Foto: H.S.
31.07.2020 - von Hanne Schweitzer (Übersetzung)
Während der COVID-19-Pandemie ist die Gewalt gegen ältere Menschen um das Zehnfache gestiegen. Sagt die Weltgesundheitsorganisation (WHO), und sie hat erstaunlich schnell auf die zunehmende Gewalt gegen alte Menschen reagiert und ein entsprechendes Infoblatt entwickelt. Anders als die Behördenvertreter in Celle, deren empathielose Reaktionen auf Gewaltvorwürfe gegen das Pflegepersonal sich darin erschöpften, auf eine noch zu schaffende Meldestelle zu verweisen, enthält das Infoblatt der WHO zumindest einige nützliche Hinweise. Immerhin adressiert es auch ältere Menschen und ihr Umfeld. Ausgespart bleiben allerdings die älteren Menschen in den Pflegeheimen. Auf ihre Corona-bedingten Verschlechterungen der Lebensbedingungen und Entmündigungen hat der Landeseniorenrat Thüringen Anfang Mai in einem Schreiben an Thüringens Sozialministerin Heike Werner (Linke) hingewiesen. siehe: Link H.S.
Infoblatt der WHO:
==============================================
COVID-19 UND GEWALT GEGEN ÄLTERE MENSCHEN
==============================================
Hoher Anstieg des Risikos von Gewalt gegen ältere Menschen
==========================================================
Gewalt gegen ältere Menschen meint körperliche, psychische und sexuelle Gewalt, finanziellen Missbrauch und Vernachlässigung - und jede einzelne dieser Arten von Gewalt kann verheerende Folgen für die physische und psychische Gesundheit älterer Menschen haben und sogar zum Tod führen.
Gewalt gegen ältere Menschen, die bereits die Hauptlast dieser Pandemie tragen, hat seit Beginn der COVID-19 Pandemie und der Verhängung von Sperrmaßnahmen stark zugenommen.¹
Gewalt findet zu Hause, in Institutionen wie Langzeitpflegeeinrichtungen und im Internet statt, wobei die Betrügereien gegen ältere Menschen stark zugenommen haben.
Abriegelungen und Anordnungen von "Hausarrest", die bei älteren Menschen wahrscheinlich länger dauern, verschärfen jene Faktoren, die ältere Menschen einem besonderen Gewaltrisiko² aussetzen, wie soziale Isolation und Einsamkeit, psychische Gesundheitsproblemen (Depressionen und Angstzuständen), finanzielle Abhängigkeit der Betreuer von den älteren Menschen, Abhängigkeit der älteren Menschen von den Betreuern, sowie Alkohol- und Drogenkonsum bei den Betreuern.
COVID-19 hat zu einem Personalabbau in Langzeitpflegeeinrichtungen aufgrund von Krankheit oder Selbstisolation und zur Aussetzung von Familienbesuchen geführt, was die Isolation der Bewohner und das ohnehin schon hohe Gewaltrisiko noch verstärkt hat.³
Altersdiskriminierung, d.h. Stereotypisierungen, Vorurteile und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Alters - schon vor der Pandemie weit verbreitet und ein Risikofaktor für Gewalt gegen ältere Menschen - hat sich während dieser Pandemie verschlimmert.4 Für Frauen, die sich bereits in Misshandlungssituationen befinden, verstärken sich geschlechtsspezifische Ungleichheiten und die längere Exposition gegenüber ihren Tätern, das erhöht das Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt gegen ältere Frauen.
WAS KANN GETAN WERDEN, UM DER GEWALT GEGEN ÄLTERE MENSCHEN WÄHREND DER COVID-19 MASSNAHMEN ENTGEGENZUTRETEN?
===================================================================================
REGIERUNGEN UND POLITISCHE ENTSCHEIDUNGSTRÄGER SOLLTEN:
◼ Kreativ auf das erhöhte Risiko von Gewalt gegen ältere Menschen in der Öffentlichkeit aufmerksam machen und über Radio, Fernsehen, Printmedien und das Internet Informationen darüber bereitstellen, wo Opfer sichere Hilfe suchen und Unterstützung erhalten können.
◼ Zusammenarbeiten mit wesentlichen Dienstleistern wie Lebensmittelgeschäften oder Apotheken, um Aufklärungs- und Informationsangebote zum Thema Gewalt, zu bestehenden Hilfsangebote und Meldemechanismen zu verbreiten.
◼ Anbieten nationaler Beratungstelefone zum Thema Gewalt gegen ältere Menschen oder, wo es sie nicht gibt, versuchen, Beratungstelefone zum Thema Gewalt gegen Frauen oder Kinder um das Angebot Gewalt gegen ältere Menschen erweitern.
