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29.06.2020 - von Schwerdtner + Weber
In diesem Infobrief erläutert Dr. Wolf-Jürgen Schwerdtner, warum er den Glauben an den Rechtsstaat (noch immer) nicht ganz verloren hat und wir verweisen auf die neue Verfassungsbeschwerde von Peter Weber. Er zeigt in seiner Verfassungsbeschwerde auf, dass die arbeitnehmerfinanzierte Direktversicherung wegen der von den Krankenkassen angewandten Berechnungsmethode zur Festsetzung der Beitragshöhe zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Basis der Kapitalleistung gegenüber einer vergleichbaren arbeitgeberfinanzierten Direktversicherung systematisch benachteiligt wird.
Wir dürfen gespannt sein, wie sich Prof. Dr. Plagemann in der Verhandlung schlagen wird. Einen angeseheneren Experten im Deutschen Sozialrecht wird sich schwerlich finden lassen. Aus finanziellen Gründen lohnt sich die Beauftragung eines renommierten Anwalts für einen einzelnen Kläger meist nicht. Deshalb sind wir allen sehr dankbar, die sich mit ihrer Spende an der Finanzierung der Musterfallklage beteiligt haben. Wir sehen der Revision von Herbert Heins am8.7.2020 in Kassel zwar zuversichtlich entgegen, fallen aber nicht in grenzenlose Euphorie. Vermutlich wird es auch in diesem Fall auf eine Verfassungsbeschwerde hinauslaufen. Eine mit Unterstützung von Prof. Dr. Plagemann eingereichte Verfassungsbeschwerde wäre dann allerdings die letzte Patrone in unserem Revolverlauf.
Mein Glaube an den Rechtsstaat
von Dr. Wolf-Jürgen Schwerdtner
Liebe Unterstützerinnen, Unterstützer, alle diejenigen, die wir gespart haben, damit wir im Alter uns einmal etwas außer „der Reihe“ leisten können.
Im Erwerbsleben haben wir zum Gemeinwesen beigetragen, haben durch unsere Arbeit, unsere Steuern und Sozialbeiträge den solidarischen Gedanken mitgetragen. Diese Lasten konnten wir nur in der Erwerbsphase leisten. Die Rente ist weniger als die Hälfte wert und die gesetzlich Pflichtversicherten in der GKV können nicht mal mehr die Beitragslast zu Kranken- und Pflegeversicherung stemmen (Steuerzuschuss). Da haben unsere Volksvertreter gedacht, neben den wiederkehrenden Lohnersatzleistungen wie Rente und Betriebsrenten soll der Bürger sparen. Leider macht das in der jetzigen Situation keinen Sinn mehr, aber wir Deutschen hatten schon immer ein Sparprodukt, dem wir über Jahrzehnte vertrauen konnten, kapitalbildende Lebensversicherungen.
Also hat der Gesetzgeber gedacht, das wollen wir fördern. Teile vom Einkommen sollen als Sparraten/Beiträge zum Aufbau eines Kapitalstockes eben zu diesen Beiträgen umgewandelt werden. Die meisten von uns hatten mit dieser Umwandlung zu beitragsbegrifflichen Nulla auch erhebliche Nachteile. Sie haben manchmal auch Sparverträge mit Prämien aus dem Brutto- oder Nettolohn abgeschlossen. Begriffe wie Deferred Compensation oder Doppelverbeitragung, kann man alles im Internet nachlesen. Die steuerliche Erfassung mit unterschiedlichen/geminderten Pauschalversteuerungen dieser Beiträge oder die steuerliche Nichtbelastung bei älteren Lebensversicherungen will ich hier nicht weiter erörtern.
Die Lebensversicherungen wurden der Einfachheit halber auf den Arbeitgeber als Versicherungsnehmer abgeschlossen, er hat auch die Prämien überwiesen, also direkt an die Versicherung gezahlt. Deshalb Direktversicherung. Begünstigter waren seine Arbeitnehmer/innen und im Falle des vorzeitigen Ablebens die Erben. Entsprechend finden Alter und Sterberisiken bei der Versicherungsprämie nach versicherungsmathematischen Tabellen Anwendung. Schon deswegen kann eine von vornherein geplante Einmalzahlung keine Anwendung der gesetzlichen Regelungen zu wiederkehrenden Leistungen/Renten Anwendung finden, BetrAVG. Ich habe bei Abschluss meiner DV Gesundheits-/Krankheitsrisiken angeben müssen. Die meisten von Ihnen werden dies vergessen haben, weil Sie ja noch jung und gesund waren. Verstirbt der Begünstigte schon in der Ansparphase, hat die Zahlstelle/Lebensversicherung trotz entsprechenden Risikozuschlag Pech gehabt. Bei Renten/Betriebsrenten hat der Versicherte/Begünstigte wirklich in doppelter Hinsicht Pech gehabt, er lebt nicht mehr und keiner bekommt die Rente. Hier hat die Versicherung gewonnen, nach dem Motto: nur ein toter Rentner ist ein guter Rentner.
Nur folgerichtig waren Leistungen aus Direktversicherungen nicht im BetrAVG geregelt, sondern im SGB V § 229. Es gibt Begünstigte aus Direktversicherungen mit wiederkehrenden Zahlungen. Diese, ganz bewusst hier im Plural, Leistungen unterliegen auch schon vor 2004 der Beitragspflicht, können, anders als Betriebsrenten aber abgefunden werden. Dann gilt schon lange vor 2004 die sog. 120tel-Regelung/10 Jahre als Verbeitragung für diese Abfindung. Der Gesetzestext fordert also eine ursprünglich vereinbarte wiederkehrende Zahlung. Mit der Gesetzestextergänzung „oder ist eine solche Leistung – Abfindung – vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden (die dann für 10 Jahre verbeitragt werden muss) sollte die Umgehungsmöglichkeit der Verbeitragung ausgeschlossen werden.
Nur dieses war ausweislich zur Erläuterung des Gesetzestextes für die Bundestagsabgeordneten und der zu erwartenden Beitragseinnahmen mit der bekannten Bundestagsdrucksache geplant/Wille des Gesetzgebers. Bei einer von vornherein geplanten Einmal/Kapitalzahlung besteht keine Umgehungsmöglichkeit, kein Arbeitnehmer hätte in Kenntnis einer späteren Beitragslast zu dieser Einmalzahlung solch eine Versicherung - eher Verunsicherung - abgeschlossen. Oben steht beitragsbegriffliches Nullum, also Umwandlung zu einer Sparrate, die nun bei Auszahlung wieder zurückverwandelt wird zu einem beitragsbegrifflichen Positivum. Nur - der zuvor verlorene Versicherungsschutz aller Sozialversicherungen kann nicht wiedererlangt werden.
Ich habe mehrere Verfahren vor Sozialgerichten geführt, da haben die Berufsrichter doch allen Ernstes behauptet, dass auch ich/die Kläger Sozialbeiträge, durch Entgeltumwandlung, gespart habe(n). Die haben es nicht verstanden, nicht verstehen wollen oder nicht verstehen dürfen.
Nur der Arbeitgeber hat durch die Umwandlung etwas gespart, da die hälftige scheinbare Beitragsleistung durch den Arbeitgeber eigentlich der Lohn seines Arbeitnehmers ist, hat er sich sogar ungerechtfertigt bereichert. Das hat der Gesetzgeber irgendwie erkannt und die Arbeitgeber zur Weiterreichung der gesparten Sozialbeiträge (zumindest in Teilen) in Riester-Sparverträgen verpflichtet. Sie wissen alle, dass die Rente durch die Deferred Compensation gemindert wird, Krankengeld/Verletztengeld, Unfallrente, Arbeitslosengeld/Elterngeld, alles weniger, da Bruttolohn durch Deferred Compensation gemindert.
Wenn auch das Bundessozialgericht, hier Professor Schlegel, in der Verhandlung / Revision Jochen Drake, allen intellektuellen Einsichten zum Trotz dann behauptet, dass auch eine kapitalbildende Lebensversicherung eine Betriebsrente ist, hat er nichts verstanden. Er widerspricht seinen eigenen mehrfachen Auslassungen im Personalhandbuch. Wir haben Schlegel im Februar 2019 in Kassel erlebt, als er von einem erheblichen Trauma sprach, als mit - 1 BvR 1660/08 - das Bundesverfassungsgericht das Bundessozialgericht als dem Fachgericht regelrecht abgestraft hat, weil bei Wechsel des Lebensversicherungsvertrages vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer als Versicherungsnehmer nun ein wie auch sonst privat gestalteter Lebensversicherungsvertrag vorliegt. Also nicht mehr beitragspflichtig ist.
In diesem Beschluss schreibt das Bundesverfassungsgericht auch völlig zutreffend in Rz. 8 von einer Ansparleistung – schließlich ist eine kapitalbildende Lebensversicherung die beliebteste Form des Sparens (gewesen) und differenziert in Rz 15 von der Sparrate die Erträge, die der Gesetzgeber zu Recht keiner Verbeitragung (bei Pflichtversicherten) unterwirft.
Soweit haben die höchsten Fachrichter/Sozialrichter diesen Beschluss dann nicht mehr gelesen, sie waren durch diesen Beschluss zu sehr psychisch traumatisiert. Alle Sozialrichter und auch Verfassungsrichter haben auch das Umlagesystem nicht verstanden, wenn sie in Urteilen immer wieder schreiben, dass die Rentner/innen mittlerweile mehr als 50% der Gesundheitsausgaben in Anspruch nehmen und meinen, diese Versichertengruppe müsse stärker belastet werden, um jüngere Versicherte zu entlasten. Wie das in der Praxis gehen soll, schreiben sie nicht. Ich jedenfalls und auch Sie alle sind immer prozentual nach Einkünften belastet worden.
Mit diesem Ansatz hoffen wir, in der anstehenden Revision am 8.7.2020 die gefestigte ständige „Unrechtsprechung“ der Gerichte aufzubrechen. Die politische Ebene wird mit der Forderung der Abschaffung der sog. Doppelverbeitragung - meist nur volle Beitragslast seit dem GMG 2004, von dem hälftigen zum vollen (100%) Beitragssatz - nach Einführung der Freibetragsregelung nicht mehr dienen wollen. Corona hat weit größere Probleme geschaffen, oder nur die großen vorherigen Probleme als Alibiveranstaltung installiert?
Wir gehen zuversichtlich in die Revision, im ungünstigen Ausgang dann in die Verfassungsbeschwerde.
Ist die Kapitalzahlung die richtige Bemessungsgrundlage zur Bestimmung der Beitragshöhe einer Direktversicherung?
von Peter Weber
In meiner Verfassungsbeschwerde (AZ. 1 BvR 1193/20, siehe Anlage) vom 23. Mai 2020 stelle ich die Frage nach der richtigen, verfassungskonformen Bemessungsgrundlage, auf deren Basis die Betragshöhe meiner selbstfinanzierten kapitalbildenden Direktversicherung zur Kranken- und Pflegeversicherung zu berechnen ist, ins Zentrum meiner Beschwerde. Ist es unabhängig von der Finanzierung der Lebensversicherung die Kapitalleistung, oder ist es der mit der Lebensversicherung erwirtschaftete Ertrag? Die Frage ist deshalb so wichtig, weil die Sozialgerichte uns Arbeitnehmern mit Auszahlung der Kapitalleistung eine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unterstellen.
Bei einer arbeitgeberfinanzierten Direktversicherung ist die Kapitalzahlung in der Summe unzweifelhaft Ertrag. Die vom Arbeitgeber im Zeitverlauf aus dem Betriebsvermögen in die Versicherung eingezahlten Versicherungsbeiträge inklusive der darauf angefallenen Zinsen und Zinseszinsen sowie die der Lebensversicherung zugewiesene Schlussüberschussbeteiligung fließen dem Vermögen des Arbeitnehmers in einer Summe zu und erhöhen seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherungsleistung.
Wie aber sieht die Rechnung (der Geldfluss) aus, wenn der Arbeitnehmer die Versicherungsbeiträge aus seinem versteuerten und bereits mit Sozialbeiträgen belasteten Arbeitsentgelt, mithin aus eigenem Vermögen bezahlt hat? In diesem Fall sind es doch nur die angefallenen Zinsen und Zinseszinsen sowie die der Lebensversicherung zugewiesene Schlussüberschussbeteiligung, also der Ertrag der Sparleistung, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherungsleistung erhöhen. Die mit der Kapitalleistung an ihn zurückfließenden Versicherungsbeiträge waren doch schon zum Zeitpunkt der Einzahlung der Versicherungsbeiträge sein Eigentum. Der Arbeitgeber hat die Versicherungsbeiträge im Auftrag des Arbeitnehmers aus dem ihm zustehenden Lohn an die Versicherung weitergeleitet. In diesem Fall erhöht nicht die Kapitalleistung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers, sondern nur der erwirtschaftete Ertrag, so wie bei jeder andern Sparform auch.
Anhand der konkreten Zahlen meiner Direktversicherung zeige ich den Verfassungsrichtern auf, dass mich die Techniker Krankenkasse durch die undifferenzierte Bemessung der Beitragshöhe zur Kranken- und Pflegeversicherung auf Basis der von der Versicherung ausbezahlten Kapitalleistung gegenüber einer vergleichbaren arbeitgeberfinanzierten Direktversicherung systematisch und in verfassungswidriger Weise benachteiligt. Sollte auch eine selbstfinanzierte Kapitallebensversicherung der Beitragspflicht nach § 229 SGB V unterliegen - was ich aber mit Verweis auf die Verfassungsbeschwerde unseres Mitstreiters Jochen Drake bestreite - dann kann nur der Ertrag eine neue Leistung darstellen, welche die Krankenkasse berechtigen könnte, Beiträge zu erheben.
Die von den Krankenkassen angewandte Methode, die Höhe der Beiträge auf der Bemessungsgrundlage der ausgezahlten Kapitalleistung zu berechnen, verletzt das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Wäre dem nicht so, könnte bei Renteneintritt jedes beliebig andere Arbeitsentgelt aus einem Beschäftigungsverhältnis (Bonus- und Prämienzahlungen, Weihnachtsgeld, Überstundenzuschläge etc.) erneut der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterworfen werden. Der Fantasie von Politikern und Krankenkassen wären keine Grenzen mehr gesetzt. Hinzu kommt, dass in § 229 SGB V nur von einer „nicht wiederkehrenden Leistung“ die Rede ist, die der Beitragspflicht unterliegt. Dazu, wie die Leistung definiert und abzugrenzen ist, findet sich in § 229 SGB V keine Aussage.
Haben Sie noch Fragen oder möchten Sie uns mit Hinweisen oder Informationen unterstützen? Gerne können Sie die Mitglieder des Kernteams kontaktieren:
· Harald Eckstein (hadamaha(at)t-online.de)
· Reinhard Günther (reinhard.guenther(at)online.de)
· Ilse Juhre (ilse.juhre(at)kabelmail.de)
· Walter König (wrkmaster.homepage1(at)t-online.de)
· Dr. Wolf-Jürgen Schwerdtner (barbaraschwerdtner(at)@web.de)
· Peter Weber (peter.weber(at)iga-org.de)
Wir bauen weiterhin auf Ihre aktive Unterstützung in unserem gemeinsamen Kampf gegen Unrecht und staatliche Willkür.
Im Auftrag des Kernteams
Peter Weber
Initiative gegen Altersarmut
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