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Bis zum Umfallen arbeiten - aber kaum noch Rente: Plan der Bundesbank

Foto: H.S.

05.01.2020 - von Tobias Weißert

Die Deutsche Bundesbank (DBB) hat in ihrem Monatsbericht vom Oktober 2019 ein Grundsatzpapier zur Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung vorgelegt. Die Rentenversicherung sei auf Dauer nur zu stabilisieren, wenn sowohl die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung als auch der Bundeszuschuss deutlich erhöht werden. Gleichzeitig müsse die Rentenhöhe sinken und die Lebensarbeitszeit verlängert werden. Die demografische Entwicklung erfordere das unausweichlich. Die Anzahl der Menschen im erwerbstätigen Alter nehme ab, die Menschen im Rentenalter dagegen nähmen zu und lebten länger. Mehr Rentner und längere Rentenbezugszeiten seien unbezahlbar.

Den Aussagen der Bundesbank zur Demografie liegt die mittlere Variante der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statischen Bundesamtes zugrunde. Die Bundesbank verlängert, ausgehend von diesen Daten, die Vorausschau auf das Jahr 2070. 50 Jahre vorausschauen wollen, zu ist kühn. Wer im Jahr 1900 unter linearer Fortschreibung einzelner sozio-ökonomischer Daten das Jahr 1950 beschrieben hätte,wäre komplett falsch gelegen. Auch 1950 hätte eine Vorschau auf das Jahr 2000 kaum realistische Ergebnisse erbracht. Die Demografie ist eine Scheinwissenschaft, deren Hauptzweck darin besteht, aktuelle politische Interessen zu begründen.

Die Bundesbank gibt an, dass die durchschnittliche Lebenserwartung nach dem 65tenLebensjahr von 84,4 (2018) auf 89,0 Jahre (2070) ansteige (S. 66). Deswegen müsse die Lebensarbeitszeit über das 67te Lebensjahr hinaus weiter steigen. Im Jahr 2070 sollte das Renteneintrittsalter dann bei 69 Jahren und vier Monaten liegen.

Die Alterungsprognose ist sehr zweifelhaft. Die Zunahme der Lebenserwartung hat sich in den letzten 12 Jahren stark verlangsamt und es ist anzunehmen, dass sie sich auf Grund zunehmender sozialer und gesundheitlicher Risiken weiter verlangsamen wird. Von den USA wird berichtet, dass die Lebenserwartung inzwischen rückläufig sei (u.a. www.spiegel.de, 29.11. 2018). Da unsicher ist, wie sich die Lebenserwartung konkret entwickelt, schlägt die Bundesbank eine Indexierung vor. Steige die Lebenserwartung, müsse die Rente gesenkt werden. Der Begriff „fernere Lebenserwartung“, d.h. die Lebenserwartung nach jeweiligem gesetzlichen Renteneintrittsalter, ist problematisch. Die durchschnittliche statistische Lebenserwartung ab Geburt ist deutlich niedriger. Männer werden im Schnitt 78,5, Frauen 83,3 Jahre. Viele Menschen sterben schon vor Erreichen des Rentenalters.

Lebenserwartung und Rentenbezugsdauer sind stark von der sozialen Stellung abhängig
27 Prozent der Männer der niedrigsten Einkommensgruppe sterben vor der Vollendung des 65ten Lebensjahres. In der höchsten Einkommensgruppe sind es dagegen nur 14 Prozent.
Bei Frauen sterben 13,2 Prozent der niedrigsten Einkommensgruppe vor Vollendung des 65ten Lebensjahres, in der höchsten Einkommensgruppe sind es nur 8,3 Prozent.

Die folgende Tabelle zeigt die durchschnittliche Lebenserwartung von Einkommensgruppen vor fünf Jahren und die durchschnittlichen Rentenjahre nach dem 65.Geburtstag. Bei Männern differierte die Rentenbezugsdauer zwischen der ärmsten und der wohlhabendsten Gruppe um 8,6 Jahre. Bei Frauen betrug die Differenz 4,4 Jahre.

