
Foto: H.S.
15.11.2025 - von Claudia Mahler
Neunundsiebzigste Tagung der Vereinten Nationen
Punkt 71 b) der vorläufigen Tagesordnung*
Förderung und Schutz der Menschenrechte:
Menschenrechtsfragen, einschließlich anderer Ansätze zur besseren Gewährleistung der effektiven Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Künftige Generationen älterer Menschen
Mitteilung des Generalsekretärs
Der Generalsekretär beehrt sich, der Generalversammlung den gemäß Resolution 51/4 des Menschenrechtsrats vorgelegten Bericht der Unabhängigen Expertin für den Genuss aller Menschenrechte durch ältere Menschen, Claudia Mahler, zu übermitteln.
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* A/79/150.
Vereinte Nationen A /79/167
Generalversammlung Verteilung: Allgemein
17. Juli 2024
Deutsch
Original: Englisch
A/79/167
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Bericht der Unabhängigen Expertin für den Genuss aller Menschenrechte durch ältere Menschen, Claudia Mahler
Zusammenfassung
Im vorliegenden Bericht legt die Unabhängige Expertin für den Genuss aller Men-
schenrechte durch ältere Menschen, Claudia Mahler, im Vorfeld des Zukunftsgipfels die
Herausforderungen dar, mit denen die aktuellen und künftigen Generationen älterer Men-
schen im Bereich der Menschenrechte konfrontiert sind, und gibt den Interessenträgern
Empfehlungen zur Schaffung einer altersgerechten Gesellschaft für die kommenden Generationen.
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I. Einleitung
1. Die künftige Weltbevölkerung wird voraussichtlich älter und heterogener sein als je
zuvor. Wie der Generalsekretär berichtete, wird sich die absolute Zahl der älteren Menschen
bis 2050 voraussichtlich mehr als verdoppeln, während der Gesamtanteil der Personen im
Alter von 65 Jahren oder älter zwischen 2021 und 2050 von 10 Prozent auf 17 Prozent an-
steigen wird. Auch die Lebensdauer nimmt seit Jahrzehnten in fast allen Ländern stetig zu
(A/78/134, Ziff. 46). Diese Erfolgsgeschichte ist ein beispielloser Wandel, der veränderte
Herangehensweisen in den Bereichen Entwicklung, Recht und Politik erfordert, die sich die
Vielfalt älterer Menschen und ihr Potenzial, Beiträge zu leisten, zunutze machen und sicherstellen, dass sie in den Genuss des vollen Spektrums der Menschenrechte kommen können.
Die dringende Notwendigkeit struktureller politischer Veränderungen zur Unterstützung der
alternden Weltbevölkerung wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem
Weltbericht über Altern und Gesundheit und in den Zielen der Dekade der Vereinten Natio-
nen für gesundes Altern (2021-2030) anerkannt. Dies spiegelt sich auch in der kürzlich ein-
gerichteten Interinstitutionellen Gruppe zum Thema Altern wider, die den Auftrag hat, für
die Rechte und die Würde älterer Menschen einzutreten.
2. Trotz der positiven ersten Schritte, die zu diesem Thema unternommen wurden, wer-
den ältere Menschen in den Rahmen der internationalen Gemeinschaft für die Zukunft nicht
ausreichend berücksichtigt. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zielt darauf ab,
die Menschenrechte aller zu verwirklichen und niemanden zurückzulassen, nimmt jedoch
nur an wenigen Stellen auf ältere Menschen Bezug und schließt sie an manchen sogar aus-
drücklich aus. Die Zielvorgabe 3.4 zu nichtübertragbaren Krankheiten zielt auf die Senkung
der vorzeitigen Sterblichkeit ab, schließt jedoch Menschen ab 70 Jahren aus, obwohl über
50 Prozent der durch diese Krankheiten verursachten Todesfälle pro Jahr auf sie entfallen.1
Darüber hinaus haben viele Mitgliedstaaten ältere Menschen, deren Bedürfnisse und Poten-
zial in ihren Anstrengungen zur Erreichung vieler der Ziele für nachhaltige Entwicklung bisher nicht berücksichtigt, selbst bei Zielen, in denen ältere Menschen ausdrücklich erwähnt werden (siehe A/78/134). Viele der Mitgliedstaaten und der wichtigsten Interessenträger, die die Indikatoren für die Ziele für nachhaltige Entwicklung erarbeitet haben und für deren Umsetzung verantwortlich zeichnen, haben die in den Nachhaltigkeitszielen verankerte Verpflichtung, niemanden zurückzulassen, in Bezug auf ältere Menschen de facto nicht erfüllt.
Dabei verpassen sie eine immense Chance und lassen das Potenzial und die positiven Bei-
träge der weltweit am schnellsten wachsenden Altersgruppe brachliegen.
3. In Unserer gemeinsamen Agenda, der Vision des Generalsekretärs für die Zukunft der
globalen Zusammenarbeit, skizziert er mögliche Lösungen für die Behebung der Lücken und
Risiken, die in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung nicht angemessen vorhergese-
hen oder behandelt wurden, einschließlich Klimawandel, Ungleichheiten und globaler Ge-
sundheitsrisiken (A/75/982, S. 9). Hierbei handelt es sich allesamt um Herausforderungen,
die sich unverhältnismäßig stark auf ältere Menschen auswirken. Auf dem Zukunftsgipfel
2024 soll untersucht werden, wie wir den Bedürfnissen der Gegenwart besser entsprechen
können, während wir uns für die Herausforderungen der Zukunft rüsten. Dabei soll ein neuer
globaler Konsens darüber erzielt werden, wie wir uns durch einen Zukunftspakt, der als
Richtschnur für die Bemühungen um die Bewältigung dieser Herausforderungen dienen soll
(siehe Resolution 76/307 der Generalversammlung), auf eine Zukunft voller Risiken und
Chancen vorbereiten können. Der Pakt wird eine auf zwischenstaatlicher Ebene im Konsens
vereinbarte Erklärung über künftige Generationen enthalten, das heißt über alle Generatio-
nen, die noch nicht existieren und diesen Planeten erben werden, einschließlich Menschen
aller Altersgruppen, von Kindern und jungen Menschen bis hin zu älteren Menschen, in der
auch anerkannt wird, dass die Bedürfnisse und Rechte der Menschen in ihren verschiedenen
Lebensphasen berücksichtigt werden müssen.
4. Bedauerlicherweise werden ältere Menschen im gesamten Text „Unsere gemeinsame
Agenda“ nur vier Mal erwähnt. Auch im Zukunftspakt werden ältere Menschen kaum genannt. Im derzeitigen Entwurf der Erklärung über künftige Generationen werden ältere Menschen nur einmal erwähnt, und zwar in der Definition. In diesen Dokumenten lässt sich kein
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1 WHO, „Noncommunicable diseases“, Key facts, 16. September 2023 und Resolution 70/1 der
Generalversammlung (siehe Zielvorgabe 3.4: „Bis 2030 die vorzeitige Sterblichkeit aufgrund von nichtübertragbaren Krankheiten durch Prävention und Behandlung um ein Drittel senken und die psychische Gesundheit und das Wohlergehen fördern“).
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Ansatz erkennen, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und den Lebensverlauf berück-
sichtigt. Vielmehr lassen sie einen großen Teil der heutigen Bevölkerung außer Acht. Sie
enthalten jedoch mehr Hinweise auf die Solidarität zwischen den Generationen, die ein An-
satzpunkt für die Sichtbarkeit älterer Menschen bei der Gestaltung der Zukunft sein können.
Die Menschenrechte älterer Menschen sind in hohem Maße von den Tendenzen und Risiken
betroffen, die im Rahmen der zukunftsorientierten Prozesse der Vereinten Nationen ermittelt
wurden und die der Menschenrechtsrat für das potenzielle menschenrechtliche Umfeld älterer Menschen als entscheidend erachtet hat.2 Es ist längst an der Zeit, dass die internationale
Gemeinschaft dafür sorgt, dass ihre Rahmenwerke für die Zukunft den Anforderungen der
alternden Weltbevölkerung gerecht werden. Der vorliegende Bericht befasst sich mit den zu
erwartenden künftigen Veränderungen und mit der Frage, wie die Mitgliedstaaten und die
Vereinten Nationen darauf reagieren sollen, um die Menschenrechte der heutigen und künftigen älteren Menschen zu schützen und zu stärken.
II. Herausforderungen für die Menschenrechte künftiger Generationen älterer Menschen
A. Einschränkungen des derzeitigen normativen Rahmens
5. Die spezifischen Herausforderungen, mit denen ältere Menschen im Hinblick auf ihre
Menschenrechte konfrontiert sind, in zukunftsweisenden Prozessen zu berücksichtigen, ist
umso dringlicher, da es kein internationales rechtsverbindliches Instrument gibt, in dem die Menschenrechte älterer Menschen dargelegt sind. Diese Lücke schafft ein grundlegendes
Defizit in Bezug auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung, Schutz vor Gewalt, Autonomie,
Pflege, Gesundheit, sozialen Schutz, wirtschaftliche Sicherheit und Teilhabe am öffentlichen Leben. Das Fehlen eines internationalen rechtsverbindlichen Instruments hat auch zur Folge, dass die Rechtsverletzungen, die ältere Menschen erfahren, nicht wahrgenommen werden und es der Öffentlichkeit, darunter auch Pflichtenträgerinnen und -trägern, am Bewusstsein für die Rechte älterer Menschen fehlt. Nur zwei Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen enthalten einen Hinweis auf die Altersdiskriminierung, nämlich die Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die bestehenden Vertragsorgane und Sonderverfahren haben keine kohärenten Anerkennungs- und Abhilfemechanismen für die Menschenrechte älterer Menschen eingerichtet und können dies auch nicht.3 Das Fehlen eines Menschenrechtsvertrags für ältere Menschen führt dazu, dass in der sozialen Fürsorge weiterhin Ansätze verfolgt werden, die Abhängigkeit fördern, indem sie ältere Menschen als passive Hilfeempfängerinnen und Empfänger statt als mündige Rechteinhaberinnen und -inhaber behandeln.
