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Direktversicherungen: Verfassungsgericht sagt o.k.

05.04.2008 - von Hanne Schweitzer/ Otto W. Teufel

Rentner stopfen Haushaltslöcher. Das hat das Bundesverfassungsgericht am 28.02.2008 beschlossen und im April veröffentlicht. Themen der Vorlagen, über die das Gericht entschied: 1. Verdoppelung des Beitragssatzes zur Krankenversicherung auf Betriebsrenten, 2. Allgemeiner statt ermäßigter Beitragssatz zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Dazu muss man wissen: Wer eine Direktversicherung abgeschlossen hat, und diese ausgezahlt bekommt, muss seit 2004 für jeden Monat den doppelten Beitrag zur Krankenkasse bezahlen. Bei den gesetzlichen Renten zahlen RentnerInnen ebenso wie die Arbeitnehmer "nur" den halben Beitrag, die andere Hälfte übernimmt (noch) der Rentenversicherungsträger. bzw. bei Berufstätigen, der Arbeitgeber.

Die Hoffnungen der ca. 4 Millionen betroffenen RentnerInnen auf ein gerechtes Urteil des obersten bundesdeutschen Gerichts sind nun dahin.

Die unter der rot/grünen Bundesregierung beschlossene nachträgliche und rückwirkende Änderung des Beitragssatzes wurde von oberster Stelle als korrekt abgesegnet. Es gab für die Richter nichts am Entschluss von Kabinett und Volksvertretern zu beanstanden. Die Verfassungsrichter konnten auch keinen Verstoß gegen das Grundgesetz feststellen. Das staatliche Handeln war, obwohl es den Bestandschutz ignorierte, nach ihrer Meinung völlig in Ordnung. Warum? Weil es "zur Deckung einer zunehmenden Finanzierungslücke, deren Ursache der medizinische Fortschritt und die zunehmende Zahl älterer Menschen ist, erforderlich" gewesen sei.

Es stellen sich drei Fragen:

1.
Warum wird eine bestimmte Gruppe von Bürgern für Finanzierungslücken im Haushalt verantwortlich gemacht? Dass das Volk zahlen muss, ist üblich, dass es aber nun auch für die Mißwirtschaft des Staates auch noch veranwortlich gemacht wird, das ist dreist.

2.
Warum werden Bürger, die eine Direktversicherung abgeschlossen haben, für den medizinischen Fortschritt zur Kasse gebeten, von dem alle profitieren, auch die Verfassungsrichter?

Wenn die Abgeordneten der parteiübergreifenden Fraktion der sogenannten "Generationengerechtigkeit" demnächst wieder im Chor mit Herrn Raffelhüschen über die Benachteiligung der Jungen kreischen, sollten wir sie daran erinnern, dass RentnerInnen und nicht etwa Bundestagsabgeordnete wegen des medizinischen Fortschritts zur Kasse gebeten werden.

3.
Warum wird eine ausgewählte Gruppe älterer Bürger für die zunehmende Zahl älterer Menschen verantwortlich gemacht und zur Kasse gebeten? Es waren die Verantwortungsträger dieses Staates welche die demografischen Veränderungen bis zum Ende der 90iger Jahre komplett ignoriert haben.


Das Karlsruher Urteil spricht die Verantwortlichen im Bundeskabinett und Parlament von jeder Verantwortung frei. Mehr noch. Die Richter stellten den PolitikerInnen und ihren Beratern einen Freibrief für künftiges Löcherstopfen aus. Neue Finanzierungslücke? Reg` dich nicht auf. Ist doch kein Problem. Wir zocken die Alten ab. Ihre zunehmende Zahl macht das dringend erforderlich und der gentechnische/pflegerische/biologische/versicherungstechnische/technologische/militärische Fortschritt auch.

Für das Bundesverfassungsgericht ist diese perfide Altersdiskriminierung in Ordnung. Bleibt der Europäische Gerichtshof. Aber der EuGH entscheidet nicht darüber, was richtig oder falsch ist, sondern ob das, was eine nationale Regierung entschieden hat, gegen den Geist und/oder den Inhalt einer von allen europäischen Instanzen verabschiedeten Richtlinie verstößt.

Die staatlich angeschmierten RentnerInnen haben also fast keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Das konsequente Verweigern ehrenamtlicher Umsonstarbeit wäre aber eine.

Herr Teufel, einer der kennntisreichsten Kritiker der Aushöhlung des gesetzlichen Rentensystems, hat wenig Hoffnung auf die Gegenwehr der Rentner. Er hält "die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur für konsequent. Denn schon vor 30 Jahren, zum 1.1.1978 gab es zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte rückwirkende Eingriffe in bereits erworbene Ansprüche". Inzwischen, so Teufel, haben sich viele Bürger damit abgefunden. Es seien nur einzelne, die seit ebenfalls 30 Jahren versucht hätten, sich gegen diese Eingriffe und die Ungleichbehandlung bei den verschiedenen Altersvorsorgesystemen zu wehren.

Ihm sei aber aus diesen 30 Jahren keine einzige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bekannt, bei der es um Altersrenten und Altersrentner ging, in der das Gericht für die Rentner entscheiden hätte. Immer sei der "Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers" (auf deutsch = politische Willkür) Vorrang eingeräumt worden vor den elementaren Grundrechten der betroffenen Bürger und dem Rechtsstaatsprinzip.

Nach Teufels Meinung haben die Karlsruher Richter schon lange den Boden des Grundgesetzes verlassen, wenn es um die Rechte von Rentnern geht. Anders bei den Beamten und Richtern. Die erhalten von vornherein eine angemessene Altersversorgung und jedes Jahr eine angemessene Erhöhung der Altersbezüge. Beamten und Richtern wird die Beihilfe im Alter von 50 auf 70 Prozent erhöht, Rentner müssen statt bisher 50, jetzt 60 bis 80 Prozent ihres Krankenkassenbeitrags selbst zahlen und sind als Kassenpatienten auch noch wesentlich schlechter gestellt.

Solange das Bundesverfassungsgericht für Recht erklärt, dass für Arbeitnehmer und Rentner nicht die gleichen Rechte gelten wie für Politiker und privat- oder kammerversicherte Selbständige, sowie Beamte und Richter, und das mit Unterschieden begründet, die auf willkürliche Festlegungen des Ständestaats des 19. Jahrhunderts zurückgehen, sind wir noch weit davon entfernt ein demokratischer Rechtsstaat zu sein. Und solange gibt es für Demokraten noch viel zu tun.

Am kommenden Freitag, 11.4.08 wird Herr Teufel einen Vortrag "Rentenrecht oder eher Rentenunrecht" in München bei der Seniorenmesse "Die 66" halten. Zwischen dem 14. und 18. April 2008 ist er auf Einladung der Linkspartei an fünf verschiedenen Orten in der Pfalz zu hören.

Link: Direktversicherung: Teilerfolg beim Verfassungsgericht…
Quelle: diverse

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