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17.06.2019 - von H.S.
Schon vor zwei Jahren, im Juni 2017, hat die von der Hans-Böckler-Stiftung eingesetzte Kommission "Arbeit der Zukunft" ihren Bericht "Arbeit transformieren!" vorgestellt. Er ist das Ergebnis eines zweijährigen Denk- und Diskussionsprozesses. Die Hans-Böckler-Stiftung hat die Kommission und ihre unabhängie Arbeit mit Infrastruktur, Wissen und Personal unterstützt. Der Bericht geht auch auf die Probleme ein, vor die sich gestellt sieht, wer im Alter von 30, 40 oder 50 Jahren eine Ausbildung nachholen will oder eine neue Ausbildung machen möchte. Auf den Seiten 108 und 109 des Berichts heißt es dazu:
"Bereits 2004 wies die Expertenkommission »Finanzierung Lebenslangen Lernens« (deutscher bundestag 2004) auf die nötige Erweiterung des öffentlichen Bildungsauftrags ins Erwachsenenalter hin. Für das Nachholen eines Schul- oder Berufsabschlusses im Erwachsenenalter auf eigene Initiative wird jedoch nach dem 25.Lebensjahr kein BAföG gezahlt. Die einzige Chance bleibt hier die Förderung in der Arbeitsmarktpolitik, die in den vergangenen Jahren zu stark gestutzt wurde (boschetal.2011).
Aus Sicht der Kommission müssen daher mehr Möglichkeiten für Erwachsene geschaffen werden, die sich entscheiden, Ausbildungen nachzuholen oder sich beruflich grundlegend neu zu orientieren. Da viele Erwachsene Basisqualifikationen nicht in der Jugend erworben haben oder mit ihrer beruflichen Ausbildung keine Stelle mehr finden, muss die öffentliche Verantwortung für die Finanzierung der Allgemeinbildung und der Berufsausbildung auf das Erwachsenenalter ausgeweitet werden. Die Kommission schlägt daher vor, das bewährte Instrument des BAföG weiterzuentwickeln und ein allgemeines BAföG für Erwachsene einzuführen und (wie auch schon in der jetzigen Regelung) denjenigen zu gewähren, die nicht über ausreichendes eigenes Einkommen oder Vermögen verfügen.
Anreize für Arbeitgeber, Arbeitsverhältnisse zu beenden, müssen dabei vermieden werden. Vielmehr könnte, über höhere Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber, gerade die Teilnahme an solchen Weiterqualifizierungen unterstützt werden, durch die Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber eine langfristige Arbeitsplatzperspektive bekommen. Im Detail ergeben sich verschiedene Punkte, die bei einer Reform zu berücksichtigen wären: Zunächst sollten Personen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus eine Qualifizierung anstreben, besonders berücksichtigt werden. Auch sollten Altersgrenzen bei diesem und ähnlichen Instrumenten kritisch geprüft werden.
Das Meister-BAföG hat zwar keine Altersgrenze, fördert aber bevorzugt den beruflichen Aufstieg; die Altersgrenze des Studenten-BAföG für ein Masterstudium wiederum ist aus Sicht der Kommission noch immer zu niedrig. Im Zuge der Bologna-Reform ist die Altersgrenze des Studenten-BAföG für ein Masterstudium von einstmals 27 auf 35 Jahre erhöht worden. Auch diese Grenze muss erhöht werden. Um eine Verschuldung am Ende des Studiums zu vermeiden, scheint ein Absenken des Darlehensanteils sinnvoll; auch sollten Freibeträge und Bedarfssätze angehoben werden. BAföG sollte einen automatischen Inflationsausgleich erhalten.
Kerstin Jürgens, Reiner Hoffmann, Christina Schildmann:
Arbeit transformieren!
Open-Access-Veröffentlichung: Link
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"Eine Art Lügendetektor",
unter diesem Titel veröffentlichte ZEIT ONLINE am 8. Mai 2019 ein Interview mit der Soziologin, das Andreas Lebert und Johanna Schoener führten. Darin plädiert sie für das Aufbrechen von Altersgrenzen in der Bildung. Die im internationalen Vergleich bedenkenlose Altersdiskriminierung im bundesdeutschen Bildungssystem verhindert, dass die Leute sich neues Wissen aneignen können! Das bedeutet, laut Allmendinger, für alle Bildungseinrichtungen und die entsprechenden Ministerien, dass "sie schleunigst Altersgrenzen bei Ausbildungsgängen aufbrechen sollte(n). Weiterbildung und lebenslanges Lernen – das sind Ausdrücke von gestern. Wir müssen über eine zweite und dritte Ausbildung reden, Jobwechsel sollten längst eine Normalität sein. Wir brauchen eine Umstrukturierung unseres Bildungssystems und Arbeitsmarktes."
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"Die Zukunft kann kommen",
unter diesem Titel veröffentlichte die Zeit am 28. Mai 2019 ein Interview, das Jan Wetzel mit der Soziologin Jutta Allmendinger führte. Darin plädiert die Präsidentin vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung für eine Veränderung der Bildungsstrukturen, da über 30Jährige dort kaum vertreten sind.
Allmendinger: "Selten finden sich in Lehre, Vorlesung und Seminar Menschen, die älter sind als 30 Jahre – in Nordamerika hingegen ist das eine Selbstverständlichkeit. Weiterbildung meint in Deutschland meist nicht mehr als die Auffrischung von Fremdsprachenkenntnissen, von Softwarekenntnissen, manchmal auch eine Schulung in Führung und Management. Für größere Veränderungen, für eine zweite oder dritte Ausbildung, für den Wechsel in einen ganz anderen Job, fehlt es nicht nur an Strukturen, es fehlt dafür sogar ein Wort."
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Anmerkung
Es drängt sich bei der auffällig zunehmenden Propagierung der Abschaffung von Altersgrenzen im Bildungsbereich der Verdacht auf, dass die Einsicht in das Verwerfliche der Altersdiskriminierung weniger aus einer humanen Erkenntnis oder egalitärer Absicht resultiert, sondern auf die aktuellen und zukünftigen Bedarfe des Arbeitsmarkts zurückzuführen ist. Der braucht halt in einer "unterjüngten Gesellschaft", damit er maximale Profite mit der menschlichen Arbeitskraft erzielen kann, allle "menschlichen Ressourcen", die auch nur ein bißchen lernwillig sind, um die kapitalismusimmanenten Vorgaben von der Konkurrenzfähigkeit des "Marktes" im internationalen Wettbewerb erfüllen zu können. H.S.
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