Lüttich, 2012 Foto: H.S.
04.06.2015 - von S.L.,R.P., U.K.
Drei von der Ungerechtigkeit des Versorgungsausgleichsgesetzes betroffene BürgerInnen haben am 22.5.2015, in der Hoffnung, eine aussagekräftige Antwort zu erhalten, einen fundierten Brief an den Bundestagsabgeordneten Stephan Mayer geschrieben.
Versorgungsausgleichsgesetz – Härtefallregelung
Sehr geehrter Herr Mayer,
in der Neufassung des Versorgungsausgleichsgesetzes vom September 2009 wird in der sogenannten Härtefallregelung festgelegt, dass der Ausgleichspflichtige bei Vorversterben des Ausgleichsberechtigten wieder seine vollen Versorgungsbezüge erhält, wenn der Tod des Ausgleichsberechtigten innerhalb eines Zeitraumes von 36 Monaten ab Ruhestandbeginns eintritt. In allen anderen Fällen hat der Ausgleichspflichtige die festgelegten Ausgleichszahlungen bis an das Lebensende zu leisten. Nach unserer Auffassung ist diese gesetzliche Festlegung undemokratisch und unsozial.
Wir haben bisher bei all unseren Anfragen über Abgeordnete und Petitionsausschüsse zwar Verständnis erfahren, aber letzlich nur die uns hinlänglich bekannten Hinweise auf den Gesetzestext erhalten. Die Begründung lief immer darauf hinaus, dass der Versorgungsausgleich im Durchschnitt aller Fälle für die Versichertengemeinschaft kostenneutral sein müsse. Alle unsere Versuche, statistisch gesicherte Zahlen für diese Begründung zu erhalten, waren erfolglos. Die Deutsche Rentenversicherung gibt auf telefonische Anfrage an, es lägen die gewünschten Statistiken nicht vor. „Im Übrigen obliegt es der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, entsprechende Stichtage festzusetzen“ , stellt Dr. Peter Ramsauer in einem Anwortschreiben vom 15.03.2013 fest. Demnach fehlt jegliche statistisch abgesicherte Basis für die Stichtagsregelung von 36 Monaten. Es handelt sich um einen willkürlich festgelegten Zeitraum. Haben hier die Lobbyisten der Rentenversicherung das Sagen?
Das VG Ansbach (Urteil vom 1. Februar 2011 – Az. AN 1 K 10.02237) führt dazu aus, dass der Gesetzgeber nach Art.3 Abs.1 GG nicht daran gehindert ist, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen. „Allerdings ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsraum in sachgerechter Weise genutzt, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und ob sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint.“
Das Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Dr. A. Niederfranke, 06.08.2013) beantwortet die Frage nach der Zahl der Ausgleichspflichtigen, die nach Vorversterben des Ausgleichsberechtigten weiterhin Zahlungen leisten und wie hoch sich die Einnahmen der Rentenversicherung dazu belaufen, mit dem Hinweis: „Hierzu liegen der Bundesregierung und der Deutschen Rentenversicherung Bund keine Zahlen vor“. Nach unserer Auffassung handelt es sich hier um eine gezielte Verschleierung, die im EDV-Zeitalter der bewussten Irreführung bzw. Fehlinfomation des Bundesbürgers gleichzusetzen ist. Das gleiche Schreiben gibt einen Gesamtbetrag von 1.316 Mio € (Kürzungen wegen Versorgungsausgleich) und ca. 1.912 Mio € (Leistungen wegen Versorgungsausgleich) an, weist aber in einem Nebensatz darauf hin, dass in diesen Beträgen die Erstattungen anderer Versorgungsträger (Beamtenversorgung, Ärzte- und Apothekerversorgung etc.) nicht enthalten seien.
Warum dieses unverständliche Taktieren?
In den Schreiben des Bundesministeriums für Justiz (15.02.2011) und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (10.05.2011) wird jeweils darauf hingewiesen, dass „eine Versorgung des ausgleichspflichtigen Ehegatten nach Durchführung des Versorgungsausgleichs grundsätzlich endgültig und bleibend gekürzt wird und eine Versorgung des ausgleichsberechtigten Ehegatten grundsätzlich endgültig und bleibend erhöht wird“. Gleichzeitig wird darauf verwiesen, dass dies den Regelungen im Rahmen der Vermögensauseinandersetzungen der Eheleute entspräche, da die einem Partner zugeteilten Vermögens- und Sachgegenstände im Falle dessen Versterbens nicht wieder dem anderen zufielen. § 37 VersAusglG deklariert jedoch durch die Stichtagsregelung von 36 Monaten zwei Typen von Geschiedenen: Bevorteilte, die wieder über ihre vollen Versorgungsbezüge verfügen können und Benachteiligte, deren Versorgungsbezüge bis ans Lebensende gekürzt werden. Der in § 3 GG verankerte Gleichheitsgrundsatz ist hier eindeutig verletzt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits in einer Entscheidung vom 05. Juli 1989 einer Härtefallfrist von 2 Jahren nicht grundsätzlich widersprochen hat und der Gesetzgeber mit der Strukturreform vom 01.09.2009 diese Frist auf drei Jahre angehoben hat, muss es nach 6 Jahren der Erprobung auf der Grundlage ehrlicher statistischer Zahlen doch möglich sein, durch eine erneute Novellierung diese Härtefallklausel, die im Endeffekt keine Härten beseitigt, sondern Härten (lebenslange Zahlungen) schafft, durch eine dem Solidarprinzip dienende Regelung für alle Ausgleichspflichtigen zu ersetzen.
In unseren persönlichen Fällen bewegen sich die monatlichen Zahlungen im Bereich von 800.- bis 1.000,- €, die lebenslang von unseren Versorgungsbezügen einbehalten werden, von Anrechten, die wir uns durch unsere berufliche Tätigkeit erdient haben. Eine bleibende finanzielle Einschränkung ist dadurch nicht von der Hand zu weisen. Durch die praktizierte gesetzliche Regelung werden möglicher Weise nicht bei uns, aber mit Sicherheit bei vielen lebenslang Zahlungspflichtigen Situationen geschaffen, die wegen der extrem reduzierten Rentenbezüge zu Altersarmut und Altersdiskriminierung führen müssen. Entsprechende Fälle sind uns bekannt. Ist sich der Gesetzgeber hier seiner Urheberschaft und der damit verbundenen Belastung der Sozialkassen (SGB IIX) bewusst?
Sinn und Notwendigkeit des Versorgungsausgleichsgesetzes, das die ehemalige Unterhaltsverpflichtung nach Scheidung ersetzt, werden von uns nicht in Frage gestellt. Allerdings war nach früherem Recht der Unterhaltpflichtige nach Vorversterben des Unterhaltsberechtigten von weiteren Kürzungen seiner Versorgungsbezüge befreit.
Wie sieht deshalb nach unserer Auffassung ein gerechter VAG aus?
– Die derzeitige Härtefallregelung ist ersatzlos zu streichen, da Härten nicht beseitigt, sondern geschaffen werden.
– Alle Ausgleichspflichtigen sollten bei Vorversterben des Ausgleichsberechtigten ohne Ausnahme im Sinne des Solidarprinzips zu Zahlungen weiterverpflichtet werden.
– Grundlage für die Dauer der Zahlungen muss die Lebenserwartungsstatistik sein. In der Regel leben Frauen länger als Männer (laut Sterbetafel 2010/2012 ca. 5 Jahre) und sind demnach auch Bezieher von Versorgungsausgleichszahlungen. Im Sinne des Solidarprinzips ist also ein Zeitraum von ca. 5 Jahren nach Vorversterben des Ausgleichsberechtigten gerechtfertigt.
– Ausgleichsberechtigte (vorwiegend Frauen) treten meist erheblich später ihren Ruhestand an als Männer. Trotzdem wird der Ausgleichspflichtige schon vor diesem Zeitpunkt - in vielen Fällen sind dies auch Jahre – zur Zahlung verpflichtet, obwohl an den Ausgleichsberechtigten noch keine Zahlungen erfolgen. Dieses Auffüllen der Rentenkasse hat mit Solidarität nichts mehr zu tun.
Wir bitten Sie als Abgeordneten mit juristischer Profession um Ihren Einsatz dafür, dass das VersAusglG vom 1. September 2009 in seinen Bestimmungen zur Härtefallregelung neu beraten und demokratisch und vor allem im Sinne der Solidargemeinschaft geändert wird. Stellen Sie bitte nicht nur Anfragen an die entsprechenden Ministerien, sondern entschließen Sie sich, an einer gerechten und sozial ausgewogenen Neufassung mitzuarbeiten und diese zur Abstimmung im Deutschen Bundestag, dem Gremium der Legislative zu bringen. Familienrichter und von uns zu Rate gezogene Rechtsanwälte bezeichnen die geltende Härtefallregelung wörtlich als „staatlich legalisierten Diebstahl“. Ein Gesetz als Grundlage der Rechtsprechung muss in unserem demokratischen Sozialstaat ausschließlich der Gerechtigkeit dienen. Wir appellieren an Ihren Gerechtigkeitssinn.
In Erwartung Ihrer geschätzten Rückantwort
mit freundlichen Grüßen
S. L., R. P., U. K.
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VAG – Härtefallregelung Erläuterung und Forderung
Legitimierung durch Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG. Nach Durchführung des VAG bestehen zwei selbständige ersicherungsverhältnisse, so dass die rentenrechtlichen Schicksale der geschiedenen Ehegatten grundsätzlich unabhängig voneinander zu sehen sind. Daraus folgt, dass der Versicherungsverlauf des Ausgleichsverpflichteten regelmäßig nicht von dem des Ausgleichsberechtigten beeinflusst werden kann.
Eine trickreiche, fragwürdige und höchst undemokratische gesetzliche Formulierung und Regelung!
Rückführung der Versorgungsansprüche im Rahmen der 36-Monats-Stichtagsregelung widerspricht dem Prinzip der selbständigen Versicherungsverhältnisse
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Rentenversicherungsansprüche und -versicherungsanwartschaften in einem ausgeprägten sozialen Bezug stehen. Sie sind Bestandteile eines Leistungssystems, dem eine besondere soziale Funktion zukommt. Die Härtefallregelung mit Stichtag 36 Monate widerspricht jedoch jeglicher sozialen Funktion.
Der Gesetzgeber ist nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht daran gehindert, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl das unvermeidliche Härten mit sich bringt. Allerdings ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Gestaltungsraum in sachgerechter Weise nutzt, ob der die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und ob sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint.
Die Härten der aktuellen Regelung sind vermeidbar, die hinreichende Würdigung ist nicht gegeben.
Diese Regelung führt dazu, dass der Versorgungsausgleich für den jeweiligen Versorgungsträger im Wesentlichen kostenneutral ist, und dieser nicht mit Kosten der der individuell verursachten versorgungslasten nach Scheidungen belastet wird (Christian Lange MdB Bundesjustizministerium, 29.07.2014). Er dient also doch der Erhaltung oder Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Leistungssystems der Rentenversicherung.
„Im Übrigen obliegt es der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers entsprechende Stichtage festzulegen.“ (Schreiben Dr. Ramsauer vom 15.03.2013). Demnach beruht die Regelung nur auf Schätzungen.
Statistisch ehrliche Zahlen von Seiten der Rentenversicherung wurden bisher trotz mehrerer Anfragen verweigert.
- Wie viele Ausgleichspflichtige, deren Ausgleichberechtigter bereits verstorben ist, leisten weiterhin Zahlung? -
- Wie hoch sind in diesen Fällen die Einnahmen der Rentenversicherung?
Hierzu liegen der Bundesregierung und der Deutschen Rentenversicherung Bund keine Zahlen vor. (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Dr. A. Niederfranke, 06.08.2013)! Eine gezielte Verschleierung, die im EDV-Zeitalter der bewussten Irreführung bzw. Fehlinformation des Bundesbürgers gleichzusetzen ist.
„………….Gesamtbetrag von ca. 1.316 Mio (Kürzungen wegen Versorgungsausgleich) bzw. ca. 1.912 Mio € (Leistungen wegen Versorgungsausgleich. Nicht enthalten in diesen Beträgen sind Erstattungen anderer Versorgungsträger gemäß § 225 SGB VI.“ (Niederfranke a.a.O.) Warum nur ca.-Beträge und warum keine Angaben über die Erstattung anderer Versorgungsträger? Geschönte Zahlen!
„Die VAG-Zahlungen sollten in den Bezüge-Mitteilungen nicht mehr aufgeführt sein. Dann würde der Betroffene den Betrag nicht mehr sehen, nicht mehr daran denken und die Angelegenheit wäre erledigt.“ (MdL Zellermeier in der Sitzung des Petitionsausschusses des Bayerischen Landtages vom 28.02.2012)
Diese Aussage belegt nachhaltig die Arroganz und Ignoranz eines Abgeordneten gegenüber dem Bürger, der anscheinend als geistig minderbemittelt eingestuft wird.
Ausgleichszahlungen starten, auch wenn der Berechtigte die Rentenzeit noch nicht begonnen hat. Die Rentenkasse wird dadurch aufgefüllt, obwohl noch keine Zahlungen fällig sind.
Wie sieht ein gerechter VAG aus?
- Die derzeitige Härtefallregelung ist zu streichen, da Härten nicht beseitigt sind.
- Alle Ausgleichpflichtigen sollten bei Vorversterben des Ausgleichsberechtigten ohne Ausnahme (36 Monats-Stichtag) im Sinne des Solidarprinzips zu Zahlungen weiterverpflichtet werden.
- Die Dauer der Weiterzahlungen muss zeitlich begrenzt sein, um individuelle Härten zu vermeiden.
- Die Dauer der Weiterzahlungen muss sich an den realen statistisch eruierbaren Zahlen orientieren.
- Es wäre auch eine Stufenlösung im Zahlungsmodus möglich (abgelehnt vom Sozialministerium wegen Verwaltungsaufwand???)
- Wegfall der Koppelung der Ausgleichszahlungen mit Erhöhung der Versorgungsbezüge
- Die Rentenversicherung muss endlich ehrlichen Einblick in die entsprechenden Einnahmen und Ausgaben zulassen.
- Abgeordnete müssen nicht nur sinnlose, da auf die derzeit unzureichende Rechtslage bezogene Anfragen an Ministerien stellen, sondern sich dazu entschließen, das Gesetz vom September 2009 neu zu beraten und eine gerechte, sozial ausgewogene Fassung zur Abstimmung vorzulegen.
- Recht sprechen muss Gerechtigkeit zum Ziel haben.
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