Männer.. Einkommensgruppen........Lebenserwartung..... Rentenjahre
..............< 60 Prozent..............................71,0 Jahre........................6,0 Jahre
.................60 – 79 Prozent......................73,3 Jahre........................8,3 Jahre
.................88 – 99 Prozent......................75,2 Jahre.............. .......10,2 Jahre
...............100 – 149 Prozent................... 76,0 Jahre......................11,0 Jahre
.............>150 Prozent..............................79,6 Jahre......................14,6 Jahre

Frauen
............< 60 Prozent...............................78,4 Jahre.......................13,4 Jahre
.............. 60 – 79 Prozent.......................79,7 Jahre.......................14,7 Jahre
.............. 80 – 99 Prozent...................... 80,7 Jahre.......................15,7 Jahre
..............100 – 49 Prozent..................... 82,1 Jahre.......................17,1 Jahre
..............>150 Prozent............................82,8 Jahre.......................17,8 Jahre
Quelle: Lampert, Hoebel, Kroll, Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung. Robert Koch Institut, GBE kompakt 2/2014

Durch ihren Tod vor Erreichen des Rentenalters und die geringe Rentenbezugsdauer finanzieren die ärmeren Schichten der Erwerbstätigen die Renten der besser Gestellten mit. Diese Unterschiede interessieren die Bundesbanker nicht.. Allen soll ein noch höheres Rentenalter zugemutet werden mit der Folge, dass ein großer Teil der Rentenversicherten - und zwar die Ärmeren - keine oder nur wenige Jahre Rente erhält.

Durch die Forderung, nahezu bis zum 70ten Lebensjahr zu arbeiten, wird die Lebensqualität aller RentnerInnen massiv eingeschränkt. Wer mit 63 Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheidet, hat vielfach die Chance, noch 12 Lebensjahre bei guter Gesundheit zu verbringen. Danach steigen die gesundheitlichen Risiken. Viele Menschen leben im hohen Alter mit schweren Erkrankungen.

Die Bundesbank ist nicht am Wohlbefinden der Menschen interessiert.
Sie versteht sich als Hüterin der Finanzen im Interesse des inländischen Kapitals. Sie will die Beiträge der Arbeitgeber zur Rentenversicherung niedrig halten und den Bundeshaushalt von sozialen Ausgaben entlasten. Deswegen erstellt sie demografische Entwicklungen, obwohl sie es besser weiß, nicht in Zusammenhang mit der Entwicklung der Produktivität. Das preisbereinigte Bruttoinlandprodukt ist seit 1991 um 36 Prozent gestiegen. Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg im selben Zeitraum bei Männern um gut sechs Jahre, bei Frauen um knapp fünf Jahre. Bei einer angemessenen Beteiligung der RentnerInnen am gesellschaftlichen Wohlstand, gäbe es überhaupt kein Problem.

Weiter stellt die Bundesbank die Senioren (ab 65 Lebensjahre) isoliert ins Verhältnis zu der Generation im erwerbsfähigen Alter (20 bis 64 Jährige) und leitet daraus horrende Belastungen ab. Das ist aber methodisch falsch. Aus dem Volkseinkommen müssen alle Menschen ernährt werden. Die Anzahl der Menschen unter 20 Jahren nimmt aber deutlich ab, gleichzeitig sinkt die Zahl der Nichterwerbspersonen an der Gruppe der 20 bis 64 Jährigen, weil die Zahl der Arbeitnehmer steigt.

Wenn die Zahl der Rentner steigt, heißt das also noch lange nicht, dass das Verhältnis von arbeitenden Menschen zu Nichtarbeitenden in einer Gesellschaft sich dadurch verändert. Die Veränderung aufgrund der steigenden Lebenserwartung, die ja zu begrüßen ist, ist in ihrer fiskalischen Auswirkung deshalb viel weniger dramatisch als die Bundesbank behauptet.

