schutzsuchenden drohe ein "Horrorszenario" mit Inhaftierung in Lagern. Eine große Mehrheit der rund 500 Anwesenden stimmte für die Resolution. Allerdings gab es auch zweistellige Zahlen von Gegenstimmen und Enthaltungen. ...

SZ/dpa/epd/reuters/pauw/mxm in Süddeutsche Zeitung unter: Link

[b1]10.6.2023: Asylkompromiss 2.0[/b]

Wovon der frühere CSU-Innenminister Horst Seehofer – auf dessen Vorschlag die Grenzverfahren zurückgehen – nur träumen konnte, dem hat die Ampelkoalition beim EU-Ratstreffen am 8. Juni zugestimmt. ...
Kerem Schamberger und Valeria Hänsel für Junge Welt unter: Link

10.6.2023: EU-Asylkompromiss: «Das wird noch ein wilder Ritt»

Die Mitgliedstaaten haben sich auf eine Verschärfung ihrer Asylpolitik geeinigt. Der Migrationsexperte Raphael Bossong ist aber skeptisch, dass sich das Chaos an der Aussengrenze in absehbarer Zeit lösen lässt. ...
Daniel Steinvorth für NZZ unter: Link

10.6.2023: Aus der Presseschau Deutschlandfunks

FRANKFURTER RUNDSCHAU:„Was Bundesinnenministerin Nancy Faeser alshistorischen Erfolg für den Schutz von Menschenrechten‘ gefeiert hat, ist für den internationalen Flüchtlingsschutz in Wahrheit das Gegenteil – ein verheerend-schwarzer Tag. Man muss von einer Zeitenwende sprechen, denn die Europäische Union schickt sich mit ihrer Einigung an, Flüchtenden künftig im Regelfall und ganz offiziell den Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren zu verwehren. Was auf Griechenlands Inseln, am Evros oder in litauischen Grenzlagern schon heute brutaler Alltag ist, wird kollektive Politik der EU. Damit
ist die Tür deutlich mehr als einen Spaltbreit geöffnet für Europas Abkehr von den Werten der Genfer Flüchtlingskonvention und auch der Europäischen Menschenrechtskonvention“, befürchtet die FRANKFURTER RUNDSCHAU.

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt (Oder) dagegen meint: „Die 27 Mitgliedstaaten – bis auf zwei – in dieser zentralen Frage unter einen Hut bekommen zu haben, ist eine Leistung, die man nicht kleinreden darf. Wenn jetzt Teile der Grünen, Jusos und Linken praktisch eine Blockade der Pläne im Europaparlament fordern – mögen ihre Motive auch noch so ehrenvoll sein –, handeln sie im Grunde antieuropäisch. Denn eines ist klar: Wenn dieser Kompromiss scheitert, dann wird in dieser Frage für lange Zeit keiner mehr zustande
kommen. Mehr noch. Es bedeutete, sehenden Auges in die nächste Migrationskrise hineinzulaufen. Und die Frustration über die Handlungsunfähigkeit der EU wüchse quer über den Kontinent weiter“, prognostiziert die MÄRKISCHE ODERZEITUNG.

Das STRAUBINGER TAGBLATT findet: „Eine andere Lösung lässt die politische Gemengelage in der EU aktuell kaum zu. Noch so wohlmeinende Flüchtlingspolitik darf zudem nicht außer Acht lassen, dass die großen Migrationsströme Europa immer mehr zu überfordern drohen – ob tatsächlich oder gefühlt, macht da keinen Unterschied. Geordnete Asylverfahren sind eine legitime Forderung vieler Bürger und kommen letztlich auch jenen zugute, die zwingend auf unseren Schutz angewiesen sind. Jetzt muss es darum gehen, die finanzielle
Unterstützung von Aufnahmeländern Wirklichkeit werden zu lassen und die geplanten Asylzentren so zu gestalten, dass sich am Ende niemand dafür schämen muss“, verlangt das STRAUBINGER TAGBLATT.

Die TAGESZEITUNG vertritt diese Ansicht: „Was Europas Flüchtlingspolitik so dringend fehlt – auch aus unterkühlt funktionaler Sicht –, stand in Luxemburg nicht einmal zur Debatte: ein umfassender und verbindlicher Mechanismus zur Verteilung von Geflüchteten auf alle EU-Staaten, der die überforderten Länder an den Außengrenzen wirklich entlastet. Stattdessen einigten sich die EU-Innenminister*innen auf einen Solidaritätsmechanismus, bei dem die Aufnahme weiter freiwillig bleibt. Dass Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, künftig 20.000 Euro pro Nicht-Aufnahme zahlen sollen oder sich am Außengrenzschutz beteiligen sollen, ändert kaum etwas“, moniert die TAZ.

