Berlin, 2013 Foto: H.S.
13.11.2015 - von Deutscher Bundestag
Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge – Doppelverbeitragung vermeiden
Drucksache 18/6364
Tagesordnungspunkt 30:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Weinberg, Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE 13.11.2015
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Matthias B. Birkwald für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ganz große Koalition aus Union, SPD, Grünen und FDP hat im Jahr 2001 das Niveau der gesetzlichen Rente auf Talfahrt geschickt. Um beinahe 20 Prozent wird die Rente bis 2030 gekürzt werden.
Nun frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was raten Sie den Menschen, wenn Sie gefragt werden, wie man für das Alter vorsorgen soll? Mit der Riester-Rente wohl eher nicht; denn sie ist der totale Flop.
Nein, jetzt soll es die betriebliche Altersvorsorge richten. Sie steht im Koalitionsvertrag. Viel passiert ist da bisher nicht. Der Kollege Peter Weiß von der Union hat dazu gesagt – ich zitiere aus der FAZ vom 8. September –, er wolle, dass die Arbeitgeber mit Freude und Begeisterung ihren Arbeitnehmern eine betriebliche Altersvorsorge anbieten. Tja, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur, was die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dann konkret mit Freude anbieten, welche schlechten Angebote sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dann oft machen und zu welchen Konditionen dann etwas angeboten wird: Dazu habe ich von der Koalition bisher noch nichts gehört. Genau das ist das Problem.
Zahlen die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen nämlich nichts dazu, wie das heute leider oft üblich ist, dann ist die betriebliche Altersversorgung ein reines Minusgeschäft. Das sage nicht ich, sondern das sagt Georg Plötz, der Altersvorsorgespezialist der Verbraucherzentrale Bayern. Das betone ich besonders für die CSU-Kolleginnen und -Kollegen im Saal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wenn Sie die Arbeitgeber aus der Verantwortung und aus der Haftung entlassen, dann kümmern sie sich gar nicht mehr um die Konditionen der Betriebsrenten ihrer Beschäftigten. Schon heute sind Direktversicherungen bei den Chefs am beliebtesten; denn damit hat der Arbeitgeber nicht viel Arbeit. Er oder sie schließt dann zum Beispiel bei der Allianz oder AXA einfach eine Lebensversicherung für die Beschäftigten ab, mehr nicht.
Viele Beschäftigte verstehen gar nicht, was daran noch betriebliche Altersversorgung sein soll. Denn der Arbeitgeber macht gar nichts mehr, gerade bei Direktversicherungen.
Meine Damen und Herren, im März dieses Jahres habe ich mich mit Vertretern des Vereins Direktversicherungsgeschädigte e. V. getroffen. GMG-Geschädigte haben sie sich vorher genannt. 7,6 Millionen solcher Verträge gibt es. GMG, liebe SPD, steht für Ihr Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004.
(Mechthild Rawert [SPD]: Gutes Gesetz!)
Schade, dass die Kollegin Ulla Schmidt nicht im Saal ist. Sie hat das GMG damals ja mit dem heutigen Ministerpräsidenten Seehofer verhandelt. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Satz von Herrn Seehofer. „Das war eine der schönsten Nächte meines Lebens“, sagte er.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das wissen wir noch!)
