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NDR kündigt Sprechern wegen ZU ALTER STIMMEN

22.08.2012 - von J.M., U.G., H.S.

Kann man glauben, was Kai-Hinrichs Renner im Hamburger Abendblatt schreibt??? Sabine Rossbach, Direktorin des NDR-Landesfunkhauses Hamburg und Programmchefin von NDR 90,3 habe den Sprechern der "Nachrichten op Platt" Hartmut Cyriaks und Peter Nissen, durch den Plattdeutsch-Redakteur Gerd Spiekermann, mitteilen lassen, IHRE STIMMEN SEIEN ZU ALT!!!

Das schlägt dem Fass den Boden aus. Nun sollen schon Stimmen zu alt sein!? Demnächst vielleicht auch das Lachen? Oder das laute Schreien über eine solch schäbige Altersdiskriminierung? Es ist nicht zu fassen, wenn es denn stimmt, was sich die öffentlich-rechtlich bezahlte Landesfunkhausdirektorin und Programmchefin erlaubt: Selbstherrlich bestimmt sie, wer den Mund vor dem Mikrofon noch aufmachen darf und wer die Schn.. zu halten hat. Wohlgemerkt, es geht nicht um Inhalte, es geht um Klang, den sie nach ihrem eigenen Gutdünken zensiert.

Gemäß § 23 NDR-Staatsvertrag gehört zu jedem Landesfunkhaus ein Landesrundfunkrat. Dieser berät u.a. die Landesfunkhausdirektoren in allen Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung. Wenn eine Landesfunkhausdirektorin Sprechern wegen "zu alter Stimmen" kündigt, ist das eine Angelegenheit von so grundsätzlicher Bedeutung, dass sich der Landesrundfunkrat dringend damit befassen sollte. Am besten pantomimisch. Damit Frau Rossbachs Gehör nicht durch eventuell im Rundfunkrat vorhandene zu alte Stimmen strapaziert wird.

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Der Vorsitzende des DGB-Hamburg, Uwe Grund, hat an Frau Rossbach geschrieben:

Liebe Frau Rossbach,
Kai-Hinrich Renner hat in der Wochenendausgabe des Hamburger Abendblattes auf der Seite 20 berichtet, dass Sie die Kündigung der Sprecher von „Nochrichten op Platt“ veranlasst hätten. Angeblich mit der Begründung, deren Stimmen seien „zu alt“. Dazu hat mich ein Leserbrief von Herrn Johannes Müllner in Kopie erreicht, den ich mit seiner Zustimmung an Sie weiterleite.
Ich bitte Sie um eine sachdienliche Stellungnahme in diese Angelegenheit.
Danke.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Grund

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Der Leserbrief des Herrn Müllner, den das Hamburger Abendblatt nicht veröffentlicht hat, lautet so:

Eigentlich müsste die Direktorin des NDR wissen, welche Grenzen sie bei Ausübung ihres Direktionsrechts zu beachten hat. Es geht nicht um einen sozialen Abstieg der gekündigten Plattdeutsch-Sprecher. Frau Rossbach hat mit ihrer Kündigung die Betroffenen diskriminiert. Das ist unzulässig und sollte gerade bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auch nicht im Ansatz praktiziert werden. Mir scheint, Frau Rossbach ist sich der Gesetzeslage nicht bewusst. Aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben sich Verpflichtungen, die in diesem Fall offensichtlich missachtet worden sind.

Warum werden ältere Menschen mit ihrer etwas veränderten Stimme ausgegrenzt? Schließlich sind sie Teil und Spiegelbild unserer Gesellschaft. Sie gehören einfach dazu. Die DGB-Senioren in Hamburg verwahren sich nachdrücklich gegen eine Diskriminierung der älteren Generation und beschäftigen sich aktuell in einer Veranstaltung (13.9.) gerade mit dem Thema „Respekt vor dem Alter“. Dieser Respekt ist Frau Rossbach wahrscheinlich abhanden gekommen.
Johannes Müllner

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Der Vorsitzende des Hamburger DGB, Grund, erhält keine Antwort von Frau Rossbach. Stattdessen falttern ihm zwei sogenannte Zulieferungen ins Haus, die der NDR Sprecher an das Hamburger Abendblatt gesandt hat und eine Zulieferung aus dem Büro der Direktorin an eine Hörerin. Dazu sollte man wissen: Als Zulieferer definiert das Deutsche Universallexikon "einen Industriebetrieb bzw. Händler, der Unternehmen mit Produkten belierfert, die von diesem weiterverarbeitet werden".