9.6.2023: Moralische Bankrotterklärung und Einknicken vor den rechten Kräften in Europa
Dazu erklärt die Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Janine Wissler und der Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Martin Schirdewan:


„Ich bin entsetzt, über diesen Frontalangriff auf das Asylrecht und darüber, dass die Bundesregierung einer europäischen Einigung zugestimmt, die faktisch die Abschaffung des Menschenrechts auf Asyl bedeutet. Abschottung und Inhaftierungen von Familien mit Kindern, die vor Krieg und Hunger fliehen, sind kein „historischer Erfolg“, wie Innenministerin Faeser es nennt, sondern ein Anschlag auf die Menschenrechte. Dafür bekommt sie Lob des früheren Innenministers Seehofer, der von einer derartigen Aushebelung des Asylrechts nur träumen konnte, wie sie die Sozialdemokratin Faeser nun umsetzen will. Das widerspricht den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags und der Ankündigung einer humanen Flüchtlingspolitik.

Der Beschluss ist ein Kniefall vor Rechtsaußen, ein Erfolg für die rechten Kräfte in ganz Europa und wird sie weiter stärken. Diese Lehre sollte man gezogen haben aus der Debatte um den Asylkompromiss 1993 und der Welle rechter Gewalt damals. Wer Forderungen von Rechtsaußen umsetzt, ermutigt sie und bereitet den Nährboden für rassistische Gewalt. Es ist eine Schande. Diese Entrechtung darf nicht hingenommen werden, es gab in den vergangenen Tagen und Wochen viele kritische Stimmen aus der Zivilgesellschaft und Warnungen von Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Kirchen. Nötig sind jetzt breite Proteste gegen die faktische Abschaffung des Asylrechts. DIE LINKE ruft ihre Mitglieder dazu auf, sich daran zu beteiligen und die Menschenrechte zu verteidigen.“

Der Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Martin Schirdewan erklärt:
»Die Einigung zu GEAS ist eine moralische Bankrotterklärung und ein Einknicken vor den rechten Kräften in Europa. ›No more Morias‹ lautete das Versprechen der EU-Kommission. Aber die jetzige Einigung verschlimmert die Situation an den Außengrenzen, inhaftiert Schutzsuchende und gefährdet Menschenleben. In Schnellverfahren und unter Haftbedingungen sind keine fairen Prüfungen möglich.
Mit diesem Beschluss entrechten die EU-Regierungen schutzbedürftige Menschen und zieht die Mauern der Festung Europa höher. Stacheldraht statt Willkommenskultur ist die Botschaft der EU-Asylreform. Dabei wissen wir, dass Abschottung Menschen nicht von der Flucht abhält, sondern nur vom sichern Ankommen.

Ich bin fassungslos, dass die Grünen Mitglieder des Kabinetts für diese Vereinbarung werben und den Beschluss auch noch verteidigen. Faktisch werfen sie sich vor der versammelten Rechten Europas in den Staub. Die systematisch Entrechtung von Geflüchteten ist mit dem Anspruch einer ›wertegeleiteten Außenpolitik‹ nicht zu vereinbaren. Das zeigt: Wer das Recht auf Asyl schützen will, kann sich auf die Grünen nicht mehr verlassen. Ich fordere die Parteiführung der Grünen auf, diesen Angriff auf das Asylrecht zu verhindern und ihm die Zustimmung zu verweigern. Wenn diese 180 Grad Wende in der Asylpolitik und der Bruch eines zentralen Wahlversprechens keinen Koalitionskrach wert ist, dann sind die Grünen als Menschenrechtspartei erledigt.«

8.6.2023: "Große Zustimmung"

Die Asylpolitik der Europäische Union ist festgefahren, beim Gipfel in Luxemburg hofften alle auf einen Durchbruch. Der scheint nun geglückt – die Innenministerinnen und Innenminister der EU haben sich auf eine gemeinsame Linie einigen können. Sie stimmten in Luxemburg im dritten Anlauf einem Kompromissvorschlag des schwedischen Ratsvorsitzes zu, wie Schwedens Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard sagte. Sie sprach von »großer Zustimmung« für die beiden Vorlagen. ...
mrc/mgo/AFP/dpa auf Spiegel unter: Link

7.6.2023: ProAsyl: Griechische Verhältnisse – bald überall in Europa?

