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Bundestagsabgeordnete bessern mit fast 53 Mio. € ihre Diäten auf

Foto: H.S.

13.07.2021 - von PM OBS

„Fraktion der Aufstocker“ Otto Brenner Stiftung (OBS) legt fünfte Studie zu MdB-Zusatzjobs und Nebeneinkünfte vor. „Aufstocker“ sind eine privilegierte (männliche) Minderheit und ein besonderes Thema für die Unionsfraktion. Gut ein Drittel aller Abgeordneten meldet „außerparlamentarische“ Einnahmen. Geplante Neuregelungen ab Herbst 2021 werden die Probleme nicht lösen, schreiben die Stiftung und der Autor der Studie. +++ Sie identifizieren Handlungsdefizite, regen eine Kommission an, schlagen einen verbindlichen Verhaltenskodex vor und plädieren für striktere Regelungen.

Nebeneinkünfte, so ein zentraler Befund der Untersuchung über „Aufstocker“ im Bundestag, sind das Problem einer privilegierten Minderheit, die überproportional aus der Unionsfraktion kommt.
261 Bundestagsabgeordnete der zu Ende gehenden 19. Wahlperiode gaben an, „entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat“ ausgeübt zu haben.

Autor Sven Osterberg legt in seiner Expertise dar, dass die geschätzten ca.53 Millionen Euro Nebeneinkünfte, die in der 19. Wahlperiode erzielt wurden, zu fast 60 Prozent von Mitgliedern der Union generiert wurden. In der FDP-Fraktion, ein Novum in der Geschichte der Untersuchungsreihe, gibt es kein Mitglied ohne veröffentlichungspflichtige Angaben.

Anwälte sind unter den „Aufstockern“ die größte Teilgruppe. Im Vergleich der Wahlperioden seit 2009 ist ihr Anteil an Mitgliedern des Bundestages zwar kontinuierlich gesunken, die Summe der von ihnen generierten „Neben“-Einnahmen ist aber deutlich gestiegen.

Die vielfach aufgestellte Behauptung, Nebeneinkünfte seien ein Übergangsproblem, das sich im Laufe einer Legislaturperiode minimiere, wird durch einen Vergleich der Daten zu Beginn und am Ende der 19. Wahlperiode nicht bestätigt. Das Mandat bringt neue Nebentätigkeiten mit Nebeneinkünfte mit sich. Die vergleichende Auswertung der Daten zeigt leichte Verschiebungen bei den Tätigkeitsfeldern: Die Zahl der Funktionen in Unternehmen hat zugenommen und geht zu Lasten der Vernetzung mit Vereinen, Verbänden und Stiftungen.

Schwerpunkt der Frauen bleibt nach wie vor das ehrenamtliche Engagement; weniger als ein Viertel gibt entgeltliche Tätigkeiten neben dem Mandat an. Inzwischen bauen die OBS-Untersuchungen, die seit 2013 veröffentlicht werden, auf der Analyse von ca. 4000 Datensätzen auf. Die aktuellen Ergebnisse, die mittelfristige Trends bestätigen und eine relative Stabilität in der Entwicklung der drei letzten Wahlperioden belegen, stärken Autor Osterberg in seiner Auffassung, dass es mit Blick auf Zusatzjobs und Nebeneinkünfte kein wirkliches Erkenntnisdefizit gibt, sondern ein fundamentales Handlungsdefizit den eigentlichen Kern des Problems ausmacht.

Autor und Stiftung unterstreichen ihre Skepsis, dass die vor kurzem beschlossenen Neuregelungen in der Praxis zu gravierenden Änderungen führen werden. "Das neue Abgeordnetengesetz“, so Sven Osterberg, „verspricht noch mehr Transparenz, aber es wirft Licht auf ein grundlegenderes Problem: Wer und wie wird die Richtigkeit der Angaben kontrollieren?"

Auch die Frage nach wirksamen Sanktionen für Abgeordnete, die Einnahmen nicht korrekt auf Euro und Cent neben dem Mandat anzeigen, bleibt weiterhin ungelöst. Osterberg regt eine Kommission an, „die mit Mitteln und Rechten ausgestattet ist und eine Kontrolle der Einhaltung der Regeln gewährleistet."Schon seit Jahren stellten sich für Autor und Stiftung Fragen, die einer Antwort harren:
Was sind gewünschte und zulässige Nebentätigkeiten?
Was stellt ein Einfallstor für Lobbyisten dar?
Warum können Tätigkeiten gegen Entgelt –neben dem Mandat –nach Eintritt in den Deutschen Bundestag einfach fortgesetzt werden?
Warum wird die Anzahl der Nebenjobs nicht begrenzt, warum gibt es keine Höchstgrenze für „Nebenverdienste“?

Ein Verhaltenskodex des Bundestages, der für alle seine Mitglieder verbindlich wäre, könnte im Interesse von mehr Glaubwürdigkeit die wesentlichen Punkte festschreiben. Politik und Parlament haben durch „Maskenaffäre“ und Raffgier Einzelner an Vertrauen verloren und Glaubwürdigkeit eingebüßt. „Deshalb müssen Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte der Abgeordneten“, so Jupp Legrand, OBS-Geschäftsführer, „endlich enger gefasst, strenger reguliert und effektiver kontrolliert werden“.

Angesichts verschärfter gesellschaftlicher Bedingungen im postfaktischen Zeitalter, weiter um sich greifender sozialer Spaltungen und vor dem Hintergrund rechtspopulistischer Enthemmungen, so Legrand, „sind Nebentätigkeiten mit erheblichen Einnahmen neben den steuerfinanzierten Diäten ein Problem, das sich weder eine kritische Zivilgesellschaft länger leisten kann noch auf Dauer ein verantwortungsvolles Parlament ertragen darf“.

Sven Osterberg: Aufstocker im Bundestag IV –Bilanz der Nebenverdienste der Abgeordneten in der 19. Wahlperiode; OBS-Arbeitspapier 48, Frankfurt am Main, Juli 2021 Otto Brenner Stiftung | Geschäftsführung| Jupp Legrand| Telefon: 069 -6693 2810|E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de| Link Twitter: @OBSFrankfurt Arbeitspapier online lesen oder downloaden: Link Autor Sven Osterberg E-Mail: sven( at)praxis-osterberg.de

Quelle: Otto Brenner-Stiftung