Duisburg, 2015 Foto: H.S.
19.04.2016 - von Hanne Schweitzer
„Die heutige Antidiskriminierungspolitik und insbesondere auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz haben ein Akzeptanzproblem, weil sie sich nicht der „eigentlichen“ Probleme und Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft annehmen, so wie sie die große Mehrheit sieht (also die wachsende Armut in Deutschland, die Benachteiligung der sozial Schwachen), sondern weil sie sich auf ungeliebte Randgruppen (wie Ausländer, Homosexuelle, Fremdreligiöse) konzentrieren. Diese Art von Antidiskriminierungspolitik wird von vielen als „überflüssiger Luxus“ empfunden, der außerdem noch Geld kostet, das anderswo – etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich – viel dringender gebraucht würde.“
So lautete das Fazit der Autoren der Sinus-Studie 2009. Sie wurde von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben, und ist schon eine ziemliche Weile nicht mehr auf deren Webseite zu finden. en Sinus-Studie, die schon lange von der Webseite ADS verschwunden ist. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts basieren auf der Befragung von 2.600 repräsentativ ausgesuchten Frauen und Männern aus der Deutsch sprechenden Gesamtbevölkerung. Egal ob Mann oder Frau, egal wie alt, welche Auffassung vom Leben, oder welche Lebensart sie sich leisten konnten:
Alle waren sich einig
Die Alten sind die „Randfiguren“ dieser Gesellschaft. Sie müssen in „armseligen Heimen“ leben, mit "wenig Geld" auskommen, haben „Schwierigkeiten, das Kleingedruckte lesen zu können“, und "moderne Technik überfordert" sie.
Im Arbeitsleben gelten sie als "nicht lern- und leistungsfähig": „Ab 45 bekommst Du keinen Job mehr, wenn Du Dich bewirbst“. Frauen klagen über „fast Topmodel-Anforderungen - je faltiger, desto chancenloser“ - oder über ihre "traumatische Erfahrung", aus dem Job gedrängt zu werden.
Angst vor dem Alter
Die Jüngeren der Befragten haben regelrecht Angst davor, alt zu werden. Das ist verständlich. Jeder Diskriminierung liegt eine Bewertung darüber zugrunde, wie ein „Mensch“ zu sein hat. Derzeit und hierzulande gilt, dass er möglichst männlich, weiß, deutsch, heterosexuell, gesund, nicht arbeitslos, unter 40 und möglichst gut betucht sein sollte. Wer ist das alles? Nicht nur den meisten Älteren, sondern auch den meisten Jüngeren winkt die Altersarmut heftig zu.
Diskriminierung der sozial Schwachen
Auf die Frage, welche Gruppe hierzulande am allermeisten benachteiligt ist, nannten die Befragten an allererster Stelle die „Sozial Schwachen“. Damit gemeint waren die Arbeitslosen, Hartz-IV-EmpfängerInnen, Ein-Euro-JobberInnen, SozialrentnerInnen, KassenpatientInnen (!), Alleinerziehenden und Kinderreichen.
Dazu muss man wissen: In der EU-Charta der Menschenrechte sind Diskriminierungen wegen der sozialen Herkunft und des Vermögens verboten. Die Charta hat aber, wie sämtliche anderen Chartas auch, null Rechtsverbindlichkeit. Und weil Papier bekanntlich geduldig ist, steht sogar im Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ganz unbekümmert, dass auch Benachteiligungen in Bezug auf „den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste“ unzulässig sind. Das gilt, so haben es die Abgeordneten des Bundestags 2006 entschieden, aber ausdrücklich NICHT für das Diskriminierungsmerkmal „Alter“ und auch NICHT für das klassenspezifische Merkmal „Armut“.
- 84% der befragten Frauen und 70% der Männer hielten es für einen Skandal, dass von Altersarmut in erster Linie Frauen betroffen sind.
- 74% nannten als vordringliche politische Aufgabe die Schaffung von Arbeitsplätzen,
- 66% nannten den Schutz der sozialen Sicherheitssysteme,
- 39% forderten mehr Umwelt- und Klimaschutz,
- 37% wünschten bessere Lebensbedingungen für behinderte Menschen,
- 37% wollten gleiche Bildungs- und Berufschancen für alle, ganz unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe.
Weil aber nur sieben Prozent aller Befragten in der Sinus-Studie mehr Schutz vor Diskriminierung für Menschen islamischen Glaubens forderten, und nur vier Prozent mehr Schutz für Homosexuelle, regten sich die Lobbyisten dieser Gruppen lautstark auf. „In der Bevölkerung gibt es derzeit kein relevantes Potential für eine fortschrittliche Antidiskriminierungspolitik.“ „Man kann erschüttert sein über die Befunde der Studie, die der deutschen Bevölkerung eine extrem diskriminierende Einstellung attestieren“, oder „Diskriminierung – na und?“ hieß es in den Kommentaren. Sie bestätigten die Ergebnisse der Studie eindrucksvoll: Die Alten sind Randfiguren und die sozial Schwachen uninteressant.
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siehe auch: Nomos-Verlag: H. Rottleuthner / M.Mahlmann „Diskriminierung in Deutschland. Fakten und Vermutungen“ (Baden-Baden 2011).
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Sonstiges:
19.04.2016: Diskriminierung: Umfrage der ADS 2016
19.04.2016: Altersdiskriminierung: Umfrage des Büros gegen Altersdiskriminierung 2002
11.04.2016: Bundesverband Graue Panther mit neuem Vorstand
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