Auf den Ägäis-Inseln ist seit Jahren real, was mit der EU-Asylrechtsverschärfung flächendeckend droht: Haftlager, Schnellverfahren ohne Prüfung der Fluchtgründe und gewaltvolle Zurückweisungen. Ein Bericht unserer Partnerorganisation Refugee Support Aegean (RSA) zur Situation auf den Ägäis-Inseln verrät, auf was wir uns gefasst machen müssen.
Die Bundesregierung plant, in Brüssel einer Asylrechtsverschärfung zuzustimmen, durch die das Asylrecht auf europäischer Ebene faktisch ausgehebelt würde. PRO ASYL hat ausführlich dargestellt, was die Vorhaben im Kern bedeuten werden: In Lagern an den EU-Grenzen sollen Schutzsuchende unter Haftbedingungen massenhaft abgefertigt werden. Dabei geht es nicht um die inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe. In erster Linie beschränkt sich das Verfahren auf die Frage, ob ein Asylantrag als unzulässig abgewiesen werden kann oder nicht. Das ist immer dann der Fall, wenn die schutzsuchende Person über einen angeblich »sicheren« Drittstaat in die EU geflohen ist. Parallel sollen die Kriterien, wann ein Staat als sicher gilt, dafür weiter heruntergeschraubt werden.

RSA-Bericht: Was passiert heute in den Strukturen für Geflüchtete auf den Ägäis-Inseln

Wieder ist Griechenland die Blaupause. Seit Jahren wird hier erprobt, was nun zum europäischen Standard werden soll. Ein Grund mehr, einen Blick nach Griechenland zu werfen. Wie sieht es heute in den Flüchtlingslagern auf den Ägäis Inseln aus? Dieser Frage geht Refugee Support Aegean (RSA), die griechische Partnerorganisation von PRO ASYL, in der multimedialen Veröffentlichung »What is happening today in the refugee structures on the Aegean island« nach und liefert einen Überblick über die anhaltenden Probleme in den EU finanzierten Haftlagern auf den Ägäis-Inseln. Das Fazit: Auch über sieben Jahr nach dem Bau des ersten Lagers, nach dem Versprechen »No More Morias«, bleiben es schwarze Löcher für die Menschenrechte.
Der Bericht basiert auf Recherchen von RSA und Erkenntnissen aus der Einzelfallarbeit. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die neuen Unterbringungsstrukturen und der Verfahren dort geliefert.

Aus alt mach neu: Closed Controlled Access Centres (CCAC)
Seit 2015 finden sich auf den Ägäis-Inseln EU finanzierte Unterbringungslager. In diesen »Hotspots« sollten Schutzsuchende festgesetzt, registriert und einem Screening unterzogen werden. Die in Griechenland unter dem Namen »Reception and Identification Centres« (RIC) errichteten Strukturen entfalteten mit dem EU Türkei Deal ab März 2016 ihre volle Wirkung: Zehntausende Schutzsuchende wurden auf den Inseln festgesetzt, die Lager waren maßlos überbelegt, die Infrastruktur brach faktisch zusammen. Das Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos wurde zum Fanal einer gescheiterten EU-Asylpolitik. Immer wieder dokumentierten PRO ASYL und RSA die unhaltbaren Zustände, unter denen Schutzsuchende hier ihrem Verfahren unterzogen wurden.

Nach dem Brand von Moria im September 2020 sollte sich das ändern. Die EU Kommission gab das Versprechen »No More Morias« ab. Damit gemeint waren bessere Unterbringungsbedingungen und eine wirkliche Berücksichtigung der Bedürfnisse der Schutzsuchenden. In enger Kooperation zwischen EU und Griechenland wurden die Lager schrittweise umstrukturiert bzw. neu gebaut. Insgesamt sicherte die EU Kommission dafür 276 Millionen Euro zu, um sogenannte »Multi-Purpose Reception and Identification Centres (MPRIC)« zu errichten. In Griechenland entstanden daraus Closed Controlled Access Centres (CCAC) – »Geschlossene Zentren mit kontrolliertem Zugang«. Diese beinhalten unterschiedliche Bereiche, etwa zur Identifikation und Registrierung, zur Unterbringung, aber auch integrierte Abschiebungshaftbereiche. Während rechtliche Hindernisse und der Protest der Bevölkerung auf Lesbos und Chios die Neubaumaßnahmen verzögern, sind die neugebauten Haftlager auf Samos, Leros und Kos bereits Realität – zu 100% finanziert durch die EU. Die Zustände sind von Standort zu Standort unterschiedlich, dennoch lassen sich einige Punkte zusammenfassend feststellen.

