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Bericht von der Pflegekonferenz des DGB in Berlin

10.11.2012 - von Hartmut Jeromin

Wahlkampf konnte man Annelie Buntenbach vom DGB am 26.10.12 in Berlin nicht direkt unterstellen. Die Fachleute hatten das Wort, der DGB hatte geladen zur Konferenz „Bessere Versorgung in der Pflege“. Was treibt den DGB nun, wenige Monate vor Bundestagswahlen, zu Sozialkonferenzen überall im Land (Riesa am 19./ 20.10.12, Fulda am 14.11.12…)? Die drohende Altersarmut (und Kinderarmut) alleine kann es ja nicht sein!

Ich vermute, dass nun auch der DGB die Probleme des sichtbaren Auseinanderdriftens der Gesellschaft in Arme und Reiche zur Kenntniss nehmen musste, denn das ist auch beim bösesten Willen nicht mehr zu übersehen! Oder sind die Gewerkschaften der halblinke Flügel der SPD und sollen auf diese Weise nun doch in den Wahlkampf einbezogen werden? Und zwei Jahrzehnte Politikfehler korrigieren helfen? Sei es.

Alle Vortragenden konstatierten wiederum das soziale Risiko der Pflegebedürftigkeit in den Lebensaltern, besonders aber im Alter. Biologisch ist das natürlich kein Risiko sondern nur die Natur! Zum Risiko wird es erst in den „modernen“ sozialen Bezügen, die dadurch gefährdet werden … und auch das Pflegen selbst stellt für die Familien ein Risiko dar.

Und nun wird vielfach auf der Basis des bisher Praktizierten nach neuen Wegen gesucht. Das ist berechtigt. In Bremen gibt es eine Heimstiftung mit 26 Heimen, 2800 Patienten, 1800 Mitarbeitern und einem 60 Mill. Etat und 98%iger Auslastung. Die Kassen geben das ihre, die Patienten auch. Gewinn wird nicht erzielt. Es gilt: ambulant vor stationär, Reha vor Pflege, Leben und sterben, da, wo man hingehört. Mir dämmerte durchs Gemüht: Was wäre, wenn es überall überhaupt keine privaten Anbieter gäbe? Gesetzlich wäre das eine Möglichkeit! Überall Klasse statt Masse?

Es blieben zwar die Grundprobleme, wie mangelnder Berufsnachwuchs, aber kein Eigentum, kein Gewinn. Das ist natürlich eine Illusion, denn auch Herbert Mauel, der Geschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste war geladen und referierte und zeigte die Interessen von 7.500 kleinen und mittelständischen Anbietern auf. Er nannte uns auch die Profitrate: 5%. Und er zeigte, dass alle Leistungserbringer die gleichen betriebswirtschaftlichen Probleme haben, dass die Personalplanung nach Kostenlage erfolgt. Und alle wettstreiten um die Fachkräfte, aber auch um Patienten.

Neue Sozialmodelle wurden diskutiert, mit mehr Solidarität bis in die Finanzierung, auch Enthospitalisierung, flexibles Leistungsrecht, weiter ganzheitlicher Pflegebegriff, Pflege mehr als Reha ausgerichtet, mehr sozialräumliche Orientierung, Vernetzung der verschiedenen Formen unter Leitung der Kommunen bis hin zu genossenschaftlich organisierten Modellen. Und Träger sollen sich selbstkritisch hinterfragen.

Aber niemand sprach über die Wirkungen privater Pflegezusatzversicherungen. Hat das keiner untersucht? Wer kann sich sowas leisten und wer nicht?

Die Fakten bekam natürlich niemand aus der Welt: der Pflegebedarf steigt enorm, das bewirkt einerseits einen steigenden Personalbedarf und damit einen Finanzbedarf. Denn 2/3 der Kosten entstehen als Personalkosten. Am „Markt“ herrscht freies Spiel der Kräfte und zunächst ein Unterbietungswettbewerb.

Und Dr. Sylwia Timm referierte zu den Problemen, die osteuropäische Pflegekräfte hierzulande erleben. Manch unerfahrene Frau gerät in die Fänge von „Vermittlern“, muß denen dann monatlich einen Betrag dafür zahlen. Bei 400 € je Pflegekraft und z.B. 5.000 Vermittlungen ist ein Abschöpfen von 2.000000 € im Monat möglich. Dazu werden die Pflegekräfte in Unwissenheit und Abhängigkeit gehalten.

Faire Mobilität erfordert aber Legalität, Qualifikation, Beratung, Sprachkenntnisse, guter Lohn und Anerkennung der Arbeit. Denn in Europa herrscht Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit.

Am Ende aber lief doch alles wieder auf das „liebe Geld“ hinaus. Denn wenn es im Falle der Fälle konkret wird mit Oma oder Opa, muß gezahlt werden. Ein Vollpflegeplatz kostet 3.000- 4.000 €. Soviel Rente hat hier kaum jemand. Die Pflegekasse gibt ca. 1.500- 1.900 € dazu bei entsprechender Einstufung, also das Geld der Beitragszahler. Aber diese Einstufung erfolgt unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten der Kasse. Also unter harter Kalkulation. Da geht also die Rente mit drauf, es bleibt nur ein Taschengeld. Den fehlenden Rest steuert die jeweilige Kommune dazu als Sozialhilfe. Und kann ihn sich von Angehörigen zurückholen.

Deshalb sprachen die Referenten auch immer von privater, häuslicher Pflege. Die ist u.U. billiger. Auch von ambulanter Pflege. Oder von Prävention und Reha, damit sich der Pflegefall erst spät im Leben einstellt. Auch nach Ehrenamtlichen wird gerufen.

Und dann: Die CDU-Vorkämpfer Friedrich Merz und Petra Roth sitzen im Axa-Aufsichtsrat, einem der grössten Versicherer in Deutschland und 500.000 CDU-Mitglieder erhalten so 5% Gruppenrabatt. Das ist doch mal was.

Mir scheint, der DGB lehnte sich mit dieser Konferenz weit aus dem Fenster, aber noch nicht weit genug. Denn der stetige Anstieg der Arbeitsproduktivität, die versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Sozialkassen, den raffinierten Ausstieg der Arbeitgeber aus der Parität der Einzahler, die zunehmende Unsolidarität im „Versicherungsrecht“ und die Rolle der Lobbyistenverbände fanden hier (noch) keine Beachtung.

Oktober 2012

Link: Pflegereform im Medienrauschen
Quelle: Landesseniorenausschuss, GEW Sachsen

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