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24.06.2020
Das Europäische Parlament hat am 19. September 2019 eine geschichtsfälschende Resolution verabschiedet - mit 535 Ja-, 66 Nein-Stimmen bei 52 Enthaltungen. Man fragte sich damals in vielen Ländern entsetzt, ob die 535 Abgeordneten des EU- Parlaments diesen Resolutionstext überhaupt kannten. Wenn ja, so haben sie damit explizit der bisher nur von Rechtsnationalisten vertretenen Sicht auf den Zweiten Weltkrieg zugestimmt. Dass diese Provokation im September 2019 in weiten Teilen der deutschsprachigen Linken keinen Proteststurm entfachte, ist ein betrübliches Zeichen.
Am 24.Juni 2020 feierte Russland mit seiner traditionellen Parade den Sieg über den Faschismus und Nazideutschland vor 75 Jahren. Durch Corona war das am traditionellen 9. Mai 2020 nicht möglich gewesen. Bei dieser Gelegenheit antwortete Putin ausführlich auf die provozierende Resolution des EU-Parlaments. Erfreulich ist, dass sich der Politiker dabei nicht dem im Westen in Mode gekommenen Twitter Baby-Gestammel bedient...
In bundesdeutschen Medien blieb die Resolution des EU-Parlaments weitgehend unbeachtet, hier ein informativer Artikel auf der Schweizer Plattform Infosperber: Link
Video "Unsterbliches Regiment": Link
Putins ausführliche Erwiderung auf die EU - Provokation:
75. Jahrestag des Großen Sieges:
Gemeinsame Verantwortung vor Geschichte und Zukunft
Von Wladimir Putin
Es sind 75 Jahre vergangen, seit der Große Vaterländische Krieg beendet wurde. In
diesen Jahren sind mehrere Generationen aufgewachsen. Die politische Karte des
Planeten hat sich geändert. Es gibt die Sowjetunion nicht mehr, die einen grandiosen,
vernichtenden Sieg über den Nationalsozialismus errungen und die ganze Welt gerettet
hatte. Und die Ereignisse des Krieges selbst sind sogar für seine Teilnehmer eine ferne
Vergangenheit geworden. Warum wird der 9. Mai in Russland als der wichtigste
Feiertag begangen und scheint das Leben am 22. Juni für einen Moment still zu stehen,
wo man den Atem anhält, als hätte man einen Kloß im Hals?
Man pflegt zu sagen: Der Krieg hat eine tiefe Spur in der Geschichte jeder Familie
hinterlassen. Hinter diesen Worten stehen das Schicksal von Millionen Menschen, ihr
Leiden und der Schmerz des Verlustes. Und es geht um Stolz, Wahrheit und Erinnerung.
Für meine Eltern sind der Krieg die schrecklichen Qualen des belagerten Leningrads,
wo mein zweijähriger Bruder Witja starb und wo meine Mutter nur durch ein Wunder am
Leben blieb. Mein Vater ging, obwohl er von der Dienstpflicht befreit war, freiwillig an
die Front, um die Heimatstadt zu verteidigen. Er fällte den gleichen Entscheid wie
Millionen andere sowjetische Bürger. Er kämpfte am Brückenkopf «Newski Pjatatschok» und wurde schwer verletzt. Und je ferner diese Jahre in die Vergangenheit rücken, umso größer ist das Bedürfnis, mit meinen Eltern zu sprechen, um mehr von ihrem Leben während des Krieges zu erfahren. Leider ist das nicht mehr möglich. Deswegen bewahre ich die Gespräche mit meinem Vater und meiner Mutter zu diesem Thema und ihre kargen Emotionen heilig in meinem Herzen.
Für mich und meine Altersgenossen ist es wichtig, dass unsere Kinder, Enkel und Urenkel begreifen, welchen Prüfungen und Qualen ihre Vorfahren standgehalten haben. Wie, warum konnten sie standhalten und schließlich siegen? Woher kam ihre wahrlich eiserne Willenskraft, die die ganze Welt erstaunte und verwunderte? Ja, sie haben ihr
Haus, ihre Kinder, ihre Angehörigen, ihre Familie verteidigt. Die Liebe zur Heimat, zum
Vaterland hat aber alle vereint. Dieses tiefe, persönliche Gefühl spiegelt sich im Wesen
unseres Volkes in seiner ganzen Fülle wider und wurde zu einem entscheidenden Faktor in seinem heldenhaften, opferreichen Kampf gegen die Nazis.
Oft fragt man: Wie würde sich die jetzige Generation in einer kritischen Situation
benehmen und handeln? Vor meinen Augen sind junge Ärzte, Krankenschwestern, Studenten kurz vor dem Abschluss, die heute in die «rote Zone» gehen, um Menschen zu retten. Unsere Militärangehörigen, die während des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus im Nordkaukasus, in Syrien um Leben und Tod kämpfen – ganz junge Menschen! Viele Soldaten der legendären, unsterblichen 6.Fallschirmjägerkompanie waren 19 und 20 Jahre alt. Sie haben aber gezeigt, dass sie der Heldentaten der Soldaten unserer Heimat, die sie im Großen Vaterländischen Krieg verteidigten, würdig sind.
Daher bin ich mir sicher, dass es im Charakter der Völker Russlands liegt, ihre Pflicht zu
erfüllen und sich selbst nicht zu schonen, wenn die Umstände dies erfordern.
Selbstlosigkeit, Patriotismus, Liebe zur Heimat, zur Familie, zum Vaterland: Diese
Werte sind auch heute für die russische Gesellschaft fundamental. Sie sind das
Rückgrat unsere Souveränität.
Mittlerweile hat unser Volk neue Traditionen, zum Beispiel das «Untersterbliche Regiment», ins Leben gerufen. Es ist ein Marsch unseres dankbaren Andenkens, unserer leiblichen, lebendigen Verbindung zwischen den Generationen. Millionen Menschen gehen mit Fotos ihrer Verwandten, die das Vaterland verteidigt und den Nationalsozialismus besiegt haben, zur Teilnahme an Umzügen auf die Straßen. Das bedeutet, dass ihr Leben, ihre Prüfungen und Opfer, ihren Sieg, den sie uns übergeben haben, niemals vergessen werden.
Unsere Verantwortung gegenüber der Vergangenheit und der Zukunft ist es, alles zu
tun, um eine Wiederholung der schrecklichen Tragödien zu verhindern. Deshalb halte
ich es für meine Pflicht, mit einem Artikel über den Zweiten Weltkrieg und den Großen
Vaterländischen Krieg an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe diese Idee mehrmals bei
Gesprächen mit Staats-und Regierungschefs diskutiert und bei ihnen Verständnis
gefunden. Ende vorigen Jahres, beim Gipfel der Spitzenpolitiker der GUS-Staaten,
waren wir alle darin einig, dass es wichtig ist, das Andenken daran den Nachkommen
zu überliefern, dass der Sieg über den Nationalsozialismus vor allem vom sowjetischen
Volk erkämpft wurde, dass in diesem heldenhaften Kampf – an der Front und im
Hinterland, Schulter an Schulter – Angehörige aller Republiken der Sowjetunion
gestanden haben. Damals habe ich mit meinen Kollegen auch über die schwierige
Vorkriegszeit gesprochen.
Dieses Gespräch löste eine große Resonanz in Europa und in der Welt aus. Das
bedeutet, dass der Zugriff auf die Lehren der Vergangenheit wirklich notwendig und
aktuell ist. Zugleich gab es auch viele Emotionen, schlecht versteckte Komplexe, laute
Anklagen. Eine Reihe von Politikern beeilte sich wie üblich zu erklären, Russland
versuche, die Geschichte neu zu schreiben. Sie konnten dabei allerdings keinen
einzigen Fakt, kein angeführtes Argument widerlegen. Natürlich ist es schwierig oder
gar unmöglich, gegen Originaldokumente anzutreten, die übrigens nicht nur in
russischen, sondern auch in ausländischen Archiven aufbewahrt werden.
Daher besteht die Notwendigkeit, die Analyse der Ursachen, die zum Weltkrieg geführt
hatten, Überlegungen über seine komplizierten Ereignisse, Tragödien und Siege, über
seine Lehren – für unser Land und die ganze Welt – fortzusetzen. Und hier, ich
wiederhole, ist es grundsätzlich wichtig, sich ausschließlich auf Archivakten, auf
Zeugnisse von Zeitgenossen zu verlassen und jegliche ideologischen und politischen
Spekulationen auszuschließen.Ich erinnere noch einmal an offensichtliche Dinge: Die eigentlichen Ursachen des Zweiten Weltkriegs ergeben sich in vielerlei Hinsicht aus den Entscheidungen, die zu den Ergebnissen des Ersten Weltkrieges getroffen wurden.
