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Demenzvorhersage bei Menschen ohne Anzeichen einer Erkrankung

Foto: H.S.

11.05.2019

Tests mit Biomarker-Untersuchungen ermöglichen heutzutage weit vor Eintritt der ersten Symptome eine Wahrscheinlichkeitsaussage an Demenz zu erkranken. Eine Therapie für Demenz gibt es bisher nicht. Dies führt bei Betroffenen, Angehörigen und Beratenden zu spezifischen Ängsten und Erwartungen.

Prä-diadem heißt die Abkürzung eines wissenschaftlichen Projekts, das zwei Jahre lang mit Steuergeldern aus dem Topf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung finanziert und auf der Webseite des Ministeriums so erläutert wird:

"- Welche Informationen und Unterstützung benötigen Betroffene und Angehörige?
- Wie soll vor dem Hintergrund des Rechts auf Nichtwissen eine ergebnisoffene Beratung über Vor-/Nachteile der Demenz-Diagnostik erfolgen?
- Wie soll über den Umgang mit Demenz aufgeklärt werden?
- Wie müssten das Datenschutzrecht sowie Muster für Verfügungen, Einwilligungen und Aufklärungen für nicht-genetische Diagnosetests überarbeitet werden?"
Projektbeschreibung: https://praediadem.de/projektbeschreibung/

68 Organisationen* wurden eingeladen, zwei Fragen zu beantworten.
A. Was ist das Hauptinteresse im Umgang mit Demenz Ihrer Organisation?
B. Bitte skizzieren Sie Ihre zentrale Position/Auffassung zur Vorhersage einer Demenz mittels Biomarker. Wo sehen Sie zentrale Probleme oder Kontroversen?
29 Organisationen haben eine Stellungnahme eingereicht.


Aus den Stellungnahmen zu Frage B:
Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) | AG Altern und Ethik[/b]

... bei Menschen, die keine Symptome bei sich feststellen und bei denen auch das soziale Umfeld keine Symptome beobachtet. Hier können Biomarker das erhöhte Risiko für eine mögliche Demenzerkrankung anzeigen, aber nicht mit Sicherheit aussagen, ob und ggf. wann die Person erkrankt. Zudem sind viele der betreffenden Marker bislang nicht hinreichend validiert und die Testverfahren sind fehlerbehaftet. Daher ist der Nutzen hier ambivalent zu bewerten. Erstens können sowohl falsch-positive als auch mit großen probabilistischen Unsicherheiten behaftete Ergebnisse bei den Betroffenen viele unnötige Sorgen und Ängste bereiten und sie von der Verwirklichung realer Lebensmöglichkeiten abhalten. Das kann bis hin zum präemptiven Suizid aus Angst vor Demenz gehen. Umgekehrt könnten sowohl falsch-negative als auch hochgradig unsichere Ergebnisse allerdings ein falsches Sicherheitsgefühl erzeugen und z.B. eine gesundheitsbewusste Lebensführung unterminieren.

Zweitens ist auch die Gefahr kritisch zu bewerten, dass Menschen mit einem auffälligen Biomarkerbefund im privaten oder beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Feld bevormundet oder an den Rand gedrängt werden und aufgrund der Ergebnisse der Risikoanalysen Nachteile erleiden(z.B. Stigmatisierung; Diskriminierung durch Arbeitgeber und Versicherungen). Andererseits ist aber auch denkbar, dass biomarkerbasierte Risikoaussagen zu einer Entstigmatisierung von Demenzerkrankungen beitragen, indem sie an die Stelle einer definitiven Diagnose graduelle Wahrscheinlichkeiten treten lassen und zugleich verdeutlichen, dass größere Personenkreise als bislang vermutet von einem erhöhten Demenzrisiko betroffen sind. Allgemein erscheint die Tendenz unserer Gegenwart, alles in der Hand und unter Kontrolle haben zu wollen, im Fall der biomarkerbasierten Demenzvorhersage ebenso problematisch wie bei Voruntersuchungen zur Gesundheit des Kindes in der Schwangerschaft (falsch-positive Ergebnisse). Das Leben bringt stets Unvorhersehbares und Unplanbares mit sich, mit dem man umgehen muss (Salutogenese nach Antonovsky). Es scheint deshalb unabdingbar, dass Kompetenzen im Sinne der Salutogenese gestärkt werden.
Leider ist bis heute die „Mechanik“ der Entstehung der einzelnen Demenzerkrankungen und der mit ihnen verbunden Symptome noch nicht ausreichend verstanden, um die Bedeutung der Biomarker ausreichend sicher zu verstehen oder daraus gezielte Präventions- und Behandlungsmaßnahmen abzuleiten.

