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Novitas BKK: Leitfaden Prävention benachteiligt RentnerInnen

19.01.2016 - von Marion Rysi

Wir machen die Politik* und die Medien aufmerksam auf den Auschluss eines großen Teils der älteren, aktiven Krankenkassenmitglieder von Gesundheitskursen, die als Kompaktkurse angeboten werden. Dieses willkürliche und altersdiskriminierende Verhalten wird begründet mit dem „Leitfaden Prävention“. Wir verlangen eine Gleichbehandlung aller Versicherten und eine Korrektur des GKV-Leitfadens.

Im Jahr 2012 wurde meinem Mann und mir ein Zuschuss für die Teilnahme an zwei Gesundheitskursen-Kompakt seitens unserer Krankenkasse, der Novitas BKK, verweigert. Ein Gesundheitskurs-Kompakt besteht aus jeweils zwei Kursen z.B. Bewegung / Enspannung, die von zertifizierten Unternehmen/Trainern durchgeführt werden müssen. Erst dann, wenn alle Termine wahrgenommen wurden, werden je Person und Kurs 80 € erstattet. Die Novitas BKK verweigerte bei uns aber die Erstattung, obwohl wir im Jahr 2011 zwei Schreiben mit der Mitteilung bekommen hatten, dass wir die freie Wahl der Kurse hätten. Dagegen haben wir Widerspruch eingelegt und nach erneuter Ablehnung eine Klage beim Sozialgericht Hamburg eingereicht.

Nach 3,7 Jahren fand am 25.11.2015 endlich ein Verhandlungstermin statt. Die Verhandlung wurde abgeschlossen mit einem Vergleich; die Novitas BKK erstattete je Versichertem nur einen Gesundheitskurs in Höhe von 80 € = insgesamt also 160 €. Die Grundlage dieses Vergleichs war der "Leitfaden Prävention, Handlungsfelder und Kriterien" des GKV Spitzenverbandes zur Umsetzung der § 20 und 20 a SGB V vom 21. Juni 2000 in der Fassung vom 10.12.2014.

Mit diesem Ergebnis sind wir nicht zufrieden. Die Auslegung des Leitfadens Prävention durch unsere Krankenkasse ist willkürlich und beinhaltet eine Diskriminierung aus Altersgründen = Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetzes § 1, 2 und § 3.

Begründung für die Ablehnung der Bezuschussung von Präventionskursen in Kompaktform durch Novitas BKK vom 10.02.2012 (Auszug)
Die gesetzliche Krankenversicherung darf primär-präventative Maßnahmen finanzieren, sofern die im Leitfaden des GKV-Spitzenverbandes in der Fassung vom 27.08.2010 genannten Voraussetzungen vorliegen. Grundsätzlich werden Maßnahmen zur Prävention wohnortnah erbracht. Die Kurse umfassen in der Regel 8 bis 12 Kurseinheiten und werden im wöchentlichen Rhythmus durchgeführt.
Für Kompaktangebote gilt, dass diese hinsichtlich des Umfangs den mehrwöchigen Kursen entsprechen müssen und die Einheiten auf mindestens zwei Tage verteilt sind. Diese Angebote können im Ausnahmefall für Zielgruppen angeboten werden, die nicht regelmäßig an mehrwöchigen Kursen teilnehmen können. Zielgruppen für Kompaktangebote sind insbesondere berufsttätige Versicherte mit Arbeitszeiten, die eine Regelmäßigkeit nicht zulassen, sowie Versicherte mit hoher zeitlicher Beanspruchung.


Die Zielgruppen sind laut Gesetz nach Indikationen/Gefährdungen festgeschrieben und nicht nur nach Berufstätigkeit oder zeitlicher Belastung. Aktive ältere Versicherte, die sich selbst um ihre Gesundheit kümmern und die Aktivprogramme in Kompaktform machen möchten, werden benachteiligt, denn sie sollen die Gesundheitskurse nur noch „wohnortnah“ machen. Das steht in krassem Widerspruch zu Punkt 4.5.3 des Leitfadens "Spezielle Förderkriterien für Gesundheitsförderung im Setting Kommune". Darin heißt es:
"Aufgrund der demografischen Entwicklung und daraus entstehender Herausforderungen ist der Zielgruppe „ältere/alte Menschen“ in der Prävention und Gesundheitsförderung verstärkt Beachtung zu schenken. Gesundheit, Lebensqualität, Selbstbestimmung, Mobilität und Selbstständigkeit sollen möglichst bis ins hohe Alter erhalten, die Entstehung von Krankheit und Pflegebedürftigkeit vermieden und hinausgezögert werden.

Aus dem „Leitfaden Prävention“ kann nicht abgeleitet werden:
1.
Der Ausschluss älterer, selbstständiger und aktiver Mitglieder an der Teilnahme von Kompaktkursen aus dem Angebotskatalog "Gesundheit und Reisen" der Novitas BKK. Seit 2012 müssen ältere Mitglieder aber nachweisen, dass sie zeitlich sehr belastet sind, wenn sie einen Kompaktkurs machen möchten. Eine derartige Einschränkung ist im Leitfaden nicht zu finden. Einen solchen Nachweis können wir bzw. ältere Mitglieder nicht vorlegen, wenn sie keine Angehörigen pflegen müssen.
2.
Eine Einschränkung der Förderung „nur auf wohnortnahe Angebote“, benachteiligt die älteren Mitglieder der Kassen und verletzt das Gleichbehandlungsgesetz.
Die wohnortnahen Kurse sind zeitaufwendig (10-12 Wochen = 2 ½ Monate pro Kurs). Zusätzlich sind teure Fahrtkosten und anteilige Kursgebühren fällig. Ein weiterer Nachteil der wohnortnahen Angebote neben dem großen Zeitaufwand ist, dass durch die An- und Abfahrten zu den jeweiligen Kursstätten der Erholungseffekt gemindert wird. Zu Hause geht es in der Regel gleich mit den Alltagsaufgaben weiter.
Kompaktkurse werden z.B. im Katalog "Gesundheit und Reisen" in bundesweit gelegenen Hotels angeboten. Dort bucht man - nach Genehmigung durch die Kasse - direkt. In der Regel werden pro Kurs und Tag zwei Einheiten durchgeführt. Danach kann man sich erholen.

Beispielrechnung
"Wohnortnahe" Angebote sind sehr zeitaufwendig und nicht viel günstiger, als eine eine 1-wöchige Gesundheitsreise. Wir müssten hier in Hamburg zwei Kurse an unterschiedlichen Orten belegen.
Die Krankenkasse zahlt bei Erfüllung der Bedingungen 80 € pro Kurs zu (genau wie bei den Kompaktangeboten).
Für uns bedeutet das aber, 8-10 Wochen (eine Einheit jeweils 1 x wöchentlich) zwei Termine in unterschiedlichen Stadtteilen zu besuchen. An einem Tag ist das nicht möglich. Besonders der Zeitaufwand hierfür ist enorm.
(Zwei wohnortnahe Kursangebote Novitas BKK Hamburg 2012)
1.
Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen:
Psychologische Praxis, Blumenau (nur Abendtermine)
Zeitaufwand Hin-/Rückfahrt. 10 x 2 Std. = 20 Stunden
Fahrtkosten HVV: 10 x 5,95 (2012) = 59,50 € pro Kurs
Kursgebühren: 120 €
(./. 80 € (Kassenanteil) = 40,00 € pro Kurs
2.
Bewegung Fit ab 50:
ASV Bergedorf
Zeitaufwand Hin-/Rückfahrt: 10 x 1,5 Std. = 15 Stunden
Fahrtkosten HVV: 10 x 5,95 = 59,50 € pro Kurs
Kursgebühren: ca. 120 €
(./. 80 € Kassenanteil) = 40,00 € pro Kurs
Gesamtkosten für 1.+2. (wohnortnah) pro Person ca. 199,00 €
3.
Beide Kurse als Kompaktangebot in St. Peter Ording (Katalog 2013 Gesundheit und Reisen / Novitas BKK)
5 Nächte / Kosten je nach Saison: 332,-- bis 405 € pro Person
./. Kassenanteil von 80 €.

Die Novitas BKK bezeichnet Kompaktkurse neuerdings als "Prävention prämium". Prämium gilt aber eben nicht mehr für alle. Nur wer als RentnerIn nachweisen kann, zeitlich z.B. durch die Pflege von Angehörigen belastet zu sein, erhält einen Kompaktkurs. Alle anderen sollen "wohnortnahe" Kurse besuchen.

