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Bloß nicht: alt-allein-krank und ohne Auto

04.04.2006 - von Liselotte Zedlitz

Alltagsgedanken einer alten Dame.
Ich bin fast 80 Jahr alt, Zeitzeugin des letzten Jahrhunderts: Geraubte Jugend, konfrontiert mit millionenfachem Tod, Bombennächte in Angst und Schrecken - Flucht ... Verluste.

Jetzt ist man alt geworden und nun droht uns auch noch der Verlust der eigenen Identität.

Ich habe lange überlegt, ob ich das aufschreiben soll, was mich zutiefst bewegt. Zuhören kann und will ja keiner.
Wo ist die Vertretung für alte Menschen, denen man ja nun zum Vorwurf macht, alleine durch ihr noch Vorhandensein eine Last zu sein in jeder Hinsicht?

Wir haben schlechte Karten im Kosten-Nutzen-Spiel und unsere Gruppe der Ausgeklammerten, Alten und Diskriminierten wird immer größer. Eine zu hohe Lebenserwartung als Kostenfaktor von Rente und Krankheit wird beklagt. Diese Kosten-Nutzen-Rechnung fällt immer mehr zu unseren Ungunsten aus.
Jetzt haben wir eine gravierende Spaltung nicht nur in jung und alt, sondern auch noch in arm und reich, in Pensionäre und Rentner und - noch keineswegs überwunden, in Ost und West.

Unsere Politiker und Entschedungsträger reden viel. Presseclub- Podiumsdikussionen, Talkshows und die da reden sind in den meisten Fällen von den einschneidenden Maßnahmen und der Verunsicherung nicht selbst betroffen.

Wir alt gewordneden Frauen sind in der Überzahl, zwar mit weißen Haaren und Runzeln im Gesicht, aber wir sind überall unterrepräsentiert und unterbewertet.
Wir haben (noch?) das Wahlrecht - aber kein Mitspracherecht mehr. Wir sind schon zu Lebzeiten "weg vom Fenster" und glänzen durch Abwesenheit im Fernsehen, im Film, in der Werbung, der Mode und im Verkehr. Wir werden nicht gehört und auch nicht verstanden.

1. Ich wehre mich gegen die Formulierung "Neidgesellschaft", wenn es um die Erbitterung über die Ungerechtigkeit bei uns und in der Welt geht.

2. Ich wehre mich dagegen alt sein gleichzusetzen mit: unproduktiv, senil, hilflos, abhängig, egoistisch, dick und häßlich, vergeßlich und überflüssig. Von etwa 60 Beschreibungen über "Alter" sind selbst im Wörterbuch nur 4 positiv besetzt.

3. Ich wehre mich dagegen, als alter Mensch verlgichen zu werden mit einem alten Auto, dessen Reperatur nicht mehr lohnt, das den TÜV nicht mehr übersteht, aus dem Verkehr gezogen wird und schließlich auf dem Schrottpaltz landet.

4. Ich wehre mich gegen die Erniedrigung durch unsere Sprache, die uns abstempelt als "Halb-im Jenseits-Gruppe", "quirlige, quasselnde Querdenker", "rostige Rentner-Riege" und mehr bis hin zum "Friedhofsgemüse". Schon die Frage nach unserem Geburtsdatum und danach, was wir eingeltich noch erwarten, kommt einer Bestrafung gleich. Wehlos und hilflos sind wir dem ausgesetzt, wie den Übergriffen bei Diebstahl, Handtaschenraub, Korruption, Lügen und Betrug.

5. Ich wehre mich dagegen, Schuldgefühle entwickeln zu sollen, ein schlechtes Gewissen und Angst - nur weil wir noch da sind.

Die Jugend, die uns heute durch ihr Verhalten und ihre Äußerungen in Traurigkeit versetzt, ist durch uns entstanden, sie hat unser Wissen, unsere Lebenserfahrung und unsere Liebe und Fürsorge erfahren, Welche Lebensspanne billigt sie uns jetzt noch zu?

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=1563
Quelle: Brief ans Büro gegen Altersdiskriminierung

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