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Köln: Keine Bank nach Sanierung Venloer Straße

Köln, Januar 2011 Foto: Hanne Schweitzer

30.11.2010 - von Hanne Schweitzer

Bei der Sanierung eines Teilstücks der Venloer Straße im Kölner Stadtteil Alt-Ehrenfeld* blieben wichtige Grundsätze für die Gestaltung eines barrierefreien Wohngebiets unberücksichtigt. Viele in ihrer Mobilität eingeschränkte oder hochaltrige Menschen können bekanntlich kaum länger als 5 - 10 Minuten ohne Pause gehen. Deshalb ist die Ausstattung des Wohnumfeldes mit Bänken, die möglichst eine Rücken- und Armlehne haben sollten, mindestens alle 100 Meter zu fördern.
Gäbe es einen Preis für die herausragende Nichtbeachtung dieser Empfehlungen, die Kölner Stadtverwaltung und die Ehrenfelder Bezirksvertretung hätten ihn verdient.

Doch von Anfang an.
Nachdem die U-Bahn unter der Venloer Straße 1989 fertig gebaut war, und ein Auto samt Fahrerin aus einer Nebenstrasse kommend, beim Abiegen in die Venloer Straße in ein sich plötzlich auftuendes Erdloch gestürzt war, wurden auf beiden Straßenseiten Platanen gepflanzt.

Dies geschah jedoch so stümperhaft, dass die Wurzeln der Bäume im Laufe der Jahre Risse und Hubbel auf den Trottoirs und rotmarkierten Radwegen verursachten.

Im April 2007 begann das kölsche Sanierungstäterä: Die "Baumstandortsanierung Venloer Straße in Köln-Ehrenfeld". Wegen Beratungsbedarfs und fehlender Beschlüsse gingen vier Jahre ins Land. Aus der Sanierung der Baumstandorte war mittlerweile die Sanierung des Teilstücks der Venloer Straße geworden. Kosten: 1.3 Millionen Euro.

Im Februar 2010 versammelten sich wichtige Männer auf dem Podium einer Schule in Köln Ehrenfeld um den BürgerInen, von denen immerhin 200 erschienen waren, die "Umgestaltung der Venloer Straße zwischen Ehrenfeldgürtel und Fuchsstraße" nahe zu bringen.

Die Begrüßung übernahm der Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk Ehrenfeld, Josef Wirges. Für die Einführung war Bernd Streitberger verantwortlich, der Kölner Dezernent für Stadtentwicklung, Planen und Bauen. Die Vorstellung der Planung für die Venloer Straße und die Information über die Abwicklung der Baumaßnahmen übernahm jedoch Klaus Harzendorf vom Amt für Straßen und Verkehrstechnik.

Per Power Point wurde an die Wand geworfen, was sich Verwaltung und Bezirksvertretung ausgedacht und längst beschlossen hatten. Dazu gehörte das Fällen von 63 Platanen und die Pflanzung neuer Bäume. Darüber informierte Dr. Joachim Bauer vom Kölner Amt mit dem verwirrenden Namen "Wirtschaftspflege und Grünflächen". Die Verwirrung über die Bezeichnung des Amts legte sich jedoch schnell, als die BürgerInnen auf Nachfrage erfuhren: Die Neupflanzung von 63 pflegeleichten, drei Meter hohen Säulengleditschien, auch Christusdorn genannt, kostet 320.000 Euro. Inclusive Lufteintrittsöffnungen. Mit 20.000 Euro schlägt das Absägen der Platanen zu Buche.

Die BürgerInnen regten an, bei der Umgestaltung doch bitte Platz für Bänke zu berücksichtigen. Der Bezirksbürgermeister notierte das.

Wenige Tage später begann - nach Karneval - die "Umgestaltung" der Venloer Straße. Peux á peux wurden, um den Zorn der EhrenfelderInnen nicht zu sehr zu provozieren, mit größtmöglicher Unaufälligkeit, alle 63 Platanen gefällt. Rund um deren Stümpfe, die lebenslustig schnell wieder Zweiglein und Blätter austrieben, begannen die Arbeiten an Bürgersteig und Fahrbahn.

Im März, auf der 5. Sitzung der Bezirksvertetung Ehrenfeld am 15.3.2010 stellte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag zwecks "Aufstellung von Sitzbänken/Sitzgelegenheiten im Zuge des Umbaus der Venloer Straße". Die Bezirksvertretung Ehrenfeld beschloss einstimmig, die Verwaltung aufzufordern, ins Umbaukonzept der Venloer Straße die Aufstellung "einiger Bänke bzw. anderer Sitzgelegenheiten an geeigneten Stellen des öffentlichen Raums" aufzunehmen.

Im April meldete eine Kölner Zeitung, die Bezirksvertretung Ehrenfeld wolle "Sitzgelegenheiten" für die Venloer Straße, die der Allgemeinheit zur Verfügung stehen und deren Nutzen nicht an einen Verzehr in den Straßencafés gebunden ist.

