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14.02.2025 - von Frank Walter Steinmeier
14.2.2025: "... Präsident Trump hat mit Präsident Putin und Präsident Selensky telefoniert, und ich bin sicher: Mögliche Wege zur Beendigung des Krieges werden auch hier in München im Zentrum vieler Diskussionen stehen.
Dass dieser Krieg zu Ende geht, wünschen sich alle. Wie dieser Krieg zu Ende geht, hat bleibenden Einfluss auf unsere Sicherheitsordnung und auf die Machtposition Europas und Amerikas in der Welt. Ich bin überzeugt: Ein bloßes "make a deal and leave" würde uns alle schwächen: die Ukraine und Europa – aber auch die USA. Deshalb erfordert jedes Szenario – sei es vor oder nach dem Ende von Kämpfen – unsere gemeinsame Abschreckungskraft und Stärke. Deshalb muss, in jedem Szenario, unsere Unterstützung der Ukraine weitergehen – die der Europäer und die der Amerikaner!
Ein dritter Punkt ist mir wichtig. Ich glaube, trotz aller Verwerfungen, an die internationale Gemeinschaft. Diplomacy is not a cage fight! Seit dem 20. Januar starren alle gebannt aufs Weiße Haus, und jeder fragt sich schon zu den Frühnachrichten: Was kommt als Nächstes, wer ist als Nächster dran?
All das füttert ja nicht nur die digitale Erregungsmaschine. Es hat reale Konsequenzen. Ich war vergangene Woche in Jordanien, just an dem Morgen, an dem Präsident Trump die Umsiedlung der Palästinenser aus Gaza in die Nachbarländer angekündigt hatte, und ich konnte auf den Straßen von Amman die blanke Angst um die Existenz ihres Landes spüren.
Ich will nicht jede Ankündigung, jeden öffentlich gewordenen Plan der letzten Tage im Einzelnen kommentieren oder bewerten. Im Gegenteil, ich wende mich an uns alle, die internationale Staatengemeinschaft, die in diesem Saal vertreten ist.
Ich frage uns: Wie wird diese Atemlosigkeit den Charakter internationaler Politik verändern? Wird die internationale Gemeinschaft als Ganze Schaden nehmen? Meine Antwort: Das liegt an uns! Wir sind Subjekte, nicht Objekte der internationalen Ordnung. Wir dürfen uns von der Flut der Ankündigungen nicht lähmen lassen. Wir dürfen nicht aus Angst erstarren, oder wie man im Englischen sagt: Let’s not be deer caught in the headlights!
Fest steht: Die neue amerikanische Administration hat ein sehr anderes Weltbild als wir. Eines, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf Partnerschaft und gewachsenes Vertrauen. Das können wir nicht ändern. Das müssen wir akzeptieren, und damit können wir umgehen. Aber ich bin überzeugt: Es ist nicht im Interesse der Staatengemeinschaft, dass dieses Weltbild das dominierende Paradigma wird. Regellosigkeit darf nicht zum Leitbild für eine Neuordnung der Welt werden.
Wir würden brechen mit der entscheidenden zivilisatorischen Errungenschaft, niedergeschrieben vor 80 Jahren in der Charta der Vereinten Nationen – die nicht möglich gewesen wäre ohne die vehemente Unterstützung der USA. Wenn wir das aufgeben, würden wir nur anderen – wie Russland und China – in die Hände spielen, allen, die schon seit Jahren Recht brechen und Regeln aushöhlen, weil sie genau diese Errungenschaft aus dem Weg räumen wollen. Das ist nicht neu, werden Sie sagen. Richtig. Aber es macht einen Unterschied, wenn die führende Demokratie und Weltmacht sagt: Es geht auch ohne Regeln.
Deswegen ist mein Appell: Bleiben wir bei dem, was uns hilft. Zusammenarbeit hilft uns. Partnerschaften und Bündnisse lohnen sich. Es gibt gemeinsame Interessen, es gibt Regeln und Institutionen, mit denen wir Konflikte lösen können. Das darf nicht nur im Rückblick gelten, sondern das bleibt auch in Zukunft wahr. Diese Wahrheit hat jedes Land, jeder von Ihnen hier im Saal erfahren. Und diese Wahrheit ist jetzt zur Aufgabe geworden: Es wird zentrale Aufgabe der kommenden Jahre sein, die Idee einer internationalen Gemeinschaft zu erhalten. We have to save the very idea of the international community!