VFA Verband forschender Arzneimitttelhersteller
A. Was ist das Hauptinteresse im Umgang mit Demenz in Ihrer Organisation?
Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) vertritt die Interessen von 42 Mitgliedsunternehmen. Davon sind rund ein Drittel der Mitgliedsfirmen des vfa in der Arzneimittelforschung zur Diagnose und Therapie von Alzheimer und Demenz tätig. Bisherige Medikamente können den geistigen Verfall nur zeitweilig aufhalten. Die Alzheimerforschung mit verbesserten Diagnose- und Therapieansätzen zählt deshalb zu einer der vorrangigen Prioritäten in der Arzneimittelforschung der Mitgliedsunternehmen.

B. Bitte skizzieren Sie Ihre zentralen Positionen/ Auffassungen zur Vorhersage einer Demenz mittels Biomarker. Wo sehen Sie die zentralen Probleme oder Kontroversen?

Die Erforschung neuer Biomarker und der Aufbau möglichst standardisierter Biodatenbanken in Kooperation von akademischer und industrieller Forschung sollte gezielt gefördert werden. Biomarker sind messbare biologische Faktoren, die wertvolle Informationen zur Krankheitsdiagnose, Risiko der Krankheitsentwicklung und effektiven therapeutischen Strategien liefern. Erste Studien zu Biomarkern in der Alzheimerforschung zeigen, dass Biomarker Aussagen darüber ermöglichen, ob ein Patient mit leicht kognitiven Defiziten später eine Alzheimer-Demenz entwickeln wird. Die durch Biomarker generierten Screeningwerte ermöglichen es, gefährdete Patienten unter klinischer Beobachtung zu halten. Auch wenn die frühzeitige Diagnose aufgrund bisher fehlender Medikamente zur Therapie noch keine klinische Konsequenz hat, so spielt die Erforschung von Biomarkern für die forschenden Pharma-Unternehmen eine zunehmend größere Rolle nicht nur bei der Diagnoseerstellung sondern zunehmend auch bei der Messung des Therapieerfolges. In der klinischen Forschung ist deshalb ein klarer Anstieg der Nutzung von Biomarkern allgemein zu beobachten.

Dennoch steht die Etablierung von verlässlichen diagnostischen und prognostischen Markern für eine leistungsfähige Diagnostik bei vielen Erkrankungen erst am Anfang. Aus Sicht des vfa müssen verschiedene Beteiligte – Akademia, pharmazeutische Unternehmen, Hersteller von Diagnostika, Zulassungsbehörden und IQWiG/ G-BA – gemeinsame Vorgehensweisen entwickeln. Biomarker müssen überprüft werden, ob sie genügend Aussage- und Vorhersagekraft besitzen. Bei dieser sog. Validierung, aber auch generell bei der Entwicklung neuer molekulargenetischer Untersuchungsmethoden müssen alle Beteiligten (akademische Institute, Pathologien, pharmazeutische Unternehmen, Zulassungsbehörden, Ethik-Kommissionen und Nutzenbewertungsagenturen u. a.) frühzeitig kooperieren und gemeinsame Ansätze und Standards entwickeln. Von diesen Institutionen müssen Anforderungen an solchen diagnostischen Tests, an deren Validierung und Zulassung definiert werden, sowie eine angemessene Erstattung der Untersuchungsmethoden sichergestellt werden.

Aus Sicht des vfa ist darüber hinaus auf eine sachgerechte Validierung und Qualitätssicherung aller genutzter diagnostischer Tests zu achten, um falsch positive oder falsch negative Testergebnisse im Interesse der Ergebnissicherheit für den Patienten und den behandelnden Arzt zu vermeiden. Unabdingbar für eine breite Forschung sind zudem adäquate rechtliche Rahmenbedingungen. Insbesondere für die öffentliche Akzeptanz ist die strikte Einhaltung von ethischen und rechtlichen Grundsätzen einschließlich der Datenschutzbestimmungen erforderlich. ...

