29.10.2025
Oasen in der Sahara müssen nach nunmehr Jahrtausenden wegen Wassermangels aufgegeben werden, Inseln Ozeaniens werden wegen des steigenden Meeresspiegels verlassen, Gletscher und Seen schwinden vielerorts. Die Klimawissenschaft berichtet fast täglich von Wärmerekorden, regionale bewaffnete Auseinandersetzungen um Grund- und Flusswasser werden befürchtet. Wassermotive aus Mythos, Religion und Märchen wirken gleichzeitig fort. Das «Element des Lebens» ist in historisch-ikonografischer und «rein» ästhetischer Hinsicht als Thema und Motiv in der Kunst nie ausgeschöpft. Die Schau zum 30. Internationalen Atelierprogramm des ACC und der Stadt Weimar zeigt, was zu H2O künstlerisch zu sagen ist.
Rodrigo Arteagas Werke verbinden Kunst, Wissenschaft und Musik, untersuchen die Organismen, die in den Gewässern Weimars leben, und erforschen ihre unerwarteten Verbindungen zu Musik und Kunst. Arteaga arbeitet mit Cyanobakterien und Protisten, Mikroorganismen, die für das Leben unverzichtbar sind, aber oft übersehen werden. Dieser Prozess bringt mikrobielle Intelligenz in einen Dialog mit menschlicher Kreativität und hinterfragt, wo Komposition endet und Zersetzung beginnt. Die Ausstellung kombiniert ein selbstspielendes Klavier, das die treibenden Muster der Blätter, die in der Ilm fließen, in Musik übersetzt (Piano Stream), Videos von Mikroskopaufnahmen, die das verborgene Leben des Wassers und die Artenvielfalt in den Gewässern Weimars durch musikalische Erkundungen offenbaren (Water Music), mit Schleimpilzkulturen (Physarum Polycephalum) bewachsene, bearbeitete Partituren von Franz Liszt (Liebestraum Nr. 3 in As-Dur) und die Kultivierung von Arthrospira platensis, die im Ausstellungsraum wächst (Cyanobakterienkultur). Die Ausstellung hebt Parallelen zwischen menschlicher und mikrobieller Kultur hervor und lädt zum Nachdenken darüber ein, wie nicht-menschliche Organismen Vorstellungen von Urheberschaft, Intelligenz und Kreativität neugestalten können.
Der Beitrag von Agata Szymanek ist eine Fortsetzung ihres Potentiality Workshops vom Februar 2024, bei dem das Konzept der Potenzialität durch kreative Übungen und Gespräche während eines Spaziergangs entlang der Ilm untersucht wurde. Der Fluss, der sich anmutig in die von Goethe gestaltete romantische Weimarer Parklandschaft einfügt, lädt uns ein, uns mit ihm auseinanderzusetzen. Entlang seines Verlaufs durch den Ilmpark begegnen wir Denkmälern, die Adam Mickiewicz (1956), Louis Fürnberg (1961), Sándor Pet?fi (1976) und Alexander Puschkin (1949) gewidmet sind. Es heißt, die Büsten seien errichtet worden, um die Freundschaft zwischen den Ländern des Ostblocks zu feiern. Mit dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde das Projekt jedoch aufgegeben. Dieser unvollendete Zustand ist eine potenzielle Chance für neue Wege, das Projekt fortzusetzen. Die Ausstellung versucht, die passendsten zeitgenössischen Formen für zukünftige Denkmäler zu entwerfen und fragt, welche anderen Länder, Personen oder sogar nicht-menschlichen Wesen es verdienen, im Park gewürdigt zu werden. Gleichzeitig reflektiert das Projekt, inspiriert von diesen Büsten einflussreicher Schriftsteller, über das Zusammenfließen von Wasser, Poesie und Potenzialität und fragt, ob Grenzen oder Beschränkungen das Potenzial prägen und ob Wasser uns etwas über Grenzen, Grenzenlosigkeit und Transformation lehren kann.
Im Projekt iNature — Water untersucht Marte Kiessling die Spuren, die menschliches Handeln an unserer elementarsten Ressource hinterlässt. Wasser erscheint zugleich als Lebensquelle, kulturelles Bild und verletzbares Ökosystem. Teile der Ilm in Weimar wurden zu Schauplätzen absurder Videoarbeiten, die ebenso auf eine Serie von Drucken und Zeichnungen verweisen wie auf KI-generierte Animationen, die daraus hervorgehen. Sie entwerfen einen künstlichen Erlebnisraum, in dem sich die Vorstellung von
Wasser als Ursprung allen Lebens mit der Erfahrung seiner fortschreitenden Zerstörung überlagert. So wird erfahrbar, wie brüchig unsere Wahrnehmung von „Natur“ geworden ist und wie sehr sie bereits von Projektionen, künstlichen Bildern und Verlust geprägt wird. Es stellt sich die Frage nach der „Echtheit“ unserer Umgebung: Was gilt noch als ursprünglich, wenn kaum unberührte Landschaften existieren? Und was bleibt, wenn wir den Raubbau an den Grundlagen unserer Existenz fortsetzen? Zuvor hatte Kiessling im brasilianischen Regenwald eine prägende Erfahrung gemacht, die zur Arbeit Paradise Lost — The edition of wishes führte. Aus Gesprächen über individuelle Vorstellungen vom Paradies und deren Verknüpfung mit Aufnahmen des Regenwaldes — von weiten Panoramen bis zu minutiösen Nahaufnahmen — entstand ein vielschichtiges Bild von Natur als Sehnsuchtsort und Realität zugleich. Eine ähnliche Spannung prägt Growth — Flowers: Blüten, die sich rhythmisch öffnen und schließen, entfalten zunächst eine hypnotische Schönheit, offenbaren jedoch bei näherem Hinsehen ihren Ursprung in Plastikresten und Verpackungen. So changieren Kiesslings Arbeiten zwischen Verlockung und Bedrohung, zwischen
Natürlichkeit und Künstlichkeit, zwischen Endlichkeit und vermeintlicher Dauerhaftigkeit.
Selma Khadija Kahoul befasste sich im Performanceprojekt queer waters: I am mit Schnittstellen zwischen kollektiver Wissensproduktion und ästhetischer Forschung zu flüssigen Biomaterialien. „Wasser“ wird als eine Praxis der Queerness verhandelt — mit Blick auf die Fähigkeit, neue Lebensweisen zu inspirieren und zu erschaffen. Diese Auseinandersetzung setzt Kahoul in der Ausstellung H2O fort. Im Zentrum steht eine raumgreifende Installation: eine kreisrunde, aquarellartige Stoffhülle, die von der Decke hängt und einen durchscheinenden Innenraum bildet. In dieser „aquarellen Raumhülle“ entfaltet sich über Bluetoothkopfhörer eine meditative Soundarbeit, in der Meeresrauschen, Stimme und Körpererfahrung ineinandergreifen. Das Meer erscheint als Resonanzraum für Intimität, Transformation und Queerness. Zudem zeigt Kahoul Skulpturen aus blauen Blütenblättern, Bioplastik, Stoff, Wachs und Wasserschläuchen. Sie wirken wie Relikte einer Zukunft, in der Natürliches und Künstliches ineinanderfließen — fragile Miniaturen, die Spuren von Strömung, Verdunstung und Berührung tragen. So verbindet Kahoul poetischsinnliche Formen mit einer animistischen Weltanschauung. Ihre Arbeiten laden ein, Wasser nicht nur zu betrachten, sondern als Erfahrung von Zugehörigkeit, Körperlichkeit und Verwandlung zu durchdringen.
H2O — 30. Internationales Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar
mit Rodrigo Arteaga (CL), Selma Khadija Kahoul (CH), Marte Kiessling (DE), Agata Szymanek (PL)
Eröffnung: Eröffnung mit einem Grußwort des Weimarer Oberbürgermeisters Peter Kleine
So., 28.09.2025, 15:00
Eintritt: frei!
Link
Läuft bis So., 28.12.2025 ACC-Galerie Weimar
Öffnungszeiten: So–Do 12–18 Uhr, Fr–Sa 12–20 Uhr
Führungen: nach Vereinbarung
ACC Galerie Weimar
Burgplatz 1 + 2
D-99423 Weimar
Telefon Galerie: +49 3643 851261
Telefon Kulturbüro: +49 151 54891500
info @acc-weimar.de
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