Für die Betroffenen sollte es aber ein böses Erwachen geben. Sie hatten nämlich bereits Direktversicherungen abgeschlossen und ihre Versicherungsprämien aus verbeitragtem Einkommen gezahlt, also aus ihrem Nettoeinkommen. Und dann beschließt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt aus Geldnot, dass diese Beschäftigten auch bei der Auszahlung im Alter volle Beitrage zur gesetzlichen Krankenversicherung zahlen müssen. Zum zweiten Mal volle Beiträge! Was heißt das? Das sind knapp 20 Prozent; denn die Rentnerin bzw. der Rentner zahlen den Arbeitnehmer- und den Arbeitgeberbeitrag, und dann ist das häufig eine dreifache Belastung. Das nenne ich kalte Enteignung, und das ist extrem ungerecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein Beispiel: Giuseppe Burcheri, ein ehemaliger Ford-Mitarbeiter, zahlte während seines Arbeitslebens, und er zahlt im Alter noch einmal. Was zahlt er? Er zahlt den eigenen und den Krankenversicherungsbeitrag des Arbeitgebers für eine sogenannte Betriebsrente. Hätte er eine private Zusatzversicherung abgeschlossen, hätte er aus seiner Zusatzrente gar keinen Krankenversicherungsbeitrag gezahlt, nicht einen Cent. „Hätte ich das damals gewusst, hätte ich die Versicherung nie abgeschlossen“, sagte Giuseppe Burcheri völlig zu Recht. Aber er konnte nicht wissen, was die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eiskalt, rückwirkend, ohne jeglichen Vertrauensschutz und für alle Altverträge beschließen würde. Das hat sie aber. Deshalb musste Peter Weber von seinen 21 874 Euro nun 5 131 Euro an seine Krankenkasse zahlen, so ein Beispiel aus der Wirtschaftswoche von gestern. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union, fordere ich Sie auf: Lassen Sie den Menschen endlich Gerechtigkeit widerfahren! Schaffen Sie die Doppelverbeitragung ab!
(Beifall bei der LINKEN)
Legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der klipp und klar regelt, dass Sozialversicherungsbeiträge für Betriebsrenten nur einmal abgeführt werden müssen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Birkwald.
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wenn bereits in der Ansparphase Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, dann dürfen in der Leistungsphase bzw. auf die Kapitalabfindung keine Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge mehr fällig werden. Alles andere ist ungerecht und Garantiert beschissen! Das ist übrigens der Titel eines druckfrischen Buches über den ganz legalen Betrug mit den Lebensversicherungen.
Danke. Schönes Wochenende!
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dietrich Monstadt für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dietrich Monstadt (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Birkwald, Sie sollten sich vielleicht weniger mit den schönen Nächten von amtierenden Ministerpräsidenten befassen und dafür mehr mit Fakten. Diese versuche ich Ihnen gleich einmal zu erklären.
Bis zum 31. Dezember 2003 hatten versicherungspflichtige Rentner aus Versorgungsbezügen nur die Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes der jeweiligen Krankenkasse zu zahlen. Durch das GKV-Modernisierungsgesetz unter Rot-Grün ist diese Rechtslage mit Wirkung zum 1. Januar 2004 so geändert worden, dass der Beitragssatz für Versorgungsbezüge von Pflichtversicherten vom halben auf den vollen allgemeinen Beitragssatz der jeweiligen Krankenkasse angehoben wurde. Freiwillig in der GKV versicherte Rentnerinnen und Rentner hatten aus Versorgungsbezügen bereits vor dem 1. Januar 2004 einen Beitrag nach dem vollen ermäßigten Beitragssatz zu zahlen.
Insoweit sind die Vorschriften für die Beitragsberechnung aus Versorgungsbezügen für freiwillig versicherte Rentner und pflichtversicherte Rentner angeglichen worden. Im Ergebnis ist damals Gleichheit bzw. Gleichberechtigung im Sinne der Solidargemeinschaft geschaffen worden. Dies hat in der Folge auch die Rechtsprechung so gesehen. Untergesetzliche Urteile haben schon frühzeitig festgestellt, dass die Erhebung von Beiträgen aus Kapitalleistungen der betrieblichen Direktversicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Auch das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsgemäßheit dieser Regelung unter anderem mit Beschluss vom 6. September 2010 bestätigt.
Sicherlich war die Finanzlage der GKV im Jahre 2003 eine andere als heute. In fünf Jahren wird sie wieder anders aussehen. Auf diese veränderten Bedingungen müssen wir reagieren. Genau dies machen wir aktuell. Über das Thema Direktversicherung wird derzeit in meiner Fraktion ausführlich im Rahmen einer fachübergreifenden Arbeitsgruppe zum Thema „Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge“ diskutiert. Federführend ist hier der Ausschuss für Arbeit und Soziales.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, ein guter Ausschuss!)
– Gut, dass Sie das anerkennen. Hätten Sie das auch einmal gesagt!
Im Gegensatz zu den Antragstellern steht die unionsgeführte Koalition für eine wohldurchdachte und sachgerechte Politik. Wir stehen für Verlässlichkeit. Wir stehen für Nachhaltigkeit. Wir stehen für Generationengerechtigkeit.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Deshalb haben die Bürgerinnen und Bürger uns in die Regierungsverantwortung gewählt und nicht die Partei Die Linke.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da muss es noch andere Gründe geben!)