Der Vertrag von Versailles wurde für Deutschland zu einem Symbol tiefer Ungerechtigkeit. Tatsächlich wurde das Land, das den westlichen Verbündeten riesige Reparationen zahlen musste, richtiggehend ausgeraubt. Der Oberbefehlshaber der alliierten Armeen, Frankreichs
Marschall Ferdinand Foch, gab dem Versailler Vertrag eine prophetische Bezeichnung:
«Das ist kein Frieden. Das ist ein Waffenstillstand auf 20 Jahre.»
Gerade die nationale Demütigung bildete den Nährboden für radikale und
revanchistische Stimmungen in Deutschland. Die Nazis spielten geschickt mit diesen
Gefühlen, bauten ihre Propaganda darauf auf und versprachen, Deutschland vom
«Erbe von Versailles» zu befreien, seine ehemalige Stärke wiederherzustellen, und sie
drängten das deutsche Volk recht eigentlich zu einem neuen Krieg. Paradoxerweise
trugen westliche Staaten, vor allem Großbritannien und die USA, direkt oder indirekt
dazu bei. Ihre Finanz- und Industriekreise investierten durchaus aktiv in deutsche
Fabriken und Werke, die Rüstungserzeugnisse produzierten. Und unter der Aristokratie
und dem politischen Establishment gab es viele Anhänger radikaler, rechtsextremer,
nationalistischer Bewegungen, die sowohl in Deutschland als auch im übrigen Europa
an Stärke gewannen.
Die Versailler «Weltordnung» brachte zahlreiche latente Widersprüche und offensichtliche Konflikte hervor. Ihnen liegen die von den Siegern im Ersten Weltkrieg willkürlich gestalteten Grenzen der neuen europäischen Staaten zugrunde. Fast gleichzeitig mit ihrem Erscheinen auf der Karte begannen Gebietsstreitigkeiten und gegenseitige Ansprüche, die sich in Zeitminen verwandelten.
Eines der wichtigsten Ergebnisse des Ersten Weltkrieges war die Gründung des
Völkerbundes. In diese internationale Organisation wurden große Hoffnungen zur
Gewährleistung eines dauerhaften Friedens und der kollektiven Sicherheit gesetzt. Es
war eine fortschrittliche Idee, deren konsequente Umsetzung eine Wiederholung der
Schrecken des globalen Krieges hätte verhindern können.
Der Völkerbund, in dem die Siegermächte – Großbritannien und Frankreich – dominierten, zeigte sich jedoch ineffizient und ertrank einfach in leeren Diskussionen. Im Völkerbund, ja auf dem ganzen europäischen Kontinent wurden die mehrmaligen Aufforderungen der Sowjetunion, ein gleichberechtigtes System der kollektiven Sicherheit zu gestalten, nicht gehört. Unter anderem ging es darum, einen osteuropäischen und pazifischen Pakt zu schließen, um neue Aggressionen zu verhindern. Diese Vorschläge wurden jedoch ignoriert.
Der Völkerbund konnte auch Konflikte in verschiedenen Teilen der Welt nicht
verhindern, wie etwa den Angriff Italiens auf Äthiopien, den Bürgerkrieg in Spanien, die
Aggression Japans gegen China oder auch den Anschluss Österreichs ans Deutsche
Reich. Und im Fall des Münchner Abkommens 1938, an dem neben Hitler und
Mussolini die Staats- und Regierungschefs Großbritanniens und Frankreichs
teilnahmen, kam es mit voller Zustimmung des Völkerbundrates zu einer Aufteilung derTschechoslowakei. Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass sich Stalin im
Unterschied zu vielen damaligen europäischen Führern nicht mit einem persönlichen
Treffen mit Hitler befleckte, der damals in westlichen Kreisen als durchaus respektabler
Politiker galt und oft ein willkommener Gast in den europäischen Hauptstädten war.
Bei der Aufteilung der Tschechoslowakei agierte neben Deutschland auch Polen. Sie
entschieden im Voraus und gemeinsam, wer welche tschechoslowakischen Ländereien
bekommen würde. Am 20. September 1938 teilte der polnische Botschafter in
Deutschland, Jozef Lipski, dem Außenminister Polens, Jozef Beck, die Versicherungen
Hitlers mit, dass, wenn es zwischen Polen und der Tschechoslowakei zu einem Konflikt
bezüglich der polnischen Interessen in Tschechien kommen sollte, das Deutsche Reich
sich auf die polnische Seite stellen werde. Der Nazi-Führer gab sogar Hinweise und
Ratschläge, dass der Beginn der polnischen Aktionen erst nach der Besetzung des
Sudetenlands durch die Deutschen erfolgen solle.
Polen war sich bewusst, dass seine Eroberungspläne ohne Unterstützung durch Hitler
zum Scheitern verurteilt gewesen wären. An dieser Stelle möchte ich die Aufzeichnung
des Gespräches des deutschen Botschafters in Warschau, Hans-Adolf von Moltke, mit
Jozef Beck vom 1. Oktober 1938 über die polnisch-tschechischen Beziehungen und die
Position der UdSSR zu dieser Frage zitieren. Dort steht geschrieben, Herr Beck habe
sich für die loyale Interpretation der polnischen Interessen auf der Münchner Konferenz
sowie für die Aufrichtigkeit der Beziehungen während des tschechischen Konflikts sehr
bedankt. Die Regierung und die Öffentlichkeit von Polen würden die Position des
Führers und Reichskanzlers voll und ganz würdigen.
Die Aufteilung der Tschechoslowakei war grausam und zynisch. «München» zerstörte
damit jene fragilen Garantien, die es auf dem westlichen Kontinent formal gab, und es
zeigte sich, dass all die gegenseitigen Vereinbarungen nichts wert waren. Gerade das
Münchner Abkommen 1938 diente als Auslöser, nach dem ein großer Krieg in Europa
unvermeidlich wurde.
Heute möchten viele europäische Politiker, vor allem polnische Spitzenpolitiker,
«München» lieber «verschweigen». Warum? Nicht nur deswegen, weil ihre Länder
damals ihre Verpflichtungen nicht eingehalten haben und das Münchner Komplott
unterstützten, wobei einige sogar an der Beute des Abkommens teilnahmen, sondern
auch weil es unangenehm ist, sich daran zu erinnern, dass sich nur die UdSSR in jenen
dramatischen Tagen für die Tschechoslowakei eingesetzt hat.
Die Sowjetunion versuchte auf der Basis ihrer internationalen Verpflichtungen, darunter
auch der Abkommen mit Frankreich und der Tschechoslowakei, die Tragödie zu
verhindern. Polen hingegen hat, seinen eigenen Interessen folgend, mit allen Kräften
die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa verhindert. Am 19.
September 1938 hat der polnische Außenminister Jozef Beck dem bereits erwähnten
Botschafter Jozef Lipski unmittelbar vor dessen Treffen mit Hitler dazu geschrieben:
«Im Laufe des vergangenen Jahres hat die polnische Regierung viermal das Angebot
abgelehnt, sich der internationalen Einmischung zum Schutz der Tschechoslowakei
anzuschließen.»Großbritannien und Frankreich, das damals der wichtigste Verbündete der Tschechen und Slowaken war, entschieden sich aber dafür, ihre abgegebenen Garantien nicht
einzuhalten und dieses osteuropäische Land zur Zergliederung freizugeben. Sie
unterstützten damit die Bestrebungen der Nazis, sich Richtung Osten auszuweiten, mit
dem Ziel, Deutschland und die Sowjetunion gegeneinander aufzubringen und dabei
einander auszubluten.
Gerade darin bestand die westliche Politik der «Befriedung». Und nicht nur in Bezug auf
das Dritte Reich, sondern auch auf andere Teilnehmer des sogenannten Antikomintern-
Pakts – das faschistische Italien und das militaristische Japan. Ihr Höhepunkt im Fernen
Osten war das anglo-japanische Abkommen vom Sommer 1939, das Tokio
Handlungsfreiheit in China gewährte. Die führenden europäischen Mächte wollten nicht
einsehen, welch tödliche Gefahr für die Welt von Deutschland und seinen Verbündeten
ausging, und sie rechneten damit, dass der Krieg an ihnen vorbeigehen würde.
Das Münchner Komplott zeigte der Sowjetunion, dass die westlichen Länder in
Sicherheitsfragen ohne Rücksicht auf die sowjetischen Interessen vorzugehen bereit
waren und dass sie bei passender Gelegenheit auch eine antisowjetische Front bilden
konnten.
Gleichzeitig versuchte die Sowjetunion jede Chance zu nutzen, um eine Anti-Hitler-
Koalition zu bilden, und dies, ich wiederhole es, trotz der doppelzüngigen Position der
westlichen Länder. So erhielt die sowjetische Führung über Geheimdienste im Sommer
1939 eingehende Informationen über die englisch-deutschen Kontakte hinter den
Kulissen. Ich mache darauf aufmerksam, dass diese Kontakte durchaus intensiv
erfolgten, wobei die westlichen Partner praktisch gleichzeitig die trilateralen
Verhandlungen von Vertretern Frankreichs, Großbritanniens und der UdSSR bewusst
verzögerten. Ich kann in diesem Zusammenhang ein Dokument aus den britischen
Archiven zitieren – es ist eine Anweisung an die britische Militärmission, die im August
1939 nach Moskau kam. Darin wird direkt gesagt, dass die Delegation «die
Verhandlungen sehr langsam führen muss»; dass «die Regierung des Vereinigten
Königreichs nicht bereit ist, die im Detail vorgeschriebenen Verpflichtungen einzugehen,
die unsere Handlungsfreiheit unter irgendwelchen Umständen einschränken könnten».
