Diskriminierung melden
Suchen:

PKV: Zur Erstattung ärztlich verordneter Heilbehandlungen

21.04.2015 - von Dr. jur. Wigo Müller, ArbG - Direktor a. D.

Ärger mit seiner privaten Krankenversicherung und dazu der Eindruck, dass diese die Aufwendungen älterer und/oder schwerkranker Versicherter besonders "zurückhaltend" erstattet, waren der Anlass für den folgenden Beitrag:

Private Krankenversicherung: FRAGE DER BEWEISLAST

I Einleitung
Wer privat krankenversichert ist, erinnert sich vielleicht noch an die Äusserungen des Vertreters, der für den Abschluß des Vertrages mit dem hochwertigen Schutz der privaten Krankenversicherung (PKV) geworben und darauf hingewiesen hat, dort sei man besser geschützt als in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). In der Werbung eines bekannten Anbieters heißt es zum Beispiel noch heute: „Bei uns erhalten Sie hervorragende Leistungen für Ihre Gesundheit - ein Leben lang“. Viele Versicherer halten sich an diese Zusagen, erkennen die ärztlich verordneten Heilbehandlungen als medizinisch notwendig im Sinne des § 192 I VVG an und erstatten die dafür angefallenen Kosten im vertraglich vereinbarten Umfang. § 192 I VVG lautet auszugsweise wie folgt: Bei der Krankheitskostenversicherung ist der Versicherer verpflichtet, im vereinbarten Umfang die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit ... zu erstatten.

Was aber soll der Versicherte tun, wenn sein Versicherer die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung bestreitet ? Zunächst wird er sich bei ihm gegen die abgelehnte Erstattung wenden und sich dabei auf die Verordnung seines Arztes berufen. Seine „Beschwerde“ bleibt - oft nach hinhaltendem Schriftwechsel - erfolglos,vwobei sich der Versicherer regelmäßig auf die Entscheidung des BGH (IV ZR 175/77, NJW 1979, 1250 = VersR 1979, 221) beruft, nach der es für die Frage, ob eine Behandlung des Versicherten medizinisch notwendig war, nicht allein auf die Auffassung seines Arztes ankommt.

II Die Beweislast bei § 192 I VVG
Beim Versuch des Versicherten, den Versicherer zu einer Änderung seiner Entscheidung zu bewegen, spielt eine entscheidende Rolle die Frage, ob der Versicherte die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung oder ob der Versicherer beweisen muß, dass die Heilbehandlung medizinisch nicht notwendig war. Angesprochen ist die Frage der Beweislast, die nur beantwortet werden kann, wenn auf das gerichtliche Verfahren eingegangen wird, mit dem der Anspruch durchgesetzt werden kann.

Auf diese „Schnittmenge“ zwischen dem Versicherungs- und dem Prozessrecht hat bereits Helmut Kollhosser (NJW 1997, 969) hingewiesen. Nach den im Zivilprozeß geltenden Regeln der Beweislast muß derjenige die Voraussetzungen einer Rechtsnorm beweisen, der Rechte aus ihr herleitet. Wie selbstverständlich ist der für die Streitigkeiten der privaten Krankenversicherung zuständige IV. Senat des BGH (IV ZR 151/90, NJW-RR 1991, 1244 = VersR 1991, 987 sowie IV ZR 133/95, NJW 1996, 3074 = VersR 1996, 1224 = BGHZ 133, 208) von einer Beweislast des Versicherten ausgegangen. Demnach müsste der Versicherte die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung beweisen, sofern der Versicherer diese bestreitet.

Diese für die Versicherten nachteilige Rechtslage hat der IV. Senat des BGH bedacht und war durch eine weite Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 192 I VVG „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ bemüht, die berechtigten Interessen der Versicherten zu wahren. Er nimmt eine Leistungspflicht der Versicherer schon dann an, wenn es die medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen (BGH, IV ZR 113/04, NJW 2005, 3783 = VersR 2005, 1673 = BGHZ 164, 122). Auch das BSG (B 3 KR 19/05 R, NZS 2009, 273 = BSGE 100, 164) hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und eine Heilbehandlung als medizinisch notwendig angesehen, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen.

