Diskriminierung melden
Suchen:

Alter + Sport am Beispiel Berlin

11.11.2006 - von Hanne Schweitzer

„Soziale Offensive Sport“, heißt das Motto des Olympischen Sportbunds. Wer aber jahrelang als zu alt gebrandmarkt wurde, wem man Fair Play und Chancengleichheit verwehrt hat, - warum soll sich der, wenn er tatsächlich alt wird, sportlich betätigen oder ehrenamtlich bewegen? Und wo soll er das Geld für den Sportverein oder für die Sportkleidung hernehmen? Immerhin fordern bereits die alten Grünen aus Berlin, die wohl eher nicht zum neuen Prekariat gehören, kostengünstige und gut erreichbare Sportangebote in allen Stadtteilen.

Aber reichen die Ressourcen der Vereine, reicht der Sachverstand von ÜbungsleiterInnen, Vorständen und Abteilungsleitern, reicht die Kraft von Sportwarten und Ehrenamtlern, um die zunehmende Zahl älterer Menschen aus allen Schichten für bewegte Interaktionen und Netzwerke zu gewinnen? Und das trotz ständiger Reduzierung der kommunalen Förderung, trotz des maroden Zustands vieler Sporthallen, wo der Putz bröselt, die Dächer undicht und die Duschen gesperrt sind? In den Bezirken sieht es bekanntlich anders aus als in den noblen Tempeln des hauptstädtischen Sports!

*
Wie Sie wissen, gehört die Sportförderung zu den freiwilligen Leistungen der Kommunen. In Berlin hat der Sport Verfassungsrang. Auch in der Brandenburger Verfassung steht, dass die besonderen Bedürfnisse von Senioren im Sport berücksichtigt werden sollen. Eine ausreichende Versorgung mit Sportflächen kann man daraus aber nicht ableiten.
Die Berliner Sportanlagenstatistik belegt eine deutliche Unterversorgung, und eine zunehmend ungleiche Versorgung in den Bezirken. Das gilt für die gedeckten und ungedeckten Kernsportanlagen ebenso, wie für die Hallenbäder.

Die Schwimmgemeinschaft Steglitz hat bereits ein Viertel ihrer Mitglieder verloren weil das Vereinsbad in der Finckensteinallee wegen Baufälligkeit geschlossen werden musste. In Steglitz Zehlendorf gibt es für Dutzende Vereine nur noch eine einzige Schwimmhalle.

Im Bezirk Lichtenberg erreicht die bedarfsgerechte Versorgung mit Hallenbädern nur 73 Prozent des Richtwerts. Trotzdem wird der TuS Hohenschönhausen von den Bäder-Betrieben für die Nutzung der Schwimmhalle in der Zingster Straße plötzlich zur Kasse gebeten.

*
Dazu muss man folgendes wissen:
Die Förderung des Sports durch die öffentliche Hand ist in Berlin durch das Sportförderungsgesetz festgeschrieben. In den Ausführungsvorschriften des Sportförderungsgesetzes ist aber festgelegt, dass die Nutzung von Schwimmbädern, die von den Bäder-Betrieben verwaltet werden, im Bäder-Betriebe Gesetz geregelt wird.
Zu den Aufgaben der Bäder-Betriebe gehört die „Sicherstellung der unentgeltlichen Nutzung von Schwimmbädern durch förderungswürdige Sportorganisationen“.
Die Sportarten, die von den Vereinen im Schwimmbad unentgeltlich betrieben werden dürfen, stehen nun aber nicht im Bäder-Betriebe-Gesetz - das wäre zu einfach, sondern sie stehen in der Nutzungssatzung der Anstalt.
Und damit sind wir, bevor es konkret wird, immerhin auf der 5. Verwaltungsebene angekommen.
§ 2 der Nutzungssatzung legt fest, welche Schwimm- und Wassersportarten seit dem 1. Oktober 2006 von den Sportvereinen unentgeltlich betrieben werden dürfen. Es handelt sich dabei um: Schwimmen, Wasserrettung, Wasserspringen, Wasserball, Moderner Fünfkampf, Triathlon, Kunst- und Synchronschwimmen, Unterwasserrugby, Flossenschwimmen, Streckentauchen und Tauchen.

*
Damit bin ich wieder bei meinem Beispiel von der Schwimmhalle in der Zingster Straße angekommen.

Sie ahnen wahrscheinlich, was jetzt kommt.
Der TuS Hohenschönhausen muss für die Nutzung zahlen, weil er seinen älteren Mitgliedern anbietet, was in der Nutzungssatzung nicht explizit aufgeführt ist: Wassergymnastik und Aqua-Fitness.

Dem Verein entstehen dadurch Mehrkosten von 900 Euro, die im Jahresetat 2006 nicht vorgesehen sind, und die Vereinsmitglieder müssen deshalb plötzlich 20 Euro zusätzlich zum Vereinsbeitrag bezahlen. Und wenn sich nichts an dieser neuen Regel ändert, dann wird sich dieser Zusatzbeitrag im nächsten Jahr auf 80 € pro Person erhöhen.

Nun gelten Sportvereine, zumindest bei den Übertreibungsvirtuosen - als wichtige Partner der Kommunen bei der Gestaltung des sportlichen Lebens. Aber was ist das für eine Partnerschaft, wenn der eine dem anderen eine neue Nutzungsatzung zwei Tage vor ihrem Inkraftreten zuschickt? Und was ist das für eine Partnerschaft, wenn die Bäder-Betriebe zunehmend dreister von ihrer Machtposition Gebrauch machen und auf Konfrontationskurs zu den Schwimmvereinen gehen, und mittlerweile flächendeckend gewinnorientierte Aqua-Kurse anbiete? Allein in der Schwimmhalle Zingster Straße werden acht Kurse angeboten. Ein Aqua-Fitness-Kurs kostet 30 € pro Person plus Eintrittsgebühr!

*
„Können Sie Ihre Liebe zum Sport mit einer Passion für die Kommune verbinden?“ So lautete eine Frage im englischen Stellenangebot, das ich eingangs erwähnt habe. Sportentwicklungsmanager englischer Art gibt es aber bei uns nicht. Die Vereine und Verbände müssen also alleine lernen, sich bei den Auseinandersetzungen um die staatlichen Fördermittel und Vorgaben nicht an der Nase herumführen zu lassen.
Das eilt, denn es droht neues Ungemach. Die Bäder-Betriebe sollen mal wieder umstrukturiert werden – dafür ist merkwürdigerweise immer noch Geld da.

Für 2007 plant der Berliner Senat die Gründung einer Infrastruktur-Gesellschaft . Dieser sollen die Bäder samt Standort übertragen werden, damit sie besser verwaltet und – Achtung -damit die Immobilien besser verwertet werden können.

Dass BürgerInnen wichtiger sind als Zahlen, muss Politik dringend wieder lernen. Aber nicht nur sie. Im Berliner und im Brandenburger Sportbund sind mehr als 100.000 über 60Jährige Menschen organisiert. Wenn sich nur ein Bruchteil von ihnen auch in dieser Hinsicht mehr bewegen würde, wäre viel gewonnen.
cc. Hanne SChweitzer

Auszug eines Referats von Hanne Schweitzer gehalten am 4.11.06 beim 2. Symposium Mehr Bewegung für mehr Ältere im Audimax der Universität Potsdam, veranstaltet vom Berliner und Brandenburger Sportbund.

Link: http://LandessportbundBerlin.de
Quelle: Hanne Schweitzer

Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Gesundheit:
08.11.2006: Geschichten über das Gesundheitssystem gesucht
31.10.2006: Politiker! RentnerInnen zahlen für Krankenkasse
13.10.2006: Gesundheitsreform belastet RentnerInnen

Alle Artikel zum Thema Gesundheit