◼ Wo die Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist, älteren Menschen im Falle von Gewalt erlauben, ihren Wohnort zu verlassen.
◼ Aufklärung von älteren Menschen und ihren Vertrauenspersonen über die wichtigsten Arten von Finanzbetrug, die verübt werden, und Informationen darüber geben, wie diese vermieden werden können und was zu tun ist, z.B. den Telefonhörer auflegen/ E-Mails löschen oder vor einer Antwort den Rat einer Vertrauensperson einholen.
◼ Zusammenarbeit unterschiedlicher Behörden, um gegen Gewalt gegen ältere Menschen vorzugehen, wie z.B. Strafjustiz, Gesundheits- und Sozialdienste, durch die Einrichtung virtueller multidisziplinärer Teams, die koordinierte, konsistente Unterstützung anbieten können.
◼ Erhöhung der Sensibilität von Angestellten und Freiwilligen, die mit COVID-19 zu tun haben, über das Thema Gewalt gegen ältere Menschen und Schulungen, um diese Gewalt zu erkennen und darauf zu reagieren.
GESUNDHEITSDIENSTLEISTER UND COVID-19-TESTEINRICHTUNGEN SOLLTEN:
◼ Informationen bereithalten über lokale Angebote (z.B. Beratungstelefone, Beratungsdienste, Erwachsenenschutzdienste) für die Opfer von Gewalt gegen ältere Menschen, einschließlich der Öffnungszeiten, der Kontaktdetails, ob sie aus der Ferne verfügbar sind, und Überweisungswege.
GESUNDHEITSDIENSTLEISTER UND SOZIALE DIENSTE SOLLTEN:
◼ Acht geben auf objektive Anzeichen von Misshandlung älterer Menschen.
Informationen, Unterstützung und, wenn möglich, Entlastungspflege für Betreuer zur Verfügung stellen, insbesondere für diejenigen, die ältere Menschen mit Demenz pflegen, einschließlich Informationen darüber, wie man mit Stress umgeht, um die Wahrscheinlichkeit von Gewalt zu verringern. Beispiele englischsprachig: Link
◼ Sie sollten sich der Risiken und gesundheitlichen Folgen von Gewalt gegen ältere Menschen bewusst sein und denjenigen, die Gewalt gegen ältere Menschen offenbaren, Unterstützung und medizinische Behandlung anbieten.
WOHN-UND PFLEGEEINRICHTUNGEN FÜR ÄLTERE MENSCHEN SOLLTEN:
◼ Von den zuständigen Behörden strenger überwacht werden; den Kontakt der Bewohner mit Familie und Freunden per Telefon, Internet oder über schriftliche Nachrichten erleichtern, wenn der Zugang eingeschränkt ist; die Verfahren zur Personalbesetzung (z.B. flexible Zeitpläne, Arbeitspausen) überprüfen, um die Pflegelast besser zu bewältigen; und versuchen, den Gebrauch von körperlichen Einschränkungen (Fixierungen usw.) zu verhindern.
◼ Anleitung und eine Checkliste zur Verfügung stellen, um Familienmitgliedern und älteren Erwachsenen bei der Entscheidung zu helfen, ob sie die Wohn- und Pflegeeinrichtungen verlassen wollen.
DIE BÜRGERINNEN SOLLTEN:
◼ In Kontakt bleiben mit Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn und die älteren Menschen ermutigen online oder per Telefon die soziale Isolation zu durchbrechen und denjenigen, die Gewalt ausgesetzt sind, verlässliche Unterstützung zu geben.
◼ Für ältere Menschen die Gewalterfahrungen machen müssen, könnte es hilfreich sein, sich an unterstützende Familienangehörige und Freunde zu wenden, Unterstützung von einem Beratungstelefon oder Notfalldiensten zu erhalten oder lokale Dienste für Gewaltopfer aufzusuchen.
¹ Sharp increase in the risk of violence against older people: Link
² Storey JE. Risk factors for elder abuse and neglect: A review of the literature. Aggression and Violent Behavior. 2020; 50: 1-13.
³ Trabucchi M, De Leo D. Nursing homes or besieged castles: COVID-19 in northern Italy. The Lancet Psychiatry. 2020;7(5):387-8.
4 Han SD, Mosqueda L. Elder abuse in the COVID-19 era. Journal of the American Geriatrics Society. 3 April 2020
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Pflege:
29.07.2020: Lockdown in Celler Pflegeheim: Sadistisches Pflegepersonal profitiert
20.07.2020: 24-Stunden-Betreuung in der häuslichen Pflege
01.07.2020: Mit nationaler Demenzstrategie soll im September begonnen werden
Alle Artikel zum Thema
Pflege
Zurück zur Suche nach Fischer