Das BSG hat hierzu festgestellt, es komme im Recht der PKV nicht darauf an, ob die Behandlung zur Erreichung des vorgesehenen Behandlungsziels tatsächlich geeignet ist; vielmehr sei die objektive Vertretbarkeit bereits dann zu bejahen, wenn die Behandlung als wahrscheinlich geeignet angesehen werden kann, auf eine Verhinderung der Verschlechterung der Erkrankung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken. Das BVerfG (1 BvR 347/98, NJW 2006, 891 = BVerfGE 115, 25) hat sogar eine gesetzliche Krankenkasse verpflichtet, Leistungen für einen Versicherten zu erbringen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

III Die bei § 192 I VVG gebotene Beweiserleichterung
Die zuvor beschriebene, großzügige Auslegung des § 192 I VVG hat die Rechtsstellung des Versicherten verbessert; denn meist wird ein Versicherer von einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung seines Versicherten ausgehen (müssen). Obwohl der BGH den § 192 I VVG zu Gunsten der Versicherten auslegt und die veröffentlichten
Entscheidungen meist zu Gunsten der Versicherten ergingen, lehnen manche Versicherer die Erstattung von ärztlich verordneten Heilbehandlungen ab, indem sie einwenden, der Versicherte habe die medizinische Notwendigkeit nicht bewiesen. Da nach der Entscheidung des BGH hierzu die Bescheinigung seines Arztes nicht ausreicht (IV ZR 175/77, NJW 1979, 1250 = VersR 1979, 221),müsste er dazu ein - für ihn kostenpflichtiges - Gutachten eines neutralen Sachverständigen einholen. Diese unbefriedigende Rechtslage gebietet es, dem Versicherten eine Beweiserleichterung
zu gewähren. Diese halten andere Senate des BGH dann für geboten, wenn dem eigentlich Beweispflichtigen die volle Beweislast billigerweise nicht zugemutet werden kann (Beispiele: BGH, III ZR 226/94, NJW 1996, 315 = BGHZ 131, 163; XII ZR 241/91, NJW 1993, 1391; IX ZR 157/83, NJW 1986, 59).

Bei der Frage, ob einem Versicherten der Beweis der medizinischen Notwendigkeit einer ärztlich verordneten Heilbehandlung zuzumuten ist, ist daher eine Interessenabwägung der Beteiligten vorzunehmen (BGH, IV ZR 29/03, NJW-RR 2004, 1397 = VersR 2004, 1035). Diese muß eindeutig zu Gunsten des Versicherten ausfallen, da dieser sowohl nach Ansicht des Gesetzgebers (BT-Drucks 16/3945, S. 111), als auch des BVerfG (1 BvR 347/98, NJW 2006,891 = BVerfGE 115, 25) und des BSG (B 1 KR 24/06 R, NJW 2007,1385 = BSGE 97, 190) besonders schutzwürdig ist. Die Beweiserleichterung ist deshalb geboten, weil jeder Versicherte durch den Abschluss seines Versicherungsvertrags sein krankheitsbedingtes Kostenrisiko abdecken wollte (BGH, IV ZR 137/98, NJW 1999, 3411 = VersR 1999, 745) und er daher erwarten kann, dass sein Versicherer die Kosten für die ärztlich verordneten Heilbehandlungen vertragsgemäß erstattet, ohne dass er ihm noch das ihm Kosten verursachende Gutachten eines Sachverständigen vorlegen muss.

Dies ist für den Versicherten auch deshalb unzumutbar, weil ihm ein - dank der Beiträge aller Versicherter – finanziell leistungsfähiger Partner gegenübersteht, der über Fachabteilungen verfügt, deren medizinische und juristische Mitarbeiter tagtäglich mit der Prüfung der Notwendigkeit einer Heilbehandlung im Rahmen des § 192 I VVG befasst sind und daher zuverlässig die Voraussetzungen des § 192 I VVG selbst prüfen können; ausserdem sind sie berechtigt, Unklarheiten einer Verordnung durch Rückfragen bei den behandelnden Ärzten zu klären. Durch eine Beweiserleichterung, die den Versicherten die Einholung von Gutachten eines Sachverständigen erspart, wird der Versicherer nicht über Gebühr belastet; denn aus einschlägigen Entscheidungen ergibt sich, dass die von einem Gericht beauftragten Sachverständigen die medizinische Vertretbarkeit einer Heilbehandlung stets dann bestätigen, wenn eine ärztliche Maßnahme auf einer gründlichen Anamnese beruht und von vernünftigen Erwägungen getragen ist. Außerdem spart der Versicherer im Interesse aller Beitragszahler die Erstattung der Kosten, die der Versicherte für ein von ihm eingeholtes Gutachten aufgewendet hat; denn diese müsste er ihm im Falle seines Unterliegens erstatten (BGH, VI ZB72/06, NJW 2008, 1597). Schließlich muß das Interesse des Versicherers, zur Vermeidung von - ohnehin erfolgenden - Beitragserhöhungen sparsam zu wirtschaften, hinter dem des Versicherten zurücktreten, im Falle einer Krankheit die vertraglich vereinbarte Erstattung seiner Aufwendungen zu erhalten. Für eine Beweiserleichterung hat sich mit ausführlicher Begründung Oliver Brand in seinem Aufsatz: Beweiserleichterungen im Versicherungsvertragsrecht, VersR 2015, 10 ff ausgesprochen. Seine die Sachversicherung betreffenden Erwägungen müssen erst Recht für privat Krankenversicherte gelten, auf deren besondere Schutzbedürftigkeit - wie oben ausgeführt - sowohl der Gesetzgeber, als auch das BVerfG und das BSG hingewiesen haben.

Aus den angegebenen Gründen ist es einem Versicherten nicht zuzumuten, die vom Versicherer bestrittene medizinische Notwendigkeit einer ärztlich verordneten Heilbehandlung zu beweisen. Eine Abwägung der Interessen zwischen Versicherer und Versicherten gebietet es, die Beweislast dem Versicherer aufzuerlegen. Dies gilt erst Recht dann, wenn es sich um einen alten und/oder schwer kranken Versicherten handelt, der zur Heilung oder wenigstens Besserung seiner Beschwerden auf die ihm
verordnete Heilbehandlung angewiesen und kaum (noch) in der Lage ist, seine berechtigten Ansprüche gegen den Versicherer durch unergiebigen Schriftwechsel, durch die Einholung eines Gutachtens oder sogar auf dem Rechtsweg durchzusetzen.

Es wäre zu wünschen, wenn sich die Versicherer hier an die Ankündigungen in ihrer Werbung erinnerten „Bei uns erhalten Sie hervorragende Leistungen für Ihre Gesundheit - ein Leben lang“ !

IV Ergebnis
Der privat Krankenversicherte hat gem. § 192 I VVG grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihm der Versicherer die Kosten einer ärztlich verordneten Heilbehandlung im vereinbarten Umfang erstattet. Sofern der Versicherer eine ärztliche verordnete
Heilbehandlung für medizinisch nicht notwendig hält, hat er dies zu beweisen. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, muß er die ihm vom Versicherten nachgewiesenen Kosten der ärztlich verordneten Heilbehandlung erstatten.

N a c h t r a g
Die vorstehenden Hinweise sind nach bestem Wissen bearbeitet. Für etwaige Unrichtigkeiten kann keine Haftung übernommen werden. Hinweise, Anregungen und Vorschläge für Verbesserungen sind erwünscht. [ Stand Februar 2015 ]

Der Autor (Jahrgang 1934), hat im Ruhestand zahlreiche Beiträge veröffentlicht, die insbesondere für Ältere bestimmt sind, u.a. die 10. Auflage seines Ratgebers: Erben und Vererben im Zivil-, Steuer- und Sozialrecht.Link

Link: PKV: Versicherte werden beim Wechsel in GKV gehindert
Quelle: Mail an die Redaktion

Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Gesundheit:
10.04.2015: Arztpraxis: Wer sich beschwert, fliegt raus
24.03.2015: Kassenärztliche Vereinigungen: Chefgehälter 2014
23.02.2015: Gesundheitssystem wenig effizient + zu teuer

Alle Artikel zum Thema Gesundheit