Im Mai begrüßten die BezirksverterInnen einstimmig - nein, nicht das Aufstellen von Bänken, sondern eine Empfehlung an den Rat der Stadt Köln. Der solle eine Satzung über den "Anbringungsort", die "Abmessungen" und die "Ausgestaltung von Werbeanlagen" auf der Venloer Straße beschließen. Weil das "eine Aufwertung der Straße" bedeute. Kein Gedanke an Bänke.

Anfang Juli 2010 verankert die Baufirma ein rundes, zweistöckiges Baumschutzgitter auf einem Stück baumloser Erde Ecke Venloer Sraße/Simrockstraße. Das monumentale Gitter ist einem Mammutbaum angemessen, der von einer Fahrzeugkolonne aus Hummern bedroht wird. Das Gitter eignet sich wegen seiner Höhe als Klettergerüst für Kinder. Als Sitzgelegenheit kommt es allenfalls für Tauben in Frage. Das plumpe schwarze Ding beleidigt das ästhetische Empfinden vieler EhrenfelderInnen.

Das Büro gegen Altersdiskriminierung wird nun aktiv. Was leichter zu fordern als zu realisieren ist. Mal eben den Bezirksbürgermeister anrufen und sagen "Hej, seid ihr von allen Geschmacksgeistern verlassen", das geht nicht, so funktioniert Demokratie nicht. Den Bezirksbürgermeister kann nicht jeder einfach so anrufen. Die 19 Mitglieder der Bezirksvertretung anmailen oder antelefonieren? Auch kein einfaches Unterfangen. Eine Webseite, auf der ihre Kontaktdaten einzusehen wären, gibt es nicht. Also sucht man mühsam 13 Adressen zusammen. Darunter die des Bezirksbürgermeisters, die der Seniorenvertretung und die von 11 ehrenamtlichen Bezirksvertreter.

Man schreibt eine Mail, in der man auf die exorbitante Hässlichkeit und unbegründete Monumentalität dieses Baumschutzgitters aufmerksam macht und bittet die Damen und Herren Bezirksvertreterinnen recht herzlich, sich doch darum zu kümmern, dass auf der Venloer Straße, Bänke UND Sitzgelegenheiten aufgestellt werden, und das eh nicht berauschende Straßenbild nicht auch noch zusätzlich durch Monstergitter zu verschandulieren.

Gleichzeitig - think positiv - verweist man in der Mail auf die sanierte Kalker Hauptstraße auf der anderen Rheinseite Kölns. Dort, auf der schääl Sick findet, zumindest im Sommer, wegen der dort vorhandenen Bänke und Sitzgelegenheiten tatsächlich so etwas wie städtisches Leben statt. Auch die niedrigen, grazilen Baumschutzgitter werden dort als Sitzgelegenheit genutzt.

Um Fotos von dieser geradezu vorbildlichen Straßenmöblierung zu machen, (man hat ja sonst nichts zu tun), begibt man sich also auf die andere Rheinseite, und fügt die Fotos mitsamt denen vom scheußlichen Ehrenfelder Mustermonstergitter der Mail als Anhang hinzu.

Reaktion: 1. Ein Anruf der Partei Die Linke. Der Mann vertritt eine schwangere Bezirksvertreterin. Er weiß von nichts, will sich schlau machen, meldet sich aber nie wieder. 2. Mail- und Telefonkontakt mit einer SPD Bezirksvertreterin. Sie informiert darüber, dass die Gitter so beschlossen worden sind. Sie seien deshalb so hoch, damit man Fahrräder anschließen kann. (Auf den Fotos der Kalker Hauptstraße ist zu sehen, dass dies bei niedrigen Gittern genauso möglich ist.) Wegen der Bänke bzw. Sitzgelegenheiten empfiehlt sie, dass die Bürgerinnen und Bürger Geschäftleute auf der Venloer Straße um das Aufstellen von Bänken vor ihren Läden bitten sollen! Auch habe man angedacht, rechts und links vor dem Eingangsportal der katholischen Kirche St. Joseph je eine schöne Bank aufzustellen. Da es sich um ein Kirchengrundstück handelt, wisse man allerdings noch nicht, was die Kirchengemeinde von diesem Plan hält.

Anfang September: Bezirksvertreterin Kaiser (CDU-Fraktion) beklagt die teilweise mangelhafte Ausführung der Bauarbeiten auf der Venloer Straße. Die Mängel könnten während der noch laufenden Arbeiten leichter beseitigt werden als nach ihrem Abschluss. Die Kölner Stadtverwaltung erläutert, dass ihr die dargestellten Mängel bekannt sind. Die Bezirksvertretung beauftragt deshalb die Verwaltung, kurzfristig einen Termin mit den entsprechenden Fachabteilungen anzuberaumen, zwecks Begehung der Venloer Straße und Begutachtung der bereits erfolgten Umbaumaßnahmen. Die Bezirksvertretung Ehrenfeld stimmt dem Antrag einstimmig zu. Der Ortstermin wird vom Bezirksbürgermeister Wirges nach Abstimmung mit den Fraktionen für den 22.09.2010, 17.00 Uhr festgesetzt. Treffpunkt: Baucontainer am Barthonia-Forum, mit anderen Worten: Schräg gegenüber und in Sichtweite des Monstergitters.