Daher überrascht nicht, dass Sie diesen absolut überflüssigen Antrag noch mit einem Antrag zur Bürgerversicherung anreichern. Vielleicht war der Antrag aber auch nur noch Mittel zum Zweck, um darüber heute noch einmal zu diskutieren, und dies vor dem auch Ihnen bekannten Hintergrund, dass die mit der Einführung einer Bürgerversicherung verbundene Abschaffung der privaten Krankenvollversicherung verfassungsrechtlich nicht zulässig bzw. höchst fragwürdig ist. Sie als Antragsteller wissen ganz genau – Sie sollten das jedenfalls wissen –, dass Sie bisher nichts, aber auch gar nichts an tragfähigen Konzepten vorgestellt haben,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! Sie haben den Antrag nicht gelesen! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie haben ihn nicht verstanden!)
nichts, mit dem man sich auch nur ansatzweise sachgerecht auseinandersetzen könnte. Wir als CDU/CSU-Fraktion stehen für ein freiheitliches Gesundheitswesen. Wir setzen auf Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, zwischen GKV und PKV.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt keinen Wettbewerb zwischen GKV und PKV!)
Nur wettbewerbliche Strukturen können Effizienzreserven im Gesundheitssystem heben. Wir wollen Vielfalt und Wahlmöglichkeiten im Sinne der Versicherten sicherstellen.
Genau das ist der Grund, warum die Menschen in unserem Land nicht nur uns, sondern auch unserem Gesundheitswesen vertrauen und nicht Ihnen, meine Damen und Herren von den Linken.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Die Einnahmen der GKV aus der Verbeitragung von Versorgungsbezügen betragen derzeit jährlich rund 5,2 Milliarden Euro, wobei der größte Teil auf Beiträge für Leistungen der betrieblichen Altersversorgung entfällt. Die Beiträge aus den Versorgungsbezügen stellen somit ein unverzichtbares Element für die nachhaltige Finanzierung des Solidarprinzips der GKV dar. Als Gegenleistung steht der umfassende Versicherungsschutz in der GKV auch für diese Beitragspflichtigen zur Verfügung.
Die aktuelle Rechtslage dient somit auch der Erhaltung der Stabilität der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung; diese Rechtslage ist genau aus diesem Grund auch in höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht beanstandet worden. Eine Neugestaltung im Beitragsrecht der GKV muss sorgfältig abgewogen und geprüft werden. Deshalb werden wir zunächst die Ergebnisse der Arbeit der fachübergreifenden Arbeitsgruppe abwarten. Vor diesem Hintergrund wird es Sie nicht überraschen, dass wir Ihren Antrag ablehnen müssen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Doch! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Schade eigentlich!)
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die Kollegin Maria Klein-Schmeink hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt das Wort.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Linken greift ein Problem auf, von dem viele von uns erfahren haben. Sehr viele von Ihnen werden genauso wie ich und andere Kollegen Briefe erhalten haben, in denen wir von empörten und entrüsteten Rentnern, Frührentnern und Neurentnern, Klagen darüber erhalten haben, dass die Belastung aus dieser zusätzlichen Verbeitragung ihnen erstens nicht bekannt war und sie diese zweitens nicht akzeptabel finden. Das ist das eine. Insofern greifen Sie ein Gerechtigkeitsdefizit auf, das tatsächlich vorhanden ist.
Aber die Linken versuchen mit ihrem Antrag, mit dem Mittel des Krankenversicherungsbeitragsrechts ein Problem zu lösen, das viel vielschichtiger ist. Es ist nämlich ein Problem, das wir insgesamt in der Behandlung der betrieblichen Altersversorgung auf der einen Seite und der anderen Formen von Altersvorsorge auf der anderen Seite haben. Da haben wir sowohl steuerrechtlich als auch beitragsrechtlich verschiedene und voneinander abweichende Formen der Behandlung und Berücksichtigung. Das wirft das eigentliche Problem auf und macht die Schieflage aus. Deshalb meinen wir, dass der Ansatz, den die Linken gewählt haben, so nicht taugt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie einen besseren Ansatz? Dem würden wir gerne zustimmen!)
