Foto: H.S.
29.10.2019 - von Hartmut Jeromin
Gerade mache ich den Fernseher aus, von 19 Sendern bringen 9 (!) um 20 Uhr 15 reine Gewalt, Menschenjagden, Schießen, Polizei bunt gemischt mit Kriminellen oder Militär. Nur gut, dass die Kinder schon schlafen?
Ganz konnte ich mich der Gewalt im Leben nicht entziehen: Es gab immer Stärkere, denen ich ausgeliefert war…zuerst Valerie, der wohnte mit seinen Eltern im Nachbarhaus, Kind eines Offiziers der neuen Macht. Der hatte ein Gewehr zum Knicken und einen Dackel. Damit jagte er mich mit dem Ruf „Faschisti“, ich konnte mich meist retten auf die niedrige Mauer vor dem Haus, Angst hatte ich da jeden Tag. Aber sie zogen dann weg.
Dann hatte ich lange Zeit kein Schießgerät in den Händen, weil uns die Erwachsenen das immer sofort wegnahmen. In der Lehre sollte so viel geboten werden in der Freizeit, aber nur Sonntags Vormittag gingen wir mit dem Heimleiter in eine Kiesgrube um da – zu schießen, mit dem Kleinkalibergewehr. 12 Jahre nach Kriegsende! Ich hatte ein besonderes Talent, sichtbar an den Treffern auf der Scheibe. Eines Tages kam der Betriebsleiter zu uns in die Unterkunft und regelte mit uns die nächsten Tage: Ich bekam ein Pferd und so ein Gewehr und durfte den lieben langen Tag über die frische Aussaat reiten und nach den Krähen schießen, sie hätten sonst wohl die Saat aufgefressen. Das Problem war dabei die große Krähenkolonie im Park und die Feldgröße. War ich auf der einen Seite des Feldes, waren die Krähen auf der anderen, soweit reichte kein Schuss und kein Knall. Das Gut hatte 600 ha Ackerfläche! Aber das war ja kein Kampf.
Manchmal schossen wir auf den Rummelplätzen auf Röhrchen, aber das Geld tat uns bald leid, obwohl ich traf. So richtig wussten die Mädchen meine Künste auch nicht zu würdigen. Im Studium gab es die GST-Lager, meist mit Luftgewehrschießen…aber dann sollte ich eine Prüfung ablegen in M.-L. während des Studium, heute genannt Studium Generale, irgendwie hatten wir die Information nicht über diesen Termin an einem Vormittag, Vorlesungen und Seminare hatten stattgefunden; da die Zeit kurz war, gingen wir stehenden Fußes dahin und flogen sofort wieder raus wegen nicht angemessener Kleidung. In 2 Stunden wieder erscheinen.
Nun also Prüfung. Frage: An der innerdeutschen Grenze wird jemand erschossen, nehmen sie Stellung dazu!- Kaum Bedenkzeit. Antwort: Es muss ja nicht gleich geschossen werden. Gegenfrage: Was denn? Wie wollen sie den Grenzdurchbruch denn verhindern? Antwort: Es gibt ja auch technische Mittel, um das zu verhindern. Frage: Wie stellen sie sich das vor? Antwort: Zaun oder so…Schulterzucken. Was noch gefragt wurde weiß ich nicht mehr aber diese Prüfung hat sich in meinem Gedächtnis festgesetzt.
Ergebnis nach kurzer Beratung: Note 4! Bums. Steht so also für immer auf dem Zeugnis. Das Studienbuch könnte Auskunft geben über das Jahr.
Im 35. Lebensjahr durfte ich zur „Fahne“ einrücken. Da wurde auch geschossen. Richtig, nach intensiver Sicherheitsbelehrung. Und beim Wachaufzug hatte man dann ein Gewehr samt Munition und ging vor dem Kasernentor hin und her, als Zielscheibe für einen Angreifer. Der kam nie! Manchmal prüfte ein Offizier die Wachsamkeit, der lebte gefährlich.
