Diskriminierung melden
Suchen:

Altersdiskriminierung in der Welt am Sonntag

Oceanside, 2012 Foto: H.S.

30.05.2015 - von Hanne Schweitzer

„Junge Leute konsumieren bloß, aber keiner interessiert sich mehr für Politik.“ So lautete die Einleitung für ein sogenanntes Streitgespräch, das zwei MitarbeiterInnen des Axel Springer-Verlags schriftlich in der Welt am Sonntag ausgetragen haben, und das dort Pfingsten veröffentlicht wurde. Das matte Geplänkel der beiden Journailistinnen trug die Überschrift: „Warum rebelliert keiner?“

Wenn die Brüssel-Korrespondentin, Silke Mülherr, und die Redakteurin bei der Welt, Sabine Menkens, 77 Zeilen lang „streiten“, belegen sie nicht nur ihren saloppen Umgang mit Begrifflichkeiten, sie wollen (oder sollen) auch dazu beitragen, zu verschleiern, dass die Gräben in dieser Gesellschaft nicht zwischen den Generationen, sondern zwischen den Reichen und den Armen verlaufen.

Das „Streitgespräch“ beginnt Frau Mülherr mit der Äußerung ihres Unwillens über die „Alt 68er“. Diese Bösen würden ihrer Generation vorwerfen, unpolitisch und ausserdem zu bequem zu sein, um „auf die Barrikaden zu gehen“. Falls noch jemals ein Einziger aus der Alt-68iger ihrer Generation - sie ist 33 - so etwas Perfides vorwerfen würde, droht Frau Mülherr ihm, „Namen zu nennen“ und „die Doppelmoral“ zu „denunzieren“. Als Grund für diese Drohung gibt sie an, dass die Alt-68er schließlich auf ihren „unbefristeten Verträgen“, säßen, „ein Eigenheim“ hätten, und „mit leuchtenden Augen“ von früher erzählen würden, als sie gegen „das System, die Autoritäten und die Eltern“ angetreten seien.

Frau Mülherr weiß wohl nicht, wer hierzulande als Alt-68er gilt. Damit sind die wenigen Linken und Intellektuellen gemeint, die mehr oder wenig aktiv an den sogenannten Studentenprotesten ab Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts teilgenommen haben. Geboren wurden die meisten dieser Alt-68er in den Jahren 1940 bis 1950. Inzwischen, das müßte Frau Mülherr wissen, schreiben wir aber das Jahr 2015. Die Alt-68er sind also längst in Rente oder sie beziehen, wenn sie damals kein Berufsverbot bekamen, eine Pension. Auf unbefristeten Verträgen „sitzt“ also keiner mehr.

Frau Menkens, ihrer Partnerin beim sogenannten Streitgespräch, hält sich mit dieser Ungereimheit nicht auf. Sie reagiert auf das Stichwort „Eltern“. Frau Menkens ist nämlich nicht nur Redakteurin bei Springers Welt, sondern auch dreifache Mutter, sie kann also mitreden. „Eltern“, sagt die 46Jährige, seien die ersten „Sparringpartner“ für ihre Kinder.

Nun sind Sparringspartner in der Regel solche, die von vornherein als zu leicht empfunden werden, das weiß aber wiederum Frau Mühlherr nicht, stimmt Frau Menkens aber fast überschwenglich zu. Eltern, ja, das seien heutzutage Verbündete, ohne die sich „der Nachwuchs keine unbezahlten Praktika“ leisten könne, schreibt sie, und hat dabei allein die Eltern im Blick, die es sich auch erlauben können, ihrem Nachwuchs unbezahlte Praktika zu finanzieren. Die Alt-68er hat sie aber trotzdem noch im Sinn und kommt auf sie zurück. Deren „Aufruf zur Revolution“, welchen meint sie bloß? sei "nicht glaubwürdig". Die Alt-68er würden in ihren Häusern „hocken“, über „Gartenbewässerungssysteme“ nachdenken und trotzdem die Frechheit besitzen, den „prekär angestellten Berufseinsteigern“ vorzuwerfen, „unpolitisch“ zu sein.

Darauf Menkens: „Was dich wohl eher nervt, ist die Deutungshoheit einer Klasse, die allein durch schiere Masse den Ton angibt.“ Locker und en passant erhebt Menkens die Alt-68er nicht nur zu einer Mehrheit im Land, sondern auch noch zu einem Bevölkerungsteil mit gleichen sozialen und wirtschaftlichen Merkmalen. (Häuser + Nachdenken über Gartenbewässerungssysteme?)

Mühlherr geht darauf nicht ein. Stattdessen fährt sie ein neues Geschütz auf und benennt einen neuen Feind ihrer Generation: die Babyboomer. „Das Schweigen der Babyboomer“, das sei „das eigentliche Verbrechen“, behauptet sie und fordert die schweigenden Babyboomer auf, dieses Verbrechen zu sühnen, indem sie „gemeinsam mit den Jüngeren“ doch bitte „gegen die Diktatur der Rentner“ antreten.

Bekanntlich werden aber als Babyboomer all diejenigen bezeichnet, die nach dem Ende des 2. Weltkriegs, aber vor dem sogenannten Pillenknick geboren wurden, der hierzulande bekanntlich auf Mitte der 60iger Jahre datiert wird. Die Babyboomer der Jahrgänge 1945 bis 1950 sind in Rente und gehören damit, wie die Alt-68er, zur „Diktatur der Rentner“, sie "genießen ererbte Privilegien“ und noch dazu erhalten sie „Wahlgeschenke“, so „das spätere Generationen leer ausgehen“.
Aber auch viele der Babyboomer werden "leer ausgehen". Wer zwischen den Jahren 1950 bis 1965 geboren wurde gehört, vor allem von den Älteren dieser Gruppe oft zu denen, die wegen der Arbeitsmarktsituation oder des Wegbrechen ganzer Branchen eben nicht 45 Jahre ohne Unterbrechung arbeiten konnten. Sie sind gemeint, wenn vor der drohenden Altersarmut gewarnt wird.
Dies wird im "Streitgespräch" ebenso ignoriert, wie die Senkung des Rentenniveaus, die Dauerarbeitslosigkeit der vergangenen Jahrzehnte und die steigenden Mieten oder Strompreise.

Aber vielleicht finden sich ja unter den Abgeordneten, CEOs oder Richtern Babyboomer, die mit der "jüngeren Generation" auf die Barrikaden gehen wollen! Deren Bau könnten dann ja die beiden Streithennen Mülherr und Menkens übernehmen!

Link: Altersdiskriminierung auf Spiegel online
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung, Welt am Sonntag, 24.5.2015