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Pflichtmitgliedschaft in LKK altersdiskriminierend

22.12.2006 - von Dr. Müller

Wie eine 85-jährige Frau im deutschen Rechtsstaat an den Rand ihrer Existenz gedrückt wird. Ein deutsches Trauerspiel zwischen Rheinland-Pfalz und Sachsen
Marianne J. aus G., 85 Jahre,
sucht Hilfe in einem Rentenstreit bzw. Problem mit der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK).

Prolog
Die Familie von Frau J. wurde im Zuge der Bodenreform in Glaucha/Sachsen enteignet
und floh nach Bad Ems (Rheinland-Pfalz). Dort
arbeitete Marianne J. im öffentlichen Dienst und war 45 Jahre bei der BARMER krankenversichert.

Anstatt, inzwischen Anfang 70, ihren Lebensabend im schönen Lahntal zu genießen, ließ sie
sich auf das Wagnis eines Neuanfangs in der Lommatzscher Pflege ein, wo ihr am 29.4.1991
das Gut ihrer Vorfahren mit ca. 50 ha Nutzfläche rückübereignet wurde. Ihre Altersrücklagen
investierte sie in den Wiederaufbau der z. T.
zerstörten Gebäude und die Ankurbelung der landwirtschaftlichen Arbeit – über 15 Jahre insgesamt ca. 500.000 €. Das Land verpachtete sie an zwei Nachbarn. Bei diesem verständlicherweise noch nicht abgeschlossenen Aufbauprozess braucht mensch einen langem Atem und viel Tatkraft, beides hat Frau J. offensichtlich. Und das braucht sie nun noch mehr …

Erster Akt
Denn: Im Jahre 2000 kam einer der Pächter bei einem Unfall ums Leben, sodaß seine Familie das Land nicht im bisherigen Umfang weiter bestellen konnte und schrittweise an Marianne
J.zurückgab.

Sie wurde damit, nunmehr 80 Jahre, selbständige Landwirtin. Mit der Anmeldung in der Berufsgenossenschaft wurde sie
auch bei der LKK angemeldet, die ab 1. 9.2000 Beiträge von Marianne J. erwartet. Für selbständige Landwirte bis zu einem Wirtschaftswert von 60 TDM sei eine Mitgliedschaft in der LKK Pflicht, teilte man ihr mit. Die Beitragssätze errechnen sich nach der landwirtschaftlichen Nutzfläche; übersteigt der daraus
erwirtschaftbare Wert jene 60 TDM, entfällt die Zwangsmitgliedschaft. Der Wirtschaftswert wird heute für das Gut mit 68 TDM ausgewiesen, mit der Übernahme des ersten Pachtteils von 11 ha waren es 28 TDM, wodurch die Mitgliedschaft in der LKK zwangsweise eintrat.

Entscheidend ist hier der Wirtschaftswert am Beitrittstag, nicht der Aktuelle. Die LKK verlangt jährlich Beiträge von ihr in Höhe von über 5.000 €. Da sie sich juristisch gegen die Zwangsmitgliedschaft wehrt, werden diese Beiträge regelmäßig bei ihr gepfändet.

Zweiter Akt
Was kann Marianne J. tun? Ihr Land aufgeben, dann ist sie sofort „frei“, muß allerdings die Außenstände nachzahlen. Oder sie findet einen neuen Pächter – das ist offenbar nicht so einfach, wie sich das Juristen und Beamte in
ihren Kanzleien einbilden.

Offenbar gibt es im für Landwirtschaft zuständigen Seehofer-Ministerium ernsthafte Überlegungen zur Auflösung der LKKn als „Staat im Staate“,„schon“ 2011?

Der eigentliche Knackpunkt für ihre heutigen Schwierigkeiten ist wohl eine juristische Fahrlässigkeit oder Unterlassung im Zuge des deutschen Vereinigungsprozesses: Im Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) ist neben den Mitgliedschaftskonditionen
fixiert, dass, wer bei der Rückübertragung bereits das Rentenalter erreicht hat, auch der
Pflichtmitgliedschaft in der LKK unterliegt, zu dieser Zeit Berufstätige nicht. Das verstehe,
wer will. Jedenfalls müssen auch die Richter an den Sozialgerichten dieser Regelung folgen.

Das Verfahren wird nun voraussichtlich im Instanzenweg vor dem Bundessozialgericht zu
verhandeln sein - und erfordert letztlich gesetzgeberische Konsequenzen.

Überdies nimmt Marianne J. zurzeit keine Leistungen der LKK in Anspruch, da sie fürchtet, in diesem Falle, ihre Zwangsmitgliedschaft
anzuerkennen. D. h., sie bezahlt als an Diabetes und Osteoporose Leidende alle medizinischen Leistungen komplett aus eigener Tasche – so lange das noch möglich ist.

Dritter Akt
Der FALL (das ist er nun leider geworden) Marianne J. zeigt nachdrücklich:

1. Ein Gesetz aus Wendezeiten führt zur Diskriminierung älterer Menschen, die ihr Leben so
selbständig und mit Tatkraft gestalten, wie das die Politik so gern von Älteren erwartet.

2. wird hier eine Frau durch bürokratische Hartleibigkeit und juristische Tricks an den Rand
des Ruins getrieben, die als Investorin nach Sachsen kam – und nebenbei Arbeitsplätze in
einer ländlichen Region sichern hilft -, „Investor“ gilt der Politik der großen Parteien doch sonst als gottgleich, dem alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen seien. Aber Frau J. ist eben nur Kleininvestorin, dazu noch auf eigener Scholle – bei Siemens & Co. liefe so etwas bestimmt anders, geschmierter gewissermaßen.

3. erleben wir im Gesundheitssystem nicht nur Sozial-, sondern auch Demokratieabbau;
Zwangsmitgliedschaften gehören nicht ins 21. Jahrhundert – wer will mit solchen Maßnahmen den Wettbewerb der Kassen und die Eigenverantwortung der Versicherten stärken?

Der FALL Marianne J. zeigt auch, dass der Rechtsstaat noch immer eine Baustelle ist; ohne die Wachsamkeit demokratischer Kräfte wie der GRAUEN Panther, und das Rechtsempfinden und die Kraft von Menschen wie Marianne J. stünde es um dessen Zukunft nicht gut.

Aber noch ist Hoffnung … auch auf rechtsstaatlich agierende Gesetzgeber. Die Aussage eines
sächsischen Ministerialbeamten – „Wo Gesetze gemacht werden, gibt es immer auch persönliche Härten“ – können und wollen wir nicht hinnehmen.

Epilog
Gilt nicht inzwischen in Deutschland ein Gesetz, das u. a. Diskriminierung wegen ALTERS
und ARBEIT untersagt? Wer bei der Mär von sog. Leistungsträgern an smarte Jungs und Mädels denkt, sollte mit Frau J. in Kontakt
kommen; etwas mehr Respekt vor dem Alter bitte und vor gelebten Maximen wie EIGENTUM VERPFLICHTET!

Aufgeschrieben von einem dadurch sehr bedrückten und den „geneigten Leser“ um Besserungsideen ersuchenden Landesvorsitzenden der GRAUIEN Panther in Sachsen, Dr. Peter Müller

DIE GRAUEN, Graue Panther Sachsen * Bautzner Landstr. 110 * 01324 Dresden * Internet: www .graue-panther-sachsen.de:
Vorstand: Dr. Peter Müller, Anneliese Lohr, Ralph Liebig, Thea Henke, Gisela Uhlemann
Fon: (0351) 2632138, Fax: (0351) 2632139 * eMai: graue-panther-sachsen@jpberlin.de
Bankverbindung: Deutsche Kreditbank AG, BLZ 12030000 * Konto 1205889

Quelle: Graue Panther Sachsen

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