Lieber Herr Grund,
Frau Rossbach bat mich, Ihnen die Zulieferungen der NDR-Pressestelle an das Hamburger Abendblatt sowie unser Antwortschreiben an die Hörer, die sich zu diesem Thema melden, zukommen zu lassen. Anbei die entsprechenden Schreiben für Sie zur Kenntnis.

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20.08.2012 / Zulieferung der NDR-Pressestelle an das HH Abendblatt

Liebe Frau J.,
vielen Dank für Ihre Fragen zu den "Norichten op platt", die mir R.P. übermittelt hat. (Es heißt übrigens wirklich "Norichten"; am Sonnabend stand der Titel nicht ganz richtig im Abendblatt.)

Hier die Antworten:
1.) Ihre Stimmen seien zu alt, lautete der Grund für die Absetzung der beiden Sprecher. Wer hat das festgestellt? Haben Hörer das hohe Alter moniert? Wie klingt eine Stimme, wenn sie "alt" ist?

Plattdeutsch-Redakteur Gerd Spiekermann hat Hartmut Cyriacks und Peter Nissen mitgeteilt, dass das Team der „Norichten op platt“ verändert werden soll: Die Redaktion möchte mehr und jüngere Stimmen dabei haben. Beim Plattdeutschen gibt es eine große regionale Bandbreite, die für eine Ausweitung des Teams spricht. Und das Plattdeutsche ist eine lebendige Sprache und nicht allein älteren Jahrgängen vorbehalten. Das ist der Grund dafür, dass NDR 90,3 für diese werktägliche Sendung nach knapp zwei Jahrzehnten eine Verjüngung angestrebt hat. In den Gesprächen mit Hartmut Cyriacks und Peter Nissen ging es vor allem um das Thema Verständlichkeit der Präsentation. Von „hohem Alter“ war nicht die Rede – das träfe auf die beiden nicht zu.


2.) Sind solche Vorgänge ein Sonderfall oder kommt es häufiger vor, dass Sprecher im Alter ausgewechselt werden. Sind Ihnen Beispiele aus anderen Sendern bekannt?

Es ging ausschließlich um die „Norichten op platt“. Entscheidend ist immer das einzelne Sendeformat, zu dem die Präsentation passen muss.


3.) Carlo Tiedemann, der demnächst 70 Jahre alt wird, arbeitet immer noch für den NDR. Ist er (sein Alter) eine Ausnahme? Gelten für Moderatoren in diesem Fall andere Anforderungen als für Sprecher?

Für freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es in dieser Hinsicht keine festen Regeln. Carlo von Tiedemann ist eine große Bereicherung des Programms von NDR 90,3, deshalb ist er Moderator.

Mit besten Grüßen
Martin Gartzke
NDR Sprecher
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17.08.2012 / Zulieferung der NDR-Pressestelle an das HH Abendblatt

Lieber Herr R.,
danke für Ihre Anfrage zu den "Norichten op platt" (montags bis freitags um 9:30 Uhr auf NDR 90,3. Hier meine Antwort:

Die wichtigste Nachricht vorweg: Die werktäglichen plattdeutschen Nachrichten auf NDR 90,3 bleiben in gewohnter Qualität und im bisherigen Umfang erhalten. Tatsächlich hat die Redaktion von NDR 90,3 Journalisten gesucht und gefunden, die gut plattdeutsch sprechen. Ziel war, das Team der "Norichten op platt" zu vergrößern, um mehr und jüngere Stimmen dabei zu haben. Das ist auch gelungen. Darum ging es in einem Gespräch, das NDR 90,3-Plattdeutsch-Redakteur Gerd Spiekermann vor mehreren Wochen mit Hartmut Cyriacks und Peter Nissen geführt hat. Ihre Tätigkeit für die „Norichten op platt“ ist Ende letzter Woche ausgelaufen. Im Übrigen arbeiten Hartmut Cyriacks und Peter Nissen weiterhin mit NDR 90,3 und mit anderen Redaktionen des NDR zusammen (z. B. für die Übersetzungen ins Plattdeutsche für die Fernsehserie „Büttenwarder op platt“).

