Diskriminierung melden
Suchen:

FAZ argumentiert mit der Freiheit gegen die Novellierung des AGG

Foto: H.S.

22.09.2023 - von Hanne Schweitzer

Die FAZ gehörte schon lange vor der EU-diktierten Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes in der Bundesrepublik zu dessen tonangebenden Gegnern. Damals wie heute wittert(e) die FAZ Gefahr. Eine im Koalitionsvertrag angekündigte Novellierung des bestehenden Gesetzes, könnte eine wichtige Basis des bundesdeutschen Wirtschaftssystems anknabbern: Die Vertragsfreiheit.

Juristen verorten diese an prominenter Stelle im Grundgesetz, auch wenn sie dort nicht explizit genannt wird. In Artikel 2 Absatz 1 heißt es: "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."

Im Hinblick auf die Vertragsfreiheit bedeutet der Satz, der die allgemeine Handlungsfreiheit beschreibt, laut Industrie und Handelskammern: "Die Vertragsfreiheit ist die Freiheit, Verträge mit Personen der eigenen Wahl und mit Inhalten der eigenen Wahl abzuschließen." Bei Anwalt.de heißt es dazu: "Die Vertragsfreiheit ist ein Kernprinzip des deutschen Rechts, das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in § 311 Abs. 1 vorausgesetzt wird. Demnach steht es jeder Person frei, Verträge abzuschließen und dabei den Inhalt sowie die Parteien des Vertrags selbst zu bestimmen."

Die Stimme der "Wirtschaft" wie einen Tinnitus im Ohr, schreibt die FAZ am 19. September: Die geplante Abschaffung der Beschränkung des Diskriminierungsschutzes bei Massengeschäften (§19 Absatz 1 AGG) "greife besonders tief in das Verhältnis von individueller Freiheit und Diskriminierungsschutz ein."
Dazu muss man wissen: Zur Zeit ist Diskriminierung im Zivilrecht im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bei Massengeschäften verboten. Als Massengeschäfte gelten solche, die unabhängig von der Person in einer Vielzahl von Fällen vorkommen. Ein Beispiel für Diskriminierung bei einem Massengeschäft wäre die Verkäuferin in der Bäckerei, die Dir weder Brot noch Brötchen oder Kuchen verkaufen will, weil Du nach ihrer Meinung oder der ihres Chefs, das falsche Alter, eine Behinderung, das falsche Geschlecht, die falsche sexuelle Identität oder die falsche Religion hast.

Das kommt, wie jeder weiß, nur äußerst selten vor. Das Verbot von Diskriminierung bei Massengeschäften ist also im Grunde eine Nullnummer, weil es sie so gut wie nie gibt. Aber in allen anderen Bereichen des Zivilrechts ist der Diskriminierungschutz nicht zuletzt wegen der tüchtigen Anti-Antidiskriminierungsgesetzgebungs-Lobbyarbeit der FAZ hierzulande noch immer löchrig wie ein Sieb.

Aktuelles Beispiel. Beim Onlinelesen des FAZ-Artikels "Antidiskriminierung zulasten der Freiheit?", erscheint am 19.9.2023 um 17.53 Uhr folgende Werbeeinblendung:

"Für juristisch Interessierte 2,95 € / Woche
jetzt 30 Tage kostenfrei testen
Mit einem Klick online kündbar
Unter 35 Jahre alt? 50 % sparen"


Die juristische Person FAZ hat von ihrer Vertragsfreiheit Gebrauch gemacht. Sie hat ein "individuell" maßgeschneidertes Produkt für die Zielgruppe 35 minus entwickelt. Individuell und frei hat das Wirtschaftsunternehmen FAZ entschieden, mit wem es einen Vertrag abschließen möchte und mit wem nicht.

Die Vertragsfreiheit gilt also für die FAZ, aber nicht für das Individuum. Der "besonders tiefe Eingriff" der FAZ "in das Verhältnis von individueller Freiheit und Diskriminierungsschutz" hat zur Folge, dass alle, die älter als 35 sind, von ihrer individuellen Freiheit eine Vertrag abzuschließen, keinen Gebrauch machen können. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit wird beeinträchtigt.

Mit der geplanten Novellierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sollen alle Warenangebote und Dienstleistungen diskriminierungsfrei angeboten werden. Damit das bloß nicht passiert, bedient sich die FAZ des zur Worthülse verkommenen Begriffs der Freiheit und peppt ihn mit der Ergänzung "individuell" auf. In Zeiten, in denen das Individuum als Non plus Ultra gilt, soll der Freiheit so ein größeres Gewicht, ein höheres Niveau gegenüber dem profanen "Diskriminierungsschutz" verliehen werden.

Als ob sich das Adjektiv "individuell" nicht problemlos auch mit dem Diskriminierungsschutz koppeln ließe. Um das zu verhindern wird nun eifrig in der Freiheitssauce gerührt.

Quelle: Antidiskriminierung zulasten der Freiheit? Ulrich Jan Schröder