Aber wir sollten den Antrag zum Anlass nehmen, genau hinzuschauen, wie denn eigentlich die Ausgestaltung sein muss. Es ist in der Tat für die Bevölkerung wenig akzeptabel und nicht hinnehmbar, dass wir völlig unterschiedliche Arten der Verbeitragung haben, dass es einen Unterschied macht, ob im Wege der Entgeltumwandlung aus dem Bruttoentgelt der Arbeitgeber gezahlt hat – dann ist es beitragsfrei –, ob der Arbeitnehmer aus dem Bruttoentgelt gezahlt hat – dann ist es auch beitragsfrei – oder aber ob er es aus seinen Nettoeinnahmen gezahlt hat – dann ist es nicht beitragsfrei.
Der ganze Kuddelmuddel geht in der Auszahlungsphase noch weiter. Bei der betrieblichen Rente habe ich Teile, die beitragsfrei sind, andere Teile, die nicht beitragsfrei sind. Habe ich aber einfach eine private Versicherung, dann zahle ich keinen Beitrag. Das ist ein Nebeneinander, das die Menschen nicht verstehen können. Das akzeptieren sie nicht. Da müssen wir heran, und da müssen wir eine Harmonisierung erreichen. Dieses Problem müssen wir angehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) [SPD])
Daher sollten wir den Ball, der uns mit diesem Antrag zugespielt wurde, durchaus aufnehmen; aber das, was Sie vorschlagen, nämlich jede Form der Doppelverbeitragung abzuschaffen, wirft erhebliche Probleme für das Beitragsrecht in der GKV auf. Heute ist es so: Beiträge werden dann gezahlt, wenn Einkommen zufließt. Wenn Sie dieses Prinzip aufheben, dann durchbrechen Sie ein grundlegendes Prinzip, das wir in der GKV haben. Das würde sehr viele Folgewirkungen mit Blick auf das Gerechtigkeitsempfinden haben. Daher kann das nicht passieren. Wenn Sie an dieser Stelle nämlich wirklich weiterdenken würden, dürften Sie die Rente insgesamt nicht mehr verbeitragen, und das kann an dieser Stelle so nicht gehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Aber wir sollten den Ball aufnehmen, und ein ganz wichtiger Ball ist ja tatsächlich die Bürgerversicherung. Mit der Bürgerversicherung würden wir erstmals die verschiedenen Einkommensarten zusammen betrachten, würden eben nicht unterschiedlich mit Einkommen aus Löhnen und Gehältern auf der einen Seite und aus Mieten, Pachten und anderen Kapitaleinnahmen auf der anderen Seite umgehen. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag: erstens für mehr Gerechtigkeit, zweitens für eine Stärkung der Einnahmebasis sowohl in der Krankenversicherung als auch in anderen Systemen. Von daher ist die Bürgerversicherung ein ganz wichtiger Schlüssel, mit dem da Gerechtigkeit hergestellt werden kann. Diesen Weg sollten wir in Zukunft einschlagen. Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) [SPD])
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Mechthild Rawert für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Mechthild Rawert (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute in erster Lesung einen Antrag der Linken zum sperrigen Thema „Gerechte Krankenversicherungsbeiträge für Direktversicherungen und Versorgungsbezüge – Doppelverbeitragung vermeiden“. Da wir an anderer Stelle grundsätzlich über die betriebliche Altersversorgung und über die solidarische Bürgerversicherung diskutieren, beschränke ich mich heute auf klarstellende Erläuterungen.
Worum geht es? Bis 2004 waren Versorgungsbezüge, die monatlich ausgezahlt wurden, beitragspflichtig, während Versorgungsbezüge, die am Vertragsende als Einmalauszahlung ausgezahlt wurden, beitragsfrei waren. Diese Ungleichbehandlung musste beendet werden, und sie wurde beendet. Eine Gleichbehandlung gibt es seit dem 1. Januar 2004. Nach dem Willen des rot-grünen Gesetzgebers sollten pflichtversicherte Rentnerinnen und Rentner auch auf Versorgungsbezüge Krankenversicherungsbeiträge zahlen, die als Einmalzahlung geleistet werden. Ein Beispiel dafür ist eine Lebensversicherung, die über den Arbeitgeber als sogenannte Direktversicherung gezahlt wurde.