Anfang November 2010. Die neuen, spindeldürren pflegeleichten Bäumchen, denen das Ausbilden von Samenschoten weggezüchtet wurde, werden gepflanzt. Anwohner der Venloer Straße berichten, dass die Pflanzlöcher für die neuen Bäume - genauso wie damals bei den Platanen - , nicht mal einen Meter tief ausgehoben wurden. Das Kölner Grünflächenamt versichert jedoch, es wären 2,50 Meter gewesen.

Mitte November: Von Sitzgelegenheiten oder gar Bänken ist weit und breit nichts zu sehen. Jede freie Fläche, die durch die Verlegung der Fahrradwege auf die vielbefahrene Geschäftsstraße entstanden ist, wurde inzwischen mit fest in der Erde montierten Fahrradständern möbliert.

Ende November: Die neuen Bäumchen werden, damit sie nicht schief wachsen, zwischen drei hohen Rundhölzern ausgerichtet und festgebunden. Die schwarzen Monstergitter drumherum sind so tief in das Pflanzloch gestemmt, dass man sich zur Not draufsetzen oder dranlehnen könnte. Aber sofort ergibt sich ein neues Problem. Die Pflanzlöcher, auch Baumscheiben genannt, haben eine andere Abmessung als die Monstergitter. Diese sind ja stets rund. Was man von den Pflanzlöchern aber nicht sagen kann. Die sind je nachdem mal quadratisch, mal rechteckig. Nirgendwo entsprechen sie aber der Form oder dem Durchmesser der Baumschutzgitter. Man hält es nicht für möglich!!! Auf viereckigen, ungepflasterten Baumscheiben läßt die Kölner Stadtverwaltung runde Baumschutzgitter aufstellen. Überall auf dem Bürgersteig verteilt sich bereits die Erde ...
Weitere Folge: Wer sein Fahrrad am Baumschutzgitter anschließen will, muss zuerst auf die unbefestigte Erde (oder Matsche) der Baumscheibe treten, um überhaupt an das Gitter heran zu kommen. Jedes Denken an eine Bepflanzung der Baumscheiben kann man sich sparen. Mangels Schutz würden die Pflanzen sofort plattgetreten.
Über dieses städtebauliche Gemurkse schreibt der Kölner Stadt- Anzeiger: Ehrenfeld hat endlich wieder eine Allee!

Unbegreiflich ist ebenso, dass die Straßenmöblierung in Kalk so viel durchdachter geplant und realisiert wurde. Auf der Kalker Hauptstraße sind die Baumscheiben ebenso rund wie die Baumschutzgitter. Beide haben sogar den gleichen Durchmesser. Folge: Jeder kann dort sein Fahrrad anschließen oder sich auf das Schutzgitter setzen, OHNE auf Erde oder Matsch treten zu müssen. Blumen können auf der Baumscheibe unbehelligt wachsen, niemand tritt sie platt.

Gäbe es einen Preis für die herausragende Nichtbeachtung von Grundsätzen der Gestaltung eines generationengerechten Wohnumfelds: Die Kölner Stadtverwaltung und die Ehrenfelder Bezirksvertretung hätten ihn verdient. Name des Preises: Lebenswertes Veedel - Nein Danke.

* Altehrenfeld ist das Carré zwischen Innerer Kanalstraße, Ehrenfeldgürtel, Subbelrather Straße und Vogelsanger Straße.

** Die Sanierung des Teilstücks der Venloer Straße zwischen Stuppstraße und Innerer Kanalstraße wird vom Bauherrn der Ditib-Moschee in Ehrenfeld geplant.


***Auszug aus: Kommunalpolitisches Programm der SPD
für den Stadtbezirk Ehrenfeld 2009 - 2014
Hilfen für Seniorinnen und Senioren
"Wir werden mehr Bänke für ältere Menschen im öffentlichen Straßenraum, z. B. auf der Venloer Straße, an der Friedenskirche und am Buschweg in Bocklemünd /Mengenich zur Verfügung stellen. Außerdem fördern wir weitere
Möglichkeiten des Aufenthaltes im öffentlichen Raum, z.B. durch die Einrichtung von Mehrgenerationenplätzen."


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Nachtrag:
Im Sommer 2013 wurden einige schwarze Metallbänke aufgestellt.

Link: Wohnen im Alter: Themenheft der LSV Thüringen…
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung