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Weimar bis 7.5.: TRUE LIES - Die echte Lust am Falschen

09.02.2017

Vortäuschen, nachahmen, das So-tun-als-ob sind nicht nur verbreitete Mittel der Kunst, sondern auch Kulturverfahren, mit denen man in schwierigen Situationen des Lebens besser durchkommt. Die Lüge ist eine List des Überlebens, wie auch eine Methode des Erkenntnisgewinns. Wir simulieren, was wir vermissen, was einmal (vertraut) war — Vertrautheit, die uns in unserer unmittelbaren Umwelt so oft verloren geht — um uns sicher zu fühlen in dem, was ist. Selbst Nietzsche erkannte in der Lüge einen Weg, das Leben überhaupt erst lebenswert zu machen.

In der Ausstellung "True Lies — Die echte Lust am Falschen" widmen sich die Stipendiaten des 22. Internationalen Atelierprogramms, Nancy Mteki (ZW), Rheim Alkadhi (IQ/US) und Lodewijk Heylen (BE), der Frage, wie wir unsere Realität konstruieren, was Lüge, Wahrheit und Simulation sind. Jeder der drei Künstler untersucht das Thema auf seine eigene Weise:

Nancy Mteki nähert sich mit dem Medium der Fotografie dem Thema an: Photoshop-Bildbearbeitung und Instagramfilter sind nur zwei Wege, auf Fotos eine andere, bessere Realität zu simulieren.

Lodewijk Heylen simuliert in der Ausstellung die Bewegungen der Besucher anhand eines analogen Treckingsystems.

Rheim Alkadhi simuliert mit Seiten eines alten Fotoalbums eine funktionierende Flüchtlingspolitik.

Schönheits-, Bewegungs- und Politiksimulation — die Möglichkeiten der Erschaffung alternativer Realitäten war noch nie so ausgeprägt wie heute. Was ist echt? Und ist das Echte wirklich das, was wir heute noch sehen wollen?

Hypothetische Maschinen
Karl Heinz Jeron, Berlin. Athen (GRC)
Di 21. Februar 2017, 20:00 Uhr

Karl Heinz Jeron ist aktueller Stipendiat des 23. Atelierprogramms der ACC Galerie und der Stadt Weimar, das unter dem Thema "Romanze mit der Revolution" steht. Sein Arbeitsvorhaben während seiner Residenz dreht sich um Orwells Animal Farm und Lenin: Jeder kleine Schritt könnte ein großer werden, jede kleine Differenz eine große. Seine Arbeiten aus den letzten zehn Jahren inszenieren den Zusammenhang zwischen Zufall und freiem Willen.
Soziale Medien wollen uns glauben machen, dass das Zufallsprinzip keine Rolle mehr spielt. Nicht so in Jerons Arbeiten. Er vertraut dem Serendipitätsprinzip, arbeitet synthetisch. Dazu verwendet er öffentlich abrufbare Kommentare aus Facebook und Twitter für ein absurdes Schauspiel. Wie ein Synthesizer erzeugen seine hypothetischen Maschinen immer wieder neue aleatorische Kompositionen aus dem was ist und gehen zugleich darüber hinaus.
Ich ist ein Anderer, Credo und Taktik der avantgardistischen Lyrik der Moderne, taucht plötzlich aus der Oberfläche der Kommentare wieder auf. Das Spiegelstadium der medialen Gesellschaft ist erreicht.

Wahrheiten über die Kunst des Lügens
Simone Dietz, Düsseldorf
Do 23. Februar 2017, 20:00 Uhr

Wir müssen lernen, genau hinzuschauen und sprechen mit Simone Dietz, Professorin für Philosophie, über die Fragen, die wirklich wichtig sind. Leitet das postfaktische Zeitalter das Ende der Wahrheit ein? Lügen in Gesellschaft und Politik sind nichts Neues, was sich ändert, ist die Art und Weise des Lügens. Ob Schutzlügen oder Nutzlügen, Höflichkeitslügen, Lebenslügen oder kollektive Selbsttäuschung, Verschwörungslügen, nackte Lügen oder Beifallslügen: ein unverschämter Blick in die Waffenkammer sprachlicher Täuschung ist nützlich, um vermeintliche Wahrheitsapostel und notorische Lügner in der öffentlichen Debatte besser zu verstehen.
Dabei zeigt sich, dass Wahrheit unter Lügnern so unverzichtbar ist wie die Lüge unter den Freunden der Wahrheit, dass der Lügenvorwurf oft selbst als Täuschungsmittel eingesetzt wird und schließlich auch, dass es keineswegs nur die anderen sind, die lügen. Also alles egal und weiter so? Keineswegs!

Deko oder Sexpuppe? Sexueller Fetischismus
Simon Bohn, Leipzig
Di 28. Februar 2017, 20:00 Uhr

Perversion, Mystik, Illusion – dem Fetischismus hängt der Geruch des Verbotenen, des Unechten, des Übersteigerten und Abnormen an. Aber was meinen wir, wenn wir von Fetischismus sprechen? Und warum bezeichnen wir bestimmte Praktiken, Gefühle und Wahrnehmungen als fetischistisch?
Wo Fetischismus unterstellt wird, geht es immer um das Ziehen einer Grenze: zwischen Normalität und Krankheit, Liebe und Sünde, Wahrheit und Täuschung. Die Diagnose verrät dabei mehr über die Kultur, der sie entspringt, als über die Menschen, die zu Fetischisten erklärt werden.

Simon Bohn illustriert anhand verschiedener Konzeptionen des Fetischismus die Spielarten dieser Grenzziehung. Bohn ist Soziologe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und hat seine Arbeitsschwerpunkte im Bereich der Kultursoziologie, Gender Studies, Theorien des Fetischismus, Subjekttheorie und Methoden der qualitativen Sozialforschung.

In diesem April erscheint im Transcript-Verlag sein neuestes Buch „Die Ordnung des Selbst. Subjektivierung zwischen Krise und psychosozialer Beratung“.

"TRUE LIES - Die echte Lust am Falschen"
19 Uhr Vernissage: 9.2.2017

Öffnungszeiten:
Mo-Do, So: 12–18 Uhr + Fr, Sa: 12–20 Uhr
Führungen: Sonntags 15 Uhr und nach Vereinbarung.
ACC Galerie Weimar e.V.
Burgplatz 1 + 2
99423 Weimar Tel. (03643) 851262
www.acc-weimar.de

Quelle: ACC Galerie Weimar