Infolge dieser politischen Entscheidung sind mehrfach Verfassungsbeschwerden gegen diese Krankenkassenabzüge erhoben worden. Doch nur eine dieser Klagen hatte Erfolg: Nur dann, wenn eine vom Arbeitgeber abgeschlossene betriebliche Direktversicherung privat fortgeführt wird und sich der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin im Vertrag als Versicherungsnehmer oder Versicherungsnehmerin einträgt, können diese der Beitragspflicht – in Gänsefüßchen – entkommen, so die Richter und die Richterinnen.
Mit anderen Worten: Pflichtversicherte Rentner und Rentnerinnen müssen auf Leistungen, die auf arbeitnehmerfinanzierten Lebensversicherungsbeiträgen beruhen, dann keine Versicherungsbeiträge zahlen, wenn sie selbst als Krankenversicherungsnehmer oder -nehmerin in der Police stehen.
Die Argumentation des höchsten deutschen Gerichtes war: Wenn der Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin selbst zahlt und dieser bzw. diese der alleinige Versicherungsnehmer bzw. die alleinige Versicherungsnehmerin ist, entfällt jeglicher Bezug zum Arbeitsverhältnis. Die Versicherung ist dann genauso zu behandeln wie eine private Kapitallebensversicherung, die ja bei Pflichtversicherten ebenfalls keine Beitragspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auslöst.
Die damaligen Beweggründe von Rot-Grün waren: Die Neuregelung sollte dazu beitragen, die Unterdeckung in der Krankenversicherung der verrenteten Menschen zu verringern. Damals wurden die Gesundheitsausgaben für die ältere Generation überwiegend von der erwerbstätigen Generation finanziert. Richtig ist auch heute noch: Die jüngere Generation unterstützt die ältere, indem sie finanzielle Lasten auch für ein höheres Krankheitsrisiko trägt.
Mit der Neuregelung wurde entschieden, hier für einen stärkeren Ausgleich zwischen den Generationen zu sorgen. Zur Beitragszahlung verstärkt herangezogen wurden aber nur die Rentnerinnen und Rentner, deren gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eine solche Mehrbelastung auch zuließ. Das ist insbesondere bei denen der Fall, die zusätzlich zu ihrer gesetzlichen Rente Einkünfte aus Versorgungsbezügen – wie gesagt: Lebensversicherung mit Kapitalabfindung – beziehen.
Die Verfassungsmäßigkeit – das habe ich schon gesagt – wurde wiederholt bestätigt. Die Erhebung von Beiträgen auf Kapitalleistungen aus der betrieblichen Direktversicherung war und ist den betroffenen Versicherten zumutbar. Der Gesetzgeber ist auch berechtigt, jüngere Krankenversicherte bei der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentnerinnen und Rentner zu entlasten und diese selbst zur Finanzierung heranzuziehen.
Wir haben gemerkt, dass es in dem Antrag mehrere Vermischungen gibt. Es wird über die betriebliche Altersvorsorge als Ganzes diskutiert. Es wird auf die Bürgerversicherung Bezug genommen, die wir auch wollen. Des Weiteren wird über Gerechtigkeit und Solidarität diskutiert. Der Antrag ist in sich aber nicht stringent. Das werden wir im Weiteren – dafür gehen wir in die parlamentarische Beratung – diskutieren.
Ich freue mich auf die Diskussion und wünsche uns allen ein schönes Wochenende.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Der Kollege Erich Irlstorfer hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Erich Irlstorfer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir besprechen heute einen Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema „Verbeitragung bei Direktversicherungen und Versorgungsbezügen“. Dieser Antrag bezieht sich auf einen Gegenstand, der über die Gesundheitspolitik hinausgeht und in einem etwas weiteren Zusammenhang steht, nämlich im Zusammenhang mit der Alterssicherungspolitik in ihrer Gesamtheit.
[b](Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Richtig!)