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Ich habe inzwischen sämtliche Dachverbände in dieser Angelegenheit angeschrieben. Bisher hat nur die AOK geantwortet - nichtssagend. Meine Frage nach den Bedingungen der AOK für "Kompaktkurse" wurde komplett ignoriert.

*
Am 14.1.2016 erhielt ich eine Antwort vom Bundesministerium für Gesundheit.
"Sehr geehrtes Ehepaar R.,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 21. Dezember 2015. Sie kritisieren damit die Förderpraxis der Krankenkassen, wonach Präventionsreisen (wohnortferne Präventionsangebote) nur noch für bestimmte Versichertengruppen bezuschusst werden, von denen Sie persönlich ausgenommen sind. Zunächst einmal ist es sehr zu begrüßen, dass Sie sich im Alter fit halten, die Präventionsangebote rege nutzen und sich sicherlich auch darüber hinaus aktiv und eigenverantwortlich für die eigene Gesundheit engagieren. Mit dieser gesundheitsorientierten Einstellung sind Sie vielen Bürgerinnen und Bürgern voraus und zu beglückwünschen. Bei Ihnen ist die Einstellung, etwas für die eigene Gesundheit zu tun, bereits fest verankert und genau diese Einstellung zu erreichen, ist das Ziel der Präventionsangebote.

Mit den Angeboten sollen insbesondere die Personen erreicht werden, die bislang kaum etwas oder zu wenig für die eigene Gesundheit tun können. Dabei handelt es sich um oft sozial benachteiligte Menschen. Es ist ein ausdrückliches Anliegen des Gesetzgeber, dass Leistungen zur primären Prävention und Gesundheitsförderung insbesondere zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen beitragen (vgl. § 20 Absatz 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch).

Darüber hinaus sind die Präventionsleistungen der Krankenkassen schon aufgrund der begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel nicht als Dauerangebote, sondern als Impulse gedacht, gesundheitsorientiertes Handeln kennenzulernen und im Alltag möglichst selbstständig beizubehalten. Um diese Alltagstauglichkeit zu gewährleisten, bieten sich am besten solche Kurse an, die auch im normalen Alltag und nicht im Urlaub stattfinden, also regelmäßig über mehrere Wochen stattfindende Angebote.

Nur in Ausnahmefällen, können Präventionskurse auch als wohnortferne Kompaktkurse für Versicherte angeboten werden, die nicht regelmäßig an mehrwöchigen Kursen teilnehmen können. Zu diesen Zielgruppen gehören insbesondere Versicherte mit besonderen beruflichen und familiären Belastungssituationen wie Beschäftigte in Schichtarbeit oder pflegende Angehörige. Damit soll auch diesen Versicherten die Möglichkeit eröffnet werden, an Präventionskursen teilzunehmen. Eine Benachteiligung bestimmter Versicherter ist damit nicht intendiert. Im Gegenteil: dadurch soll eine mögliche Benachteiligung, nicht an regelmäßig stattfindenden Kursen teilnehmen zu können, ausgeglichen werden.

Sicher lösen diese Ausführungen nicht Ihren Unmut auf, dennoch hoffe ich, dass Sie die Gründe für diese Regelung nachvollziehen können.
Mit freundlichen Grüßen
D.H. Bundesministerium für Gesundheit Referat 421"


Diese Antwort bestätigt meine Auffassung voll und ganz. Hätten wir einen Kursus "wohnortnah" gemacht, würde er erstattet werden.
Das ist absurd. Die vom Gesetz vorgegebenen Pflichtausgaben gelten "pro Versicherten" und nicht nur für einen Teil der Versicherten ... und das jährlich, was für die Versicherten bedeutet: sie dürfen jedes Jahr Kurse zur gesundheitlichen Prävention besuchen!! Inzwischen sind die Gesetze 2015 weiter verändert worden. Die Leistungen werden mehr und mehr auf sozial benachteiligte Menschen oder pflegebedürftige Menschen oder für den Betriebs- und Vereinssport erbracht. Ich als Versicherter finanziere mit meinem Beitrag also immer mehr Leistungen für sozial Benachteiligte oder Arbeitnehmer, die eigentlich der Staat - sprich alle Steuerzahler bzw. die Arbeitgeber zahlen müssten. Es wird also nicht besser, sondern immer schlechter für uns.

Link: Rentner bei Novitas nur Mitglieder 2. Klasse?
Quelle: Mail an die Redaktion