Zuletzt möchte ich ein Thema ansprechen, das vom ersten Tage an im Zentrum meiner Präsidentschaft stand: die Zukunft der liberalen Demokratie. Und deshalb lautet mein vierter Punkt: Die Demokratie ist keine Spielwiese für Disruption!
"Disruption" ist ein Begriff, bei dem Tech-Unternehmer und politische Populisten sich derzeit gerne treffen: Werft das Alte auf den Müllhaufen der Geschichte! Ja, dieser Ruf hat viele Märkte und Geschäftsmodelle umgekrempelt und revolutioniert – aber: Die Demokratie ist kein Geschäftsmodell. Sie ist keine Spielwiese für Disruption.
Ich spreche davon mit einiger Dringlichkeit, weil geopolitische Gegner, allen voran Russland, im digitalen Kommunikationsraum schon längst ihren hybriden Krieg gegen liberale Demokratien führen. Weil China digitale Technologie zur autokratischen Machtentfaltung nutzt und ausbaut. Und als wäre das nicht schon besorgniserregend genug, bildet sich in den USA derzeit eine historisch beispiellose Konzentration von technologischer, finanzieller und politischer Macht heraus. Als Demokrat macht es mir größte Sorge, wenn eine kleine unternehmerische Elite die Macht, die Mittel und den Willen hat, einen wesentlichen Teil der Spielregeln liberaler Demokratien neu zu bestimmen. Und erst recht macht mir Sorge, wenn einige aus dieser Elite aus ihrer Verachtung für Institutionen und Normen unserer Demokratie keinen Hehl machen.
Was heute auf dem Spiel steht, ist die Selbstbehauptung unserer Demokratie! Und im globalen Gegenwind, in dem wir stehen, braucht die Selbstbehauptung der Demokratie ein starkes Europa. Dazu gehören massive Investitionen in unsere technologische Leistungsfähigkeit und unsere digitale Unabhängigkeit. Aus Brüssel und Paris kamen dazu in dieser Woche klare Botschaften, die ich voll unterstütze: Wir investieren in Europäische KI. Wir legen zu im digitalen Wettbewerb.
Wir haben die Talente, die Forschung, die Unternehmen, die Ingenieurskunst, den riesigen Markt – das Rennen ist noch nicht entschieden. Ich bin sicher, die Kommissionspräsidentin wird dazu gleich einiges mehr zu sagen haben. Und natürlich verlangen wir Europäer, dass sich Tech-Unternehmen, wie alle andern auch, an europäisches Recht halten – ob sie nun Tiktok, X oder anders heißen. Wir dürfen und werden nicht zulassen, dass Plattformen unsere demokratischen Gesellschaften zerstören oder unseren Kindern schweren Schaden zufügen.
Ein letztes Wort zu Europa. Ich habe viele Stürme in Europa erlebt, und ich habe jedes Mal erfahren: Europa hat ein breites Kreuz. Auf wie vielen Münchener Sicherheitskonferenzen wurde schon der Abstieg Europas beschworen, vermutlich auch von manchen auf dieser. Eingetreten ist er nie. Eine neue Umfrage des European Council on Foreign Relations zeigt erstaunliche Ergebnisse: Die Welt nimmt Europa als "global power" ernst – also tun wir es doch bitte auch selbst! Und verhalten wir uns danach: Machen wir uns nicht kleiner, als wir sind; gehen wir den Weg der Selbststärkung, den wir in diesem rauen geopolitischen Umfeld brauchen! Ich bin sicher: Wir haben das im Kreuz!
Let me try to summarize my core messages as briefly as I can. To our European colleagues: Let’s toughen up! To our American allies: We have different world views – but many good reasons to work together. And to our international guests: The world is changing, but Europe remains Europe. We are open for business. We are open for partnership.
Thank you so much for listening. I wish you all a productive Munich Security Conference."
Ganze Rede, deutsch, unter: Link
Ganze Rede, englisch, unter: Link
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