Die Position vieler Bürgerinnen und Bürger, die eine hohe finanzielle Belastung durch die doppelte Verbeitragung beklagen, kann ich durchaus nachvollziehen. Ziel der christlich-sozialen Politik ist es, zu gewährleisten, dass die Menschen im Alter in Deutschland mit ihren Renten auskommen. In diesem Zusammenhang darf ich daran erinnern, dass die CSU mit der Mütterrente zu Beginn dieser Wahlperiode eines ihrer zentralen Versprechen eingelöst und umgesetzt hat.
(Beifall bei der CDU/CSU –
Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf wessen Kosten?)
Ich möchte nicht verhehlen, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass das eine oder andere Element im Rentenpaket aus meiner Sicht als Kompromisslösung zu werten ist und nicht unbedingt im Einklang mit meinen Vorstellungen ist. Das Rentenpaket in seiner Gesamtheit aber hat eine deutliche Verbesserung für die Menschen im Alter in Deutschland gebracht; das sollte man nicht vergessen.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und eine Hypothek für die Beitragszahler!)
Damit bekämpfen und verhindern wir drohende Altersarmut, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Rentnerinnen und Rentner können für das kommende Jahr, für 2016 – das dürfen wir auch nicht vergessen –, mit einem deutlichen Anstieg ihrer Renten, ihrer Bezüge rechnen; er wird zwischen 4 Prozent und 5 Prozent betragen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Einmal und dann nie wieder!)
Das ist ein weiterer Baustein zur Alterssicherung. Ich glaube, das kann man nicht bestreiten. Auch für die nächsten Jahre – wir hoffen natürlich, dass die wirtschaftliche Entwicklung so weitergeht – ist nicht auszuschließen, dass es für die Rentnerinnen und Rentner steigende Bezüge geben wird.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das Rentenniveau sinkt bis 2030!)
Mit anderen Worten: Ich denke, die Große Koalition leistet hier ganze Arbeit bei der Bekämpfung von Altersarmut. Das wird auch die politische Kernarbeit dieser Koalition bleiben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte auf den vorliegenden Antrag aber auch noch unter einem anderen Blickwinkel eingehen.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum ersten Mal überhaupt!)
Ohne mir die Politik der damaligen rot-grünen Bundesregierung zu eigen machen zu wollen: Was die Gesetzesänderung im Jahr 2004 angeht, muss man einfach anerkennen, wenn man rückblickend darauf schaut, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir damals eine andere Situation hatten. Die Kollegin von den Grünen, Frau Klein-Schmeink, hat gesagt: Da müssen wir noch einmal genau hinschauen. – Ich glaube, da sind wir gar nicht so weit auseinander.
Natürlich möchte ich Ihnen am Freitagnachmittag meine Ausführungen zur Bürgerversicherung ersparen; vermutlich kennen Sie sie auch schon. Es ist aber darauf hinzuweisen – das wurde vorhin auch schon kurz getan –, dass das Bundesverfassungsgericht die Einbeziehung der Versorgungsbezüge in die Beitragspflicht nicht nur gebilligt, sondern wegen des in der GKV geltenden Solidaritätsprinzips sogar für geboten erachtet hat.
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde eine bis dahin bestehende Möglichkeit, Krankenversicherungsbeiträge auf die Versicherungsleistungen zu umgehen, beendet. Zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung deckten zudem die eigenen Beitragszahlungen der Rentner nur noch gut 40 Prozent ihrer Leistungsausgaben in der Krankenversicherung ab, was natürlich durchaus fragwürdig ist.
Wesentlich ist für mich, dass die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung Ausdruck eines fairen Generationenvertrags ist. Darum geht es schlussendlich, wenn wir eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen Rentnern und Erwerbstätigen in die Praxis umsetzen. Ich glaube, im Großen und Ganzen wird die Finanzierung der GKV diesen Zielen auch gerecht.
Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass die Beiträge, um die es hier geht, im System der GKV bleiben und somit eben auch den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern, den Versicherten, zugutekommen, ebenso ihren Kindern und Kindeskindern.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Viertel von der Gesamtleistung fast!)
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ich habe – ich sagte es bereits – wirklich Verständnis für die Menschen, die eine finanzielle Überforderung im Alter beklagen, auch durch die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Koalition arbeitet nicht nur an Verbesserungen bei den Rentenbezügen und für eine nachhaltig starke wirtschaftliche Entwicklung, sondern es gelingt ihr auch.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja! –
Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir werden es sehen!)
