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Berlin: Liebig 34 soll nach 30 Jahren geräumt werden

Foto: H.S.

09.10.2020 - von H.S.

Verdi kritisiert Einschränkungen der Pressefreiheit. Jörg Reichel, Landeschef der Journalistengewerkschaft dju, kritisierte "massive Angriffe auf die Pressefreiheit" in Zusammenhang mit der Räumung. Ein Polizist soll etwa, wie ein Video dokumentiert, die Brille eines am Boden liegenden Journalisten absichtlich zertreten haben.
dju zur Räumung der Liebigstraße 34: Massive Einschränkungen der Pressefreiheit durch die Polizei. Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Räumung der Liebigstraße 34 in den vergangenen Tagen ist es zu massiven Behinderungen der Pressearbeit sowie körperlichen Angriffen der Polizei gegen Journalist/inn/en gekommen, teilt die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg mit.Link

#0910 13:05 Zwischenbilanz: Die Polizei feiert gerade mit Selfies im Hinterhof der #L34 und Bratwurst in der Friesenstr. die Räumung. Wir kritisieren die massiven Angriffe auf die Pressefreiheit: Journalistenkäfig, Schläge, Tritte, Schubsen, Beleidigen und Zerstören. 1:06 nachm. · 9. Okt. 2020

9.10.2020
Großkampftag für die laut Seehofer ja zu 99 Prozent auf dem Boden des Grundgesetzes stehende Polizei. Eigentlich sollten "nur" 2.500 Beamte die ca. 40 BewohnerInnnen des Hauses in Friedrichshain räumen. Das reicht dem Berliner Senat nicht. Wie der Tagesspiegel Anfang dieser Woche meldete, werden die 2.500 Beamten nun durch zusätzliche Beamte aus anderen Bundesländern verstärkt. Dazu gehören offiziell: 19 "normale" Hundertschaften, fünf Beweis- und Festnahmehundertschaften, mehrere Höhenrettungstrupps, vier Wasserwerfer. Selbstverständlich stehen weitere Spezialeinsatzkommandos nicht nur auf dem besagten Boden sondern auch zum Einsatz bereit. Und alle zusammen sollen den aufmüpfigen BürgerInnen mal zeigen, was ne`Harke ist. Von Scholz lernen, heißt: Noch einen draufsetzen. H.S.
Wie die Junge Welt am 7.10 meldete, wird zwecks Räumung des Mietshauses ein 18 Hektar großes und dicht besiedeltes Wohngebiet abgeriegelt (!). Schon ab Donnerstag ist für Passanten alles gesperrt, obwohl die Räumung erst ab Freitag erfolgen soll. Am Freitag bleiben fünf Kitas und eine Grundschule geschlossen. Demonstrationsverbot für den gesamten Bereich ist ergangen, ein Schilderwald verbietet das Parken oder verkündet Vollsperrungen.

Ta gX der Liebig34 & Aufruf zum Aktionswochenende in #Berlin vom 30.10. – 01.11.
“Die Liebig34 soll am 09.10 20 geräumt werden. Hierfür wollen die Cops eine “rote Zone” errichten. Das heisst, dass eine Zone rund um das Haus errichtet werden soll, in der ein generelles Aufenthaltverbot herrschen wird. Gegenproteste soll es überall geben. Die Liebig34 ruft zu dezentralen Aktionen auf. Es wird zwei angemeldete Kundgebungen angrenzend zur “roten Zone” geben. Sowohl am Bersarinplatz als auch am Forckenbeckplatz sind diese ab 3 Uhr morgens angemeldet. Zusätzliche Informationen können sich die ganze Zeit über am Infopoint in der Rigaerstr. 78 abgeholt werden. (Sollte die Rigaerstr. 78 aus Gründen nicht zugänglich sein, wandert der Infopoint ins Zielona Gora in der Grünbergerstr. 73). Auch einen “Out of Action”-Point wird es geben, in welchem Menschen zur Ruhe kommen können. Der genaue Ort wird entweder zeitnah veröffentlicht oder kann beim Infopoint erfragt werden. Am Abend des Tag X um 21 Uhr wird es, wie angekündigt, eine Demo geben. Die Demo wird dieses Mal angemeldet sein. Startpunkt ist der Monbijoupark…” Aufruf von Interkiezionale am 03.10.2020 bei indymedia und darin Infos und Links zum Internationalen Aktionswochenende (30.10. – 01.11.), siehe natürlich auch Liebig34 selbst.

Statement zur Verteidigung der Liebig34
von: Liebig34 am: 08.10.2020 - 11:17

In den vergangenen Jahren und vor allem Wochen wurden viele Sachen über die Liebig 34,das anarcha queer feministische Eckhaus an der Liebigstraße mit 30 Jahren Kollektivgeschichte, gesagt, berichtet, gemutmaßt.
Jetzt, kurz vor dem offiziellen Räumungsversuch, werden wir selbst noch mal ein paar Sachen sagen.

Zunächst wollen wir klarstellen, dass es sich bei der Räumung der Liebig34, die bereits mit einem absurd hohen Polizeiaufgebot geplant wird, um eine illegale Räumung handelt. Die Vertreter*innen des Raduga und des Mittendrin e.V. werden dazu noch genaueres sagen.

Die Illegalität der Räumung zeigen wir nicht auf, weil sie uns überrascht. Wir
zeigen sie auf, da sie die Willkür eines sogenannten Rechtsstaats deutlich macht.
Die Räumung der Liebig34 wird in der Öffentlichkeit oft mit der vermeintlichen Wahrung des Rechtsstaates begründet, dabei ist vor allem an diesem Beispiel erkennbar, dass es von ökonomischen und politischen Interessen abhängig ist, wer Gerechtigkeit in diesem Staat erfährt. Es zeigt eine Stadtpolitik auf, die im Sinne von Grossinvestor*innen und Kapital handelt und nicht im Sinne der Menschen, die diese Stadt beleben und sie massgeblich seit Jahrzehnten gestalten.

Mit der Liebig wuerde nicht nur ein zu Hause verloren gehen, ein kultureller Ort der Begegnung, sondern auch ein zentrales Stueck Stadtgeschichte Berlins.

Dass staatliche Strukturen nicht für alle Menschen gleich wirken, sondern sie im Gegenteil an vielen Stellen durch Repressionen und Diskriminierung einschränken, behindern und gewalttätig sind, mussten die meisten Menschen die in 30 Jahren auf verschiedene Weisen in der Liebig34 Zuflucht gefunden haben, am eigenen Leib erleben.

Dass die Liebig34 versucht für diese Menschen ein Schutzraum zu sein, macht sie zu einem einzigartigen Ort. Zu einem unersetzbaren Ort in dieser Stadt. Denn die Liebigstraße 34 bietet seit 30 Jahren den Menschen Wohnraum und Aufmerksamkeit, welche in der Stadt der Reichen keinen Platz haben sollen.

Das Haus ist ein kaempferischer Ort an dem sich Menschen taeglich dafuer entscheiden sich nicht anzupassen.

Die Liebig 34 ist seit 30 Jahren ein Ort für Menschen, die von patriarchaler Gewalt verschiedenster Ausprägungen betroffen sind, die von
Trans*feindlichkeit betroffen sind und auf andere Weisen marginalisiert werden.

In dieser ganzen Zeit hat die Liebig34 Menschen die Stalking erleben einen Zufluchtsort gegeben, hat geflüchteten Menschen Zimmer zur Verfügung gestellt, wohnungslose Frauen* konnten dort an die Tür klopfen und in unserem Gästezimmer eine Weile von Kälte und Gewalt durchatmen.

Betroffene von sexualisierter Gewalt erfahren an diesem Ort Solidarität und Schutz. Menschen, die nicht der binären Geschlechterordnung entsprechen, oder entsprechen wollen finden hier einen Raum zur Entfaltung, der in der Regel in einer heteronormativ strukturierten Gesellschaft nicht vorhanden ist. Frauen* und LGBTIQ - Menschen in prekarisierten Lebenssituation konnten in der Liebig34 wohnen, während es sonst aufgrund von Mietpreisen und diskriminierender Wohn- und Einzugspolitik kaum eine Möglichkeit gab, in Berlin Fuß zu fassen.

Die Neubauprojekte dieser Strasse und dieser Stadt versprechen eine vermeintlich heile Welt, geschaffen fuer all diejenigen, die genuegend Kapital haben, um sich den realen Widerspruechen und Problemen dieser Gesellschaft zu entziehen. Die Liebig 34 ist ein Ort an dem Menschen sich das nicht leisten koennen und wollen.

Die Liebig34 ist über die Jahre ein Ort geworden, an dem Menschen sich selbst organisieren und gemeinsam anarchistische und feministische Utopien entwickeln konnten, wie ein Leben ohne patriarchale und strukturelle Gewalt aussehen könnte.

In Berlin gibt es kaum noch Möglichkeiten für Menschen sich selbst in dieser Form des solidarischen Miteinanders zu organisieren. Und vor allem ist die Liebig ein Haus, in dem sich ausschließlich LGTBIQ Menschen auf diese Art und Weise organisieren einzigartig.
Wenn es geräumt wird, ist es nicht ersetzbar.

