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Autoversicherung für Menschen ab 65: Anfrage an das Abgeordnetenhaus Berlin

Foto: H.S.

04.02.2019 - von Kay Nerstheimer, Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie + Betriebe

Auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Kay Nerstheimer (fraktionslos) vom 07. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Januar 2019) zum Thema:
Änderung der aktuell bestehenden Auto-Versicherungsberechnung für Menschen ab dem 65. Lebensjahr antwortet die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin am 23. Januar 2019 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 25. Jan. 2019):

Der Bundesgesetzgeber hat in § 20 Abs. 2 Satz 2 des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) für Versicherungsunternehmen eine Ausnahme vom „absoluten“ Gleichbehandlungsgebot normiert. Danach ist es Versicherungen ausdrücklich gestattet, auf Basis „einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen“ Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmern – unter anderem wegen des Alters – unterschiedlich zu behandeln.

Die Versicherungsunternehmen unterliegen der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Nach § 294 Abs. 2 Satz 2 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) ist die Aufsichtsbehörde verpflichtet, „auf die Einhaltung der Gesetze, die für den Betrieb des Versicherungsgeschäftes gelten, und … zusätzlich auf die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten“ zu achten.
Die Aufsicht schließt damit die Einhaltung der Vorgaben des § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG durch die Kfz-Versicherer ein.

Der Senat hat keinen Anlass zu der Annahme, dass die BaFin ihrer Aufgabe nach
§ 294 VAG gegenüber den Versicherungsunternehmen, die das Kfz-Versicherungsgeschäft betreiben, nicht gerecht würde.

Das AGG gewährt im Zivilrechtsverkehr den Individualrechtsschutz (§§ 19 ff). Dabei räumt des AGG dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor einer
Ungleichbehandlung eine hohe Priorität ein: Nach § 23 Abs. 2 AGG sind Antidiskriminierungsverbände befugt, als Beistände Benachteiligter in der Verhandlung vor Gericht aufzutreten. Sofern im Gerichtsverfahren Indizien vorgetragen werden, die eine Benachteiligung vermuten lassen, ist die andere Partei, d. h. z. B. das Versicherungsunternehmen, verpflichtet zu beweisen, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorliegt (§ 22 AGG).

Um diesen Beweis zu erbringen, müssen die Versicherungen die Kalkulation der Prämien und Leistungen entsprechend den Vorgaben des § 20 Abs. 2. Satz 2 AGG vorlegen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Dienstleistungssektor Schadensversicherung dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Diskriminierung durch die Unterstellung der Versicherungsunternehmen unter die Aufsicht der BaFin, die Einräumung von besonderen Rechten für Interessenverbände im Gerichtsverfahren und die Regelungen des AGG zur Beweislast im Zivilrechtsverfahren im geltenden Recht bereits umfänglich Rechnung getragen wird.

Einer Initiative des Bundesrates zur weiteren Verbesserung des Schutzes von Verbraucherinnen und Verbrauchern auf dem Gebiet der Kfz-Versicherung bedarf es deshalb nach Auffassung des Senates nicht.

Berlin, den 23.01.2019
In Vertretung
Christian R i c k e r t s
Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe

Die Frage des Abgeordneten und ihre Einbettung: :
Unsere Mitbürger werden bekanntlich im Schnitt immer älter. Dennoch sind sie überwiegend mit einem eigenen Fahrzeug unterwegs, soweit es ihnen möglich ist (ob körperlich oder finanziell). Zunehmend wird ihnen das jedoch stark erschwert. Die Versicherungsgesellschaften haben eine nicht unerhebliche Möglichkeit gefunden, um noch mehr Geld zu generieren, aus der unumstößlichen Tatsache, dass wir alle altern. Unter Umgehung des vorgegebenen gesetzlichen Rahmens, fabrizieren sie aus dem Leid und der Notwendigkeit eines älteren Menschen, sich die Mobilität zu erhalten, erheblichen Gebrauch, indem sie die Versicherungsbeiträge aufgrund des höheren
Alters enorm erhöhen. Die dafür so unterschiedlichsten Gründe kann man nicht still hinnehmen.

Ab 70 langen die Versicherer zu
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Interessant ist die Entwicklung zwischen den Altersstufen. Die 65-jährigen zahlen im Vergleich zu den fünf Jahre jüngeren Fahrern nur wenige Prozent mehr. Richtig langen die Versicherer bei den über 70-jährigen Fahrern zu. Ein Anbieter, dessen Beitrag für den 70-jährigen 12 Prozent über dem Tarif für die 60-jährigen Fahrer liegt, verlangt für den 75-jährigen schon 29 Prozent mehr Beitrag.