6. Die Mitgliedstaaten erkannten an, dass die Herausforderungen, die auf das fehlende
internationale Rechtsinstrument zum Schutz der Rechte älterer Menschen zurückzuführen
sind, weiter bestehen. Während der vierten Überprüfung und Bewertung des Internationalen
Aktionsplans von Madrid über das Altern brachten Mitgliedstaaten aus allen Regionen ihre
Unterstützung für die Ausarbeitung einer internationalen rechtsverbindlichen Übereinkunft
zu den Menschenrechten älterer Menschen zum Ausdruck und stellten fest, dass dieses In-
strument den Aktionsplan über das Altern ergänzen und verstärken würde und der Schlüssel
zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der Würde älterer Menschen wäre. Die Offene
Arbeitsgruppe über das Altern untersuchte über zehn Jahre die Anwendung verschiedener
Menschenrechte auf ältere Menschen und die damit verbundenen Lücken in den internatio-
nalen Menschenrechtsnormen. 2024 fasste sie einen historischen Beschluss, in dem sie mög-
liche Lücken beim Schutz der Menschenrechte älterer Menschen aufzeigte und Empfehlun-
gen dafür abgab, wie diese am besten zu beheben sind, einschließlich der Empfehlung, die
Verabschiedung einer internationalen rechtsverbindlichen Übereinkunft zur Sicherung der
Menschenrechte älterer Menschen zu erwägen (A/AC.278/2024/2, Beschluss 14/1). Die
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2 Siehe Resolution 51/4 des Menschenrechtsrats.
3 Siehe Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR), „Update to
the 2012 analytical outcome study on the normative standards in international human rights law in
relation to older persons“, Arbeitspapier des OHCHR, 22. März 2021.
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Zukunft der Arbeitsgruppe und die nächsten Schritte zur Umsetzung ihrer Empfehlungen
liegen nun bei der Generalversammlung.
B. Struktureller Ageism
7. Dem internationalen Menschenrechtssystem ist es nicht gelungen, Ageism ausdrücklich und verbindlich zu verbieten oder einen effektiven Rechtsschutz dagegen zu schaffen.4
Auch im Global Report on Ageism (Weltbericht über Altersdiskriminierung) der WHO hieß
es, dass fast jeder zweite Mensch weltweit altersfeindliche Anschauungen vertritt.5 Zuvor
wies auch die Unabhängige Expertin auf die zerstörerischen Auswirkungen von Ageism auf
die Ausarbeitung von Gesetzen und politischen Maßnahmen, die ältere Menschen betreffen,
hin (siehe A/HRC/48/53). Ageism kann zu öffentlichen Maßnahmen führen, denen ein pa-
ternalistisches Bild älterer Menschen zugrunde liegt, die allesamt von kognitiven Behinde-
rungen, Mobilitätseinschränkungen und anderen Beeinträchtigungen betroffen sind, die ihre
Fähigkeiten einschränken und Schutz erfordern. Ohne die notwendigen Anstrengungen zur
wirksamen Bekämpfung von Ageism in der Politikgestaltung laufen künftige Generationen
älterer Menschen Gefahr, einer Politik ausgesetzt zu sein, die ihre Handlungsfähigkeit, ihreProduktivität und ihre Fähigkeit, positive Beiträge zur Gesellschaft zu leisten, nicht an erkennt. Ältere Menschen sind keineswegs eine homogene, sondern eine der heterogensten
demografischen Gruppen.
8. Die Erhebung von nach Alter und anderen relevanten Merkmalen aufgeschlüsselten
Daten über ältere Menschen ermöglicht einen ersten Vergleich älterer Menschen mit anderen
Bevölkerungsgruppen sowie eine erste Bewertung und ist Teil der Menschenrechtsverpflich-
tungen der Staaten.6 Struktureller Ageism zeigt sich allerdings auch in den fehlenden systematischen Anstrengungen zur Erhebung von nach Alter, Geschlecht und anderen relevanten
Merkmalen aufgeschlüsselten Daten zu älteren Menschen. Infolgedessen werden Gesetze,
politische Maßnahmen und Verfahrensweisen erarbeitet, die die Situation älterer Menschen
nicht wirksam angehen (siehe A/HRC/45/14). Eine besondere Lücke in dieser Hinsicht ist
der Mangel an nach Altersgruppen aufgeschlüsselten Daten zu älteren Menschen, die einen
besseren Einblick in die Situation älterer Menschen in unterschiedlichen Altersabschnitten
gewähren, was angesichts der weltweit zunehmenden Zahl älterer Menschen immer wichti-
ger wird.
9. In der Praxis kann und sollte eine wirksame Bekämpfung von Ageism und Altersdis-
kriminierung unterschiedliche Formen annehmen. In Nigeria führte die Regierung eine in-
teraktive audiovisuelle Kampagne zur Bekämpfung von Ageism durch. Hierfür wurden unter
anderem bewusstseinsbildende Werbespots zur Information der Öffentlichkeit erstellt, die
zur Hauptsendezeit im nationalen Fernsehen ausgestrahlt wurden und den positiven Beitrag
älterer Menschen in der Gesellschaft hervorhoben (A/HRC/54/26/Add.1, Ziff. 26). In diesen
Ankündigungen wurde auch eine gebührenfreie Telefonnummer genannt, unter der Unter-
stützung bereitgestellt wird.
C. Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben, auch an der Zukunftsplanung
10. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das Recht aller auf Teilnahme
am Leben der Gemeinschaft verankert. Im Internationalen Pakt über bürgerliche und politi-
sche Rechte ist das Recht festgelegt, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten
teilzunehmen.7 Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen nannte äl-
tere Menschen explizit als Gruppe, die in der Politikgestaltung eng konsultiert und aktiv einbezogen werden soll. Nichtsdestotrotz werden ältere Menschen regelmäßig von öffentlichen
Planungsprozessen ausgeschlossen, auch von Prozessen, die die Zukunftsplanung betreffen.
Ageism und Altersdiskriminierung, soziale Isolation, geringe digitale Kompetenz, Armut
und intersektionelle Formen von Diskriminierung, von denen ältere Frauen, Menschen mit
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4 Ebd., Ziff. 47.
5 WHO, Global Report on Ageism (Genf, 2021), S. xvi.
6 OHCHR, „A human rights-based approach to data: leaving no one behind in the 2030 Agenda for
Sustainable Development“, 2018, S. 7.
7 Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Allgemeine Bemerkung Nr. 7 (2018),
Ziff. 50.
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Behinderungen und andere Gruppen betroffen sind, behindern die wirksame Teilhabe vieler
älterer Menschen an Debatten über öffentliche politische Maßnahmen. Die ehemalige Hohe
Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, bemerkte, wie ironisch es sei, dass ältere Menschen aus just den Gesellschaften und Institutionen ausgeschlossen würden, die sie aufgebaut hätten.8
11. Ältere Menschen müssen das Recht haben, an der Zukunftsplanung teilzuhaben.
Keine andere Altersgruppe verfügt über ihre Lebenserfahrung, kann ihre Lebenswirklichkeit
zur Gänze nachvollziehen oder Empfehlungen dazu abgeben, welche Maßnahmen am sinn-
vollsten und notwendigsten sind, um ein Altern in Würde für einen wachsenden Bevölke-
rungsanteil älterer Menschen zu fördern. Darüber hinaus verfügen ältere Menschen häufig
über Fähigkeiten und Kenntnisse, die zur Bewältigung künftiger Herausforderungen, ein-
schließlich des Klimawandels, beitragen können. Sie haben eventuell bereits frühere Kata-
strophen erlebt oder besitzen traditionelle Fähigkeiten und Kenntnisse, die einer nachhaltigeren Lebensweise in einem sich verändernden Klima zuträglich sein können (A/78/226,
Ziff. 62). Ältere Menschen haben zudem in vielen Gesellschaften und Gemeinschaften eine
Führungsrolle inne und genießen Respekt und eignen sich daher als Trägerinnen und Träger
des Wandels für die Anpassung an künftige Herausforderungen. Eine konstruktive Partizipa-
tion älterer Menschen in ihrer gesamten Vielfalt würde es den Regierungen ermöglichen, ihre
Politik im Sinne einer zunehmend alternden Gesellschaft wirksamer und zweckmäßiger zu
gestalten.
12. Seniorenräte sind ein Beispiel für Plattformen, die von Kommunen geschaffen werden
können, um älteren Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen zum Ausdruck zu
bringen und Einfluss auf lokale Entscheidungsfindungsprozesse zu nehmen. Solche Räte
können eine aktive Bürgerbeteiligung bei Seniorinnen und Senioren fördern, altersbezogene
Themen in regionale Pläne einbeziehen, Informationskampagnen durchführen, Datenbanken
mit Unterstützungsorganisationen erstellen und die Beziehungen zwischen den Generationen
durch Freiwilligenarbeit fördern.9 In der Dominikanischen Republik wurde ein Seniorenrat
eingerichtet, dem neben Vertreterinnen und Vertretern von Staatssekretariaten, nichtstaat-
lichen Organisationen und der katholischen Kirche auch ältere Menschen angehören und der
die Partizipation älterer Menschen an der Politikgestaltung sicherstellt (A/HRC/54/26/Add.3,Ziff. 12). Analog dazu bezieht der Saami-Rat in Finnland die Perspektiven älterer Menschen in seine Arbeit zur Bewahrung des kulturellen Erbes, zum Engagement in der Gemeinschaft und zur inklusiven Vertretung im Entscheidungsfindungsprozess mit ein (A/HRC/51/27/Add.1,Ziff. 23).10 Eine vielversprechende Initiative innerhalb des Systems der Vereinten Nationen ist der „Intergenerational Hub“, der Raum für Diskussionen über die Inklusion der verschiedenen Generationen und die generationenübergreifende Zusammenarbeit im Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft bietet.11
D. Prävention und Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung
13. Mit der demografischen Verschiebung hin zu einer älteren Bevölkerung und somit
mit weniger Menschen in der jüngeren Generation, wächst der Druck auf die traditionellen
Familiensysteme, was zu Gewalt gegen ältere Menschen sowie zu deren Missbrauch und
Vernachlässigung führen kann. Wenn sich staatliche Stellen auf allen Ebenen nicht darum
bemühen, angemessene Alternativen zu familiären Pflege- und Unterstützungssystemen zu
schaffen oder für Familien, die die Pflege ihrer älteren Familienangehörigen übernehmen,
zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, kann die erhöhte wirtschaftliche Belastung
von Gemeinschaften und Familien negative Stereotypen über ältere Generationen verstärken,
die Gewalt gegen die Mitglieder dieser Generationen sowie deren Missbrauch und Vernach-
lässigung zur Folge haben.12 In manchen Fällen machen jüngere Generationen ältere Men-
schen womöglich für Herausforderungen wie den Klimawandel verantwortlich, die durch die
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8 OHCHR, „UN Human Rights Chief calls for better protection on the rights of older persons“,
15. Februar 2011.
9 Siehe das Beispiel aus Polen, in Economic Commission for Europe, „Meaningful participation of
older persons and civil society in policymaking“, August 2021, S. 12.
10 Siehe auch Link.
11 Siehe Link.
12 Die Unabhängige Expertin hat ausführlich über die Rechte älterer Menschen auf Freiheit von Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung geschrieben. Siehe beispielsweise A/HRC/54/26.
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Politik der Vergangenheit entstanden sind oder sich dadurch verschlimmert haben und so
Feindseligkeit gegenüber älteren Generationen schüren. Im Zuge des digitalen Wandels kön-
nen ältere Menschen auch neuen Formen von Gewalt ausgesetzt sein, wie etwa Hetze, Betrug
und Belästigung im Internet, die zunehmend Anlass zur Sorge geben.
14. Das Problem der Gewalt, des Missbrauchs und der Vernachlässigung älterer Men-
schen wird in vielen Rechtssystemen nicht angemessen angegangen. Zu den Gründen dafür
können unter anderem ein mangelndes Verständnis des Problems, weit verbreiteter Ageism,
mangelndes Bewusstsein, ungünstige politische Rahmenbedingungen, unterschiedliche Auf-
fassungen und Definitionen der Probleme sowie eine hohe Dunkelziffer zählen.13 Es ist von
entscheidender Bedeutung, dass Pflichtenträgerinnen und -träger proaktive Anstrengungen
unternehmen, um das Ausmaß und die Art des Phänomens zu verstehen, politische Maßnah-
men umzusetzen, die das Problem lösen und derartige Gewalt für künftige Generationen ver-
hindern, indem sie den Dialog zwischen den Generationen fördern und das Bewusstsein für
das Problem schärfen.
E. Digitale Inklusion
15. Gemäß dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen haben ältere Menschen das Recht auf einen gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und
Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen oder für sie
bereitgestellt werden. Gemäß der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beinhaltet das
Grundrecht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung das Recht, Informationen und
Ideen über alle Medien zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten. Das Recht auf freie Mei-
nungsäußerung und Zugang zu Informationen über alle Medien ist auch Bestandteil anderer
Übereinkommen wie dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Rassendiskriminierung (Art. 5 d) viii)), dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Art. 13 Abs. 1), dem Über-
einkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art. 21) und der Internatio-
nalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienan-
gehörigen (Art. 13 Abs.2).
16. Nichtsdestotrotz sehen sich ältere Menschen auch weiterhin mit Hindernissen bei der
digitalen Teilhabe konfrontiert, und ihr Ausschluss hat erhebliche Auswirkungen auf die
Menschenrechte und die Entwicklung (siehe A/77/134). Ältere Menschen entstammen dem
analogen Zeitalter und müssen sich in einer sich schnell wandelnden und zunehmend digita-
lisierten Umwelt zurechtfinden, die sich für künftige Generationen wahrscheinlich noch
schneller weiterentwickeln wird. Die digitale Technologie hat das Potenzial, zum Recht auf
Information, zu einem selbstbestimmten Leben und zum Umgang mit gesundheitlichen Pro-
blemen beizutragen, und kann unterstützende Technologien für Behinderungen, wie Hörge-
räte, Text-to-Speech-Software und Spracherkennungssoftware, unterstützen (siehe A/77/239).
Wenn Staaten öffentliche Dienste bereitstellen, ohne diese Bedürfnisse ausdrücklich einzu-
beziehen und anzuerkennen, werden ältere Menschen ausgeschlossen. Dies war während der
Pandemie der Coronavirus-Krankheit (COVID-19) der Fall, als ältere Menschen keinen Zu-
gang zu nur digital verfügbaren Informationen hatten. Die Verlagerung von Gerichtsverfah-
ren ins Internet kann den Zugang älterer Menschen zur Justiz einschränken. Die Digitalisie-
rung lokaler öffentlicher Dienste kann die Rechte älterer Menschen auf soziale Sicherheit,
Nahrungsmittel und Wohnraum einschränken. Ältere Menschen, die in Armut leben, und
diejenigen, die schlecht lesen und schreiben können, laufen daher besonders Gefahr, von der
Digitalisierung und ihren Vorteilen ausgeschlossen zu werden.
17. Die Generalversammlung bekräftigte in ihrer Resolution 77/320, dass die wirksame
Teilhabe, Partnerschaft und Zusammenarbeit aller Interessenträger auch für die Entwicklung
der Informationsgesellschaft auch weiterhin entscheidend ist, aber ältere Menschen werden
nicht systematisch in die Prozesse der Politikgestaltung hinsichtlich der Digitalisierung einbezogen. Diese Situation hat weitreichende negative Folgen für die künftigen Rechte älterer Menschen auf Partizipation und Zugang zu Informationen. Die Erkenntnisse älterer
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13 Siehe Christopher Mikton et al., „Factors shaping the global political priority of addressing elder abuse: a qualitative policy analysis“, The Lancet: Healthy Longevity, Bd. 3, Nr. 8 (August 2022).
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Menschen sollten auch in die Konzipierung von Anwendungen und Geräten einfließen, um
ein benutzerfreundliches, leicht zugängliches und universelles Design zu gewährleisten. Äl-
tere Menschen sollten dazu befragt werden, welche Art von Unterstützungsdiensten ihnen
den Zugang zu Online-Diensten am besten ermöglichen würden.
18. Der Generalsekretär forderte dauerhafte und gut finanzierte Programme zur Förde-
rung der digitalen Kompetenz älterer Menschen, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse und
Interessen ausgerichtet sind und die Auswirkungen der intersektionellen Diskriminierungen
berücksichtigen, die viele ältere Menschen aufgrund ihres sozioökonomischen Status, ihres
Bildungsgrads, ihrer rassistischen Zuschreibung und/oder ethnischen Zugehörigkeit, ihres
Geschlechts und ihrer Behinderung erfahren (siehe A/77/134). Im Rahmen der Programme
sollten besondere Anstrengungen unternommen werden, um indigene Menschen, Menschen,
die in ländlichen Gebieten leben, Angehörige sprachlicher und anderer Minderheiten, Mi-
grantinnen und Migranten, Menschen, die von Armut oder Wohnungslosigkeit betroffen
sind, und andere ältere Menschen zu unterstützen, die mit intersektionellen Formen von Dis-
kriminierung konfrontiert sind, die ihre digitale Kompetenz einschränken. Auch ältere
Frauen benötigen besondere Unterstützung, um Bildungshindernisse zu überwinden, die un-
ter anderem auf eine unzureichende digitale Infrastruktur und mangelnde digitale Kenntnisse, einen Mangel an erschwinglichen Bildungsangeboten oder Einschränkungen aufgrund von Betreuungsaufgaben zurückzuführen sind.
19. Bei der Gestaltung von Programmen zur Förderung der digitalen Kompetenz sollten
die Mitgliedstaaten die Lehren aus der COVID-19-Pandemie berücksichtigen, während der
viele ältere Menschen gezwungen waren, sich rasch auf eine nahezu vollständig digitale
Existenz umzustellen. Es wurde festgestellt, dass ältere Erwachsene ihr Verhalten anpassten
und Technologie für alltägliche Aktivitäten wie Einkaufen, soziale Kontakte und Unterhal-
tung nutzten, wobei viele von ihnen angaben, dass sie diese technologischen Mittel auch nach der Pandemie weiter nutzen.14 In der Arbeitswelt kann das Konzept des Reverse Mentoring eine wertvolle Gelegenheit für ältere Menschen sein, vom lebenslangen Lernen zu profitieren. Es bietet ihnen die Möglichkeit, sich unter der Anleitung jüngerer Kolleginnen und Kollegen über technologische Entwicklungen und moderne Praktiken auf dem Laufenden zu
halten.15 Die Förderung der digitalen Kompetenz sollte Schutzmaßnahmen umfassen, da ältere Menschen Online-Missbrauch ausgesetzt sein können, der Hetze darstellen kann und auf
einer negativen Einstellung zu ihrem Alter beruht (A/HRC/48/53, Ziff. 70).
20. Manche Länder führten bewährte Verfahren ein, um ältere Menschen beim digitalen
Wandel zu unterstützen. Die Republik Moldau zum Beispiel, die sich zum Ziel gesetzt hat,
bis 2030 ein vollständig digitaler Staat und eine vollständig digitale Gesellschaft zu werden, legt den Schwerpunkt auf die Verbesserung der digitalen Kompetenz der Bevölkerung, einschließlich der älteren Menschen. Dank mehrerer Projekte erhielten ältere Menschen in diesem Land kostenlose Mobiltelefone und SIM-Karten sowie Schulungseinheiten von jüngeren
Freiwilligen, die die Beziehungen zwischen den Generationen fördern sollen. Auch öffent-
liche Bibliotheken boten freiwillige Dienste an, um älteren Menschen zu helfen, die neuen
digitalen und technologischen Hilfsmittel besser zu nutzen.16 Diese Praxis wurde von der
Unabhängigen Expertin auch in Finnland beobachtet. Von diesen Programmen können nicht
nur ältere Menschen profitieren, sondern die gesamte Gesellschaft, einschließlich Menschen
mit Behinderungen, denen die Digitalisierung ähnliche Probleme bereitet, und jüngere Men-
schen, die die von ihnen geknüpften generationsübergreifenden Beziehungen schätzen.
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14 Andrew Sixsmith et al., „Older people’s use of digital technology during the COVID-19 pandemic“,
Bulletin of Science, Technology and Society, Bd. 42, Nr. 1–2 (2022), S. 22.
15 Neha Garg und Pankaj Singh, „Reverse mentoring: a review of extant literature and recent trends“,
Development and Learning in Organizations, Bd. 34, Nr. 5 (2020).
16 OHCHR, „Preliminary findings and recommendations of the United Nations Independent Expert
on the enjoyment of all human rights by older persons, Dr. Claudia Mahler, at the end of her official
visit to the Republic of Moldova“, 16. November 2023.
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F. Globale Krisen
Klimawandel
21. Der Generalsekretär wies in Unserer gemeinsamen Agenda auf eine mögliche Zu-
nahme von durch den Klimawandel verursachten Katastrophen hin.17 Diese Katastrophen
haben Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Rechte älterer Menschen, darunter das
Recht auf Gleichheit, soziale Sicherheit, Schutz der Familie, einen angemessenen Lebens-
standard sowie körperliche und psychische Gesundheit (siehe A/78/226). Dies hat auch Aus-
wirkungen auf das Recht auf Leben. Pflichtenträgerinnen und -träger sollten sich der erhöh-
ten Risiken bewusst sein, denen ältere Menschen ausgesetzt sind.18 Die Kombination aus
höheren Durchschnittstemperaturen und der höheren Luftfeuchtigkeit infolge des Klimawan-
dels wirkt sich unverhältnismäßig stark auf die Gesundheit älterer Menschen aus. Wenn die
Temperaturen weltweit nur um zwei Grad steigen, wird die Zahl der hitzebedingten Todes-
fälle bei Menschen über 65 bis 2050 voraussichtlich um 370 Prozent steigen.19 Ältere Men-
schen, die von klimabedingter Ernährungsunsicherheit betroffen sind, sind stark von Fehler-
nährung und anderen gesundheitlichen Komplikationen gefährdet. Trotz dieser Tatsache las-
sen viele Bewertungen der menschenrechtlichen Auswirkungen des Klimawandels seine spe-
zifischen Auswirkungen auf ältere Menschen außer Acht.
22. Im April 2024 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zugunsten
älterer Menschenrechtsverteidigerinnen in der Schweiz, die nachweislich nicht ausreichend
vor den Auswirkungen des Klimawandels geschützt wurden. In dem Urteil, das einen welt-
weiten Präzedenzfall für klimapolitische Maßnahmen darstellt, stellte die Große Kammer
fest, dass Altern und Klimawandel auch unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschlechter
haben und dass ältere Frauen besonders durch die Auswirkungen des Klimawandels gefähr-
det sind.20 Die Unabhängige Expertin erklärte, dass das Urteil im Hinblick auf zukünftige
Beschwerden auf nationaler Ebene eine bedeutende Entwicklung darstellen kann, da Einzel-
personen und künftige Generationen bessere Chancen haben, im Zusammenhang mit dem
Urteil eine Wiedergutmachung zu verlangen.21 Bewaffnete Konflikte und allgemeine Gewalt
23. Die Häufigkeit, Dauer und Intensität globaler Konflikte nehmen seit mehr als einem
Jahrzehnt stetig zu, ebenso wie die konfliktbedingte Vertreibung.22 Ohne konstruktive Be-
mühungen, die Missstände und Ungleichheiten, die diesen Konflikten zugrunde liegen, an-
zugehen und einen nachhaltigen Frieden zu fördern, werden künftige Generationen von die-
ser Entwicklung wahrscheinlich noch stärker betroffen sein. Ältere Menschen, die in bewaff-
nete Konflikte und allgemeine Gewalt geraten oder davon aus ihrer Heimat vertrieben wer-
den, werden aufgrund von Gewalt im Zusammenhang mit Konflikten, der sie womöglich
schwerer ausweichen können, sowie aufgrund der Unterbrechung grundlegender Dienste,
einschließlich der Gesundheitsversorgung und Pflege, in ihren Menschenrechten unverhält-
nismäßig stark beeinträchtigt. Das humanitäre Völkerrecht und das Kriegsgewohnheitsrecht
bietet älteren Menschen, die Zivilistinnen und Zivilisten, Internierte oder Kriegsgefangene
sind, ein gewisses Maß an allgemeinen Schutz.23 Die geltenden Menschenrechtsnormen
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17 A/75/982, S. 9, der Generalsekretär stellt fest, dass Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren, tropische Wirbelstürme und andere Extremereignisse in ihrem Ausmaß, in ihrer Häufigkeit und in ihrem zeitlichen und räumlichen Auftreten beispiellos waren.
18 Siehe Nick Watts et al., „The 2020 report of The Lancet countdown on health and climate change: responding to converging crises“, The Lancet, Bd. 397, Nr. 10269 (Januar 2021).
19 Siehe Marina Romanello et al., „The 2023 report of the Lancet Countdown on health and climate change: the imperative for a health-centred response in a world facing irreversible harms“, The Lancet, Bd. 402, Nr. 10419 (Dezember 2023).
20 European Court of Human Rights Grand Chamber, Verein Klimaseniorinnen Schweiz and Others
v. Switzerland, Application Nr. 53600/20, Judgment, 9. April 2024.
21 SWR Aktuell, „Klimaklage von Seniorinnen gegen Schweiz erfolgreich“, Podcast, 9. April 2024 (auf Deutsch).
22 Siehe Link.
23 Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten, Artikel 17, 27 und 85; und Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen (1949), Art. 16, 44, 45 und 49.
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sehen für die besondere Situation älterer Menschen in bewaffneten Konflikten keine Schutz-
bestimmungen vor.
24. Die Notsituation in der Ukraine wurde als die „älteste“ humanitäre Krise der Welt
bezeichnet, da fast jeder vierte von dem Konflikt betroffene Mensch über 60 Jahre alt ist.24 Zur Unterstützung älterer Menschen, die humanitären Krisen ausgesetzt sind, wurden einigebewährte Vorgehensweisen entwickelt. Das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten
Nationen hat eine der ersten Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich eigens mit den Bereichen
Behinderung und Altern befasst, um die Arbeit humanitärer Akteure zu koordinieren, die
spezielle Dienste für Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen bereitstellen.25 Die
besondere Schutzbedürftigkeit älterer Flüchtlinge, die sich neu ansiedeln müssen, wurde
auch von einem Projekt erkannt, das ältere ukrainische Kriegsflüchtlinge fördert. Die Teil-
nehmenden wurden dabei unterstützt, sich ein unabhängiges, gleichberechtigtes und selbst-
bestimmtes Leben in Deutschland aufzubauen. Trotz der Einstellung der Finanzierung sind
zahlreiche Netzwerke, die im Rahmen des Projekts aufgebaut wurden, weiterhin tätig. Auch
ältere Menschen sind weiterhin darin aktiv, etwa als erste Ansprechpartner für neu ankom-
mende Flüchtlinge.26
Reaktion auf Notlagen
25. Prognosen der Vereinten Nationen zufolge werden bis 2050 80 Prozent der älteren
Menschen weltweit in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen leben.27 In eben
diesen Ländern treten humanitäre Krisen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf und haben gra-
vierendere Auswirkungen.28 Daher muss unbedingt sichergestellt werden, dass ältere Men-
schen in Krisenzeiten nicht zurückgelassen werden. Bei der Notfallplanung und bei Reak-
tions- und Wiederaufbaumaßnahmen wird ihren Bedürfnissen jedoch häufig keine Beach-
tung geschenkt oder ihnen die Partizipation an der Planung nicht erleichtert.
26. Die Diskriminierung älterer Menschen bei Notfallmaßnahmen kann sowohl auf der
individuellen als auch auf der strukturellen Ebene erfolgen. Auf individueller Ebene sind
ältere Menschen besonderen Risiken ausgesetzt, die sich aus schnell eintretenden Katastro-
phen oder Konflikten ergeben, die körperliche Mobilität erfordern, um Schaden zu vermei-
den, sowie aus Situationen, in denen Einsatz- und Hilfskräfte aufgrund ihres Alters vorur-
teilsbehaftete Annahmen über sie treffen, wodurch sie sie unzureichende, ungleiche oder an-
derweitig unangemessene Leistungen und Behandlung erhalten (A/HRC/42/43, Ziff. 44). Äl-
tere Menschen mit Behinderungen haben womöglich Schwierigkeiten damit, zu evakuieren
und sich in Sicherheit zu bringen (A/78/226, Ziff. 51), auch ältere Menschen ohne Behinde-
rungen können aufgrund fehlender zugänglicher Informationen, sozialer Isolation oder emo-
tionaler Bindung an ihr Land und ihre Wohnstätte zurückgelassen werden oder nicht in der
Lage sein, zu evakuieren.
27. Ältere Menschen machen etwa 4 Prozent der weltweit durch Konflikte und Krisen
vertriebenen Personen aus.29 Ältere Vertriebene sind stärker psychisch belastet und verfügen über einen schlechteren körperlichen und psychischen Gesundheitszustand. Nothilfemaßnahmen können ihr Recht auf ein Familienleben gefährden, wenn nur minderjährige Kinder und ihre Eltern als Teil einer Familie anerkannt werden. Zudem sind Notunterkünfte oft nicht darauf ausgerichtet, Mehrgenerationenhaushalte zu beherbergen. Auch bei der Beantragung von Hilfe werden ältere Vertriebene möglicherweise diskriminiert und sind unter anderem bürokratischen Hürden oder sogar Spott ausgesetzt.
28. Strukturelle Diskriminierung tritt in der Datenerhebung und Notfallplanung zu Tage,
wenn die besondere Situation älterer Menschen ignoriert und ihre Partizipation eingeschränkt wird. Im Sendai-Rahmen für Katastrophenvorsorge 2015–2030 wird anerkannt, dass ältere
_______________
24 Disability and Age Task Force, „Moldova: older refugees briefing note“, September 2023.
25 Disability and Age Task Force, „Term of reference for refugee response in Moldova“, 2024. 26 ECE, Population Unit and Standing Working Group on Ageing, „Older persons in vulnerable situations“, UNECE Policy Brief on Ageing, Nr. 28 (2023), S. 12.
27 World Population Ageing 2019 (United Nations publication, 2020).
28 Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) und HelpAge
International, „Working with older persons in forced displacement“ (überarbeitet), Need-to-Know Guidance-Reihe, Nr. 5 (UNHCR, 2021).
29 Siehe Link.
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Menschen das Recht haben, sich an sie betreffenden Bereichen zu beteiligen. Dort heißt es
auch, dass ältere Menschen über langjährige Kenntnisse, Fähigkeiten und Weisheit verfügen,
die für die Katastrophenvorsorge von unschätzbarem Wert sind, und dass sie bei der Kon-
zeption von politischen Maßnahmen, Plänen und Mechanismen, einschließlich für die Früh-
warnung, einbezogen werden sollen.30 Diese Ansicht brachten auch das Umweltprogramm
der Vereinten Nationen und andere Akteure durch ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit dem
Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen zum Ausdruck.31
Pandemieprävention
29. Da immer wieder neue Wellen der COVID-19-Pandemie auftreten, ist es offensicht-
lich, dass die Bedrohung durch anhaltende und neue Pandemien auf nationaler und interna-
tionaler Ebene für künftige Generationen älterer Menschen bekämpft werden muss. Die
COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die bestehenden Notfallmaßnahmen nicht ausreichen,
um die Rechte älterer Menschen auf Information, Familienleben, Dienstleistungen, Pflege
und Unterstützung sowie Gesundheitsversorgung sicherzustellen, obwohl ältere Menschen
zu den Gruppen gehörten, die am schlimmsten von den Auswirkungen der Pandemie betrof-
fen waren. Die Pandemie warf auch ein Schlaglicht auf ungeheuerliche Fälle von strukturel-
lem Ageism, vor allem auf Triage-Verfahren bei eingeschränkten Gesundheitsdiensten, die
das Leben jüngerer Menschen über das Leben älterer Menschen stellten. Ältere Menschen
litten auch unter sozialer Isolation, während diejenigen, die in Pflegeeinrichtungen untergebracht waren, Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit erfuhren und durch die gemein-
schaftliche Wohnform stärker gefährdet waren.
30. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass künftige Generationen aus den Erkennt-
nissen der COVID-19-Pandemie lernen und sicherstellen, dass ältere Menschen in die Pan-
demievorsorge einbezogen werden. Bei Maßnahmen in Reaktion auf Pandemien muss die
besondere Gefährdung älterer schutzbedürftiger Menschen durch bestimmte Arten von
Krankheiten berücksichtigt und abgewogen werden, welche Maßnahmen zur Eindämmung
der Ausbreitung der Krankheit ergriffen werden müssen und welche Einschränkungen für
ältere Menschen unzulässig sind. Die Informationen sollten in einer für alle älteren Menschen zugänglichen Form bereitgestellt werden und Vorsorgemaßnahmen sollten auch darauf abzielen, der sozialen Isolation entgegenzuwirken und die Kontinuität wesentlicher Gesund-
heits- und Pflegedienste für ältere Menschen zu gewährleisten.
III. Herbeiführung einer altersgerechten Zukunft
31. Da die Zahl der älteren Menschen und ihr Anteil an der Bevölkerung in Zukunft zu-
nehmen wird, besteht immer mehr die Notwendigkeit, ihre Menschenrechte zu schützen.
Viele Rechte älterer Menschen werden zunehmend gefährdet sein, wenn die Regierungen
ihren derzeitigen Kurs fortsetzen und nicht auf die sich verändernde Zusammensetzung ihrer
Bevölkerung reagieren. Für die internationale Gemeinschaft ist es jetzt an der Zeit, ältere
Menschen individuell zu betrachten und ihr Potenzial und das eines altersgerechten Umfelds
für die Gesellschaft als Ganzes zu nutzen.
A. Wahrung der Unabhängigkeit
32. Das Recht älterer Menschen auf ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben
in der Gemeinschaft wird zwar im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Be-
hinderungen anerkannt, wird aber häufig als Privatangelegenheit betrachtet und daher von
den Regierungen nicht ausreichend geschützt. Ältere Menschen sehen sich bei der Wahrneh-
mung ihrer Rechte besonderen Hindernissen gegenüber, darunter Zwangsunterbringung in
Einrichtungen, Abschottung, Verlust der Wohnstätte und des Eigentums sowie Verlust von
Privatsphäre und Autonomie. Solche Hindernisse werden durch öffentliche Maßnahmen ver-
stärkt, die familiäre Pflege oder Einweisung in Einrichtungen vorziehen oder aufzwingen,
statt Maßnahmen und Programme zu fördern, die älteren Menschen ein selbstbestimmtes Le-
ben mit angemessener Unterstützung ermöglichen.
_______________
30 Resolution 69/283 der Generalversammlung, Anlage II.
31 Siehe Help Age International et al., „Older people and climate action“, Februar 2021.
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33. Ein Beispiel für ein spezifisches Hindernis sind Elternunterhaltsgesetze, die eine Ab-
hängigkeit von erwachsenen Kindern schaffen. Derartige Rechtsvorschriften können als zi-
vilrechtliche Manifestation durchsetzbarer Unterhaltspflichten für erwachsene Kinder be-
schrieben werden, die sich ansonsten aus der Religion oder Kultur ergeben.32 In Bangladesch
beispielsweise verpflichtet der Maintenance of Parents Act of 2013 (Gesetz über die Unter-
haltspflicht für Eltern aus dem Jahr 2013) erwachsene Kinder dazu, ihre Eltern finanziell zu unterstützen und zu pflegen, wenn diese nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Eltern können ihre erwachsenen Kinder nach der Family Courts Ordinance 1985 (Familien- gerichtsverordnung von 1985) verklagen, wenn diese ihnen keinen Unterhalt und keine Unterstützung gewähren (A/HRC/54/26/Add.2, Ziff. 11). Ähnliche Rechtsvorschriften gibt es auch in anderen Ländern.33
34. Elternunterhaltsgesetze können zwar zur Bekämpfung der Altersarmut beitragen,
zwingen ältere Menschen aber auch in eine Form der Abhängigkeit, selbst wenn sie andere
Optionen vorziehen würden. Sie können auch innerfamiliäre Spannungen auslösen oder
schüren, die wiederum das Risiko von Gewalt oder Missbrauch erhöhen. Eine schwedische
Studie stellte fest, dass zu viel Abhängigkeit von der Familie sowohl die unterstützenden
Angehörigen als auch diejenigen, die Unterstützung erhalten, in ihren Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben einschränken kann.34 Angesichts der gegenwärtigen demografischen Entwicklung dürften diese Vereinbarungen auch für künftige Generationen älterer Menschen
nicht nachhaltig sein, da eine abnehmende Bevölkerungsgruppe jüngerer Menschen für den
Unterhalt einer wachsenden Zahl älterer Menschen aufkommen müsste. In ländlichen Gebie-
ten stellt die zunehmende Landflucht in der jüngeren Generation eine weitere Probe für die
langfristige Tragfähigkeit familiärer Betreuungsmodelle dar.
35. Die Einweisung in Pflegeeinrichtungen, insbesondere die Zwangs- oder Pflichtein-
weisung, kann ältere Menschen ebenfalls beim Genuss aller Menschenrechte einschränken
und sie in die Abhängigkeit zwingen, die zu ihrer Isolation beiträgt. Sie beeinträchtigt auch ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und kann in manchen Fällen einem vollständigen Freiheitsentzug gleichkommen. Diese Ansätze beruhen häufig auf sozialen Fürsorgemodellen, die vorgeben, zum Wohl älterer Menschen zu sein, statt auf menschenrechtsbasierten Ansätzen, die zur Selbstbestimmung befähigen (A/HRC/51/27, Ziff. 31). Da der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung weiter wächst, dürfte sich die Unterbringung in Einrichtungen als immer unhaltbarer erweisen. Die Unabhängige Expertin stellte fest, dass es in vielen Teilen der Welt an Alternativen oder Pflegeheimen mangelt, die ältere Menschen in ihrer Autonomie unterstützen und kulturell sensible Ansätze verfolgen, um den Bedarf zu decken (A/HRC/51/27/Add.1, Ziff. 21 und A/HRC/54/26/Add.1, Ziff. 63).
36. Im Gegensatz dazu würden Maßnahmen, die erschwingliche und umfassende häus-
liche Pflege- und Unterstützungsdienste und den Zugang zu altersgerechtem Wohnraum ge-
währleisten, sowohl die Autonomie als auch das Wohlbefinden älterer Menschen wahren und
den demografischen Veränderungen, die familienbasierte Pflegesysteme in Zukunft weniger
tragbar machen werden, besser begegnen. Auch die Familienangehörigen älterer Menschen,
insbesondere diejenigen mit Pflegeverantwortung, würden von diesen umfassenden Unter-
stützungssystemen profitieren, die die Belastung der Pflege erleichtern und zur Wiederher-
stellung der familiären Beziehungen beitragen könnten, da ältere Angehörige nicht nur als
Pflegebedürftige, sondern wieder als Eltern, Großeltern oder Partnerinnen und Partner wahr-
genommen würden. Durch einen Paradigmenwechsel im Bereich der Pflegedienstleistungen
für ältere Menschen könnte künftigen Generationen ein Leben in Würde, Autonomie und
Unabhängigkeit gesichert werden.
_______________
32 Siehe Hacker, Daphna. „Aging population and the law: a comparative approach filial piety in Israel: between the law in the books and the law in action“, Frontiers of Law in China, Bd. 14, Nr. 2 (Juni2019).
33 Siehe Lüxue Yu, „Filial support obligations under Singapore, United States, and Chinese law: a comparative study“, Frontiers of Law in China, Bd. 14, Nr. 2 (Juni 2019).
34 Elisabeth Olin und Anna Duner, „Careful assistance? Personal assistance within the family as hybridization of modern welfare policy and traditional family care“, Alter, Bd. 13, Nr. 2 (Mai 2019).
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B. Wirtschaftliche Sicherheit
37. Während manche ältere Menschen bereit und in der Lage sind, den Ruhestand zu ge-
nießen, möchten andere vielleicht weiterarbeiten oder sind aufgrund unzureichender Sozial-
versicherungs- und Rentenprogramme dazu gezwungen. Ältere Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer sind häufig mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Ruhestandsalter, Ageism und
anderen Formen der Diskriminierung konfrontiert, die sie daran hindern, menschenwürdige
Arbeit zu verrichten, wovon insbesondere viele ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
im informellen Sektor betroffen sind. Ältere Frauen sehen sich aufgrund der kumulativen
Auswirkungen der geschlechtsspezifischen Diskriminierung in Bildung und Beschäftigung,
ihrer Pflege- und Betreuungsaufgaben und niedriger Löhne im höheren Alter sowie der Be-
drohung ihrer Eigentumsrechte nach dem Tod eines Ehepartners größerer wirtschaftlicher
Unsicherheit gegenüber. Geschlechtsspezifische Lohngefälle bestehen nicht nur fort, son-
dern können sogar noch zunehmen, insbesondere bei Frauen kurz vor oder nach dem Ren-
teneintrittsalter (A/76/157, Ziff. 22). Mit dem Anstieg der Lebenserwartung wird auch das
Renteneintrittsalter in der Zukunft steigen – ein Trend, der sich bereits in vielen Bereichen abzeichnet. Daher muss unbedingt sichergestellt werden, dass künftige Generationen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne Diskriminierung einer Beschäftigung nachgehen und unternehmerisch tätig sein können. Die Art und Weise, wie Staaten Hindernisse für beitragsabhängige und beitragsunabhängige Renten, Diskriminierung am Arbeitsplatz, informelle Beschäftigung und die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten angehen, wird sich auf künftige Generationen älterer Menschen auswirken.
38. Ageism am Arbeitsplatz ist nicht nur diskriminierend, sondern auch ungerechtfertigt,
wenn man den wertvollen Beitrag älterer Menschen am Arbeitsplatz bedenkt. Die heutige
Erwerbsbevölkerung umfasst eine Vielzahl von Generationen. Manche mögen die Situation
als Herausforderung oder sogar als Belastung empfinden, doch die kollektiven Stärken der
einzelnen Generationen können auch als Chance gesehen werden. Wissensaustausch kann in
beide Richtungen erfolgen. Während ältere Beschäftigte ihre jahrzehntelange Erfahrung an
jüngere Mitarbeitende weitergeben können, kommt den jüngeren Generationen eine Schlüs-
selrolle dabei zu, die optimale Nutzung sozialer Medien und anderer digitaler Werkzeuge
unter Beweis zu stellen, um den Erfolg zu maximieren.35 Darüber hinaus ist die Wahrschein-
lichkeit, dass ältere Beschäftigte ihre derzeitige Stelle verlassen und zu einem anderen Unternehmen wechseln, deutlich geringer als bei ihren jüngeren Kolleginnen und Kollegen, was generationsübergreifenden Teams Stabilität und Kontinuität verleiht.36 Obwohl ältere Unternehmerinnen und Unternehmer eine erfolgreiche Karriere vorweisen können,37 wobei insbesondere Unternehmerinnen im höheren Alter besser abschneiden, finden sie aufgrund ihres Alters oft keinen Rückhalt für ihre Ideen.38
39. Wirtschaftspolitische Maßnahmen, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten älterer
Menschen einschränken, stützen sich häufig auf falsche Annahmen. Abhängigkeitsquotien-
ten, die auf der Annahme beruhen, dass alle Personen zwischen 15 und 65 Jahren erwerbstä-
tig und alle Personen außerhalb dieser Altersspanne abhängig sind, sind von Grund auf
falsch, insbesondere im Hinblick auf ältere Menschen.39 Die Internationale Arbeitsorganisa-
tion veröffentlichte eine Reihe von Alternativen zu Abhängigkeitsquotienten, die die wirt-
schaftliche Tätigkeit und die Arbeit älterer Menschen besser berücksichtigen.40 Darüber hinaus können Bemühungen, die Jugendbeschäftigung auf Kosten älterer Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu erhöhen, dem Irrtum unterliegen, dass die Zahl der möglichen
_______________
35 Ellen Bailey und Cevin Owens, „Unlocking the benefits of the multigenerational workplace“, Harvard Business Publishing – Corporate Learning, August 2020, S. 1–2.
36 Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD, Promoting an Age-Inclusive
Workforce: Living, Learning and Earning Longer (Paris, 2020), S. 17.
37 Pierre Azoulay et al., „Age and high-growth entrepreneurship“, NBER Working Paper-Reihe, Nr. 24489 (Cambridge, Massachusetts, National Bureau of Economic Research, 2018).
38 Hao Zhao et al., „Age and entrepreneurial career success: a review and a meta-analysis“, Journal of Business Venturing, Bd. 36, Nr. 1 (Januar 2021), S. 18.
39 Siehe „Dependency ratio“, in Indicators of Sustainable Development: Guidelines and
Methodologies – Methodology Sheets, 3. Ausgabe. (United Nations publication, 2007), S. 104–106.
40 Claire Harasty und Martin Ostermeier, „Population ageing: alternative measures of dependencyand implications for the future of work“, ILO-Arbeitspapier, 2020.
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Arbeitsplätze in einer Wirtschaft begrenzt ist.41 Wirtschaftspolitische Maßnahmen dieser Art können diskriminierende Maßnahmen wie das gesetzliche Rentenantrittsalter, den Aus-
schluss aus betriebliche Fortbildungen und Umschulungen sowie die Diskriminierung bei der
Einstellungspraxis verstärken.
40. Die Wirtschaftskommission für Europa hat politische Optionen zur Lösung des allge-
meinen Problems der Arbeitslosigkeit bei älteren Menschen ermittelt, darunter Lohnkosten-
und Steuerzuschüsse für Arbeitgeber, reduzierte Sozialversicherungsbeiträge, Fortbildungs-
beihilfen, Beratung und Umschulung. In Österreich wurden spezielle Beratungs- und Unter-
stützungsdienste entwickelt, die arbeitslose ältere Menschen bei der Wiedereingliederung in
den Arbeitsmarkt unterstützen sollen und Themen wie gesundes Altern und die Nutzung
neuer Medien behandeln.42
41. Die Vorbereitung auf eine Zukunft, in der ein größerer Anteil der Bevölkerung älter
sein wird, erfordert einen Paradigmenwechsel in der Struktur der Altersversorgungs- und
Sozialschutzsysteme für ältere Menschen. Es ist unerlässlich, Investitionen zu tätigen und
politische Maßnahmen zu ergreifen, die die langfristige Tragfähigkeit dieser Mechanismen
gewährleisten und nach Möglichkeit sicherstellen, dass die Renten- und Sozialversicherungs-
zahlungen ausreichend sind, um älteren Menschen einen angemessenen Lebensstandard zu
ermöglichen. Ein gleichberechtigter Zugang zu den Renten muss ein Ziel für die Zukunft
sein. Ältere Migrantinnen und Migranten, die aus einem langjährigen Auslandsaufenthalt zu-
rückkehren, haben möglicherweise zu Sozialversicherungssystemen beigetragen, die sie
ohne spezifische bilaterale oder multilaterale Übereinkünfte zwischen ihrem Herkunfts- und
ihrem Arbeitsland nicht in Anspruch nehmen können, 43 obwohl das Übereinkommen
(Nr. 97) über Wanderarbeiter (Neufassung), 1949, und das Übereinkommen (Nr. 143) über
Wanderarbeitnehmer (ergänzende Bestimmungen), 1975, der Internationalen Arbeitsorgani-
sation Sicherheitsgarantien vorsehen.
42. Zudem haben ältere Frauen einen eingeschränkten Zugang zu Renten, weil viele von
ihnen informell oder als unbezahlte Betreuungs- und Pflegekräfte arbeiten und weil das ge-
schlechtsspezifische Lohngefälle dazu führen kann, dass ihre Beiträge zu den Altersvorsor-
gesystemen sowie die entsprechenden Leistungen geringer ausfallen. 2023 erhöhte Tsche-
chien die Altersrente für Kindererziehung und trug durch zusätzliche Zahlungen für jedes
aufgezogene Kind dazu bei, das geschlechtsspezifische Rentengefälle auszugleichen. Durch
die Anerkennung von Kindererziehungspflichten lässt sich die finanzielle Sicherheit von Personen im Ruhestand verbessern, insbesondere von Frauen, die häufig einen größeren Teil
dieser Aufgaben übernehmen.44 Beitragsunabhängige Sozialschutzsysteme sind ein weiteres
Instrument, mit dem ältere Frauen, die nur informell oder als unbezahlte Betreuungs- und
Pflegekräfte gearbeitet haben, bei der Deckung ihrer Grundbedürfnisse unterstützt werden
können (A/HRC/54/26/Add.2, Ziff. 30 und 34).
C. Recht auf angemessenes Wohnen
43. Der Bedarf älterer Menschen an angemessenem Wohnraum muss für die Regierungen
eine Priorität sein, da sie den am schnellsten wachsenden Anteil der Weltbevölkerung aus-
machen und besonderen Schutz vor den Auswirkungen des sich rasch verändernden Klimas
benötigen. Die Unabhängige Expertin wies bereits auf die Verpflichtung der Staaten hin,
Hindernisse, die dem Recht auf Wohnraum älterer Menschen entgegenstehen, zu ermitteln
und zu beseitigen. Sie zeigte spezifische Herausforderungen auf, darunter die Konzentration
älterer Menschen, die mit unzureichender Wohnraumversorgung in Städten konfrontiert sind.
Diese Problematik unterscheidet sich womöglich von den spezifischen Herausforderungen
in Ländern, in denen ältere Menschen mehrheitlich in ländlichen Gebieten leben (A/77/239,
Ziff. 50). Veränderungen in der Familienstruktur, die durch den Umzug jüngerer Generatio-
nen in kleinere Wohnungen oder in städtische Gebiete entstehen, stellt ältere Menschen, die
_______________
41 The Economist, „L“, The A to Z of Economics. Verfügbar unter Link
a-to-z#L.
42 ECE, Population Unit and Standing Working Group on Ageing, „Older persons in vulnerable
positions“, S. 5.
43 Siehe International Social Security Association, International Social Security Agreements database, verfügbar unter Link.
44 Czech Social Security Administration, „Increase in the old-age pension for child-raising from 1 January 2023“, 7. Februar 2023.
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darauf angewiesen sind, bei ihrer Familie untergebracht zu werden, vor Probleme, wovon
insbesondere ältere Frauen betroffen sind, und drängt viele in die Wohnungslosigkeit. Die
künftige Wohnungsbaupolitik muss den Zukunftsprognosen zu Klima und Bevölkerungsbe-
wegungen Rechnung tragen.
44. Die Unabhängige Expertin wies bereits in vorherigen Publikationen darauf hin, dass
Angehörige ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten und anderer marginalisier-
ter Gruppen eher in qualitativ schlechteren, unsicheren und überfüllten Unterkünften leben,
die sich in Gebieten mit stark eingeschränktem Zugang zu Einrichtungen und Dienstleistun-
gen befinden (ebd., Ziff. 73). Dieser Umstand wirkt sich auf den Genuss anderer Rechte
dieser Gruppen aus: So fiel es Menschen, die in Unterkünften ohne fließendes Wasser leben,
während der COVID-19-Pandemie besonders schwer, die empfohlenen Präventionsmaßnah-
men zu befolgen, was ihr Recht auf Gesundheit beeinträchtigte. Das traf insbesondere auf
davon betroffene ältere Menschen zu. Zu anderen Gruppen, die bei der Beschaffung von
Wohnraum aus intersektionalen Gründen diskriminiert werden, zählen ältere Migrantinnen
und Migranten und Vertriebene, ältere LGBTQ+-Personen sowie ältere Menschen mit Be-
hinderungen (ebd., Ziff. 67-79). In Nigeria beobachtete die Unabhängige Expertin, dass viele ältere Frauen, insbesondere diejenigen, die in ländlichen Gebieten in Armut leben, aufgrund ungleicher Erbrechte und der Aneignung ihres Eigentums durch Dritte Schwierigkeiten haben, angemessenen Wohnraum zu finden. Der Oberste Gerichtshof Nigerias entschied jedoch, dass alle Frauen gleichberechtigt mit Männern das Recht haben, das Eigentum ihrer Eltern zu erben. Das Urteil wird erhebliche Auswirkungen auf künftige Generationen alleinstehender oder verwitweter älterer Frauen haben, die in der Regel unverhältnismäßig stark von diskriminierenden Erbschaftsgesetzen betroffen sind (A/HRC/54/26/Add.1, Ziff. 53). Ähnliche Anstrengungen zur Bekämpfung intersektioneller Formen der Diskriminierung sind erforderlich, um das Recht auf angemessenes Wohnen für ältere Menschen in ihrer ganzen Vielfalt zu gewährleisten.
