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Gejagt von den Antikörpern muss ich unbedingt in den Wirt

Foto: H.S.

12.09.2020 - von Hartmut Jeromin

Ganz klar, ich bin drin und mir geht’s gut und meinen vielen Kindern ebenso ... aber natürlich, erst vorstellen: Ich bin ein Virus, unsere Aktionsform aus der Familie Coronoviridae, Untergattung sowieso, Subtyp Sars-CoV-2, verstehen Sie? Ja, das bin ich, winzig klein. Gerade mal 0.01 – 0,1 Mikrometer, also mit dem Lichtmikroskop nicht zu erkennen. Das war aber vor Millionen von Jahren meine Chance, man erkannte mich nicht. Ansonsten ganz einfach: Ich bin immer auf einen Wirt angewiesen. Das ist praktisch. Ich bin. Alles andere erledigt der Wirt für mich.

Zunächst habe ich es schwer als Virion, unsere Reiseform, gejagt von den Antikörpern muss ich unbedingt in den Wirt, sonst wird gar nichts! Und das ist nicht einfach. So eine Zellmembran ... aber ein paar Werkzeuge habe ich, besonders die sehr feinen Membranen der Lungenbläschen sind mein Spezialgebiet. Die Juwelendiebe am Dresdner Residenzschloss lernten von mir.

Habe ich es geschafft, hört alles auf mein Kommando. Jetzt bin ich ein Virus, die Aktionsform. Meine Gene sagen nun, was zu tun ist: Neue Gene herstellen, aber flott. Trödelei kann sich hier niemand leisten. Denn draußen klopfen schon die Killerzellen an die Membran.

Also man nehme die ortsüblichen Aminosäuren, auch einige Zucker und Lipide und setze sie so zusammen, dass meine Hülle entsteht, bastele und vervielfältige auch meine Einstrang-RNA zusammen, verpacke alles für den Umzug und schon bin ich wieder vollständig als schön behülltes Virion! Plural ist wohl eher angebracht. Habt ihr schon gesehen? Natürlich, ist ja überall veröffentlicht. Wie ein Steckbrief.

Und nun muss ich wieder raus. Hier ist ja nichts mehr zu holen. Und schon wird es gefährlich, Fresszellen ohne Ende, jede Sorte. Und Globuline. Was tun? Abflug, am besten mit Schwebetröpfchen, da kann ich sogar fliegen, mitfliegen. Und irgendwann finde ich immer wieder einen Wirt.

Für die Wirte kann ich nichts mehr tun, ist ihr Schicksal. Weil mit meinem verbunden. Und dieses Spiel dauert nun schon - ewig! Manchmal, und in neuerer Zeit zunehmend, treffe ich auf vorbereitete Wirte. Sie warten schon auf mich. Das ist dann nicht so schön. Sie haben vorgesorgt mit Immunisierung, natürlich oder künstlich, das kommt auf das Gleiche raus. Sie mögen mich da nicht so. Das sind dann Sackgassen für uns alle. Auf diese Art hat es schon die Pocken erwischt, sie sind ausgestorben.

Aber irgendwie haben wir es immer geschafft. Dabei geholfen hat unsere wichtigste Eigenschaft: Wir können unseren Apparat verändern, mutieren sagt man dazu. Und das haben wir gemacht und haben überlebt. Gut, die Wirte haben es auch immer wieder geschafft zu überdauern, aber manchmal nur zufällig, in geringer Zahl. Denn sie ganz aus der Welt befördern? Unklug. Da hätten wir ja unsere Existenzgrundlage, unsere Wirte vernichtet.
Also abwechselnd, mal erholen sie sich und dann wieder wir, schön im Wechsel. Gewissermaßen im Rhythmus.

Und nun wollen wir es wieder wissen, die Zeit ist reif: Kein Mensch dachte sich was dabei, er vermehrte sich was haste, was kannste, er wurde immer urbaner. Für uns ideal! Leise besiedeln wir wieder unser Medium. Keine Nährböden sondern lebende Zellen. Sind ja genug da. Und nicht so viel Immunität, kaum künstliche, kaum natürliche. Denn uns ist mal wieder ein kleiner, entscheidender Schritt gelungen. Wir haben uns angepasst, mittels Mutanten ... und so beginnt das Spiel von Neuem, und das hat sich Hartmut Jeromin nicht ausgedacht.

Erstveröffentlichung auf dieser Seite am 12.4.2020

Link: 1945 war Typhus abdominalis angesagt…
Quelle: Hartmut Jermomin