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Überschüsse GKV gehören Beitragszahlern!

16.02.2012 - von adg, BRV, BRR, BgA

In der Diskussion über eine Kürzung des Bundeszuschusses müssen auch die versicherungsfremden Leistungen in der Gesundheitsversorgung thematisiert werden.

Das Sozialgesetzbuch enthält weder eine Definition noch eine Begründung dieser Leistungen, zu denen Zahlungen, geldwerte Vorteile oder Mindereinnahmen gehören. Diese müssen, weil es der Gesetzgeber so will, von den gesetzlichen Krankenkassen im Interesse der gesamten Gesellschaft erbracht, gewährt oder geduldet werden. Die
versicherungsfremden Leistungen der GKV entlasten den Staatshaushalt und andere gesetzliche Sozialsysteme. Sie belasten aber nur die Beitragszahler der gesetzlichen
Krankenkassen.

Folge: Beitragserhöhungen, Leistungskürzungen und Zuzahlungspflicht für die gesetzlich Versicherten.
Die versicherungsfremden Leistungen betragen nach Expertenmeinung zwischen 20 und 44 Mrd. Euro pro Jahr. Erst seit 2004 werden die versicherungsfremden Leistungen
pauschal mit einem Bundeszuschuss, aber nur zu einem kleinen Teil und zum erheblichen Nachteil der Versicherten, erstattet.

Als versicherungsfremde Leistungen gelten u.a:
● Die beitragsfreie Krankenversicherung von Kindern, Ehegatten und Lebenspartnern (es ist umstritten, ob die Beitragsfreiheit für Kinder gesetzlich versicherter Eltern
versicherungsfremde Leistungen sind).
● Nicht medizinisch erforderliche Leistungen zur Empfängnisverhütung.
● Schwangerschaftsabbrüche gemäß Beratungsregelung und bei kriminologischer Indikation.
● Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft
● Der Pflegedienst während Schwangerschaft oder Entbindung.
● Betriebs- und Haushaltshilfen.
● Mutterschaftsgeld (wird seit 2004 aus Steuertransfers an die GKV gezahlt).
● Krankengeld bei der Betreuung eines kranken Kindes (wird seit 2004 aus Steuertransfers an die GKV gezahlt).
● Die beitragsfreie Krankenversicherung beim Bezug von Erziehungsgeld, Mutterschaftsgeld oder bei der Inanspruchnahme von Elternzeit.
● Medizinische Vorsorgeleistungen wie z. B. Kuren.
● Die unter bestimmten Voraussetzungen beitragsfreie Krankenversicherung von in der Türkei oder auf dem Balkan lebenden Eltern der hierzulande berufstätigen türkischen
oder balkanesischen Arbeitnehmer.
● Teile der Rentenangleichung in Ostdeutschland.
● Betriebliche Gesundheitsförderung.
● Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren.
● Primäre Prävention durch Schutzimpfungen.
● Inanspruchnahme der Zahnprophylaxe auch von nicht versicherten Kindern und Jugendlichen aus Familien mit relativ niedrigem sozialökonomischen Status.
● Belastungsregelung bei der Kostenerstattung für Zahnersatz.
● Leistungen zur Vermeidung der Pflegebedürftigkeit.
● Leistungen der Palliativversorgung.
● Förderung der Selbsthilfe und Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenversorgung.

Zu den versicherungsfremden Leistungen zählen auch Ausfälle auf der Einnahmeseite.
Dazu gehören die sehr niedrigen Krankenkassenbeiträge für alle die Arbeitslosengeld I nach dem Sozialgesetzbuch III bzw. Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld (Hartz IV) erhalten.

Der Umfang der versicherungsfremden Leistungen.
Es ist nicht bekannt, wie viel Geld die GKV für versicherungsfremde Leistungen ausgegeben haben und noch ausgeben. Eine Ausgabenliste, aus der sich die Summe
der Steuern ermitteln ließe, die der Bund an die GKV bzw. den Gesundheitsfonds überweist, existiert nicht. Also wird in diesem Staat geschätzt und geraten.

● Allein für das Jahr 1993 schätzte Dr. Johannes Steffen von der Arbeitnehmerkammer Bremen die Summe aller versicherungsfremden Leistungen in der GKV auf 51,8 Mrd.
DM. Der Bund überwies zum Ausgleich lediglich 0,2 Mrd. DM.
● Für das Jahr 2002 schätzte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) den „fehlfinanzierten Anteil“ an den Ausgaben der Krankenversicherung auf 17 Prozent
oder 21,7 Mrd. Euro“.
● Im Jahr 2006 schätzte Werner Sesselmeier, Professor an der Universität Koblenz-Landau, die Höhe der versicherungsfremden Leistungen auf 27,5 Mrd. Euro jährlich.
(Böckler Impuls 03/2006).
● Im Jahr 2006 schätzte Professor Bernd Rürup die Höhe der versicherungsfremden Leistungen in der GKV auf ca. 44 Mrd. Euro jährlich.
● 2008 schätzten das Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung (IGSF) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die versicherungsfremden
Leistungen und Einnahmeausfällen in der GKV auf jährlich 45,5 Mrd. Euro.

Die Erstattung versicherungsfremder Leistungen.
2004 hat der Bund zum ersten Mal aus den Steuereinnahmen eine pauschale Erstattung in Höhe von 1 Mrd. Euro für versicherungsfremde Leistungen an die GKV überwiesen. Eine detaillierte Aufschlüsselung darüber, für welche Leistungen diese Erstattung gezahlt wurde, existiert nicht. Ab 2006 sollten jedes Jahr dauerhaft 4,2 Mrd. Euro aus Steuermitteln an die GKV überwiesen werden. Das war aber nur ein einziges Mal der Fall. Denn durch das Haushaltsbegleitgesetz wurde der sogenannte „Steuerzuschuss” ab 2006 wieder auf 1,5 Mrd. Euro pro Jahr gesenkt.

Damit nicht genug der finanzpolitischen Achterbahnfahrt. Der sogenannte „Steuerzuschuss” stieg in den Jahren 2007 und 2008 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz
(GKV-WSG) auf 2,5 Mrd. Euro pro Jahr. 2009 wurden die
sogenannten „Steuerzuschüsse” des Bundes allerdings um 3 Mrd. Euro aus dem Konjunkturpaket II erhöht. Ebenfalls 2009 wurde beschlossen, die sogenannten „Steuerzuschüsse” des Bundes um 1,5 Mrd. Euro pro Jahr zu erhöhen und zwar so
lange, bis 14 Mrd. Euro pro Jahr erreicht werden (SGB V § 221 v. 01.01.2009).

Demnach haben die GKV für Ausgaben, die eigentlich alle Bundesbürger bezahlen müssten, vom Bund erstattet bekommen:

2004: 1,0 Mrd. Euro.
2005: 1,7 Mrd. Euro.
2006: 4,2 Mrd. Euro.
2007: 2,5 Mrd. Euro.
2008: 2,5 Mrd. Euro.
2009: 7,2 Mrd. Euro.
Davon 3 Mrd. Euro aus dem Konjunkturpaket II.
2010: 11,8 Mrd. Euro.
Davon 6 Mrd. Euro aus dem Konjunkturpaket II, 3,9 Mrd. Euro aus dem Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz zur Kompensation krisenbedingter Mindereinnahmen. Der letztgenannte Betrag wurde nicht an den Gesundheitsfonds, sondern an die gesetzlichen Krankenkassen überwiesen.
2011: 15,3 Mrd.

Soziale Sicherung in Deutschland
Quelle: Positionspapier Soziale Sicherung in Deutschland

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