In diesem Sinne herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dirk Heidenblut für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Dirk Heidenblut (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal, Herr Kollege Birkwald, bei aller Wertschätzung für unsere ehemalige Ministerin Schmidt und auch für unseren jetzigen Minister Gröhe: Gesetze machen immer noch die Parlamente. Insofern kann keine Ministerin, auch kein Minister jemandem per Gesetz eiskalt etwas wegnehmen oder geben. Es wäre schon Sache des Parlaments, dies zu tun.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das macht es nicht besser!)
Das will ich an dieser Stelle nur klarstellen, ganz abgesehen davon, dass das seinerzeit kein eiskaltes Wegnehmen oder Geben war. Wie bei der letzten Rede in einer Debatte so üblich, neigt man dazu, einiges zu wiederholen. Dafür entschuldige ich mich im Vorhinein. Aber wie Sie sehen, habe ich nur drei Minuten Redezeit. Das wird also nicht ganz so hart werden.
(Heiterkeit des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90 DIE GRÜNeN)
Ich möchte das Ganze zunächst noch einmal in den Gesamtkontext stellen. Wir reden hier eigentlich nicht über die Rentenversicherung, sondern über die Krankenversicherungsbeiträge bei Direktversicherungen, also eigentlich über die Finanzierung der Krankenversicherung. Wenn man sich Ihren Antrag genau anschaut, erkennt man, dass der zweite Absatz ja auch eher eine Grundaufforderung ist, die Krankenversicherung zu reformieren. Insofern war ich froh, als ich gesehen habe, dass Sie nach den Eingangsstatements auf den Kern zurückgekommen sind. Deswegen möchte ich auch noch etwas zur Krankenversicherung sagen.
Wir haben in der Großen Koalition gerade erst eine Menge Pakete in Angriff genommen, mit denen wir enorm viel für die Verbesserung der Versorgung gerade der gesetzlich Krankenversicherten getan haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist auch und gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass wir es natürlich mit einem demografischen Wandel zu tun haben – da wird uns im Übrigen immer noch vorgehalten, dass wir nicht genug getan haben im Hinblick auf die Pflege und andere Dinge – und dieser demografische Wandel zwei Effekte hat. Der sehr positive Effekt ist, dass wir alle durchaus älter werden. Aber dadurch, dass wir alle älter werden, erhöhen sich auch die Krankheitskosten, die Kosten für Pflege und Ähnliches mehr. Das Ganze muss bezahlt werden, und zwar generationengerecht. Schon die damalige Regierung verfolgte den Ansatz: „Wir müssen das generationengerechter machen“, ein Ansatz übrigens – das haben wir vorhin schon gehört –, der vom Gericht bereits bestätigt wurde.
Wenn man sich jetzt Ihren Antrag genau anschaut, dann sieht man, dass Sie eigentlich wieder versuchen, uns Ihre Vorstellung davon, wie das Versicherungssystem aussehen sollte – ich will das hier nicht diskutieren; Sie wissen, dass wir als SPD an der einen oder anderen Stelle durchaus ein wenig Sympathie dafür haben –, nahezubringen. Aber Sie tun dies, indem Sie eine bestehende Problematik, die im Rahmen der betrieblichen Versicherung womöglich auch mit angesprochen werden muss, mit Ihrem Mäntelchen versehen. Im Übrigen beschäftigen wir uns gerade mit der Frage der Rente, auch der betrieblichen Rente; das ist ja schon deutlich geworden. Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist kein Mittel, uns auf diesem Weg immer wieder die gleichen Debatten aufzuzwingen. Das wird leerlaufen, so wie es bisher leergelaufen ist. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/6364 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
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Ein VIDEO des Spektakels finden Sie unter: Video Link
Einen Kommentar dieser Bundestagssitzung den ein Direktversicherungsgeschädigter verfasste, der ihn an die mit Wortbeiträgen beteiligten Abgeordneten schickte, plus an den Gesundheitsausschuss, sowie an Frau Exgesundheitsministerin Ulla Schmidt, lesen Sie unter: Link
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