Von 68 angeschriebenen Organisationen haben diejenigen eine Stellungnahme eingereicht, die mit einer Nummer versehen sind, ausserdem die weiter unten aufgeführten Organisationen.
- 01 Akademie für Ethik in der Medizin (AEM)
- Aktion Psychisch Kranker (APK)
- Alzheimer Europe
- Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege
- 10 Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO)
- 23 Bundesärztekammer
- 24 Bundesinitiative Ambulante Psychiatrische Pflege (BAPP)
- Bundespsychotherapeutenkammer
- Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste
- Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
- Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände
- Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)
- Bundezentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
- Büro der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie der Bevollmächtigten für Pflege
- Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
- Das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE)
- 12 Demenz Support Stuttgart
- Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften
- 02 Deutsche Alzheimer Gesellschaft
- 13 Deutsche Bischofskonferenz
- Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
- Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)
- Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG)
- 14 Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP)
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)
- 04 Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaften- 22 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)
- Deutsche Gesellschaft Gesundheitsökonomie
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)
- Deutsche Krankenhausgesellschaft
- Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund)
- 06 Deutsche Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG)
- 26 Deutscher Berufsverband für soziale Arbeit (DBSH)
- Deutscher Ethikrat
- 05 Deutscher Gewerkschaftsbund
- Deutscher Pflegerat
- 27 Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin
- Deutsches Zentrum für Altersfragen
- 15 Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
- 03 Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD)
- Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
- Evangelische Kirche in Deutschland, Gemeinsamer Bundesausschuss
- 28 Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP)
- Gesundheitsministerkonferenz
- GKV Spitzenverband Bund der Krankenkassen
- Harding-Zentrum für Risikokompetenz
- Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft am Universitätsklinikum Halle (Saale)
- Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW)
-16 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
- Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso)
- Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft
- 08 Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
- Kompetenznetz Demenzen
- Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA)
- 17 Landesinitiative Demenz-Service NRW, Informations- und Koordinierungsstelle
- Max-Planck-Gesellschaft
Multiprofessionelle ArbeitsGruppe der DemenzAmbulanzen – Der Zusammenschluss deutscher Memory Kliniken (MAGDA)
- Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS)
- Robert Bosch Stiftung
- Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR-Gesundheit)
- 19 Spitzenverband ZNS (SPiZ)
- 07 Verband der Privaten Krankenversicherung PKV
- 29 Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa)
- Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO)
- Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer
- Zentralrat der Juden in Deutschland
- 21 Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD)

Ausserdem beteiligten sich mit einer Stellungsnahme:
- 09 Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) AG Ethik u. Pflege
- 18 Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) AG Ethik in der Psychiatrie
- 20 Verband der Ersatzkassen
- 25 Diakonie Deutschland
- 11 Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA)
Stellungnahmen: https://praediadem.de/die-stellungnahme/


Auf einer Stakeholder-Konferenz am 22./23. Juni 2018 in Göttingen erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine gemeinsame Stellungnahme zu Implikationen der Demenzvorhersage. Damit ist erstmals im deutschsprachigen Raum eine Position geschaffen worden, aus dem sich der fachliche und öffentliche Diskurs weiterentwickeln kann.
Nach der Finalisierung (!) der Stellungnahme wurden alle ursprünglich identifizierten und angeschriebenen Stakeholder gebeten, diese zu kommentieren. Die Frist der Kommentierung endete am 24. Januar 2019.

Kommentierung der gemeinsamen Stellungnahme der Stakeholder-Konferenz im Rahmen des Diskursverfahrens „Konfliktfall Demenzvorhersage“ aus der Sicht von Studierenden https://praediadem.de/wp-content/uploads/2019/09/Poster-Wahlpflichtseminar-FINAL_reduziertes-PDF.pdf

Kommentare zur gemeinsamen Stellungnahme wurden von folgenden Organisationen formuliert:
- AG „Altern und Ethik“ der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM)
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO)
- Bundesinitiative Ambulante Psychiatrische Pflege e.V. (BAPP)
- Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. (DAlzG) unterstützt die erarbeitete Stellungnahme vollständig
- Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM) begrüßt die breite Diskussion in Fachwelt und Öffentlichkeit und schließt sich der Stellungnahme vollständig an
- Deutsche Gesellschaft für Liquordiagnostik und Klinische Neurochemie e.V. (DGLN)
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
- Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH)
- Deutscher Pflegerat e.V.
- Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)
- Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
- Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) begrüßt die breite Diskussion in Fachwelt und Öffentlichkeit und schließt sich der Stellungnahme vollständig an

Bei einem Pressegespräch am 5. April 2019 in Berlin wurde das zentrale Projektergebnis — die gemeinsame Stellungnahme 24 betroffener und verantwortlicher Verbände, Institutionen und Organisationen in Deutschland — von der Projektleitung Prof. Dr. Silke Schicktanz und apl. Prof. Scott Stock Gissendanner öffentlich präsentiert.

Kommentierung der gemeinsamen Stellungnahme der Stakeholder-Konferenz im Rahmen des Diskursverfahrens „Konfliktfall Demenzvorhersage“ aus der Sicht von Studierenden
https://praediadem.de/wp-content/uploads/2019/09/Poster-Wahlpflichtseminar-FINAL_reduziertes-PDF.pdf

Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung