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Direktversicherung: (Wahl)-Rache ist süß

Foto: H.S.

21.09.2021 - von Horst Gehring

Seit Januar 2004 versuchen Opfer des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes, dass am 17. Oktober 2003 im Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz rückgängig zu machen. Sie vertrauten auf die Absichtserklärung der Drucksache 7/1281 Deutscher Bundestag – 7 Wahlperiode, welches Bundeskanzler W. Brandt zum Schriftsatz I/4 (IV/3) -- 81404 – A I 9/73 vom 26. November 1973 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages absandte.

Hier ging es um den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung.

Was man aber von politischen Gesetzen und Parteitagsbeschlüssen halten kann, zeigte uns die jüngste Vergangenheit. Da hat der CDU – Bundesparteitag am 7./ 8.12.2018 mehrheitlich beschlossen, das auf Betriebsrenten (u.a. die sog. Direktversicherungen) wird zukünftig nur noch der halbe Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung (Arbeitnehmeranteil) gezahlt.

Diese Passage wurde von Kanzlerin Merkel Anfang 2019 außer Kraft gesetzt. Ein Vorgehen, das sich bei der bevorstehenden Bundestagswahl für die Union bitter rächen wird.

Der SPD-Parteivorstand hat bereits am 24.6. 2017 beschlossen, sich für die Abschaffung der vollen Verbeitragung von Betriebsrenten in der gesetzlichen Krankenversicherung einzusetzen, und hat auch in den Koalitionsverhandlungen darauf gedrungen, dass die
Beiträge für Betriebsrenten in der Auszahlungsphase um die Hälfte auf den Arbeitnehmeranteil abgesenkt werden. Hierzu ist ein erster und wichtiger Schritt geschehen.

Die geltende Freigrenze wurde durch einen dynamischen Freibetrag ergänzt, wodurch derzeit 164,50 Euro pro Monat beitragsfrei bleiben. Seit 2020 wurden die Betriebsrentner-innen und Betriebsrentner nach schwierigen Koalitionsverhandlungen mit dem Koalitionspartner CDU/CSU somit merklich bei den Krankenkassenbeiträgen entlastet. Hierzu gehören 60 % der Betriebsrentner*innen. Sie sind seit 2020 somit sogar bessergestellt als vor 2004.

Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, blieb in dieser Frage ziemlich blass. Seit gut 17 Jahren verweigert sich die Union, den betroffenen Arbeitnehmer*innen entgegen zu kommen. Sei es nun die Gleichstellung der freiwillig Versicherten, um nur ein Beispiel zu nennen. Der Kanzlerkandidat der Union hat ein Stadium erreicht, in dem er zu den Wähler-innen und Wähler nicht mehr durchdringen kann. Ich bin sehr vorsichtig mit Wahlprognosen, aber es sieht alles nach Verzweiflung aus – und Verzweifelte mag das Wahlvolk überhaupt nicht.

Das wir nun das Rad der Geschichte nicht mehr umdrehen können, dürfte allen Vorsorgen-den klar sein, zumal schon ca. 1/3 aus der Frist gefallen sind. Aber dennoch sehe ich für die Zukunft eine realistische Chance, das „Unrecht der Vergangenheit“ ein bisschen abzumildern. So hat die SPD am 27. Mai 2021 nach ihrem Parteitag nachträglich folgende Formulierung in ihrem Wahlprogramm aufgenommen: Wir setzen uns für die vollständige Abschaffung der Vollverbeitragung sowie der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten in der gesetzlichen Krankenversicherung ein. Angesicht der damals sinkenden Umfragewerte war dieses auch zwingend vorgegeben.

So eine klare Aussage war von der Union nicht zu bekommen. Vom örtlichen CDU-MdB bis Jens Spahn erlebte ich nur eine kalte Ablehnung. Höhnisch verwiesen sie auf den dynamischen Freibetrag, der nach ihrer Ansicht ausreichend sei.

Enttäuscht war ich auch von den Grünen. Robert Habeck musste auf einer Wahlveranstaltung in Osnabrück passen, weil ihm dieses Thema nicht bekannt war. Wie bedauerlich für ihn selbst, aber auch für die Partei.

Durch einen Generationswechsel im Deutschen Bundestag habe ich wieder Hoffnung geschöpft, dass mein gemeinsamer Kampf mit vielen Weggefährten, Gewerkschaften und Sozialverbänden nicht umsonst war.

Durch eine kluge Wahlentscheidung könnten wir in absehbarer Zeit einen politischen Wandel erleben. Ich denke z.B. an eine Bürgerversicherung, wie sie von einem demokratischen Teil der im Bundestag sitzenden Parteien vorgeschlagen wurde.

Gerne schaue ich in unser Nachbarland Österreich. Dort hat der durchschnittliche Rentner monatlich 800 Euro mehr als in Deutschland. In Österreich zahlen alle Bürger ein – auch Beamte, auch Selbstständige, auch Abgeordnete. So beträgt die Mindestrente in den Niederlanden 1218 Euro. Ebenso sollte man sich auch das schwedische Modell einmal anschauen. Unsere Nachbarn machen es vor. So sollte man auch wissen, dass die Umstellung des Beamtentums nicht in zwei Legislaturperioden zu machen ist.

Vergleichen sollte man aber folgendes Beispiel: Wer heute 45 Jahre in Vollzeit 2.650 Euro verdient, bekommt nicht einmal 1.100 Euro Rente. Das ist die Wahrheit.

Durchschnittsverdiener und dann sozialer Abstieg Im Alter? Die Forderung nach einem Mindestlohn von mindestens 12,-- Euro ist daher mehr als berechtigt. Auch hier lehnt die Union alle Forderungen ab.

Das ist das Gegenteil von Leistungsgerechtigkeit und untergräbt weiter das Vertrauen in die Rente.

Um dieses Ziel erreichen zu können, schlage ich folgendes vor:
Die Rente kann über eine Bürgerversicherung erzielt werden. Möchte man die Betriebsrenten verändern,bleibt nach derzeitigem Stand letztendlich der Weg über den Gesetzgeber. Wenn die tatsächlich unterschiedlichen Arten der Direktversicherungen, besonders hinsichtlich der Finanzierungsunterschiede, in der Beitragspflicht auch sozialrechtlich unterschiedlich behandelt werden sollen, muss der Bundestag tätig werden.

Abschließend möchte ich noch kurz auf anhängige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eingehen. Zurzeit sind dort noch vier Verfahren zur Doppelverbeitragung etc. zu entscheiden.

Mit freundlichen Grüßen

Quelle: Mail an die Redaktion