Ich möchte auch betonen, dass damals die sowjetische Delegation im Unterschied zu
den Briten und Franzosen von den obersten Führern der Roten Armee geleitet wurde,
die über alle notwendigen Kompetenzen verfügten, um «eine Militärkonvention zu
Fragen der Organisation der militärischen Verteidigung Englands, Frankreichs und der
UdSSR gegen die Aggression in Europa zu unterzeichnen».
Eine Rolle beim Scheitern der Verhandlungen spielte Polen, das keine Verpflichtungen
gegenüber der sowjetischen Seite übernehmen wollte. Selbst unter dem Druck der
westlichen Verbündeten lehnte die polnische Führung ein gemeinsames Vorgehen mit
der Roten Armee beim Widerstand gegen die deutsche Wehrmacht ab. Und erst als
bekannt wurde, dass Ribbentrop nach Moskau gekommen war, benachrichtigte Beck
widerwillig – nicht direkt, sondern durch französische Diplomaten – die sowjetischeSeite: Im Falle gemeinsamer Aktionen gegen die deutsche Aggression sei eine
Zusammenarbeit zwischen Polen und der UdSSR, unter technischen Bedingungen, die
noch festgelegt werden müssten, nicht ausgeschlossen. Zugleich erläuterte er seinen
Kollegen: «Ich bin mit dieser Formulierung nur einverstanden, wenn sie dem Zweck
dient, die Taktik zu erleichtern. Unsere grundsätzliche Haltung gegenüber der UdSSR
ist aber endgültig und bleibt unverändert.»
In der so entstandenen Situation unterzeichnete die Sowjetunion den Nichtangriffspakt
mit Deutschland und tat dies faktisch als Letztes der europäischen Länder, und das vor
dem Hintergrund der realen Gefahr, in einen Zweifrontenkrieg gezwungen zu werden –
mit Deutschland im Westen und mit Japan im Osten, wo bereits intensive Kämpfe am
Fluss Chalcha stattfanden.
Stalin und sein Umfeld verdienen viele gerechte Vorwürfe. Wir erinnern uns an die
Verbrechen des Regimes gegen das eigene Volk und an die Entsetzlichkeit der
Massenrepressionen. Ich wiederhole, man kann den sowjetischen Führern vieles
vorwerfen, aber nicht das, dass es ihnen an Verständnis für die Art der äußeren
Bedrohungen mangelte. Sie erkannten, dass man versuchte, die Sowjetunion im Kampf
mit Deutschland und seinen Verbündeten allein zu lassen. Sie handelten, diese reale
Gefahr erkennend, um wertvolle Zeit für die Festigung der Verteidigung des Landes zu
gewinnen.
In Bezug auf den damals geschlossenen Nichtangriffspakt gibt es jetzt viel Gerede und
Beanstandungen gegenüber dem jetzigen Russland. Ja, Russland ist der
Nachfolgestaat der UdSSR, und die sowjetische Periode mit all ihren Triumphen und
Tragödien ist ein untrennbarer Bestandteil unserer tausendjährigen Geschichte. Ich
erinnere aber auch daran, dass die Sowjetunion dem sogenannten Molotow–
Ribbentrop-Pakt eine rechtliche und moralische Bewertung gegeben hat. In der
Verordnung des Obersten Sowjets vom 24. Dezember 1989 wurden die
Geheimprotokolle als «Akt der persönlichen Macht» offiziell verurteilt, der in keiner
Weise «den Willen des sowjetischen Volkes, das nicht für diese Absprache
verantwortlich ist, widerspiegelt».
Dennoch bevorzugen andere Staaten, sich nicht an die Abkommen zu erinnern, unter
denen die Unterschriften von Nazis und westlichen Politikern stehen. Nicht vergessen
ist dabei auch die rechtliche oder politische Bewertung dieser Zusammenarbeit,
darunter auch die Bewertung der stillschweigenden Kompromissbereitschaft einiger
europäischer Politiker mit den barbarischen Plänen der Nazis bis hin zu ihrer direkten
Förderung. Der zynische Satz des polnischen Botschafters in Deutschland, Jozef Lipski,
den er beim Gespräch mit Hitler am 20. September 1938 sagte, spricht Bände: «Für die
Lösung der jüdischen Frage werden wir [Polen] ihm ... ein schönes Denkmal in
Warschau aufstellen.»
Wir wissen auch nicht, ob es irgendwelche «geheime Protokolle» und Anhänge zu den
Vereinbarungen einiger Länder mit den Nazis gab. Es bleibt uns nur, aufs Wort zu
glauben. Unter anderem sind Materialien über geheime anglo-deutsche Gespräche bis
heute nicht freigegeben worden. Daher rufen wir alle Staaten dazu auf, den Prozess derÖffnung ihrer Archive, die Veröffentlichung bisher unbekannter Dokumente aus der
Vorkriegs- und Kriegszeit zu intensivieren – so, wie es Russland in den vergangenen
Jahren getan hat. Wir sind hier zu einer breiten Zusammenarbeit, zu gemeinsamen
Forschungsprojekten von Historikern bereit.
Aber kehren wir zu den Ereignissen zurück, die dem Zweiten Weltkrieg unmittelbar
vorausgingen. Es war naiv zu glauben, dass Hitler keine weiteren territorialen
Ansprüche erheben würde, nachdem er mit der Tschechoslowakei fertig war. Diesmal
gegenüber seinem jüngsten Komplizen bei der Teilung der Tschechoslowakei – Polen.
Als Anlass diente übrigens auch hier das Erbe von Versailles – das Schicksal des so
genannten Danziger Korridors. Die darauf folgende Tragödie Polens liegt voll und ganz
auf dem Gewissen der damaligen polnischen Führung, die die Bildung des
Militärbündnisses zwischen England, Frankreich und der Sowjetunion verhinderte, sich
auf die Hilfe der westlichen Partner verließ und ihr Volk unter die Walze der Hitler-
Zerstörungsmaschine stellte.
Die deutsche Offensive entwickelte sich in voller Übereinstimmung mit der Blitzkrieg-
Doktrin. Trotz des erbitterten, heroischen Widerstandes der polnischen Armee standen
die deutschen Truppen bereits eine Woche nach Kriegsbeginn, am 8. September 1939,
kurz vor Warschau. Und die militärpolitische Spitze Polens flüchtete am 17. September
auf das Territorium Rumäniens und verriet ihr Volk, das den Kampf gegen die
Eindringlinge fortsetzte.
Die westlichen Verbündeten haben die polnischen Erwartungen nicht erfüllt. Nachdem
Deutschland den Krieg erklärt hatte, rückten die französischen Truppen nur einige
Dutzend Kilometer tief in deutsches Territorium vor. All dies sah nur wie eine
Demonstration aktiver Handlungen aus. Außerdem beschloss der britisch-französische
Oberste Militärrat, der erstmals am 12. September 1939 im französischen Abville
zusammentraf, die Offensive wegen der schnellen Entwicklung der Ereignisse in Polen
völlig einzustellen. Es begann der so genannte «Sitzkrieg». Der direkte Verrat
Frankreichs und Englands an ihren Verpflichtungen gegenüber Polen ist nicht zu
übersehen.
Später haben die deutschen Generäle im Laufe der Nürnberger Prozesse ihre schnellen
Erfolge im Osten folgendermaßen erklärt. Der ehemalige Chef des
Wehrmachtführungsstabes im Oberkommando der Wehrmacht, Alfred Jodl, gab zu,
dass die Nazis eine Niederlage bereits 1939 nur deshalb nicht erlitten hätten, weil rund
110 französische und englische Divisionen, denen während des deutschen Krieges
gegen Polen 23 Wehrmachtdivisionen gegenübergestanden hätten, völlig untätig
gewesen seien.
Ich habe darum gebeten, die ganze Reihe von Materialien, die mit den Kontakten der
UdSSR und Deutschlands in den dramatischen Tagen im August und September 1939
verbunden sind, in den Archiven zugänglich zu machen. Wie aus den Dokumenten
hervorgeht, legte Punkt 2 des Geheimprotokolls zum Nichtangriffspakt zwischen
Deutschland und der UdSSR vom 23. August 1939 fest, dass die Grenze der
Interessenbereiche der beiden Länder im Falle der territorialpolitischen Neuordnung derGebiete, die Teil des Polnischen Staates waren, «ungefähr über die Linien der Flüsse
Narew, Weichsel und Sana verlaufen sollte». Mit anderen Worten umfasste die
sowjetische Einflusszone demnach nicht nur Gebiete, wo mehrheitlich die ukrainische
und weißrussische Bevölkerung ansässig war, sondern auch historisch polnische
Ländereien zwischen dem Bug und der Weichsel.
Von dieser Tatsache wissen jetzt bei Weitem nicht alle. Wie auch davon nicht, dass
Berlin unmittelbar nach dem Angriff auf Polen in den ersten Septembertagen 1939
Moskau beharrlich und mehrmals dazu aufforderte, sich den Kriegshandlungen
anzuschließen. Die sowjetische Führung ignorierte aber diese Aufforderungen und
wollte bis zur letzten Möglichkeit nicht in die sich dramatisch entwickelnden Ereignisse
hineingezogen werden.
Erst als endgültig klar wurde, dass Großbritannien und Frankreich nicht anstrebten,
ihren Verbündeten zu helfen, und die Wehrmacht dazu fähig war, schnell ganz Polen zu
besetzen und sich tatsächlich Minsk zu nähern, wurde beschlossen, am Morgen des 17.
September Truppen der Roten Armee in die sogenannten östlichen Kresy zu verlegen –
jetzt sind es Teile des Territoriums von Weißrussland, der Ukraine und Litauens.
Offensichtlich gab es keine anderen Optionen. Andernfalls hätten die Risiken für die
UdSSR mehrfach zugenommen, da, ich wiederhole es, die alte sowjetische Grenze nur
ein paar Dutzend Kilometer von Minsk entfernt verlief und der unvermeidliche Krieg
gegen die Nazis für das Land von äußerst ungünstigen strategischen Stellungen aus
begonnen hätte. Und Millionen Menschen verschiedener Nationalitäten, darunter Juden,
die bei Brest und Grodno, Przemyśl, Lwiw und Wilna lebten, wären so den Nazis und
ihren örtlichen Schergen – den Antisemiten und den radikalen Nationalisten – zur
Vernichtung überlassen worden.
Gerade die Tatsache, dass die Sowjetunion bis zur letzten Gelegenheit versuchte, die
Teilnahme an dem sich entflammenden Konflikt zu vermeiden und nicht auf der Seite
Deutschlands spielen wollte, führte dazu, dass die reale Berührung der sowjetischen
und deutschen Truppen deutlich östlicher als der im Geheimprotokoll festgelegten
Grenzen erfolgte. Nicht über die Weichsel, sondern über die sogenannte Curzon-Linie,
die noch 1919 von der Entente als östliche Grenze Polens empfohlen worden war.
Wie man wie man weiß, ist der (sprachliche} Konjunktiv in Bezug auf bereits
geschehene Ereignissen schwierig anzuwenden. Ich sage deshalb nur, dass die
sowjetische Führung im September 1939 die Möglichkeit hatte, die Westgrenze der
UdSSR noch weiter nach Westen, nämlich bis nach Warschau zu verschieben, aber
beschloss, dies nicht zu tun.
Die Deutschen schlugen vor, einen neuen Status-quo zu fixieren. Am 28. September
1939 unterzeichneten in Moskau Ribbentrop und Molotow den Vertrag über
Freundschaft und die Grenze zwischen der UdSSR und Deutschland sowie das
Geheimprotokoll über die Änderung der Staatsgrenze. Als solche galt die
Demarkationslinie, wo de facto die beiden Armeen standen.Ihre militärisch-strategischen und defensiven Aufgaben lösend, begann die Sowjetunion im Herbst 1939 mit der Einverleibung Lettlands, Litauens und Estlands. Deren Beitritt zur UdSSR erfolgte auf vertraglicher Basis, mit Zustimmung der gewählten Behörden.
Dies entsprach den Normen des Völker – und Staatsrechts der damaligen Zeit. Darüber
hinaus wurden die Stadt Wilna und das angrenzende Gebiet, die früher Teil Polens
waren, im Oktober 1939 an Litauen zurückgegeben. Die baltischen Republiken
behielten im Bestand der UdSSR ihre Behörden und ihre Sprache bei und waren auch
in den obersten sowjetischen Staatsstrukturen vertreten.
In all diesen Monaten hörte der für ein fremdes Auge unsichtbare diplomatische und
militärisch-politische Kampf, die Arbeit der Geheimdienste, nicht auf. Für Moskau war
es klar, dass sich vor ihm ein unversöhnlicher und grausamer Feind befand und dass
der verborgene Krieg gegen den Nationalsozialismus bereits im Gang war. Es gibt
keinen Grund, offizielle Erklärungen, die damaligen formellen Noten, als Beweis der
«Freundschaft» zwischen der UdSSR und Deutschland zu betrachten. Die UdSSR
pflegte aktive Handels- und technische Kontakte nicht nur mit Deutschland, sondern
auch mit anderen Ländern. Dabei versuchte Hitler immer wieder, die UdSSR in die
Konfrontation mit Großbritannien hineinzuziehen. Die sowjetische Führung ließ sich
aber nicht dafür gewinnen.
Den letzten Versuch, die Sowjetunion zum gemeinsamen Vorgehen zu bewegen,
unternahm Hitler während des Besuchs von Molotow im November 1940 in Berlin.
Molotow befolgte aber exakt die Anweisungen von Stalin und beschränkte sich auf
allgemeine Gespräche über die Idee der Deutschen in Bezug auf den Beitritt der
UdSSR zum Dreimächtepakt – dem Bündnis von Deutschland, Italien und Japan, das
im September 1940 unterzeichnet worden war und gegen Großbritannien und die USA
gerichtet war. Es ist nicht zufällig, dass Molotow bereits am 17. November den
bevollmächtigten Vertreter der Sowjetunion in London, Iwan Majskij, wie folgt anleitete:
«Zu Ihrer Orientierung ... wurde in Berlin kein Vertrag unterzeichnet und man hat nicht
beabsichtigt, dies zu tun. Die Sache in Berlin hat sich auf den Meinungsaustausch
beschränkt. ... Die Deutschen und die Japaner wollen uns offenbar sehr in Richtung
Golf und Indien drängen. Wir haben die Diskussion über diese Frage abgelehnt, weil wir
solche Ratschläge seitens Deutschlands für unangemessen halten.» Am 25. November
zog die sowjetische Führung sogar einen Strich darunter: Sie stellte Berlin
Bedingungen, die für die Nazis inakzeptabel waren, einschließlich des Abzugs der
deutschen Truppen aus Finnland, des Vertrages über gegenseitige Hilfe zwischen der
UdSSR und Bulgarien, und eine Reihe anderer. Damit schloss sie bewusst jede
Möglichkeit für sich aus, dem Pakt beizutreten. Diese Position der sowjetischen
Führung stärkte den Führer endgültig in seiner Absicht, einen Krieg gegen die UdSSR
zu entfesseln. Und bereits im Dezember schob Hitler alle Warnungen seiner Strategen
vor der katastrophalen Gefahr eines Zweifrontenkrieges beiseite und genehmigte den
Plan «Barbarossa». Er tat dies mit dem Wissen, dass gerade die Sowjetunion die
Hauptstärke war, die ihm in Europa gegenüberstand, und dass der bevorstehende Krieg
im Osten den Ausgang des Weltkriegs bestimmen würde. Er war sich darin sicher, dass
der Feldzug nach Moskau kurz und erfolgreich sein würde. Ich möchte besonders betonen, dass die westlichen Länder damals den sowjetischen Handlungen faktisch zustimmten und das Bestreben der Sowjetunion, ihre Sicherheit zu gewährleisten, anerkannten.
Bereits am 1. Oktober 1939 sagte Winston Churchill, damals noch der Erste Lord der britischen Admiralität, im Rundfunk Folgendes:
«Russland betreibt eine kalte Politik der eigenen Interessen. ... Für den Schutz
Russlands vor nazistischer Gefahr war es unabdingbar, dass die russischen Armeen an
dieser Linie [der neuen westlichen Grenze] stehen.» Am 4. Oktober 1939 sagte der
britische Außenminister Earl Halifax im House of Lords, man müsse daran erinnern,
dass das Vorgehen der sowjetischen Regierung darin bestanden habe, die Grenze im
Grunde genommen bis zu der Linie zu verschieben, die während der Versailler
Konferenz von Lord Curzon empfohlen worden sei. «Ich führe nur historische Fakten an
und glaube, dass diese unbestreitbar sind», so Halifax. Der bekannte britische Politiker
und Staatsmann David Lloyd George betonte: «Die russischen Armeen besetzten
Territorien, die nicht zu Polen gehören und die Polen nach dem Ersten Weltkrieg
gewaltsam besetzt hatte. ... Es wäre ein Akt von verbrecherischem Wahnsinn, das
russische Vorrücken auf die gleiche Stufe mit dem Vorrücken der Deutschen zu
setzen.»
Bei informellen Gesprächen mit dem bevollmächtigten Vertreter der Sowjetunion Majskij
redeten hochrangige englische Politiker und Diplomaten offener. Im Oktober 1939 teilte
der damalige britische Vize-Außenminister R. Butler mit, dass in englischen
Regierungskreisen die Meinung vertreten werde, dass von der Rückgabe der West-
Ukraine und Weißrusslands an Polen keine Rede sein könne. Wenn es gelungen wäre,
ein ethnographisches Polen von bescheidener Größe, mit einer Garantie nicht nur der
UdSSR und Deutschlands, sondern auch Englands und Frankreichs zu gründen, würde
die britische Regierung sich als sehr zufriedengestellt betrachten, so der Diplomat. Am
27. Oktober 1939 sagte einer der wichtigsten Berater Chamberlains, H. Wilson: «Polen
ist ... als eigenständiger Staat auf seiner ethnographischen Basis wiederherzustellen,
jedoch ohne die West-Ukraine und Weißrussland.»
Erwähnenswert ist, dass während dieses Gesprächs ein Versuchsballon für die
Verbesserung der sowjetisch-britischen Beziehungen lanciert wurde. Diese Kontakte
legten in vielerlei Hinsicht den Grundstein für die künftige Anti-Hitler-Koalition. Unter
den verantwortlichen weitsichtigen Politikern zeichnete sich W. Churchill aus, der trotz
der bekannten Antipathie gegenüber der UdSSR auch früher für eine Zusammenarbeit
mit ihr plädiert hatte. Noch im Mai 1939 sagte er im House of Commons: «Wir werden in
eine tödliche Gefahr geraten, wenn wir kein großes Bündnis gegen die Aggression
werden aufbauen können. Es wäre die größte Dummheit, wenn wir die natürliche
Zusammenarbeit mit Sowjetrussland ablehnen würden.» Und schon nach Beginn der
Kampfhandlungen in Europa – bei dem Treffen mit I. Majskij am 6. Oktober 1939 –
sagte er vertraulich: «Zwischen Großbritannien und der UdSSR gibt es keine großen
Widersprüche, und daher gibt es keinen Grund für angespannte und unbefriedigende
Beziehungen. Die britische Regierung ... möchte die Handelsbeziehungen ausbauen.
... Sie würde auch bereit sein, alle anderen Maßnahmen zu diskutieren, die zur
Verbesserung der Beziehungen beitragen könnten.»Der Zweite Weltkrieg brach nicht von heute auf morgen aus, er begann nicht unerwartet, nicht plötzlich. Und die deutsche Aggression gegen Polen war auch nicht unerwartet. Es ist das Ergebnis vieler Tendenzen und Faktoren in der Weltpolitik jener Zeit. Alle Vorkriegsereignisse reihten sich in eine schicksalshafte Kette ein. Aber das Wichtigste, was die größte Tragödie in der Geschichte der Menschheit vorbestimmte, war natürlich der staatliche Egoismus, die Feigheit, die Nachsicht gegenüber einem Aggressor, der an Stärke gewann, und die Nichtbereitschaft der politischen Eliten, einen Kompromiss zu suchen.
Daher ist es ungerecht zu behaupten, dass der zweitägige Besuch des Nazi-
Außenministers Ribbentrop in Moskau der zentrale Grund sei, der zum Zweiten Weltkrieg geführt habe. Alle führenden Länder haben seinen Ausbruch in dem einen
oder anderen Maße zu verantworten. Jedes von ihnen hat nicht wiedergutzumachende
Fehler in der selbstgefälligen Zuversicht begangen, dass man andere überlisten,
einseitige Vorteile für sich gewinnen und dem heranrückenden globalen Unheil
ausweichen kann. Für diese Kurzsichtigkeit, für den Verzicht auf die Schaffung eines
Systems der kollektiven Sicherheit mussten Millionen Menschen mit ihrem Leben und
riesigen Verlusten zahlen.
Ich schreibe das ohne die geringste Absicht, die Rolle eines Richters zu übernehmen,
jemanden zu beschuldigen oder zu rechtfertigen oder gar eine neue Runde der
internationalen Informationskonfrontation im historischen Bereich loszutreten, die
Staaten und Völker gegeneinander aufbringen kann. Ich bin der Meinung, dass die
Suche nach ausgewogenen Bewertungen vergangener Ereignisse der akademischen
Wissenschaft mit einer breiten Vertretung namhafter Forscher überlassen werden sollte.
Wir alle brauchen Wahrheit und Objektivität. Ich persönlich habe meine Kollegen immer
zu einem ruhigen, offenen und vertrauensvollen Dialog aufgefordert, zu einem
selbstkritischen und unvoreingenommenen Blick auf die gemeinsame Vergangenheit.
Ein solcher Ansatz wird es uns ermöglichen, die damals begangenen Fehler nicht mehr
zu wiederholen und eine friedliche und erfolgreiche Entwicklung für die kommenden
vielen Jahre sicherzustellen.
Viele unserer Partner sind jedoch noch nicht bereit, zusammenzuarbeiten. Im
Gegenteil, um ihre Ziele zu erreichen, erhöhen sie die Anzahl und das Ausmaß der
Informationsangriffe gegen unser Land, wollen es dazu bringen, dass es sich
rechtfertigt und schuldig fühlt; sie verabschieden durch und durch scheinheilige
politisierte Resolutionen. So wurde in der am 19. September 2019 vom Europäischen
Parlament gebilligten Entschließung zur «Erhaltung des historischen Gedächtnisses für
die Zukunft Europas» die UdSSR zusammen mit Nazideutschland direkt beschuldigt,
den Zweiten Weltkrieg entfesselt zu haben. Es fehlte natürlich jegliche Erwähnung des
Abkommens von München.
Ich glaube, dass derartige «Papiere» – ich kann diese Resolution nicht als Dokument
bezeichnen – offenbar Skandale bezwecken und reale Gefahren in sich bergen.
Immerhin wurde die Resolution von einem sehr angesehenen Organ verabschiedet.
Und was hat dieses damit demonstriert? So traurig es auch klingen mag: eine bewusste
Politik der Zerstörung der Nachkriegsweltordnung, deren Schaffung eine Frage derEhre und Verantwortung für die Länder war, von denen einige Vertreter heute für diese
verlogene Resolution gestimmt haben. Und damit erheben sie die Hand gegen die
Beschlüsse des Nürnberger Tribunals und die Bemühungen der Weltgemeinschaft,
welche nach dem Sieg von 1945 universelle internationale Institutionen schuf. Ich
erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass selbst der Prozess der europäischen
Integration, bei dem die entsprechenden Strukturen einschließlich des Europäischen
Parlaments geschaffen wurden, nur dank den Lehren aus der Vergangenheit, ihrer
klaren rechtlichen und politischen Einschätzung möglich wurde. Und diejenigen, die
diesen Konsens bewusst in Frage stellen, zerstören die Grundlagen des
Nachkriegseuropas.
Neben der Bedrohung für die Grundprinzipien der Weltordnung gibt es auch eine
moralische Seite. Spott und Hohn gegenüber dem Gedenken – das ist eine Gemeinheit.
Eine Gemeinheit kann absichtlich, scheinheilig und völlig bewusst sein, wenn in den
Erklärungen zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs alle Mitglieder der
Anti-Hitler-Koalition aufgelistet werden – außer der UdSSR. Eine Gemeinheit kann feige
sein, wenn Denkmäler abgerissen werden, die zu Ehren der Kämpfer gegen den
Nationalsozialismus errichtet wurden, während dieses beschämende Verhalten mit
verlogenen Kampfparolen gegen eine unliebsame Ideologie und eine angebliche
Besetzung gerechtfertigt wird. Eine Gemeinheit kann auch blutig sein, wenn diejenigen,
die sich gegen Neonazis und die Nachfahren von Bandera einsetzen, getötet und
verbrannt werden. Ich wiederhole: Eine Gemeinheit manifestiert sich auf verschiedene
Weise, deswegen hört sie aber nicht auf, ekelhaft zu sein.
Das Vergessen der Lehren aus der Geschichte wird unweigerlich hart bestraft. Wir
werden die Wahrheit auf der Grundlage dokumentierter historischer Fakten
entschlossen verteidigen und auch weiterhin ehrlich und unparteiisch über die
Ereignisse des Zweiten Weltkriegs sprechen. Diesem Ziel soll auch ein russisches
Großprojekt zur Schaffung der größten Sammlung von Archivdokumenten, Film- und
Fotomaterialien über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Vorkriegszeit
dienen.
Diese Arbeit ist bereits im Gange. Bei der Vorbereitung dieses Artikels habe ich auch
viele neue, kürzlich gefundene und freigegebene Materialien verwendet. Und aus
diesem Grund kann ich mit voller Verantwortung sagen, dass es keine
Archivdokumente gibt, welche die Version über die Absicht der UdSSR bestätigen
würden, einen Präventivkrieg gegen Deutschland zu entfesseln. Ja, die sowjetische
Militärführung hielt sich an die Doktrin, dass die Rote Armee im Falle einer Aggression
den Feind schnell abwehren, in die Offensive gehen und den Krieg auf feindlichem
Gebiet weiterführen soll. Solche strategischen Pläne bedeuteten jedoch keineswegs die
Absicht, Deutschland zuerst anzugreifen.
Natürlich verfügen die Historiker heute über Dokumente der Militärplanung, die
Richtlinien sowjetischer und deutscher Militärstäbe. Schließlich wissen wir, wie sich die
Ereignisse in der Tat entwickelt haben. Von der Höhe dieses Wissens aus sprechen
viele über das Vorgehen, die Fehler und Fehleinschätzungen der militärpolitischen
Führung des Landes. In diesem Zusammenhang möchte ich eines sagen: Neben einerRiesenflut an Desinformationen verschiedener Art erhielten die sowjetischen
Spitzenpolitiker auch wahrhaftige Informationen über die bevorstehende Aggression der
Nazis. In den Vorkriegsmonaten unternahmen sie also Schritte, um die
Kampfbereitschaft des Landes zu erhöhen, darunter auch die heimliche Einberufung
eines Teils der Wehrpflichtigen zu Übungen und die Verlegung von Formationen und
Reserven näher an die Westgrenze.
Der Krieg kam nicht plötzlich: Man erwartete ihn und bereitete sich darauf vor. Aber der
Schlag der Nazis hatte in der Tat eine noch nie gesehene zerstörerische Kraft. Am 22.
Juni 1941 war die Sowjetunion mit der mächtigsten, am stärksten mobilisierten und
ausgebildeten Armee der Welt konfrontiert, der das industrielle, wirtschaftliche und
militärische Potenzial von ganz Europa zur Verfügung stand. An dieser tödlichen
Invasion nahmen nicht nur die Wehrmacht, sondern auch die Satellitenstaaten
Deutschlands, die Militärkontingente vieler anderer Länder des europäischen
Kontinents teil.
Die schwersten militärischen Niederlagen von 1941 brachten das Land an den Rand
einer Katastrophe. Die Kampfbereitschaft und die Kontrolle mussten durch
außergewöhnliche Methoden wiederhergestellt werden, durch die allgemeine
Mobilisierung und durch die Anstrengung aller Kräfte des Staates und des Volkes.
Bereits im Sommer 1941 begann unter dem Beschuss des Feindes die Evakuierung
von Millionen von Bürgern, Hunderten von Fabriken und Industrien in den Osten des
Landes. In kürzester Zeit wurde im Hinterland die Produktion von Waffen und Munition
in die Wege geleitet; diese trafen bereits im ersten Kriegswinter an der Front ein, und
bis zum Jahr 1943 wurde die Kriegsproduktion Deutschlands und seiner Verbündeten
überholt. Innerhalb von eineinhalb Jahren vollbrachten die sowjetischen Menschen
etwas, was als unmöglich erschien, sowohl an der Front wie auch in der Etappe. Und es
ist immer noch schwer zu erkennen, zu verstehen und sich vorzustellen, welche
unglaublichen Anstrengungen, Mut und Hingabe diese großen Erfolge erforderten.
Gegen die mächtige, bis an die Zähne bewaffnete, kaltblütige und aggressive Nazi-
Maschinerie erhob sich die gigantische Kraft der sowjetischen Gesellschaft, vereint
durch den Wunsch, ihr Heimatland zu schützen, sich am Feind zu rächen, der das
friedliche Leben, Pläne und Hoffnungen zerbrach und zerschmetterte.
Natürlich überkamen manche Menschen während dieses schrecklichen, blutigen
Krieges Angst, Verwirrung und Verzweiflung. Es gab Verrat und Fahnenflucht. Die
brutalen Risse, die durch die Revolution und den Bürgerkrieg entstanden waren, sowie
der Nihilismus, die spöttische Haltung gegenüber der nationalen Geschichte, den
Traditionen und dem Glauben – all dies, was die Bolschewiki durchzusetzen versuchten
– machte sich besonders in den ersten Jahren nach ihrer Machtübernahme bemerkbar.
Aber die allgemeine Haltung der sowjetischen Bürger und unserer Landsleute, die sich
im Ausland befanden, war anders – es ging ihnen um die Rettung und Bewahrung ihrer
Heimat. Es war ein echter, unaufhaltsamer Impuls. Die Menschen versuchten, in
wahren patriotischen Werten ihre Stütze zu finden.Die «Strategen» der Nazis waren überzeugt, dass ein riesiger multinationaler Staat leicht zerschlagen werden könnte. Man rechnete damit, dass der unerwartete Krieg, seine Unbarmherzigkeit und die dadurch entstandene unerträgliche Last die interethnischen Beziehungen zwangsläufig zuspitzen würden, und dass man auf diese Weise das Land werde leicht zerstückeln können. Hitler erklärte auch unverblümt, dass die deutsche Politik gegenüber den Völkern, die in den Weiten Russlands lebten, darin bestehen sollte, dort jede Form von Zwietracht und Spaltung zu säen.
Aber vom ersten Tag an wurde klar, dass der Plan der Nazis gescheitert war. Die
Festung Brest wurde von Soldaten von mehr als dreißig Ethnien bis zum letzten
Blutstropfen verteidigt. Im Laufe des gesamten Krieges – sowohl in großen
entscheidenden Schlachten als auch bei der Verteidigung jedes Brückenkopfes, jedes
Meters des Heimatlandes – sehen wir Beispiele für diese Einheit.
Für Millionen von Evakuierten wurden die Wolga-Region und der Ural, Sibirien und
Fernost, die Republiken Zentralasiens und des Kaukasus zu ihrer Heimat. Ihre
Bewohner teilten sich alles, was sie noch hatten, und unterstützten sich gegenseitig wie
sie nur konnten. Die Freundschaft der Völker und deren gegenseitige Unterstützung
wurde für den Feind zu einer echten unzerstörbaren Festung.
Den grundlegenden und entscheidenden Beitrag zur Zerschlagung des
Nationalsozialismus leisteten die Sowjetunion und die Rote Armee – egal was man zu
beweisen versucht. Die Helden, die bis zum Ende kämpften, eingekesselt bei Bialystok
und Mogilev, Uman und Kiew, Wjasma und Charkow. Sie gingen in die Offensive in der
Nähe von Moskau und Stalingrad, Sewastopol und Odessa, Kursk und Smolensk. Sie
befreiten Warschau, Belgrad, Wien und Prag. Sie stürmten Königsberg und Berlin.
Wir setzen uns für die wirkliche, nicht geglättete oder lackierte Wahrheit über den Krieg
ein. Diese volkstümliche, menschliche Wahrheit – hart, bitter und gnadenlos – wurde
uns größtenteils von Schriftstellern und Dichtern vermittelt, die durch das Feuer und die
Hölle der Front gingen. Für mich, wie auch für andere Generationen, hinterließen ihre
ehrlichen und tiefen Geschichten, ihre Romane, ihre durchdringende «Leutnant-Prosa»
und die Gedichte für immer eine Spur in der Seele, sie wurden zu einem Testament,
das uns sagte, die Veteranen zu ehren, die für den Sieg alles in ihrer Macht stehende
getan haben, und uns an diejenigen erinnern, die auf den Schlachtfeldern gefallen sind.
Und heute sind die einfachen und großartigen Zeilen von Alexander Twardowskis
Gedicht «Ich wurde bei Rschew getötet ...» – einem Gedicht, das den Teilnehmern der
blutigen und brutalen Schlacht des Großen Vaterländischen Krieges im zentralen Teil
der sowjetisch-deutschen Front gewidmet ist – einfach erschütternd. Allein bei den
Kämpfen um die Stadt Rschew und den Frontvorsprung von Rschew vom Oktober 1941
bis März 1943 verlor die Rote Armee einschließlich der Verwundeten und Vermissten
1.342.888 Menschen. Ich nenne diese beängstigenden, tragischen, noch
unvollständigen und aus Archivquellen stammenden Zahlen zum ersten Mal, als
Hommage an die Leistung der bekannten sowie der namenlosen Helden, von denen in
den Nachkriegsjahren aus verschiedenen Gründen ungerecht, wenig oder gar nicht
gesprochen wurde.
Ich möchte ein weiteres Dokument vorbringen. Es ist der Bericht der Internationalen
Kommission für deutsche Reparationen unter der Leitung von I. Maysky, der im Februar
1945 erstellt wurde. Aufgabe der Kommission war es, die Formel festzulegen, gemäß
der das besiegte Deutschland die erlittenen Schäden der Siegermächte kompensieren
sollte. Die Kommission kam zu folgendem Schluss: «Die Zahl der Soldatentage, die
Deutschland an der sowjetischen Kriegsfront verbracht hat, übersteigt die Zahl der
Soldatentage an allen anderen alliierten Fronten um mindestens das Zehnfache. Die
sowjetische Front vernichtete auch vier Fünftel der deutschen Panzer und etwa zwei
Drittel der deutschen Flugzeuge.» Insgesamt entfielen auf die UdSSR rund 75 Prozent
aller militärischen Bemühungen der Anti-Hitler-Koalition. Zur Kriegszeit hatte die Rote
Armee 626 Divisionen der Achsenmächte ‚aufgerieben‘, davon waren 508 deutsche.
Am 28. April 1942 erklärte Roosevelt in seiner Ansprache an die amerikanische Nation,
dass die russischen Truppen mehr Soldaten, Flugzeuge, Panzer und Kanonen des
gemeinsamen Feinds vernichtet hätten und weiter vernichten würden, als alle übrigen
alliierten Nationen zusammengenommen. In seinem Schreiben vom 27. September
1944 an Stalin schrieb Churchill, dass es die russische Armee gewesen sei, die das
Eingeweide der deutschen Militärmaschinerie herausgeschnitten habe.
Diese Einschätzung hatte weltweit Anklang gefunden. Denn diese Worte enthalten eben
jene große Wahrheit, die damals niemand in Frage stellte. Fast 27 Millionen
Sowjetbürger starben an den Fronten in deutscher Gefangenschaft, an Hunger oder
unter Bombenangriffen in den Ghettos und Öfen der Todeslager der Nazis. Die UdSSR
verlor jeden siebten Bürger, Großbritannien jeden 127. und die USA jeden 320. Leider
ist diese Zahl der schwersten, nicht wiedergutzumachenden Verluste der Sowjetunion
nicht schlüssig. Es ist notwendig, die sorgfältige Arbeit fortzusetzen, um die Namen und
das Schicksal aller Toten wiederherzustellen: Soldaten der Roten Armee, Partisanen,
Untergrundarbeiter, Kriegsgefangene und Gefangene in Konzentrationslagern, von
Strafbrigaden getötete Zivilisten. Es ist unsere Pflicht. Und hier kommt den Teilnehmern
von Suchbewegungen, militärpatriotischen und freiwilligen Vereinigungen eine
besondere Rolle zu. Und natürlich ist eine enge internationale Zusammenarbeit
erforderlich, um dieses allgemeinhumanitäre Problem zu lösen.
Den Sieg brachten die Bemühungen aller Länder und Völker, die mit einem
gemeinsamen Feind kämpften. Die britische Armee verteidigte ihre Heimat vor einer
Invasion, kämpfte gegen die Nazis und deren Satellitenstaaten im Mittelmeer und in
Nordafrika. Amerikanische und britische Truppen befreiten Italien und eröffneten die
Zweite Front. Die Vereinigten Staaten versetzten dem Angreifer im Pazifik vernichtende
Schläge. Wir erinnern uns an die kolossalen Opfer des chinesischen Volkes und ihre
enorme Rolle bei der Zerschlagung der japanischen Militaristen. Vergessen wir nicht die
Kämpfer von «La France libre», die die beschämende Kapitulation nicht anerkannten
und den Kampf gegen die Nazis fortsetzten.
Wir werden auch für die Hilfe stets dankbar sein, die die Alliierten der Roten Armee mit
Munition, Rohstoffen, Verpflegung, Technik leisteten. Und das war eine beträchtliche
Unterstützung, die ca. sieben Prozent der gesamten Kriegsproduktion der Sowjetunion
ausmachte.Der Kern der Anti-Hitler-Koalition nahm unmittelbar nach dem Angriff auf die
Sowjetunion Gestalt an, als die Vereinigten Staaten und Großbritannien das Land im
Kampf gegen Nazideutschland bedingungslos unterstützten. Während der Teheraner
Konferenz von 1943 bildeten Stalin, Roosevelt und Churchill ein Bündnis von
Großmächten, einigten sich auf die Entwicklung der Koalitionsdiplomatie und einer
gemeinsamen Strategie im Kampf gegen die gemeinsame tödliche Bedrohung. Die
Führer der Großen Troika hatten ein klares Verständnis davon, dass die Kombination
der industriellen, ressourcenbezogenen und militärischen Potenziale der UdSSR, der
USA und Großbritanniens ihnen eine unbestreitbare Überlegenheit gegenüber dem
Feind verschaffen würde.
Die Sowjetunion kam ihren Verpflichtungen gegenüber den Alliierten vollumfänglich
nach und half stets mit. So unterstützte die Rote Armee mit ihrer Großoperation
«Bagration» in Weißrussland die Landung angloamerikanischer Truppen in der
Normandie. Im Januar 1945, als unsere Soldaten bis zur Oder durchbrachen, setzten
sie der letzten mächtigen Offensive der Wehrmacht an der Westfront in den Ardennen
ein Ende. Und drei Monate nach dem Sieg über Deutschland erklärte die UdSSR Japan
den Krieg in voller Übereinstimmung mit den Abkommen von Jalta und besiegte die
millionenstarke Kwantung-Armee.
Bereits im Juli 1941 erklärte die sowjetische Führung: «Der Zweck des Krieges gegen
die faschistischen Unterdrücker ist nicht nur die Beseitigung der Bedrohung unseres
Landes, sondern auch die Unterstützung aller Völker Europas, die unter dem Joch des
deutschen Faschismus stöhnen.» Mitte 1944 wurde der Feind von nahezu dem
gesamten sowjetischen Territorium vertrieben. Aber er musste in seiner eigenen Höhle
erledigt werden. Und die Rote Armee begann eine Befreiungsmission in Europa, rettete
ganze Nationen vor Zerstörung und Versklavung, vor dem Schrecken des Holocaust.
Gerettet mit dem Preis von Hunderttausenden von Leben sowjetischer Soldaten.
Es ist auch wichtig, die enorme materielle Unterstützung nicht zu vergessen, die die
UdSSR den befreiten Ländern bei der Beseitigung der Hungergefahr, bei der
Wiederherstellung der Wirtschaft und der Infrastruktur geleistet hat. Sie tat dies zu einer Zeit, als tausende Kilometer von Brest nach Moskau und bis zur Wolga mit Asche
bedeckt waren. So bat beispielsweise die österreichische Regierung im Mai 1945 die
UdSSR um Unterstützung bei der Nahrungsmittelversorgung, da sie «nicht wusste, wie
sie ihre Bevölkerung in den nächsten sieben Wochen bis zur neuen Ernte ernähren
sollte». Die Zustimmung der sowjetischen Führung, Lebensmittel an Österreich zu
schicken, bezeichnete der Staatskanzler der Provisorischen Staatsregierung der
Österreichischen Republik, K. Renner, als «ein Rettungsakt», den «die Österreicher
niemals vergessen werden».
Die Alliierten gründeten gemeinsam das Internationale Militärgericht, das Kriegs- und
politische Verbrecher Nazideutschlands bestrafen sollte. Seine Entscheidungen geben
eine klare rechtliche Einschätzung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie
Völkermord, ethnische und religiöse Säuberungen, Antisemitismus und
Fremdenfeindlichkeit. Das Nürnberger Tribunal verurteilte direkt und eindeutig Nazi-
Komplizen, Kollaborateure verschiedener Schattierungen.Dieses beschämende Phänomen gab es in allen europäischen Ländern. Solche Figuren wie Pétain, Quisling, Wlasow, Bandera sowie ihre Handlanger und Anhänger sind Verräter und Henker, obwohl sie sich als Kämpfer für nationale Unabhängigkeit oder Freiheit vom Kommunismus verkleideten. In der Unmenschlichkeit übertrafen sie oft ihre Meister. In dem Versuch, sich die Gunst ihrer Anführer zu sichern, führten sie als Teil spezieller Strafgruppen die unmenschlichsten Aufgaben bereitwillig aus. Sie haben die Hinrichtung in Babi Yar, das Massaker von Wolhynien, das verbrannte Chatyn und die Vernichtung von Juden in Litauen und Lettland auf dem Gewissen.
Und heute bleibt unsere Position unverändert: Es kann für die kriminellen Taten von
Nazi-Komplizen keine Rechtfertigung geben, diese haben keine Verjährungsfrist. Daher
ist es verblüffend, wenn in einer Reihe von Ländern diejenigen, die sich durch die
Zusammenarbeit mit den Nazis befleckt haben, plötzlich mit den Veteranen des Zweiten
Weltkriegs gleichgesetzt werden. Ich halte es für unzulässig, Befreier und Besatzer
gleichzusetzen. Und die Heroisierung der Nazi-Komplizen kann nur als Verrat am
Gedenken an unsere Väter und Großväter angesehen werden. Der Verrat an jenen
Idealen, die die Völker im Kampf gegen den Nationalsozialismus vereinten.
Damals standen die Führer der UdSSR, der USA und Großbritanniens vor einer
historischen Aufgabe. Stalin, Roosevelt und Churchill vertraten Länder mit
unterschiedlichen Ideologien, Bestrebungen, Interessen und Kulturen, zeigten jedoch
großen politischen Willen, erhoben sich über die Widersprüche und Vorurteile und
stellten die wahren Interessen der Welt in den Vordergrund. Infolgedessen konnten sie
eine Einigung erzielen und eine Lösung finden, von der die gesamte Menschheit
profitierte.