2017 betrug der prozentuale Anteil der BezieherInnen an Altersrenten in Deutschland an der Bevölkerung 22 Prozent. Der Anteil der gezahlten Altersrenten am Volkseinkommen war nur 8,35 Prozent. Das ist eine beschämende Zahl die für sich schon anzeigt, dass eine Rentenreform, die die Renten deutlich erhöht, dringend erforderlich ist. Kern dieser Reform muss sein, dass alle am Erwerbsleben Beteiligten mit allen ihren Einkünften verpflichtet werden, in die Rentenversicherung einzuzahlen.Das will die Bundesbank verhindern. Nach ihrer Meinung müssen die Renten weiter sinken. Nur die Verlängerung der Lebensarbeitszeit mache es möglich, das Rentenniveau bei 44 Prozent zu halten. Das Rentenniveau von 44 Prozent beschreibt das Verhältnis der Rente zum Nettolohn vor Abzug von Steuern. Vom Bruttolohn werden nur die Sozialversicherungsbeiträge abgezogen, nicht aber die Steuer. Das ist das sogenannte bereinigte Netto. Daraus berechnet sich das Rentenniveau. Es beträgt heute 48,3 Prozent des „bereinigten Netto“ und soll bis 2070 noch um 4,3 Punkte sinken. 2017 betrug die Durchschnittsrente 873 Euro. 2070 würde sie demnach nur noch 755 Euro betragen und läge unterhalb der Grundsicherung.

Bundesbank schlägt noch eine weitere Rentenkürzung vor
Weil die notwendige Lebensarbeitszeit steige, müssten auch die Rentenjahre bis zum Erwerb der Standardrente steigen. Als Standardrente gilt die Rente, die jemand erhalten würde, der 45 Versicherungsjahre aufweisen kann und in der Gesamtzeit den Durchschnittslohn verdient hat. 2017 betrug die Standardrente netto vor Steuern 1.231 Euro. Müsste man für die gleiche Rente zwei Jahre länger arbeiten, käme das heute einer Rentenkürzung von 66 Euro gleich. Die durchschnittliche Nettorente nach 45 Beitragsjahren betrüge nur noch 1.165. Da aber das Rentenniveau generell um 4,3 Prozentpunkte sinken soll, betrüge die Rente nach 45 Jahren tatsächlich nur noch 1.061 Euro. Erfreuliche Aussichten!

Auch die Lebensarbeitszeitverlängerung für sich genommen bedeutet Rentensenkung. 45 Beitragsjahre zur Rentenversicherung erreichen nur ein Viertel der RentnerInnen. Die große Mehrheit hat aber weniger als 40 Beitragsjahre. Außerdem gehen 23 Prozent der RentnerInnen vorzeitig in Rente und nehmen Abschläge in Kauf, weil sie das Arbeitsleben nicht mehr aushalten wollen.

Jede Lebensarbeitsverlängerung vergrößert den Abstand zwischen der wirklichen Lebensarbeitszeit und und dem gesetzlichen Rentenbeginn und schmälert dadurch mit höheren Abzügen die individuellen Renten.Wenn man die Lebensarbeitszeit nicht verlängere und die Rentenhöhe beibehalte, müssten, so jammert die Bundesbank, die Zuschüsse des Bundes kräftig erhöht werden und zwar um 7 Prozentpunkte des Umsatzsteuersatzes.
Das klingt gewaltig, wären es doch im Jahr 2070 zusätzlich 42 Milliarden Euro. Die Zahl verliert ihren Schrecken, wenn man sie auf 50 Jahre aufteilt. Dann wären es pro Jahr 840 Millionen Euro, um die der Bundeszuschuss steigen müsste. Bis zur „Halbzeit“ im Jahr 2045 wären es dann zusätzlich 21 Milliarden. Diese Steigerung ist schon allein deswegen gerechtfertigt, weil der Bund der Rentenversicherung Jahr für Jahr Aufgaben zuteilt, deren Finanzierung nicht durch Rentenbeiträge gedeckt ist.

Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung gleichen Ausgaben für die zugewiesenen Aufgaben nicht aus
Die Unterdeckung beträgt ca. 35 Milliarden jährlich. Eine erhebliche Erhöhung des Bundeszuschusses ist dringend geboten. Die Einnahmen dafür können nur über Steuern erbracht werden. Es ist sehr bezeichnend, dass die Bundesbank dabei allein auf die Umsatzsteuer abhebt. Diese belastet vor allem die Masse der VerbraucherInnen und damit wieder am stärksten die Ärmsten der Werktätigen. An die Erhöhung der Einkommenssteuer oder Körperschaftssteuer denkt sie nicht. Die Reichen müssen geschützt werden.

Auch der Beitragssatz müsste bis 2070 angeblich erheblich steigen, wenn Lebensarbeitszeit und Rentenhöhe konstant blieben. Er müsste dann bis 2070 auf 31 Prozent ansteigen. Das sei vor allen den Arbeitgebern nicht zuzumuten. Deswegen gebe es zur moderaten Verteilung der Lasten auf alle 4 Elemente, die die Bundesbank vorschlägt, keine Alternative.

Das ist der Plan der Bundesbank
Lebensarbeitszeit 69 ¹/³ Jahre (Indexierung der Lebenszeit))
Rentenniveau 44 Prozent des bereinigten Nettolohns + Verlängerung der Versicherungsjahre für die Standardrente um 2 Jahre
Beitragssatz 24 Prozent des Bruttolohns
Bundeszuschuss 4¹/² Prozent Umsatzsteuer

Es ist eigentlich müßig, sich mit einem Plan zu beschäftigen, der in 50 Jahren Wirklichkeit werden soll. Was der Kapitalismus in 50 Jahren an Krisen und Zerstörungen hervorbringen wird, ist kaum vorherzusehen. Deswegen muss man sich fragen, was die Stellungnahme der Bundesbank gegenwärtig in der Auseinandersetzung um die Rentenpolitik bewirken soll.

Seit einiger Zeit tagt im geheimen eine Rentenkommission, die im März 2020 Vorschläge für die zukünftige Rentenpolitik unterbreiten soll. Das Papier der Bundesbank hat den Zweck, diese Kommission zu beeinflussen. Dabei sind ihre Vorschläge keineswegs originell. Schon 2018 hat der „Rentenpapst“ Axel Börsch-Supan bei seiner Kritik der doppelten Haltelinien alle Argumente und Daten dargelegt, die die Bundesbank nun ebenfalls ausbreitet. Es ist kaum ein Gedanke zu erkennen, der von denen Börsch-Supans abweicht, auch wenn die Bundesbank das Ganze als Ergebnis eigener Forschung darstellt. Börsch-Supan ist der geistige Vater. Er ist einer der schlimmsten Scharfmacher in der Rentenpolitik. Er tritt dafür ein, die Lebensarbeitszeit auf 70 Jahre festzulegen und das Rentenniveau drastisch zu senken. Die Werktätigen sollen die gekürzten Renten mit privater Vorsorge ausgleichen. Das empfiehlt die Bundesbank ebenfalls. Beide sind Interessenvertreter der Versicherungswirtschaft und der Arbeitgeber insgesamt. Ihre Vorschläge zielen auf die weitere Demontage und letztlich die Zerstörung der gesetzlichen Rente. Börsch-Supan sitzt in der Kommission. Die Bundesbank giftet von außen.

- Das Original: Axel Börsch-Supan, Die Kosten der doppelten Haltelinie. Mea ( Munich Center for Economics of Aging) 03 – 2018. Eine ausgezeichnete Kritik dazu hat Gerd Bosbach geschrieben: Gerd Bosbach, Das sind die Rechentricks vom “Rentenpapst“, Bund – Verlag, 03.05. 2019. Sehr gut auch sein Interview in NachDenkSeiten 29.05.2019

- Bundesbank fordert Rentenalter von 70: siehe altersdiskriminierung: Link

- Tilman Kuban, Vorsitzender der Jungen Union bläst ins Horn der Bundesbank. Er hat sich für die Anhebung des Renteneintrittsalters ausgesprochen ("unumgänglich") und dafür, es an die Lebenserwartung zu koppeln. Der Stuttgarter Zeitung sagte er: " Zwar kann ein Dachdecker mit 70 warschienlich nicht mehr auf dem Dach stehen, aber ein Professor kann vielleicht noch lehren."
stuttgarter-zeitung, 30.12.19: Link

Link: Studie zur Rente mit 67: Fazit - noch mehr Ungleichheit
Quelle: Tobias Weißert