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Mann, 84, ohne Einwilligung 24 Zähne gezogen

02.06.2009 - von Dr. iur. Jürgen Klass II

Einem 84 Jahre alten Mann wurden im Klinikum der Universität München ohne Einwilligung alle 24 noch in seinem Mund befindlichen Zähne gezogen. Besonders schlimm: Der Mann war an Alzheimer erkrankt und die Anfertigung von Ober- und Unterkiefervollprothesen ist bei Alzheimerpatienten nicht möglich.
Das Landgericht München I hat in diesem Fall eine wegweisende Entscheidung für das Zahnarztrecht getroffen: Es hat dem Mann 15.000 € Schmerzensgeld für den Verlust seiner 24 Zähnen zugesprochen.

Hier nun der Brief des Anwalts an das Büro gegen Altersdiskriminierung:

Sehr geehrte Frau Schweitzer,
das Landgericht München I hat auf meine Klage hin das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München dazu verurteilt, meinem Mandanten eine Entschädigung von immerhin € 15.000,00 nebst Zinsen (Zinsen bis heute: € 4.248,22 !) zukommen zu lassen.

Zum Sachverhalt: Im Jahr 2005 wurden dem seinerzeit 84 Jahre alten, in einem Seniorenheim lebenden und an Alzheimer erkrankten Mann im Klinikum der Uni München in der Lindwurmstraße auf einen Schlag sämtliche im Mund befindlichen Zähne gezogen. In diese Maßnahme hatte der Patient zu keinem Zeitpunkt eingewilligt. Ein vorheriges Aufklärungsgespräch unterblieb. Das Opfer konnte sich auch während der Operation nicht zur Wehr setzen, da es zuvor narkotisiert worden ist.

Das eigentlich Schlimme an der Sache ist: Die Ärzte machten sich keinerlei Gedanken darüber, welche Einschränkungen in der Lebensführung der alte Mann künftig - nach dem Eingriff - hinnehmen muss.

Das Urteil des Landgerichts ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:
Zum einen ist das Gericht (eine Spezialkammer für Zahnarztsachen) bei Patientenklagen ansonsten relativ zurückhaltend, was die Zuerkennung von Schmerzensgeldern angeht.
Zum anderen gehen die Richter ausführlich auf wichtige juristische Aspekte ein. Die Entscheidung ist insoweit wegweisend für künftige Streitigkeiten im Zahnarztrecht: Das Gericht setzt sich insbesondere eingehend mit der ärztlichen Verpflichtung auseinander, den Patienten stets rechtzeitig, vollständig und verständlich über alle Risiken der Behandlung und Behandlungsalternativen aufzuklären.

Ich sehe das Urteil auch deshalb als außerordentlich wichtig an, weil hier der Schutz älterer Menschen, die oft hilflos Ärzten gegenüberstehen und Spielball diverser Interessengruppen sind, gestärkt wird.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob das Klinikum Rechtsmittel einlegen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. iur. Jürgen Klass II
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
Kanzlei Dr. Klüver & Kollegen
80336 München

Endgültiges zum Urteil unter: alt=http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=3093
>Link

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=3020
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung

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