45. Wohnungspolitische Konzepte und Maßnahmen für künftige Generationen sollten
auch ältere Menschen berücksichtigen, die sich Wohnformen wünschen, die einen intensive-
ren sozialen Austausch begünstigen, zugleich jedoch ihre Autonomie und Unabhängigkeit
bewahren sowie ihren Zugang zu erforderlichen Dienstleistungen erleichtern. Diese könnten
etwa Wohngemeinschaften umfassen, die unabhängige Wohneinheiten und Gemeinschafts-
räume mit formeller Unterstützung durch Behörden oder informeller Unterstützung durch die
Nachbarschaft und die Gemeinschaft kombinieren. Diese Wohnungen haben den Vorteil,
dass sie soziale Beziehungen fördern und die Einsamkeit und Isolation älterer Menschen ver-
ringern. Darüber hinaus erhalten sie entweder durch die Gemeinschaft, vor Ort oder durch
die Nachbarschaft Pflege und Betreuung (A/77/239, Ziff. 84).
D. Recht auf Gesundheit
46. In Zukunft wird eine größere Anzahl und ein größerer Anteil älterer Menschen, die
länger leben als je zuvor, das Recht auf Gesundheit durch eine integrierte, präventive, kurative, rehabilitative und nichtdiskriminierende palliative Gesundheitsversorgung ausüben, die ihren gesundheitlichen Bedürfnissen entspricht (E/C.12/2000/4, Ziff. 25 und 34). Wenn keine Anstrengungen unternommen werden, um gegen Ageism im Gesundheitssektor vorzugehen, werden ältere Menschen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung weltweit weiterhin aufgrund ihres Alters Diskriminierung erfahren, was laut der Weltgesundheitsorganisation in
96 Prozent der untersuchten Studien zu schlechteren Ergebnissen führt.45 Wie viele andere
Rechte wird auch das Recht auf Gesundheit durch Hürden wie Armut, geografische Faktoren
und intersektionale Diskriminierung besonders beeinträchtigt sein, nämlich durch die Diskriminierung von LGBTQ+-Personen höheren Alters, Minderheiten, Migrantinnen und Mi-
granten, Frauen und Menschen mit Behinderungen.
47. Das Recht auf Gesundheit bezieht sich nicht nur auf die körperliche Gesundheit älterer
Menschen, sondern auch auf ihre psychische Gesundheit. Wenn ältere Menschen als Pflege-
objekte behandelt und ihr Wille und ihre Präferenzen ignoriert werden oder sie aufgrund
fehlender Alternativen in Einrichtungen untergebracht werden, wo die Lebensbedingungen
ihren Menschenrechten nicht in vollem Umfang gerecht werden, kann sich das auch negativ
auf ihre psychische Gesundheit auswirken. Ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben
_______________
45 WHO, Global Report on Ageism, S. 48.
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wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit aus. Viele ältere Menschen sind auch sozial isoliert, was ihre psychische Gesundheit belasten kann.
48. Künftige Generationen sollten sicherstellen, dass gesundheitspolitische Maßnahmen
umgesetzt werden, die das Recht älterer Menschen auf Gesundheitsversorgung gewährleis-
ten. In den Niederlanden wurde ein Projekt entwickelt, mit dem ältere Menschen unterstützt
werden sollen, die in ihrer häuslichen Umgebung bleiben wollen, obwohl sie aufgrund von
Demenz oder körperlichen Einschränkungen Schwierigkeiten haben. Der Ansatz des Projekts
besteht darin, die Fähigkeiten älterer Menschen zu stärken und mit ihnen gemeinsam nach
einer Lösung zu suchen, wenn sie Unterstützung benötigen. Er zielt auch darauf ab, mittels
Strategien zur Rehabilitation, zur Prävention einer weiteren Verschlechterung und zur Bei-
behaltung eines aktiven Lebensstils die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit zu ver-
ringern.46 Investitionen in diese Form der präventiven Unterstützung können einen weiteren
Nutzen bringen – die Zahl pflegebedürftiger Menschen sinkt.
49. Künftige gesundheitspolitische Maßnahmen sollten sich auch zum Ziel setzen, den
Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erweitern, auch durch Investitionen in die allgemeine
Gesundheitsversorgung und die Ausweitung der versicherten Krankheiten. Zentraler Be-
standteil des digitalen Wandels sollte das erweiterte telemedizinische Angebot für ältere
Menschen sein, insbesondere für diejenigen, die Mobilitätsprobleme haben oder in länd-
lichen Gebieten leben. Zudem sollten ältere Menschen Zugang zu der Technologie und den
Kompetenzen haben, die sie zur Nutzung dieser Möglichkeiten benötigen. Die schnellste und
radikalste Veränderung wird durch die Entwicklung von Robotern, Robotik und künstlicher
Intelligenz eintreten und sich auf die Gesundheitsversorgung sowie auf das Konzept der
Pflege und Unterstützung älterer Menschen auswirken. Die Regierungen sollten beim Einsatz
solcher Instrumente angemessene menschenrechtliche Schutzgarantien vorsehen, damit die
Rechte älterer Menschen sowohl heute als auch in Zukunft wirksam geschützt werden (A/HRC/36/48, Ziff. 12-15).
E. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
50. Da der Blick der internationalen Gemeinschaft im Zukunftspakt, der Erklärung
zu den kommenden Generationen, der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und
anderen Rahmenwerken in die Zukunft gerichtet ist, muss unbedingt sichergestellt
werden, dass ältere Menschen nicht zurückgelassen werden. Sie stellen den am schnells-
ten wachsenden Anteil der Weltbevölkerung dar und werden unter den kommenden
Generationen die Mehrheit bilden. Der derzeitige Menschenrechtsrahmen und die ak-
tuellen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten sind für den Schutz der Rechte älterer
Menschen unzulänglich. Ohne einen Paradigmenwechsel werden ältere Menschen
durch die zu erwartenden zukünftigen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitali-
sierung, neue Konflikte und Pandemien unverhältnismäßig stark in ihren Menschen-
rechten beeinträchtigt werden.
51. Ältere Menschen gehören außerdem zu den heterogensten Bevölkerungsgrup-
pen. Viele von ihnen erfahren nicht nur Ageism, sondern auch andere intersektionelle
Formen der Diskriminierung aufgrund ihrer Identität. Bestehenden internationalen
und regionalen Rahmenwerken fehlt es an spezifischen und umfassenden Verpflichtun-
gen in Bezug auf das Recht auf Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung im Alter,
einschließlich der Nennung des Alters als unzulässigen Grund für Diskriminierung, was
geändert werden muss, um Chancengleichheit für künftige Generationen herzustellen.
Die Auseinandersetzung mit den Rechten älterer Menschen, insbesondere durch die
Verabschiedung einer rechtsverbindlichen Übereinkunft, würde die Staaten beim wirk-
samen Schutz der Menschenrechte heutiger und künftiger Generationen älterer Men-
schen unterstützen und ihnen Orientierung geben. Die Durchsetzung bestehender
Übereinkommen, die Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung aufgrund anderer
Identitätsmerkmale fördern, ist ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um den
Schutz älterer Menschen in ihrer ganzen Vielfalt zu gewährleisten.
52. Um die Rechte künftiger Generationen älterer Menschen wirksamer zu schützen, empfiehlt die Unabhängige Expertin den Regierungen, den Vereinten Nationen
_______________
46 ECE, Population Unit and Standing Working Group on Ageing, „Older persons in vulnerable
positions“, S. 9.
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und anderen Interessenträgern, einschließlich der Zivilgesellschaft, der Gesundheits-
und Pflegedienstleister, der Gleichstellungsstellen und der nationalen Menschenrechts-
institutionen, im Rahmen ihrer jeweiligen Mandate nachstehende Maßnahmen zu ergreifen.
53. Im Hinblick auf internationale Rahmen und die internationale Zusammenarbeit empfiehlt die Unabhängige Expertin folgende Maßnahmen:
a) Erarbeitung und Vereinbarung einer speziellen rechtsverbindlichen inter-
nationalen Übereinkunft zum Schutz der Rechte heutiger und künftiger Generationen
älterer Menschen;
b) Ernennung einer oder eines hochrangigen Bediensteten der Vereinten Nationen auf der Ebene der Beigeordneten Generalsekretärin bzw. des Beigeordneten Generalsekretärs oder darüber mit dem Mandat, sich ausschließlich mit der Situation älterer Menschen zu befassen;
c) Förderung der konstruktiven Beteiligung älterer Menschen an den Entwicklungsbemühungen und eine besondere Schwerpunktsetzung auf die Einbeziehung älterer Menschen in die Umsetzung von Projekten und politischen Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung;
d) Sicherstellung, dass die Organisationen der Vereinten Nationen auf der Ebene des globalen Amtssitzes, auf regionaler und auf nationaler Ebene die Unterstützung älterer Menschen durchgängig in ihre humanitären Hilfsprogramme und Programme im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit integrieren;
e) Berücksichtigung der Bedürfnisse älterer Menschen als vorrangige Gruppe im Rahmen des Zukunftspakts und der Erklärung zu den kommenden Geneationen.
54. Im Hinblick auf Ageism und Altersdiskriminierung gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Wirksame Bekämpfung von Ageism und Altersdiskriminierung als Hauptursache für Ungleichheit im höheren Alter;
b) Förderung von Maßnahmen gegen Ageism und Altersdiskriminierung auf individueller und struktureller Ebene, auch durch bewusstseinsbildende Maßnahmen zu diesem Thema und zu den positiven Beiträgen älterer Menschen zur Gesellschaft sowie durch Initiativen zur Entschädigung für schädliche Praktiken;
c) Förderung des Austauschs und des Dialogs zwischen den Generationen, um gegenseitiges Verständnis aufzubauen, den Wissensaustausch zwischen verschiedenen Generationen zu fördern, für die Probleme älterer Menschen zu sensibilisieren und negative Stereotypen zu bekämpfen;
d) Erhebung, Aufschlüsselung und Auswertung von Daten nach Altersgruppen und ihre Nutzung für eine wirksamere Politikgestaltung.
55. Im Hinblick auf die Teilhabe am öffentlichen Leben gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Förderung politischer Maßnahmen, die die Autonomie und Unabhängig-
keit älterer Menschen wahren, und Abschaffung politischer Maßnahmen, die die
Rechts- und Handlungsfähigkeit älterer Menschen einschränken oder sie ihnen abspre-
chen, wie Vormundschaft oder ersetzende Entscheidungsfindung;
b) Gewährleistung des Zugangs zur Justiz, einschließlich eines ausreichenden
Rechtsbeistands und rechtlicher Unterstützung, sowie barrierefreier, altersgerechter
Gerichtsverfahren, um die Rechte älterer Menschen auf Gleichberechtigung und Nicht-
diskriminierung zu wahren;
c) Ausweitung der Partizipation älterer Menschen an Entscheidungsfin-
dungsprozessen, die sie gegenwärtig betreffen und in Zukunft betreffen werden, ein-
schließlich durch die Unterstützung selbstorganisierter Gruppen älterer Menschen und
der Gewährleistung des Rechts auf Teilnahme an Wahlen als Wählerinnen und Wähler
sowie als Kandidatinnen und Kandidaten.
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56. Im Hinblick auf die Prävention und Bekämpfung von Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Investitionen in Untersuchungen zum Ausmaß und zur Art der Gewalt, des
Missbrauchs und der Vernachlässigung, die ältere Menschen in Familien, Pflegeein-
richtungen und anderen Situationen erfahren, sowie die Durchführung von Maßnah-
men zur Verhütung und Bekämpfung dieser Probleme und ihrer tieferen Ursachen;
b) Aktualisierung und Umsetzung nationaler Politiken und Strategien zur
Gleichstellung der Geschlechter und zu häuslicher Gewalt im Einklang mit der Allge-
meinen Empfehlung Nr. 27 (2010) des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminie-
rung der Frau über ältere Frauen und den Schutz ihrer Menschenrechte;
c) Anerkennung der Zwangseinweisung in Einrichtungen als eine Form der
Gewalt gegen ältere Menschen und Durchführung von Maßnahmen zu deren Verhin-
derung und Bekämpfung sowie zur Bereitstellung von Abhilfe für ältere Menschen, die
von dieser Praxis betroffen sind;
d) Umsetzung solider Programme zur Aufklärung über Online-Sicherheit, um ältere Menschen vor digitalem Missbrauch, Hetze im Internet, Betrug und Fehlinformationen zu schützen, und Durchsetzung von Vorschriften zum Schutz älterer Menschen vor solchen Praktiken.
57. Im Hinblick auf die digitale Inklusion gibt die Unabhängige Expertin folgende
Empfehlungen ab:
a) Ausdrückliche Einbindung älterer Menschen als Interessenträger in den Globalen Digitalpakt;
b) Unterstützung von Programmen zur Förderung der digitalen Kompetenz älterer Menschen und Bereitstellung eines erschwinglichen Zugangs zu digitalen Geräten und zu Internetanbindung für ältere Menschen, mit besonderem Augenmerk auf Möglichkeiten für die ländliche Bevölkerung und marginalisierte Gruppen;
c) Einbeziehung älterer Menschen in die Planung, Konzipierung und Umsetzung digitaler öffentlicher Dienste, um sicherzustellen, dass diese Dienste benutzerfreundlich sind und dass analoge Dienste für ältere Menschen, die dieses Format bevorzugen, verfügbar bleiben;
d) Förderung des Einsatzes unterstützender Technologien wie Hörgeräte, Text-to-Speech-Software und Spracherkennungsprogramme, um die digitale Barrierefreiheit für ältere Menschen mit Behinderungen zu verbessern und sicherzustellen, dass diese Instrumente für alle älteren Menschen, die sie benötigen, barrierefrei und erschwinglich sind;
e) Gewähr, dass älteren Menschen in Trainingsdaten für Systeme der künstlichen Intelligenz Rechnung getragen wird, um die Relevanz und Genauigkeit solcher Dienste zu verbessern;
f) Beseitigung geschlechtsspezifischer Hindernisse, denen sich ältere Frauen beim Zugang zu Bildung und zur digitalen Welt sowie zur Technologie gegenübersehen, wodurch die Gleichstellung der Geschlechter bei der digitalen Teilhabe gefördert wird.
58. Im Hinblick auf die Krisenreaktion gibt die Unabhängige Expertin folgende
Empfehlungen ab:
a) Ergreifung aller erforderlichen Maßnahmen, um den Schutz älterer Menschen in humanitären Notlagen zu gewährleisten, einschließlich der Bereitstellung angemessener Dienste für ältere Menschen, insbesondere für Menschen mit körperlichen Behinderungen, um ihre Mobilität zu erleichtern, und der Bereitstellung von Informationen über verschiedene digitale und analoge Kanäle, um sicherzustellen, dass diese für ältere Menschen barrierefrei sind;
b) Gewähr, dass die Unterkünfte für Vertriebene an die Bedürfnisse der älteren Menschen und der Mehrgenerationenhaushalte angepasst sind und dass die Gesundheitsdienste in Krisenzeiten neben psychosozialer Unterstützung und psychologischer Gesundheitsversorgung eine fachmedizinische Versorgung anbieten, die altersspezifische Bedürfnisse und chronische Erkrankungen abdeckt;
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c) Einbindung älterer Menschen in die Katastrophenvorsorge, um ihre Fähigkeiten zu nutzen und sicherzustellen, dass auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird;
d) Einrichtung von Mechanismen zur Datenerhebung, um die Wirksamkeit von Programmen und Maßnahmen zur Unterstützung älterer Menschen in Krisensituationen zu überwachen und zu bewerten;
e) Gewähr, dass Rückführungsmechanismen die Ermittlung und den besonderen Schutz von Migrantinnen und Migranten in prekären Situationen, einschließlich älterer Menschen, zulassen;
f) Ermöglichung eines vorrangigen Zugangs zu dauerhaften Lösungen für ältere Flüchtlinge, da sich ältere Menschen, die eine wohlbegründete Angst vor Verfolgung haben und über Grenzen hinweg vertrieben werden, aufgrund sozialer Ausgrenzung, mangelnder Informationen und mangelnder sozialer Unterstützung zusätzlichen Hindernissen beim gleichberechtigten Zugang zum Flüchtlingsstatus gegenübersehen können;
g) Förderung kommunaler Netzwerke, die das Wohlergehen und die Integration älterer Flüchtlinge unterstützen und sicherstellen können und so die Isolation verringern und die gegenseitige Unterstützung verbessern;
h) Sicherstellung einer konstruktiven Partizipation älterer Menschen an den Bemühungen um Friedenskonsolidierung und Konfliktlösung, um ihre traditionelle Führungsrolle und ihr kulturelles Wissen zu nutzen.
59. Im Hinblick auf den Klimawandel gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Investitionen in Prävention durch den Aufbau einer klimaresistenten Infrastruktur, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, zum Schutz älterer Menschen, vor allem vor den negativen Auswirkungen des Klimawandels;
b) Einbindung älterer Menschen in Planungs- und Abschwächungsprozesse im Zusammenhang mit dem Klimawandel und Nutzung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten zur Förderung der Nachhaltigkeit;
c) Förderung des gleichberechtigten Zugangs zu Maßnahmen der Klimagerechtigkeit für ältere Menschen, die von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.
60. Im Hinblick auf die Autonomie und Unabhängigkeit gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Verabschiedung klarer und gezielter Strategien für die Deinstitutionalisierung, mit spezifischen Zeiträumen und angemessenen Haushaltsplänen, um alle Formen der Isolation, Segregation und unfreiwilligen Einweisung älterer Menschen in Einrichtungen zu beseitigen;
b) Sicherstellung der Partizipation älterer Menschen an der Umgestaltung von Unterstützungsdiensten und Gemeinschaften sowie an der Konzipierung und Umsetzung von Strategien für die Deinstitutionalisierung;
c) Förderung alternativer Wohnformen, wie betreutes Wohnen und Wohngemeinschaftsmodelle, und Investitionen in gemeindenahe Dienstleistungen, die älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.
61. Im Hinblick auf wirtschaftliche Sicherheit gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung älterer Menschen, zum Beispiel Lohnkostenzuschüsse, Umschulungsprogramme und Antidiskriminierungsgesetze für die Arbeitswelt;
b) Aufbau generationenübergreifender Teams, die die Stärken aller Alters-
gruppen nutzen;
c) Stärkung des Bewusstseins für den wirtschaftlichen Beitrag älterer Menschen durch Investitionen in empirische Studien, die Daten zu diesem Thema liefern;
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d) Ausreichende Investitionen in beitragsabhängige und beitragsunabhängige Renten- und Sozialschutzsysteme sowie die angemessene Verwaltung dieser Systeme, um ihre langfristige finanzielle Tragfähigkeit zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die Zahlungen ausreichen, um älteren Menschen die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu ermöglichen;
e) Wirksame Bekämpfung der Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz und Abschaffung von Regelungen, die ein verbindliches Renteneintrittsalter vorschreiben, zugunsten einer individuellen Eignungsbewertung.
62. Im Hinblick auf das Recht auf angemessenes Wohnen gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Förderung von Wohnkonzepten, einschließlich erschwinglicher Wohngelegenheiten, altersgerechter Designstandards und gemeinschaftsbasierter Wohnformen, die Isolation verringern, und Ausrichtung dieser Konzepte an den künftigen Herausforderungen, einschließlich demografischer Veränderungen, der Urbanisierung und des Klimawandels;
b) Unterstützung der Entwicklung altersgerechter Städte, einschließlich vollständig barrierefreier öffentlicher Verkehrsmittel und öffentlicher Räume, angemessener Grünflächen und öffentlicher Räume, die ältere Menschen vor extremen Wetterund Klimabedingungen schützen.
63. Im Hinblick auf das Recht auf Gesundheit gibt die Unabhängige Expertin folgende Empfehlungen ab:
a) Verbesserung der Gesundheitssysteme auf allen Ebenen, um sicherzustellen, dass das Recht auf Gesundheit für ältere Menschen verwirklicht werden kann, unter Partizipation repräsentativer Gruppen älterer Menschen und unter besonderer Berücksichtigung intersektionaler Hindernisse, die einer angemessenen Gesundheitsversorgung entgegenstehen, einschließlich Armut und geografischer sowie identitätsbedingter Diskriminierung;
b) Erweiterung des Zugangs zur körperlichen und psychischen Gesundheitsversorgung durch Investitionen, um eine universelle Gesundheitsversorgung für ältere Menschen zu ermöglichen, und durch die Nutzung aufkommender Technologien, einschließlich telemedizinischer Dienste und der Robotik, mit entsprechenden Schulungen und Sicherheitsvorkehrungen, damit ältere Menschen von diesen Technologien profitieren können;
c) Investitionen in den Ausbau von Fortbildungen in geriatrischen Fachrichtungen und in die Verfügbarkeit spezialisierter Altenpflege;
d) Einbeziehung älterer Menschen in die Pandemievorsorge und die Umsetzung der aus der COVID-19-Pandemie gezogenen Lehren, um Ageism in der Gesundheitsversorgung zu vermeiden, die Kontinuität der Gesundheits- und Pflegedienste zu gewährleisten, älteren Menschen Informationen in einem barrierefreien Format zur Verfügung zu stellen, der sozialen Isolation entgegenzuwirken und unangemessene Einschränkungen der Freiheit älterer Menschen zu verhindern.
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