Die bis zu 15 km von den urbanen Zentren der Inseln entfernten CCACs muten an wie Hochsicherheitsgefängnisse: Sie sind umgeben von gleich zwei mit Stacheldraht gesäumten Sicherheitszäunen und werden rund um die Uhr überwacht. Erst nach Ausstellung eines Registrierungsdokuments für Asylsuchende ist es theoretisch möglich, das Lager zu verlassen. Bis dahin vergehen oftmals mehrere Wochen, in denen die Asylsuchenden faktisch inhaftiert sind. Wer danach das Lager verlässt, muss sich bei jeder Rückkehr strengen Sicherheitskontrollen unterziehen. Dabei werden u.a. Fingerabdrücke genommen, Ausweise kontrolliert, der Körper abgetastet und das Gepäck durchsucht. Besonders für die schulpflichtigen Kinder in den CCACs auf Samos und Leros ist es eine Schikane in ihrem Schulalltag. Das Gefühl der ständigen Überwachung und Kontrolle gehört zum Leben der Schutzsuchenden dazu.

Die Versorgung der Schutzsuchenden in den Lagern ist katastrophal. Viele NGOs, die in der Vergangenheit staatliche Versorgungsaufgaben übernommen hatten, haben die Inseln mittlerweile verlassen, u.a. weil die griechische Regierung ihre Arbeit massiv behindert und durch strenge Auflagen faktisch unmöglich macht. Gleichzeitig hat der griechische Staat eigenes Personal abgebaut.

Die Folgen sind verheerend: Grundlegende ärztliche Versorgung ist nur in den Lagern auf Lesbos und Leros gewährleistet. Es mangelt an Übersetzer*innen und Psycholog*innen. Bewohner*innen berichten, dass das ausgegebene Essen ungenießbar und nicht ausreichend ist. Auch auf kranke Menschen und Kleinkinder wird bei der Essensversorgung keine Rücksicht genommen. Selbst an heißem Wasser, Babymilch und Windeln mangelt es vereinzelt. Ein großes Problem ist zudem, dass es nicht ausreichend Schattenplätze gibt, was die Temperaturen im Sommer unerträglich werden lässt. Kurzum: Es mangelt an (fast) allem.
Eine detaillierte Darstellung der Situation in Samos, Kos, Leros, Lesbos und Chios findet sich (engl.) bei RSA "What is happening today on the Aegean Islands? unter: Link

13.6.2023: Sperrriegel gegen Flüchtlinge

Die EU stößt mit ihrem Plan, Tunesien zum Sperrriegel gegen Flüchtlinge auszubauen, auf Widerstände. Erst am Sonntag hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Besuch in Tunis mitgeteilt, man sei dabei, einen „umfassenden Partnerschaftspakt“ mit Tunesien zu schließen. Als dessen Kern gilt eine Bestimmung, die unter anderem die Abschottung der tunesischen Seegrenze sowie die Rückschiebung aus dem nordafrikanischen Land in die EU eingereister Flüchtlinge vorsieht. Modell dafür ist der Flüchtlingsabwehrpakt, den Brüssel 2016 auf Berliner Initiative mit der Türkei geschlossen hat; im Gegenzug gegen die Zahlung von bisher 9,5 Milliarden Euro hält Ankara seither Flüchtlinge von der Weiterreise nach Griechenland ab. Am gestrigen Montag ließ sich Tunesiens Präsident Kaïs Saïed, dem die EU aktuell 1,6 Milliarden Euro in Aussicht stellt, jedoch mit der Äußerung zitieren, er halte den Vorschlag für „unmenschlich und unzulässig“ und lehne ihn ab. Auch Tunesier fliehen in zunehmender Zahl in die EU. Ihr Land, zum Niedriglohnstandort europäischer Firmen zugerichtet, hat kaum eigenständige Entwicklungsperspektiven und ist weithin verarmt.
Weiterlesen bei German Foreign Policy unter: Link

16.6.2023: Aus der Presseschau des Deutschlandfunks

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint: „Dass es nun einen europäischen
Asylkompromiss gibt, ist auch Annalena Baerbock zu verdanken. Sie bekommt Anerkennung dafür, dass sie über ihren Schatten gesprungen ist. Aber bei den eigenen Leuten steht sie im Feuer. Es ist kein Geheimnis, dass es in der Fraktion viele junge Idealisten gibt. Einige waren in der Flüchtlingshilfe oder Seenotrettung aktiv. Natürlich blutet ihnen das Herz. Deutschland war in Europa mit seinen Forderungen weitgehend isoliert, das haben viele Grüne ausgeblendet. Es wäre Baerbocks Aufgabe gewesen, die Partei auf den Kompromiss vorzubereiten“, so die F.A.Z.

Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm stellt fest: „Die Asylfrage erschüttert die Partei in ihren Grundfesten – und am Wochenende ist Parteitag. Die Parteispitze ist zerrissen, die alten Realo-Linken-Konflikte aufgeplatzt, an der Basis der Grünen brodelt es wie seit Jahren nicht mehr. Gerade die jungen, während der Flüchtlingswelle 2015 neu in die Partei Eingetretenen fühlen sich und ihre humanistischen Ideale verraten. Veränderung bedeutet
Zumutung, sagte Vizekanzler Robert Habeck einst. Doch war der Asylkompromiss die eine Zumutung zu viel? Diese Frage stellen sich gerade viele Grüne“, beobachtet die SÜDWEST PRESSE.

Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth befindet: „Es ist umstritten, ob das Vorhaben die Lage schlimmer oder besser macht. Eines hingegen ist sehr klar: Das Sterben im Mittelmeer wird so nicht beendet. Wer in Europa Asyl beantragen will, muss sich auf eine lebensgefährliche Route begeben. Daran ändert sich nichts. Sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, hat die Asylreform versäumt. Doch früher oder später wird die EU eine Lösung finden müssen, um die Toten im Mittelmeer zu verhindern.“
Wahrscheinlich sind mehr als 500 Menschen bei einem Bootsunglück vor der griechischen Küste gestorben, als sie das Mittelmeer überqueren wollten.

Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus stellt fest: „Verantwortlich sind zuerst die Herkunftsstaaten, die ihren Bürgern keine würdigen Lebensbedingungen bieten können. Und verantwortlich sind die Schleuser, die hunderte Menschen auf schrottreifen Seelenverkäufern ins Verderben schicken. Der Schrecken wird erst nachlassen, wenn diesen Menschenschmugglern das Handwerk gelegt wird. Erst, wenn es legale Methoden gibt, als Verfolgter, Kriegsflüchtling oder Arbeitskraft nach Europa zu kommen, wird das Sterben auf dem Mittelmeer aufhören. Deshalb ist es so wichtig, dass die EU diese legalen Wege schaffen will und dass sie mit den Herkunfts- und Transitländern viel enger kooperiert“, ist in der LAUSITZER RUNDSCHAU zu lesen.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG betont: „Auch die EU hat viel Leid verschuldet. Junge Tunesier und Libyer steigen in die Kähne, weil Europa seine Versprechen nach dem Arabischen Frühling nicht eingelöst hat. Die Libyer hat man, nachdem sie den Diktator Gaddafi gestürzt hatten, den Milizen überlassen. Dabei hatten die Bürger in zwei Parlamentswahlen gezeigt, dass sie Wohlstand und Freiheit in ihrer Heimat und nicht in Europa anstreben. Und die nach Tunesien überwiesenen Wirtschaftshilfen sind ein Bruchteil der Summen, die an die Türkei gingen, um Migration in die EU schon dort zu stoppen. Der Massenexodus über das Mittelmeer hat seine Ursache in europäischem Zaudern“, kritisiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg bemerkt: „Die Hunderte von Menschen, die jetzt
mutmaßlich in einem Fischkutter elendig ertrunken sind, hatten nicht die Möglichkeit, auf dem afrikanischen Festland einen Asylantrag zu stellen. Sie nahmen die gefährliche Überfahrt auf sich, begaben sich in die Hände skrupelloser Schlepper – wobei Frauen und Kinder offensichtlich unter Deck eingesperrt wurden; was ein weiteres Drama innerhalb des ohnehin schon schrecklichen Dramas darstellt. Doch die verbrecherische Schlechtigkeit der Schlepper, die Brutalität der männlichen Passagiere – all das kann nicht davon ablenken, dass die im Mittelmeer Begrabenen auch unsere Toten sind“, heißt es in der RHEIN-NECKAR-ZEITUNG.

Quelle: NZZ, Spiegel, Junge Welt, Linke, Pro Asyl, RSA, WELT am SONNTAG