Die Siegermächte haben uns ein System hinterlassen, das zum Inbegriff der
intellektuellen und politischen Suche mehrerer Jahrhunderte geworden ist. Eine Reihe
von Konferenzen – die Konferenzen von Teheran, Jalta, San Francisco, Potsdam –
legte den Grundstein dafür, dass die Welt trotz der akutesten Widersprüche seit 75
Jahren ohne globalen Krieg lebt.
Der historische Revisionismus, dessen Erscheinungen wir heute im Westen
beobachten, und der vor allem das Thema des Zweiten Weltkrieges und dessen
Ergebnisse betrifft, ist deshalb gefährlich, weil dadurch das Verständnis von den
Grundsätzen einer friedlichen Entwicklung grob und zynisch verzerrt wird, die 1945 mit
den Konferenzen von Jalta und San Francisco gestiftet wurden. Die wichtigste
historische Errungenschaft von Jalta und weiteren Beschlüssen aus jener Zeit liegt in
der Einigung auf einen Mechanismus, der es den führenden Mächten ermöglichen
könnte, bei allen zwischen ihnen auftretenden Meinungsverschiedenheiten doch im
durch die Diplomatie vorgegebenen Rahmen zu bleiben.
Das 20. Jahrhundert brachte totale und allumfassende globale Konflikte mit sich, und
1945 kamen auch Atomwaffen ins Spiel, die die Erde physisch zerstören können. Mit
anderen Worten ist die gewaltsame Beilegung von Streitigkeiten äußerst gefährlich
geworden. Und die Sieger des Zweiten Weltkriegs haben das begriffen. Sie verstanden
und erkannten ihre eigene Verantwortung gegenüber der Menschheit.Die traurige Erfahrung des Völkerbundes wurde im Jahr 1945 berücksichtigt. Die Struktur des UN-Sicherheitsrates wurde so gestaltet, um die Friedensgarantien möglichst konkret und effektiv zu machen. So entstand das Institut der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und damit das Veto als ihr Privileg und ihre Verantwortung.
Was ist das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat? Um es ganz klar auszudrücken, das ist die
einzig vernünftige Alternative zu einem direkten Zusammenstoß der größten Länder.
Das ist eine Erklärung einer der fünf Großmächte, dass die eine oder die Lösung für sie
nicht akzeptabel ist, dass sie ihren Interessen und Vorstellungen über die richtige
Vorgehensweise widerspricht. Und andere Länder, auch wenn sie damit nicht
einverstanden sind, fassen diese Position als selbstverständlich auf und geben die
Versuche auf, ihre einseitigen Bestrebungen zu verwirklichen. Das heißt, auf die eine
oder andere Weise, aber es müssen Kompromisse gesucht werden.
Eine neue globale Konfrontation begann fast unmittelbar nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs und war zeitweise sehr heftig. Und die Tatsache, dass sich der Kalte Krieg
nicht zum Dritten Weltkrieg auswuchs, bestätigte die Wirksamkeit der von der Großen
Troika geschlossenen Abkommen. Die bei der Gründung der Vereinten Nationen
vereinbarten Verhaltensregeln machten es möglich, die Risiken weiter zu minimieren
und die Konfrontation unter Kontrolle zu halten.
Natürlich sehen wir, dass das UN-System mit Spannung arbeitet und nicht mehr so
effizient wie es das könnte. Die UNO erfüllt jedoch weiterhin ihre Kernfunktion. Die
Prinzipien des UN-Sicherheitsrates sind ein einzigartiger Mechanismus zur
Verhinderung eines großen Krieges oder eines globalen Konflikts.
Die Aufrufe, die in den letzten Jahren häufig zu hören sind, das Veto aufzuheben und
den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates besondere Möglichkeiten zu entziehen,
sind in Wirklichkeit unverantwortlich. Wenn dies geschehen würde, würden sich die
Vereinten Nationen im Wesentlichen in ebenjenen Völkerbund verwandeln – ein Treffen
für leere Gespräche, ohne Einflusshebel für die Weltprozesse. Wie das alles endete, ist
ja bekannt. Deshalb machten sich die siegreichen Mächte mit äußerster Ernsthaftigkeit
an die Bildung eines neuen Weltordnungssystems, um die Fehler ihrer Vorgänger nicht
zu wiederholen.
Die Schaffung eines modernen Systems internationaler Beziehungen ist eines der
wichtigsten Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs. Selbst die unvereinbarsten
Widersprüche – geopolitische, ideologische, wirtschaftliche – beeinträchtigen nicht die
Suche nach Formen von friedlichem Zusammenleben und friedlicher Interaktion, wenn
es den Wunsch und den Willen dafür gibt. Heute erlebt die Welt nicht die friedlichsten
Zeiten. Alles ändert sich: vom globalen Gleichgewicht zwischen Macht und Einfluss bis
zu den sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Grundlagen des Lebens von
Gesellschaften, Staaten und ganzen Kontinenten. In den vergangenen Epochen gingen
Verschiebungen dieser Größenordnung fast nie ohne große militärische Konflikte und
ohne Machtkampf um den Aufbau einer neuen globalen Hierarchie vonstatten. Dank der
Weisheit und Weitsicht der politischen Führer der alliierten Mächte konnte ein System geschaffen werden, das extreme Manifestationen dieser Rivalität verhindert, welche
historisch der globalen Entwicklung innewohnt.
Unsere Pflicht – also die Pflicht derjenigen, die die politische Verantwortung
übernehmen, insbesondere der Vertreter der Siegermächte im Zweiten Weltkrieg – ist
es, sicherzustellen, dass dieses System erhalten bleibt und verbessert wird. Heute wie
im Jahr 1945 ist es wichtig, politischen Willen zu zeigen und gemeinsam über die
Zukunft zu diskutieren. Unsere Kollegen – die Herren Xi Jinping, Macron, Trump,
Johnson – unterstützten die russische Initiative, ein Treffen der Führer der fünf
Atommächte – der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates – abzuhalten. Wir danken
ihnen dafür und erwarten, dass ein solches persönliches Treffen zum frühestmöglichen
Zeitpunkt stattfinden kann.
Was könnte aus unserer Sicht auf der Agenda des anstehenden Gipfels stehen? Vor
allem ist es nach unserer Meinung sinnvoll, über Maßnahmen zu sprechen, mit denen
das Kollektive in den internationalen Angelegenheiten gestärkt werden kann, sich offen
über den Friedenserhalt auszutauschen, über die Verbesserung der globalen und
regionalen Sicherheit, die strategische Rüstungskontrolle, das gemeinsamen Vorgehen
gegen den Terrorismus, Extremismus, weitere drängende Herausforderungen und
Bedrohungen.
Ein weiteres Thema, das auf der Tagesordnung des Treffens steht, ist die Situation in
der Weltwirtschaft, vor allem die Überwindung der durch die Coronavirus-Pandemie
verursachten Wirtschaftskrise. Unsere Länder ergreifen beispiellose Maßnahmen, um
die Gesundheit und das Leben der Menschen zu schützen und die Bürger zu
unterstützen, die sich in einer schwierigen Situation wiederfinden. Wie schwerwiegend
die Folgen der Pandemie sein werden, wie schnell die Weltwirtschaft aus der Rezession
herauskommt, hängt von unserer Fähigkeit ab, als echte Partner zusammenzuarbeiten.
Darüber hinaus ist es unzulässig, die Wirtschaft zu einem Instrument des Drucks und
der Konfrontation zu machen. Zu den aktuellsten Themen zählen der Umweltschutz und
der Kampf gegen den Klimawandel sowie die Gewährleistung der Sicherheit des
globalen Informationsraums.
Die von Russland vorgeschlagene Agenda des bevorstehenden «Fünfer-Gipfels» ist
sowohl für unsere Länder als auch für die ganze Welt äußerst wichtig und relevant. Und
zu jedem Anhaltspunkt haben wir konkrete Ideen und Initiativen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass der Gipfel mit der Teilnahme Russlands, Chinas,
Frankreichs, der Vereinigten Staaten und Großbritanniens eine wichtige Rolle bei der
Suche nach gemeinsamen Antworten auf moderne Herausforderungen und
Bedrohungen spielen und ein gemeinsames Engagement für den Geist des
Bündnisses, die hohen humanistischen Ideale und Werte demonstrieren wird, für die
unsere Väter und Großväter Schulter an Schulter gekämpft haben.
Auf der Grundlage unseres gemeinsamen historischen Gedächtnisses können und
müssen wir uns gegenseitig vertrauen. Dies wird als solide Grundlage für erfolgreiche
Verhandlungen und konzertierte Maßnahmen zur Stärkung der Stabilität und Sicherheit
auf dem Planeten sowie für den Wohlstand und das Wohlergehen aller Staaten dienen.Dies ist – ohne Übertreibung – unsere gemeinsame Pflicht und Verantwortung
gegenüber der ganzen Welt, gegenüber den gegenwärtigen und den zukünftigen
Generationen.
Wladimir Putin
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