Nur auf einer Wache bei einem Manöver hatte ich keine Munition, nur das Gewehr. Ich sollte das gesamte Lager im Walde nachts bewachen. Die Wildschweine wussten das aber nicht und wühlten in den Küchenabfällen und näherten sich immer mehr. Ich stieg also auf eine Anhängerzugvorrichtung und als die Schweine sehr nahe waren, rasselte ich mit dem Schießgerät. Die Schweine stoben davon, machten Lärm und stolperten über die Zeltschnüre…das hatte am nächsten Morgenappell disziplinarische Folgen für mich.-
Sicher habe ich manchmal Karl May geschmöckert, Kriegsberichte gelesen und auch Filme gesehen. Und auch „Räuber und Gendarm“ gespielt. Der Vater hielt sich recht bedeckt. Auf meine Frage, ob er auch geschossen hat im Krieg berichtete er, dass auch der Arbeitsdienst zum Kriegsende bewaffnet wurde. Er hätte sich da eine sehr leichte Waffe ausgesucht, auf einen Birkenstamm gezielt und geschossen, wenn das ein Russe gewesen wäre, der wäre tot. Ansonsten kam er nicht in die Gelegenheit, schießen zu müssen. Er schien darüber recht froh zu sein. Es gibt aber ein Bild, das zeigt ihn liegend in Uniform bei einer Schießübung! Wie ich das ja von der NVA auch kannte.
Richtig geknallt hat es aber im Manöver im zeitigen Frühjahr 1976 in den Lausitzer Heiden. Da waren jede Menge Eisenschweine unterwegs und ballerten aus allen Rohren. Die Pioniere (meine Einheit) hatten vorher das Übungsfeld hergerichtet, mit allem was dazu gehört. Unter den kritischen Augen sowjetischer Offiziere…die „Ohren“ saßen oben auf einem Hügel und, ja, ist schon lange her. Aber nicht vergessen. Und irgendwo im Schuber liegt seitdem auch die Schützenschnur.
Im Beruf, in der Schule dann durfte ich immer „nur“ die Sanitätsausbildung mit den Mädchen „spielen“, meine Kolleginnen auch. In die Wehrlager bin ich nie gekommen. Auch gut.
Ich höre aber die Offiziere der Bundeswehr nach der politischen Wende urteilen: Wehrpflichtige aus dem Osten seien ihnen die liebsten, weil die ja schon entsprechend vorgebildet seien.- Trotz der öffentlichen Diskussion über den Wehrunterricht an den DDR-Schulen. Ich kann diese Meinung der Offiziere verstehen, aber nicht billigen. Es würde ja sonst mit zweierlei Maß gewertet!
Und dann war ich „Jugendpfleger“ im Saterland. Und der Jugendwart der Schützenvereinigung lud mich ein zum Übungsschießen der Jugend in den Vereins-Keller. Er legte Wert auf die Meinung des Jugendarbeiters aus dem Osten. Also ging ich hin und sah mir die Sache an: Ja, so sieht Schießausbildung aus (die Öffentlichkeit sieht immer nur die uniformierten Schützenumzüge in Niedersachsen). In den Büros des Rathauses hatten die Angestellten / Beamten oft die Wände mit ihrer militärischen Vergangenheit verziert, sie waren sichtbar stolz darauf.
Das Rathaus wurde Anfang der 90iger Jahre erbaut und war noch voll mit einem Atomschutzbunker unterkellert. So kam die Gemeinde zu einem preiswerten Rathaus, sie bezahlte nur den oberirdischen Teil! Im Keller aber wurden nun die Fundsachen gehortet, vor allem Fahrräder. Ich konnte da unten herumspazieren.
Der Jugendwart wollte nun auch eine Schießleistung vom Jugendpfleger, die konnte er haben: Ich nahm das Luftgewehr mit einer Bleikugel im Magazin und schoss den schwarzen Punkt in der Mitte der 10er-Scheibe heraus…diese Karte bewahre ich noch heute irgendwo in meinen Fächern auf. Manchmal fällt sie mir in die Hände, dann schmunzele ich.
Trotzdem: Was bringen die Soldaten aus den vielfältigen militärischen Auslandseinsätzen mit nach Hause? Wie gehen sie mit diesen Erfahrungen um? Was erzählen sie ihren Kindern, ihren Frauen? Welche Wirkungen hat das wiederum? Über welche Gewalt berichten die Medien und werten darüber. Einer darf, soll schießen (Gewaltmonopol), dem anderen wird Schusswaffengebrauch sehr übelgenommen. Dazu der Ruf von 1989 „Keine Gewalt“! Was denn nun? Gewalt, ja oder nein? Irgendwo müssen diese jungen Menschen doch den Umgang mit Waffen gelernt haben! Und sie bauen sich eine Ideologie dafür auf und dann schießen sie…wer hat diese Saat in die Köpfe gegeben?
Das fragt sich auch Hartmut Jeromin im Oktober 2019
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