Immer weniger solcher einzigartigen Orte, die Berlin zu ihrem Image als vielfältige und kulturell diverse Stadt verhelfen, existieren noch, sondern sie müssen Luxusbauten und Kapitalanlagen weichen.

Die Liebig34 behindert durch ihre bloße Anwesenheit die voranschreitende Verdrängungsdynamiken im Nordkiez, die verheerende Auswirkungen auf die meisten
Anwohner*innen hat. Viele alteingessene Bewohner*innen mussten bereits wegziehen. Andere bangen mit anstehendem Räumungstermin unseres Hauses um ihre eigene Existenz im Kiez. Der Dorfplatz und die Liebig sind ein Ort fuer viele Menschen, die in der Stadt der Reichen keinen Platz finden. Ein Angriff auf dieses Haus, ist ein Angriff auf all diese Menschen.

Als Anarchist*innen, als Feminist*innen und als Antifaschist*innen sind wir in Konflikt und Konfrontation mit diesem kapitalistischen Staat und seinen Repressionsorganen. Deshalb fordern wir keine Loesung von oben sondern Anseatze von unten.

Die Liebig34 ist seit 30 Jahren fester Bestandteil dieses Kiezes.
Sie hat ihn mitgestaltet, unterhalten, hat anggeeckt und Widersprüche aufgezeigt.

Die Liebig34 ist Sand im Getriebe der fortschreitenden Gentrifizierung. Sie ist bunt, sie ist widerständig, sie ist eine Überleberin, die tapfer weitermacht, obwohl sie immer wieder Angriffen von außen ausgesetzt ist. Ob Schikanen der Polizei, sexistische Gewalt, Brandanschläge oder andere Übergriffe von Nazis – die Liebig34 gibt nicht auf. Sie bleibt sich treu, trotz Zermürbungsversuchen seitens Polizei und politischen
Machtkämpfen um profitablen Stadtraum.

In Berlin gibt es aktuell eine skrupellose Räumungswelle gegen selbstorganisierte Projekte, die sich verheerend auf die Kieze auswirken werden. Nach der Räumung des Syndikats in Neukoelln, wurde nun auch gegen die Kneipe Meuterei und das selbsorganisierte Jugendzentrum Potse ein Räumungstitel erwirkt.

Dass es darauf eine starke Reaktion gibt und diese Orte auf verschiedene Weisen verteidigt werden, kreativ bis militant, ist nicht verwunderlich, sondern schlicht und ergreifend notwendig. Hier bangen Menschen sowohl um Wohnraum, als auch kollektive Orte fuer Organisierung und Solidarität, aber auch um die Zukunft dieser Stadt.

Denn wenn diese Häuser und Projekte erstmal weg sind, können wir sie nicht wieder zurückholen. Die Liebig34 ist ein Symbol für eine Stadt von unten, ein Symbol für Solidarität und Freiheit, es geht um Zusammenhalt, um queeres Leben, um feministische Kämpfe.

Die Liebig ist Geschichte Berlins, sie ist Teil der feministischen Geschichte dieser Stadt, Teil der Besetzer*innen Geschichte, ihre Wände erzaehlen von 30 Jahren Kreativität, Unangepasstheit und Solidarität.

In Zeiten erstarkender rechtskonservativer und neo-faschistischer Angriffe stellt sich die Liebigstr. 34 gegen rassistische Gewalt, wehrt sich aktiv gegen rechte Strukturen und steht ein für Vielfalt und Toleranz.

Vor allem ist die Liebig34 ein Ort, der das Leben so vieler Menschen geprägt hat. Die vielen verschiedenen kreativen Solidaritätsbekundungen die dem Haus jedem Tag aus allen Ecken der Welt zugetragen werden, zeigen deutlich, wie viele Menschen sich mit den Kämpfen und Ideen der Liebig34 identifizieren und wie schmerzlich der Verlust durch eine
Räumung wäre.

Die Räumung der Liebig34 ist ein Gewaltakt, denn Menschen gewaltsam ihren Wohn- und Schutzraum zu nehmen, ist menschenverachtend.

Doch die Liebig34 ist nicht einfach nur Haus, das bewohnt wird, die Liebig34 ist ein Haus das geliebt und gelebt wird, Tag fuer Tag, seit 30 Jahren.

Und Orte, die man liebt, gibt man nicht so einfach auf.
Man kämpft für sie, mit allen Mitteln. Mit allen Kräften.

Und genau das werden wir machen. Wir werden dieses Haus nicht freiwillig
hergeben, sondern jeden Teil unserer in Beton manifestierten Utopie verteidigen.

Die Liebig34 lebt. Die Liebig34 bleibt.


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Statement zur Verteidigung der Liebig 34: Link

Quelle: Labournet, Tagesspiegel, Junge Welt