Mit besten Grüßen
Martin Gartzke
NDR Sprecher

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Brief an unsere Hörer

Sehr geehrter Frau XXX,
danke für Ihre Nachricht und die darin enthaltende Frage in Bezug auf die plattdeutschen Nachrichten bei NDR 90,3. Ihre Rückmeldung ist uns sehr wichtig, denn wir setzen uns wöchentlich in unserer Planungskonferenz mit allen Redaktionsleitern dezidiert mit den Fragen und Anmerkungen unserer Hörerinnen und Hörern auseinander - und zwar nicht allgemein und gebündelt, sondern einzeln und individuell.

Vorab möchte ich Ihnen versichern, dass auch in Zukunft das Plattdeutsche bei NDR 90,3 einen sehr hohen Stellenwert im Programm einnehmen wird – übrigens in Hamburg auch nur bei uns, kein anderer Radiosender räumt der traditionsreichen Sprache einen so hohen Stellenwert ein.

Dabei müssen wir darauf achten, dass die Anmutung des gesamten Programms möglichst allen Hörerinnen und Hörern zusagt – immerhin mehrere hunderttausend Menschen täglich. Deshalb haben wir in der Vergangenheit damit begonnen, auch neuen Talenten mit hervorragenden Plattdeutsch-Kenntnissen, wie zum Beispiel Benita Brunnert oder Thomas Lenz, eine Chance als Sprecherin oder Sprecher zu geben – mit großem Zuspruch aus der Öffentlichkeit, wie Anrufe und Nachrichten an uns belegen. Wir haben darüber hinaus nicht nur das eigene Programm im Blick, sondern stehen mit diversen Vereinen und Initiativen rund um das Thema „Platt“ in ständigem Dialog. Einig sind sich alle: vor allem jüngere Menschen müssen für die Sprache begeistert werden, um die Zukunftsfähigkeit langfristig zu sichern – unsere Verantwortung als öffentlich-rechtlicher Radiosender wollen wir hier wahrnehmen.

Dies bedeutet aber nicht, dass wir auf Erfahrung verzichten: Bernhard Koch und Jan Graf - um nur zwei zu nennen - sind Kollegen mit langjähriger Kompetenz, die selbstverständlich weiterhin zum festen Bestandteil des Programms von NDR 90,3 gehören werden. „Alt“ und „jung“ – wie von einer Tageszeitung behauptet - sind dabei keine Kriterien, die bei NDR 90,3 angewendet werden. Immer stehen die richtige Mischung im Fokus, sowie die Qualität und Sie als Hörerin und Hörer unseres Programms im Mittelpunkt der Überlegungen.

Ich bitte Sie freundlich um Verständnis, dass Personalentscheidungen – ob im oder gegen das Interesse des Einzelnen, aber immer im Sinne der Zukunft von NDR 90,3 und hier der plattdeutschen Sprache - auch zum Arbeitsalltag des Landesfunkhauses Hamburg gehören.

Ich hoffe, Ihre Frage hiermit beantworten zu können, wünsche Ihnen persönlich alles Gute und freue mich, wenn Sie den Programmen von NDR 90,3 und dem Hamburg Journal weiterhin gewogen bleiben.

Herzliche Grüße

Katja Hecker
Norddeutscher Rundfunk
Landesfunkhaus Hamburg
Büro der Direktorin
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg

Link: DEVK: Altersdiskriminierung bei Kölner Lichtern
Quelle: Hamburger Abendblatt, 18.8.2012

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