Diskriminierung melden
Suchen:

Crash und Krise 1873

28.10.2008 - von Hanne Schweitzer

Ein Kurssturz der Wertpapiere an der Berliner Börse führte am 28. Oktober 1873 zu einer "Krise". Zuvor waren schon die Börsen in Wien, London und New York zusammengebrochen. "Die Hochfinanz hatte überall ihre Leute sitzen, in den Ministerien und Ämtern ebenso, wie in den Aufsichtsräten ... Sie schob den höheren Beamten, die sich ihr nützlich erwiesen hatten, Direktoren-, Aufsichtsrats- und andere gutbezahlte Posten zu ..."

Anlass für das Zusammenfallen des Berliner Börsen-Kartenhauses war der Konkurs der Berliner Vereinsbank. Weitere Bankrotte und Konkurse folgten. In wenigen Wochen meldeten allein in Berlin 61 Banken, meist mit Sitz rund um die Behrenstraße Konkurs an. Ausserdem 116 Industriebetriebe und vier Eisenbahngesellschaften.

Durch Überproduktion,Spekulation, Preisverfall und Kapitalmangel kam es in allen Wirtschaftsbereichen zu Absatzproblemen. Der Kupfermarkt brach zusammen. Betriebe ließen nur noch an drei oder vier Wochentagen arbeiten. Auf Lohnkürzung folgte Arbeitslosigkeit, folgte Wohnungsnot, folgte Hunger, Typhus. Der Tageslohn eines Arbeiters fiel auf 2,50 Mark, eine Klavierlehrerin verdiente 0,25 Pfennig pro Unterrichtsstunde. Aus Angst vor Unruhen und Aufständen, die das System hätten gefährden können, verbot der Berliner Polizeipräsident der Presse über Entlassungen zu berichten. Auch Annoncen mit eventuellen Neueinstellungen durften nur mit seiner Genehmigung veröffentlicht werden. Die Gewerkschaften der Maurer, der Zimmerer und der Schumacher wurden geschlossen, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein und der Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein wurden dicht gemacht.

Versammlungen, auf denen Sozialisten oder Sozialdemokraten reden wollten, wurden nicht genehmigt, und fanden sie dennoch statt, wurden sie sofort aufgelöst. Das Singen der Marseillaise war nicht erlaubt, Friedhofskränze durften keine roten Schleifen haben, und Spitzel mischten sich sogar unter die Obdachlosen, um jenes Gespenstes habhaft zu werden, das damals angeblich umging in Europa.

Denunziationen.
Verhaftungen.
Klassenjustiz.
Polizeiterror.

Wie üblich bei Börsenzusammenbrüchen, verloren VIELE alles. Der große Kladderadatsch, wie der Börsencrah in Berlin genannt wurde, markierte den Beginn einer schlechten, sehr schlechten Zeit. Sie sollte über zwanzig Jahre - von 1873 bis ca. 1896 dauern.

Andere - WENIGE, nutzten den Kladderadatsch um das zu kaufen, was zu Spottpreisen verschleudert werden musste. Sie gerierten sich als "neue Elite", importierten französische Arbeiter zum Bau von Gründerzeitpalästen an der Wilhelmstraße. Spendeten enorme Summen, damit Bismarck seine Hypothek bezahlen konnte. Bereicherten sich hemmungslos. Ließen sich adeln und die Puppen nicht nur im Cafe Borchardt tanzen, wo „das Geld unter den Tischen umherrollt“.

Friedrich Engels kommentierte den Kladderadatsch so: „Der angebliche öffentliche Bedarf des Handels, des Verkehrs, des Konsums etc. diente nur zur Bemäntelung des zügellosen Drangs der Börsenhyänen, die Milliarden arbeiten zu lassen, solange man sie in Händen hielt.“ Wie zur Bestätigung dieser Aussage finden sich im Berliner Städtischen Jahrbuch von 1874 folgende Zahlen: Die vier Geschäftsinhaber der Berliner Disconto-Bank erhielten 1872, also ein Jahr VOR dem Börsenkrach, allein an Tantiemen und Surpluszinsen pro Person eine Viertelmillion Taler. Und obwohl sich sechzehn (!) Verwaltungsräte derselben Gesellschaft im selben Jahr mit 196.446 Taler begnügen mussten, kassierten zwanzig Vertreter des Kapitals 1.196.680 Taler! Im gleichen Jahr bekam ein Maurer 27 Taler in der Woche.

Profiteure der 1873-Krise waren: Die Deutsche Bank-, die Dresdner Bank und die Commerzbank.

Ein Jahr NACH dem Börsenkrach fanden im neuen Deutschen Reich Wahlen statt, 1874. Die Ergebnisse des Standeswahlrechts sicherten die Privilegien der Besitzenden - was sonst.

Bei uns stehen auch Wahlen an, 2009.
Europawahlen,
Bundestagswahlen,
Landtagswahlen,
Kommunalwahlen!

Wer da wohl noch hingeht?

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2785
Quelle: diverse + Annemarie Lange, Berlin zur Zeit Bebels + Bismarcks

Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Finanzen:
20.10.2008: Finanzmarktstabilisierungsgesetz: Oktober 2008
07.10.2008: Schutzschirm von Regierung geöffnet
30.09.2008: Hypo Real Estate gerettetet, Bail failed

Alle Artikel zum Thema Finanzen