Der 80-Jährige zahlt bei diesem Anbieter 53 Prozent mehr im Vergleich zu einem zwanzig Jahre jüngeren Fahrer. Doch es gibt auch Ausnahmen. Bei einem Versicherer erhöhen sich die Prämien für die 80-Jährigen im Vergleich zu den 75 Jahre alten Fahrern nicht mehr.

Das Wichtigste in Kürze:
• Für ältere Fahrer wird die Autoversicherung teurer.
• Bei einigen Anbietern kostet die Kfz-Versicherung laut einer Studie von "Finanztip" bereits ab 65 Jahren mehr.
• Ab dem 76. Lebensjahr verlangen Versicherer einen Aufschlag von durchschnittlich 57 Prozent im Vergleich zu einem 55-jährigen Fahrer!
• Wer die höchste Schadenfreiheitsklasse (SF-Klasse) erreicht hat, zahlt bereits den geringsten Grundbeitrag. Die SF-Klasse hängt davon ab, wie lange jemand schon unfallfrei mit dem Auto unterwegs ist.

Gut 16 Millionen Bundesbürger über 65 Jahre haben laut Kraftfahrt-Bundesamt eine Fahrerlaubnis; das ist etwa jeder Vierte der 60 Millionen Führerscheinbesitzer in Deutschland. Zugleich sind viele ältere Menschen aber auch unsicherer beim Autofahren. Die Sehkraft lässt nach, ebenso die Reaktionsgeschwindigkeit.
Obwohl Senioren laut Statistischem Bundesamt im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil seltener in Verkehrsunfälle verwickelt sind, werden die meisten Kfz-Versicherungen mit dem Alter immer teurer. Offenbar halten viele Versicherer ältere Fahrer für ein Sicherheitsrisiko.

Aber wie das Statistische Bundesamt feststellte, ist dem offenbar nicht so. Im §20 Abs. (2) sind zwar auch Abweichungen vom §1 AGG geregelt, aber dort sind auch die Voraussetzungen dazu festgelegt. Die im Gesetzestext geforderten versicherungsstatistischen Belege hat bisher noch keine Versicherung vorgelegt! Eine Klage seitens einer Verbraucherzentrale ist nie erfolgt, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird nicht tätig, der Ombudsmann oder die BAFIN halten alles für legal und ein großer deutscher Automobilklub verdient kräftig am Geschäft mit den Älteren.

Es gibt unzählige Beschwerden über diese scheinbar gängige Praxis der Versicherungen. Eine detailliertere Erläuterung findet man im Artikel „Assekuranz + BAFIN ignorieren das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz" (Antidiskriminierungsgesetz). Link und Link

Mit diesem Gebaren wird deutlich, dass eine Gruppe unserer Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt wird. Hier werden Einzelfälle verallgemeinert, und es gibt keinen Aufschrei in Politik und Medien, denn es handelt sich ja um deutsche Staatsbürger, und zwar um die Generation, die dieses Land aufgebaut und vorangebracht haben, denen wir unseren heutigen Wohlstand zu verdanken haben und die nun auch noch neben der angestrebten Besteuerung ihrer knappen Renten, zusätzlich hohe Kfz-Versicherungen zahlen sollen.

Damit wird ein weitgehend selbstbestimmtes und würdiges Leben im Alter immer schwieriger. Und jeder wird älter und wird dann zwangsläufig zu einem Betroffenen, auch Politiker, Lobbyisten und Verbandsfunktionäre.

[bDie ]Frage des Abgeordneten hatte gelautet: :[/b]
Wird der Senat im Bundesrat umgehend auf diese Missstände hinweisen und auf das Abstellen dieses skandalösen Zustandes hinwirken?

Folgende Fakten/ Artikel sind hier zu erwähnen:
"Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610) geändert worden ist".
Abschnitt 1 Allgemeiner Teil, § 1 Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
§ 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung
(1) Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts, ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung:
1. der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient,
2. dem Bedürfnis nach Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung trägt,
3. besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt,
4. an die Religion eines Menschen anknüpft und im Hinblick auf die Ausübung der Religionsfreiheit oder auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, der ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform sowie der Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion zur Aufgabe machen, unter Beachtung des jeweiligen Selbstverständnisses gerechtfertigt ist.
(2) Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien oder Leistungen führen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität ist im Falle des § 19 Abs. 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer
versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.

[Artikel 3, Gleichheit vor dem Gesetz]
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Quelle: Drucksache 18 / 17 456 Schriftliche Anfrage 18. Wahlperiode Abgeordnetenhaus Berlin